Kapitel 28- Heim zum Fangorn
Der Fangorn. Während meine Gefährten auf dem verlassenen Schlachtfeld trauerten, war ich zwischen den ersten Bäumen durchgelaufen in den Wald hinein. Eine seltsame Befriedigung erfüllte mich, ich war ein Wanderer, der nach einer langen Reise zurückgekehrt war und feststellen musste, dass sich nichts verändert hatte. Sanft rauschten die Blätter der uralten Bäume und zwischen ihren Kronen ließ sich nur hier und da der grau bewölkte Himmel erkennen. Der frische, süßliche Waldgeruch lag schwer in der Luft und ich sog ihn mit vollen Lungen ein. Wie gerne hätte ich Fangorn, meinen alten Freund, wieder gesehen, doch ich erwartete nicht, ihn zu treffen. Ich durfte nicht zu weit in den Wald hinein gehen, sonst würden die drei anderen mich wohl suchen.
So lief ich nur einige hundert Meter in den Wald hinein.
Ich gedachte den Abend, als ich Éolind hier das erste Mal getroffen hatte, abgerissen und hungrig. Es war unglaublich wie sie sich verändert hatte. Sie hatte ihre eigene kraft entdeckt, sie war irgendwie selbstbewusster geworden, hatte eine Art Ausstrahlung bekommen. Wie wenig erinnerte sie noch an das zurückhaltende Mädchen von damals.
Doch ich fragte mich, welche Beziehung sie zu Feanor hegte. Ich hatte mich mit ihm angefreundet, doch manchmal war er mir etwas unheimlich, in seiner erst ruhigen, ernsthaften Art, wie er dann ganz plötzlich überschäumen konnte und unglaubliche Energien an den Tag legte. Doch etwas sagte mir, dass ich wohl selbst unheimlich sein konnte, und so zuckte ich mit den Schultern und ging weiter.
Doch nun, was war mit ihm und Éolind? Sie schienen manchmal seltsam vertraut, als ob sie sich in einem früheren Leben gekannt hätten und doch waren sie sich fremd. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie verwandt oder jemals mehr als befreundet gewesen waren, schließlich war sie ein Mensch und er elbischen Geblüts. Und doch hatte sei sich in Minas Tirith in seine Arme gestürzt wie in die eines alten Freundes, der lange verloren gewesen war.
So sehr ich darüber nachdachte, ich wurde doch nicht schlau daraus.
Nur fahl war die Sonne hinter den Wolken zu erkennen und je weiter ich in den Wald eindrang, desto schwächer wurde das Licht. Schnell wanderte ich zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurch, sprang in schnellen Sätzen über Wurzeln und umgestürzte Stämme. Ich wusste, wonach ich suchte, und es war nicht mehr weit.
Bald hatte ich den Ort erreicht. In diesem Teil des Waldes kannte ich jeden Baum, jeden verwitterten Stamm, jeden moosüberwachsenen Fels. Ich kannte den Gesang der Vögel die hier lebten und den Duft der Waldblumen, der süßlich in der Luft lag. Ich kannte das Spiel des Lichts und der Schatten zwischen den Blättern der Baumkronen. Ich kannte de Herzen der Bäume und der Tiere und das Lied des Windes in den Blättern und zwischen den Stämmen.
Schnell erklomm ich einen Baum, eine mächtige silberne Buche, huschte geschwind von Ast zu Ast, sprang mit einem mächtigen Satz ab und fasste mit schnellem griff die dichten Zweige der nahe stehenden Linde, schwang mich empor und landete auf einem breiten Ast, der mein Gewicht ohne Probleme trug.
Es wat nicht mehr weit. Ich spürte ein lang vergessenes Glücksgefühl in mir aufsteigen, das von allem Vertrauten, was ich wieder erkannte, gesteigert wurde. Von uns vieren war ich der einzige, der so etwas wie eine Heimat hatte. Ich wünschte mir, die anderen würden so etwas ebenso finden, wie ich es gefunden hatte.
Und dann war ich dort. Schnell kletterte ich zu der mühsam zusammen gezimmerten Unterkunft in den Armen des alten Baumes auf. Ich lies mich niedersinken, inhalierte die vertraute Luft. Ich fühlte mich leicht, alle Zeichen von Müdigkeit der beschwerlichen Reise waren von mir abgefallen.
Ich fragte mich, wie lange ich fort gewesen war.
Es schienen mir nur wenige Tage zu sei, obgleich ich wusste, dass es mindestes einige Wochen waren. Schnell band ich einige Schnüre wieder fest, die sich gelöst hatten, kehrte fahrig Schmutz und Laub von der kleinen Plattform. Dann streckte ich mich lang dort aus und blickte zum Walddach empor.
Ich erinnerte mich an den Tag, an dem wir hier gesessen hatten und dem Regen zugehört hatten, das auf die Baumkronen prasselte. Es war das erste Mal nach langer Zeit der Einsamkeit gewesen, dass ich Kontakt mit einem Menschen gehabt hatte.
Feanor hatte mich einmal gefragt, ob ich und Éolind „zusammen" waren, wie er es damals unbeholfen ausgedrückt hatte. Es war in Minas Tirith gewesen, kurz bevor wir abgereist waren. Hätte nicht diese Ernsthaftigkeit in seinen Augen gestanden, hätte ich gelacht.
Schon allein der Anblick jenes Elben, der schon lange kein Junge mehr schien, mit seinen Narben und wilden Augen, wie er so unsicher und etwas zaghaft vor mir gestanden hatte und mich dabei dennoch an Größe überragte und fragte…
Natürlich nicht! Ich hatte mir nicht denken können, wie er auf diese Abwegigkeit gekommen war und er war Schulter zuckend und sichtlich etwas verlegen davon gegangen.
Nun, viele Tage später, fand ich es nicht mehr so abwegig. Éolind war zwar nicht so anziehend wie das Elbenmädchen Idril, doch durchaus hübsch. Und waren wir nicht zu zweit in Minas Tirith aufgetaucht, nach dem wir lange alleine unterwegs gewesen waren? Warum sollte man nicht auf den Gedanken kommen, dass wir…
Ich spann den Satz nicht zu Ende: es erschien mir einfach zu abwegig: uns verband nichts als Freundschaft, dessen war ich mir vollkommen sicher. Und doch… war es bei Idril und Feanor nicht ebenso gewesen?
Lange Zeit blieb ich so liegen, bis schließlich sanfter Schlummer über mich kam. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als ich schließlich wieder die Augen aufschlug. Meine Glieder schmerzten unangenehm, als ich aufstand. Ich reckte mich und schüttelte wild den Kopf um die letzte Schläfrigkeit abzuschütteln. Dann warf ich einen prüfenden Blick zum Himmel. Gequält stöhnte ich auf. Die Sonne war ein ganzes Stück weiter nach Westen gewandert. Ich hatte lange geschlafen. Die anderen würden sich bestimmt längst fragen, wo ich geblieben war.
Schnell verließ ich meinen kleinen Verschlag und eilte so geschwind es mir möglich war durch den Wald. Zweige peitschten mir auf die Haut und hinterließen kleine Kratzer an meinen nackten Armen, doch ich kümmerte mich nicht darum. In den Bäumen flatterten erschrockene Vögel auf.
Ich legte den Weg schnell zurück und so dauerte es nicht lange, bis ich die Stelle am Waldrand erreichte, an der ich mich von ihnen getrennt hatte.
Keuchend stolperte ich zwischen den letzten Bäumen hindurch und blieb schließlich neben dem Stamm einer gewaltigen Eiche nach Luft ringend stehen.
Der Himmel hatte sich noch mehr verdüstert. s sah nach Regen oder einem Gewitter aus.
Ein kräftiger Wind war aufgekommen, indem sich die Baumkronen und das Gras wiegten.
Weit und breit war kein lebendes Wesen zu entdecken.
Erschöpft und verwirrt lehnte ich mich an den Baumstamm und verfluchte mich in Gedanken selbst. Ich hatte es also geschafft, durch reine Säumnis meine Gefährten zu verlieren. Wahrscheinlich waren sie geradewegs ihrerseits in den Fangorn hineingewandert, in dem sie sich nicht auskannten und der für einen Fremdling wohl gefährlich sein konnte, denn es gab stellen, da waren die Herzen der Bäume finster und verschlagen und das Licht drang nur selten zwischen den hohen Baumkronen hindurch.
Mir war klar, dass ich sie finden musste. Allein kam ich nicht weiter und eine Gefährten- wer weiß, was in allein in diesem Wald geschehen mochte. Sie brauchten mich, sie brauchten einen Führer, die sich auskannte.
Schnell wandte ich mich um und verschwand wieder zwischen den Stämmen. Ich brauchte nicht einmal lange, um meine Gefährten zu finden.
Sie saßen eifrig redend zwischen Bäumen beieinander und schienen sich nicht die geringsten Sorgen um mich gemacht zu haben.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Warum hatte ich mir eigentlich solche Sorgen gemacht?
Als ich ankam, sah Aragorn auf. „Ah, Suilion, wir fragten uns schon, wo du steckst, doch Gandalf beruhigte uns…."
Mit erstaunen sah ich auf den Neuankömmling. Es war ein alter Mann, wie es schien, mit weißem Haar und Bart und in einen weiten, grauen Umhang gehüllt.
Als er mich sah, lächelte er und eine unbeschreibliche Fröhlichkeit schien von ihm auszugehen, doch ich ahnte, dass dahinter auch ebenso große Macht steckte.
Ja, ich hatte von Gandalf gehört, wenngleich ich ihm nie begegnet war, doch bisher hatte man mir gesagt, er sei tot.
Ich deutete eine leichte Verbeugung an. „Das also", sagte ich leise. „ist Gandalf, der Zauberer…"
