Disclaimer: Das Harry-Potter-Universum ist geistiges Eigentum von J.K.Rowling. Mit dieser Story verdiene ich kein Geld.
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„Was?"
„Wenn… wenn ich mein Buch hier liegen lasse… irgendwann muss ich es holen… also, na ja, weißt du…". Jetzt geriet Ginny ins Stottern. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, so unüberlegt damit heraus zu platzen? Das konnte ja nur schief gehen… als ob ein Slytherin etwas mit einer Gryffindor zu tun haben wollte. Halt, Moment mal, und was war mit ihr? Andersherum stellt sich ja auch die Frage. ‚Ginny, erst denken, dann reden. Er ist ein arroganter, böser… Idiot.' Mit Mühe verdrängte sie die Gedanken, die noch ‚gutaussehend' und ‚musikliebend' mit in die Aufzählung einschieben wollten.
„Hallo? Bist du noch da, oder mit den Gedanken woanders? Es ist ja zu verstehen, dass dich die Gegenwart des bestaussehendsten Jungen der Schule verwirrt…". Daran, dass Malfoy immer noch vor ihr stand, hatte sie gar nicht mehr gedacht. Prompt errötete sie, was der blonde Junge mit einem selbstgefälligen Grinsen quittierte. Wütend funkelte Ginny ihn an:
„Schade, dass gutes Aussehen nicht immer mit gutem Charakter einher geht!"
„Oh, wie soll ich das jetzt verstehen? Du findest mich also gutaussehend…"
Mist. Wütend auf sich selbst giftete sie ihn an:
„Das habe ich nicht gesagt! Du verdammter Idiot!"
„Du solltest dir mal ein neues Schimpfwort ausdenken, das wird langweilig.", meinte Malfoy mit einem süffisantem Grinsen.
„Du… du… Stoffel!".
Verwirrt sah Ginny ihren gegenüber an. Hatte sie schon wieder etwas falsch gemacht? Er sah sie mit einem so seltsamen Ausdruck in den Augen an… und prustete los. Er platzte fast vor Lachen. Unwillkürlich musste auch die Gryffindor grinsen.
„Wie kommst du denn auf so etwas? Was ist das für ein Wort?"
Ginny errötete. Sie wusste selber nicht, wieso ihr gerade dieses Wort über ihre Lippen gekommen war. Die Erfahrung mit ihren älteren Brüdern ließ sie eine Menge Schimpfworte wissen. ‚Stoffel' wurde am liebsten von den Zwillingen benutzt, wenn sie sich gegenseitig beschimpften, das geschah allerdings nur im Spaß.
„Es ist etwas anderes als ‚Idiot'.", meinte sie schließlich.
„Ja, das ist es.". Lächelnd sah er sie an. Diese Gryffindor konnte recht unterhaltsam sein, und schlagfertig war sie auch. Außerdem musste sie ziemlichen Mut haben, zu ihm zu kommen. Jeder wusste, dass er alles andere als ein Freund ihres Hauses war. Selten hatte er sich so entspannt gefühlt wie in der letzten halben Stunde. Ob das wohl noch die Nachwirkung der Musik war? Normalerweise bereitete sie ihm nur für den Augenblick Freude, in dem er sie erklingen ließ.
Verlegen stand Ginny da. Malfoy wirkte so abwesend. Warum stand sie eigentlich noch hier? Ach ja, das Buch… deshalb war sie auch ursprünglich hierher gekommen. Irgendwie musste sie die Stille brechen:
„Und… was ist nun? Gibst du mir das Buch, oder nicht?"
„Hier.". Malfoy reichte ihr ihr Eigentum. Ginny war seltsam unzufrieden. Das hieß dann wohl, dass sie nicht wieder kommen würde. Aber warum war sie darüber enttäuscht? Es war nur eine halbe Stunde oder so gewesen, aber trotzdem hatte sie das Gefühl gewonnen, dass man sich sehr gut mit dem Slytherin verstehen konnte – wenn er es denn zuließ.
„Weasley? Du kannst trotzdem wieder kommen.", und mit einem Lächeln schloss Malfoy hinter ihr die Tür.
„Ginny? Du bist heute so still, ist etwas passiert?"
„Nein Colin, ich denke nur über die Arithmantik-Hausaufgabe nach; sie ist ziemlich schwer, oder?". Die beiden Gryffindors saßen am Frühstückstisch. Bereits seit einer Weile rührte das Mädchen gedankenverloren in ihrem Haferbrei herum. Die Begegnung mit Malfoy ging ihr nicht aus dem Kopf. Wie konnte ein Junge, der so wunderbar Gitarre spielte und offenbar mit solcher Liebe an der Musik hing, wie konnte ein solcher Junge nur gleichzeitig ein Todesser sein? Aber nein, widersprach sich Ginny selber, er hat gesagt, er sei keiner. Und er würde auch keiner werden. Konnte sie ihm da glauben? Einem Slytherin?
„Kommst du? Wir haben gleich Verwandlungen."
Seufzend stand Ginny auf. Es hatte ja doch keinen Sinn, weiter darüber nachzugrübeln, ob Malfoy nun nett war oder nicht. Sie würde es einfach noch einmal ausprobieren. Was hatte sie schon zu verlieren? Und es war ja immer ihr Wunsch gewesen, jemanden zu finden der ebenso an den Gitarrenklängen hing wie sie. Diese Chance sollte sie sich nicht entgehen lassen. Gestern war Malfoy ja ziemlich ok gewesen… beim Gedanken an die Musik huschte ihr ein Lächeln übers Gesicht. Sie würde heute Abend wieder zu ihm gehen!
Trotz ihres festen Entschlusses stand sie dann doch mit wackeligen Knien vor der Tür. Sollte sie nun klopfen, oder nicht? ‚Na komm, du bist eine Gryffindor, wo bleibt dein Mut?' sagte sie sich, und pochte mit den Knöcheln gegen die Tür.
„Wer stört?", meinte Malfoy ungnädig, bevor er die Tür ein Stück aufmachte. Durch den Spalt sah er rote Haare.
„Du?"
„Ja, du hast doch gesagt, ich darf wiederkommen."
„Ich… ich habe nicht wirklich geglaubt, dass du kommst…"
„Dann kann ich ja auch wieder gehen!"
„Nein, so habe ich das nicht gemeint… bloß, was willst hier?"
Jetzt wurde Ginny langsam wütend. Was bildete der Kerl sich ein? Er hatte selber gesagt, sie könne wieder kommen…
„Malfoy, ich hatte mich einfach gefreut, jemanden zu treffen, dem die Musik ebenso am Herzen liegt wie mir. Schade, dass du das anders siehst.", und mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte gehen.
„Warte! Ich meinte doch nur, dass ich mich wundere, dass mich überhaupt jemand besucht, der nicht Crabbe, Goyle oder Pansy ist."
„Heißt das nun, ich soll bleiben?"
Statt einer Antwort zog Malfoy eine Augenbraue in die Höhe. „Wenn du nichts anderes zu tun hast..."
‚Na, immerhin ein Anfang.', dachte sich die Gryffindor. ‚Man kann ja nicht gleich alles erwarten. Und für einen Slytherin war das schon ein relativ deutliches Ja.'
„Was ist nun? Rein oder Raus?"
„Na was wohl? Rein. Oder denkst du, ich hätte Angst vor dir?", und mit einem Lächeln auf dem Gesicht ging sie in den Raum.
Dort fiel ihr erster Blick auf die Gitarre. Sie lag auf dem Bett, wie als hätte gerade noch jemand darauf gespielt.
„Habe ich dich beim Üben gestört?"
Niemals hätte Malfoy das zugegeben, aber er hatte gehofft, dass Ginny kommt und sich in dieser Erwartung schon eingespielt. So allerdings sagte er:
„Erstens: ein Malfoy übt nicht, er spielt, er musiziert, er bezaubert, such dir was aus, aber nicht ÜBEN. Was man kann, muss man nicht üben. Zweitens, du hast nicht gestört, denn ich nehme an, du hast nichts dagegen, wenn ich gleich weiter spiele?"
Grinsend setzte sich Ginny hin: „ Na gut, dann bezaubere mal!"
Bei dieser Bemerkung stahl sich auch bei Malfoy ein Grinsen auf das Gesicht. Sie hatte wirklich Humor… um das zu überspielen, griff er nach seinem Instrument, setzte sich hin und schlug sanft einige Saiten an. Wenn er anfing, zu spielen, wusste er meist noch nicht, welche Melodie er wollte. Das ergab sich aus seiner Stimmung, seinem Gefühl, den ersten, zart angeschlagenen Akkorden oder gezupften Tönen. Nach dem er erst einige Töne zusammenhanglos griff, fanden sich seine Finger wie von alleine, an altbekannte Positionen. Er spielte eine seiner Lieblings-Melodien. Es war kein einfach zu spielendes Lied, wirklich nicht. Das Besondere war, dass Akkorde und Melodie geschickt miteinander verknüpft wurden. Wer dieses Lied komponiert hatte, war ein Meister gewesen. Es war ruhig, sanft, und dennoch wohnte ihm eine Kraft inne, welche sich durch Malfoys gekonntes Spiel entfalten konnte. Ginny lauschte mit verzücktem Blick. Wieder, wie am vorigen Tag, kannte sie die Weise, welche Malfoy spielte, nicht. Aber wieder schlug sie sie in den Bann. Sie wünschte, es würde nie zu Ende gehen. Dann jedoch, mit einigen letzten Klängen, ging es das. Ginny standen die Tränen in den Augen.
„Warum flennst du?"
„Es war wunderschön…"
Malfoy bedachte sie mit einem selbstgefälligen Grinsen. Er liebte dieses Lied, und auch er hatte schon dabei Tränen in den Augen gehabt. Das konnte er natürlich nicht zugeben…
„Wie lange hast du gebraucht, um so gut zu werden?"
„Fast 8 Jahre."
„Oh… dann muss ich ja noch lange üben…"
„Vielleicht nicht…", murmelte Malfoy. Überrascht sah Ginny ihn an.
„Was?"
„Ach, nichts… musst du nicht langsam gehen?", fragte Malfoy, um sie abzulenken. Erschrocken sprang die Gryffindor auf. Es war wirklich schon spät geworden.
„Du hast Recht. Also, tschüß!"
„Ja, tschüß". Dabei setzte Malfoy sein gelangweiltestes Gesicht auf. Musste ihr ja nicht auffallen, dass er es eigentlich schade fand, dass sie schon wieder ging.
Als die Tür hinter ihr schon fast zu war, steckte das rothaarige Mädchen noch kurz den Kopf herein: „Bis morgen!"
Kapitel 6
In den folgenden Wochen ging Ginny fast jeden Abend zu Malfoy. Als sie einmal nicht kam, da sie sehr viele Hausaufgaben auf hatte, war der Slytherin fast enttäuscht.
Häufig redeten sie nicht nur über das Gitarre spielen. Sie waren sich inzwischen so nah gekommen, dass sie auch über den ganz normalen Tag miteinander sprachen, zusammen über Lehrer lästerten oder einfach entspannt beieinander saßen. Ja, Malfoy entspannte sich wenn Ginny kam. Er hatte es selber kaum für möglich gehalten, aber die Gegenwart der jungen Gryffindor gefiel ihm – nicht, dass er es zugegeben hätte, nein, soweit war er noch nicht. Auch ihre Streitereien wurden allmählich eher zu einem freundschaftlichen Geplänkel. Und dann, eines Abends:
„Malfoy, kann ich… darf ich auch einmal auf deiner Gitarre spielen?"
Zweifelnd sah ihr Gegenüber sie an. Seine Gitarre war sein Heiligstes, sein Liebling, sein Baby. Ob diese Weasley wusste, wie man damit umgehen musste? Aber sie spielte ja selbst… zudem hatte er in letzter Zeit schon fast Vertrauen zu ihr gefasst. Sie stand ihm nicht mehr feindselig gegenüber – und das Wichtigste, er ihr auch nicht.
„Also gut. Hier. VORSICHT!"
Ehrfürchtig nahm Ginny das Instrument. Natürlich hatte Malfoy Bedenken, es ihr zu geben, aber sie gab ihre Gitarre auch nicht gerne aus der Hand. Er brauchte jedoch nichts zu befürchten. Sie wusste um den Wert des Instrumentes – den materiellen sowie den ideellen.
Als die Gitarre in ihrer Hand lag, fühlte sie ein besonderes Gefühl in sich hinauf steigen. Dieses glatte Instrument fühlte sich wundervoll an. Noch zögerlich griff sie einen Akkord und begann eine ihrer Lieblingsmelodien zu spielen. Nein, es war eigentlich keine Melodie, es war eine raffinierte Folge von Akkorden, welche sie mit einer speziellen Zupftechnik zum Klingen brachte. Sie liebte diesen Fluss der Töne, welche sich zu einem ganz besonderen Klang vereinten. Auf dieser Gitarre klang es noch schöner, als auf ihrer eigenen. Sie verspielte sich nicht einmal und zupfte mit einer Zärtlichkeit und Reinheit, dass Malfoy ergriffen war. Der Klang seines Instrumentes verzauberte ihn immer, aber dieses Mädchen spielen zu sehen, hatte etwas Besonderes. Er fühlte plötzlich eine Verbundenheit mit ihr, welche er so noch nie gespürt hatte. Die Liebe zur Musik schien sich wie ein Band um beide zu legen und sie zu vereinen.
Als Ginny geendet hatte, blickte sie auf. Malfoy saß immer noch still da und schien dem Nachklang der Musik zu lauschen.
„Malfoy?"
„Du… spielst nicht schlecht."
Das Mädchen lächelte. Das war wohl das höchste Lob, welches er machen konnte.
„Die Gitarre ist wunderbar. Es schien mir, als ob nicht ich das Instrument spiele, sondern es nur durch mich die Ausführung dessen fand, was es selbst wollte…"
„Du hast das Gefühl auch? Dass die Gitarre dich in deinem Spiel führen würde?"
„Ja. Ich kann verstehen, dass du das Instrument liebst. Es ist etwas Außergewöhnliches."
Verblüfft betrachtete Malfoy Ginny. Sie hatte immer noch ein hintergründiges Lächeln auf dem Gesicht, wohl die Nachwirkung des Zaubers der Melodie. Diese Sanftheit in ihrem Blick schien auch in ihm etwas zu erweichen.
„Ich habe nicht immer so gefühlt."
„Was heißt das?"
„Erst vor 2 Jahren spürte ich das erste Mal diese Verbundenheit mit der Gitarre. Vorher war es für mich lediglich ein Hobby, etwas, um mich vom Schulstress oder von meinem Vater abzulenken."
Ginny horchte auf. Vor 2 Jahren? Da hatte sie mit dem Gitarrespiel angefangen…
„Und dann?"
„Ich weiß es nicht. Normalerweise habe ich immer zur Gitarre gegriffen, wenn ich mich ablenken wollte, wie gesagt. Häufig habe ich wütend auf ihr gezupft. Teilweise auch aus Spaß, aus Langeweile. Meist, weil ich gut werden wollte. Ich wollte dieses Instrument wirklich beherrschen. Dann jedoch, eines Tages, habe ich plötzlich eine Verbundenheit gefühlt, die mich überrascht hat. Ich habe die Gitarre gesehen und wollte einfach nur ihrem Klang lauschen. Ich wollte die Melodie wieder in mir fühlen – ganz, wie es an jenem Tag war, als ich sie das erste Mal hörte…"
Ginny lauschte mit angehaltenem Atem. Malfoy war ihr immer gefühlskalt erschienen. Gewiss, sie hatte in den letzten Wochen bemerkt, dass er nicht so kalt und grausam war, wie er es immer gerne zeigte. Aber solche tiefen Gefühle hätte sie trotzdem kaum bei ihm vermutet…
„Du hattest Recht, Malfoy. Du bist kein Todesser. Todesser können nicht solche Musik spielen oder solch eine tiefe Verbundenheit zu einem Instrument haben."
„Nein. Es ist anders herum. Wer eine solche Verbindung hat, kann kein Todesser werden…"
Ginny sah sich Malfoy genau an. Er schien ein trauriges Lächeln zu haben.
„Wo ist der Unterschied?"
„Der Unterschied ist, dass ich wohl ein Todesser geworden wäre… ohne Musik. Aber meine neu entdeckte Liebe zu der Musik schien in meinem Herzen keinen Platz zu lassen für den Hass. Ich begann, das, was mein Vater tat, zu verabscheuen. Wie kann so viel Schlechtes auf dieser Welt geschehen, wenn es doch gleichzeitig so viel Gutes gibt? Die Menschen müssen dafür nur die Augen öffnen. Es scheint zu sein, wie mit dieser Gitarre… sehen und hören kann sie nur, wer es will, wer bereit ist, sich seinen Gefühlen zu stellen."
Verblüfft sah Ginny auf ihren Gegenüber. Einen solchen Gefühlsausbruch hätte sie nie erwartet. Aber sie begann zu verstehen, was er sagen wollte. Plötzlich erschien er, ja, erschien ihr die ganze Welt in einem anderen Licht.
Der Slytherin jedoch schien verlegen zu sein. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Was sie jetzt wohl von ihm dachte… bestimmt würde sie überall herumerzählen, dass er ein gefühlsduseliges Weichei sei…
Hier täuschte er sich. Tatsächlich fand Ginny ihn selten so menschlich, sogar männlich. Seine Gefühle zu zu geben, dafür stark genug zu sein… das kannte sie von ihren Freunden kaum. Harry und Ron waren doch häufig noch sehr kindisch, und so nett Colin auch war, war er doch weit entfernt davon männlich zu wirken.
Ihr Gegenüber jedoch meinte nun steif:
„Du solltest gehen. Gute Nacht!"
„Gute Nacht Mal…". Nein, sie konnte ihn nicht mehr Malfoy nennen. Nicht nach diesem Abend. Es fühlte sich falsch an. Ob wohl…?
„Gute Nacht, Draco", und so verließ sie schnell das Zimmer, einen verblüfften Slytherin hinter sich zurück lassend.
Verwirrt blieb Draco an diesem Abend zurück. Hatte er sich das nur eingebildet, oder hatte ihn dieses Gryffindor-Mädchen tatsächlich beim Vornamen genannt? Nein, eine Einbildung konnte es unmöglich sein.
Er konnte sich jetzt auch selbst nicht mehr erklären, warum er ihr so viel erzählt hatte. Im Laufe der letzten Woche hatte er sich einfach daran gewöhnt, dass sie gekommen war, und ihm abends bei seinem Gitarrespiel zugehört hatte. Er hatte sich an SIE gewöhnt. Sie erschien ihm nicht mehr so unerträglich. Die Musik heute, welche sie gespielt hatte, musste etwas in ihm ausgelöst haben, ihn verhext haben… Draco konnte sich noch nicht eingestehen, dass die Musik ihn wirklich berührt hatte, dass er es genossen hatte zuzuhören und glücklich war jemanden gefunden zu haben, der ebenso wie er mit Liebe an der Musik hing. Nicht an der falschen aus dem Zauberstab, sondern an der wahren.
Energisch versuchte er an etwas anderes zu denken. Aber irgendwie gingen ihm ihre Hände, als sie sein Instrument in der Hand gehabt hatte, nicht mehr aus dem Sinn. Ebenso zärtlich wie bestimmt hatte sie durch die Gitarre eine Melodie erzeugt, welche immer noch in Draco nachklang.
Seufzend setzte er sich. Dann nahm er sich die Gitarre; vielleicht konnte er sich ja so etwas ablenken. Und so begann er auf ihr zu spielen. Einfach, was ihm gerade einfiel. Ohne es zu bemerken spielte er dabei eben jene Akkorde, welche ihn bei Ginny so berührt hatten…
Aber selbst der stärkste Slytherin muss irgendwann schlafen gehen. Also zog er sich um und legte sich in sein Bett. Er schien wohl müder zu sein, als er zunächst angenommen hatte, denn fast sofort fiel er in einem tiefen Schlaf. In dieser Nacht träumte Draco etwas Seltsames…
Ginny derweil hatte andere Probleme. Sie war versucht gewesen, bei der Rückkehr in den Gemeinschaftsraum besonders leise und unauffällig zu sein. Einer der herumsitzenden Gryffindors bemerkte dennoch, wie sie sich durch das Porträtloch stahl.
„Ginny! Wo bist du gewesen?"
„Colin. Ich… war in der Bibliothek.", erklärte sie, da es ihr nicht sonderlich ratsam schien, die Wahrheit zu sagen. Schließlich waren Gryffindors und Slytherins bekanntlich Erbfeinde. Besonders Colin stand dem verfeindeten Haus misstrauisch gegenüber; es erinnerte ihn immer wieder an seine Erlebnisse in seinem ersten Schuljahr, in welchem er von einem Basilisken angegriffen wurde. Das hatte er nur Salazar Slytherin zu verdanken! Dass Ginny eine besondere Rolle dabei gespielt hatte, machte ihn eher noch wütender: wie konnte seine Freundin nur zu so etwas verwendet werden? Die Slytherins kannten echt keine Gnade, sie waren grausam und falsch.
Colin sah jedoch trotz der Lüge finster drein: „Du kannst nicht in der Bibliothek gewesen sein, denn da war ich, schon den ganzen Abend. Ginny, was ist los? Bereits seit mehr als einen Monat verschwindest du abends plötzlich. Wo gehst du hin?"
Ginny erbleichte. Colin sah sie mit einem so schmerzlichen Ausdruck im Gesicht an.
„Ich… ich kann es dir nicht sagen.". Verdammt, warum eigentlich nicht? Warum wollte sie es ihm nicht sagen? Das mit Draco, das… das gehörte ihr. Das durfte ihr niemand wegnehmen oder schlecht reden. Sie wollte nicht, dass jemand daran teilhatte.
Derweil sah Colin sie mit einem enttäuschten und traurigen Gesicht an: „Ich dachte, wir wären Freunde… Freunde können sich alles sagen, nicht wahr? Tja, dann habe ich mich wohl getäuscht…", und mit diesen Worten drehte er sich um und ging mit hängenden Schultern in Richtung der Jungenschlafräume.
„Colin, bitte…! Warte!"
„Worauf?", fragte dieser ohne sich umzudrehen, „Darauf, dass du mir wieder Lügengeschichten erzählst?"
Ginny standen die Tränen in den Augen. War es das wert? Waren die Abende mit Draco es wert, dass sie die Freundschaft mit Colin aufs Spiel setzte? Schließlich waren sie bereits seit einigen Jahren befreundet… trotzdem, wie kam es dann, dass sie sich nirgendwo glücklicher oder geborgener fühlte als in dem Zimmer des Schulsprechers…
Dieser währenddessen schlief alsbald tief. Tief, allerdings nicht sehr ruhig.
Wieder stand er vor dem Haus des Nachbarn, von dem er vor so vielen Jahren seine Gitarre bekommen hatte. Diesmal jedoch war er allein, ohne seinen Vater unterwegs. Außerdem trug er seine Schulrobe. Und wieder klang von innen eine wunderbare, bezaubernde Melodie, eine Weise von solch berückender Schönheit, dass sie ihm fast unwirklich vorkam. Er musste wissen, wo das herkam!
Schnell ging er in das Haus hinein. Obwohl es so lange her war, wusste er dennoch sofort, in welches Zimmer er musste. Er ging eilig die Treppe hinauf, einen Flur entlang, bog wieder ein und stand schließlich vor einer Tür. Mit jedem seiner Schritte schien die Musik lauter zu werden. Obwohl er sonst sehr um seine Beherrschung bemüht war, war er jetzt sehr unruhig. Mit klopfendem Herzen öffnete er die Tür…
Dort saß Ginny. Sie hatte seine Gitarre in der Hand. Und spielte. Die Melodie schien alles um und in Draco zu berühren und traf ihn direkt ins Herz. Er konnte nicht anders, er musste Ginny, die Spielerin dieser Melodie, anstarren. Auch sie sah anders als gewöhnlich aus. Ihre Haare waren nicht wie sonst zu einem Zopf zusammen gebunden, sondern fielen ihr in lockeren Wellen über die Schultern. Ihre Augen blickten nicht so spitzbübisch wie sonst, sondern mit einem sehr viel sanfteren Ausdruck. Die Schulrobe hatte sie eingetauscht gegen ein langes, weißes Kleid mit raffiniertem Schnitt, in welchem sie unglaublich zart aussah. Das bezauberndste war ihr Lächeln. Es schien ihr ganzes Wesen zu umhüllen, mit seiner Leichtigkeit wie es auf ihren Lippen lag. Überhaupt leuchtete sie in einem leichten, unwirklichen Schein.
Während Draco noch bezaubert und überrascht auf Ginny sah und der wunderbaren Melodie lauschte, brachte diese sie mit einigen letzten, klangvollen Akkorden zu ihrem wunderbaren Abschluss. Sie sah auf und blickte Draco direkt in die Augen.
