Du-weißt-schon-was
03:05 früh.
Eine kleine Gestalt mit tief hängender Kapuze hastete entlang der quadratischen einander gleichenden Häuser an den Laternen vorbei, die den Eilenden in ein groteskes Licht warfen. Der Mantel sah schäbig und zusammen geflickt aus, die Schritte waren eilend, ab und zu stolperte der kleine Mann, lief aber immerfort und beinahe zielstrebig weiter.
Es dauerte nicht lange und er blieb vor einem der einander nahezu identischen Häuser stehen. Vorsichtig nahm er ein zerknittertes Blatt Pergament aus seiner Manteltasche und verglich die Zahl die darauf geschrieben stand mit der Zahl die an der Hauswand neben der Tür angebracht war.
Nach einer Weile des Nachdenkens war in der nachtschlafenen Straße ein lautes Quieken zu hören, in das man mit viel Phantasie einen Freudenschrei hinein interpretieren konnte.
„Meister," quirgelte der kleine Mann, „Das Haus, wir haben Harry Potter gefunden."
„Ich spüre ihn." Zischte es aus der Richtung des Unterarmes des kleinen Mannes. „Er ist ganz in der Nähe."
„Ja, wir stehen direkt vor seinem Haus, mein Lord. Ist das nicht schön?"
„Worauf wartest du dann noch?" fauchte der Unterarm. „Die Schutzzauber stehen vor unserem Sieg. Beseitige sie, Wurmschwanz. Und ich werde Potter beseitigen."
„Jawohl, mein Lord."
„Beeil dich."
„Wird gemacht, mein Lord."
„Diesmal wird nichts schiefgehen." Der Unterarm gab ein gurgelndes Geräusch von sich.
„Sicher, mein Lord."
„Ich bin von Versagern umgeben."
„Natürlich, mein Lord."
08:36 früh.
Mit einem weiten Gähnen wachte Harry aus einem leichten Dämmerschlaf auf. Die Sonne schien schräg in das Zimmer hinein und kündigte einen neuen Tag an. Harry war aber nicht nach aufstehen zumute. Leise zählte er die weißen Punkte an der Decke und dachte für eine kurze Zeit an nichts bestimmtes.
Seit zwei Tagen war er nun erst bei den Dursleys und schon am ersten Tag hatte ihn die Langeweile befallen. Wenn er nicht an Dumbledores Tod oder Horcruxe dachte, zählte er weiße Punkte an der Decke. Genau das tat er jetzt mit besonders großer Konzentration.
Seine Denkteraphie wurde von lauten Schuhuen und leisem Klackern unterbrochen.
„Hey, Hedwig." Sagte Harry.
Hedwig schuhute noch heftiger und kratzte mit den Krallen gegen die Fensterscheibe.
Mit einem weiteren Gähnen setzte Harry sich auf und trottete zum Fenster, um es mit einem sanften Ruck zu öffnen.
„Ssh, Onkel Vernon wird dich noch hören." Versuchte Harry den stolzen Vogel zu beruhigen. Sie beruhigte sich nicht bevor Harry ihr das kleine Pergament von ihrem ausgestreckten Bein band und ihr einen Eulenkeks gab.
Mit einem lauten Seufzen setzte er sich auf das Bett, welches unter seinem Gewicht leicht quietschte und fingerte nach seiner Brille während er das Pergament entrollte.
Lieber Harry,
Wie geht es dir? Ich hoffe, die Dursleys belästigen dich nicht zu sehr. Uns geht es dem Umständen entsprechend prima. Ich bin jetzt bei Rons Familie. Lupin und Tonks sind auch hier. Hoffen, du kommst bald.
Ron&Hermine
P.S. Du bist zu Bills Hochzeit eingeladen.
P.P.S. Was hast du Ginny gesagt, dass sie so wütend ist?
P.P.P.S. Harry, ich glaube, wir wissen, wer R.A.B. ist. Sirius' Bruder, Regulus, heißt mit zweiten Vornamen Anos.
P.P.P.P.S. Ginny will auch an der Suche nach Du-weißt-schon-was teilnehmen.
P.P.P.P.P.S. Antworte bald.
Harry lächelte selig. Es war schön von seinen Freunden zu hören. Die Note mit einem P. freute ihn. Zwei P. würde er noch mal mit Ginny reden müssen. Bei vier P. sollte er Ron und Hermine sagen, dass überhaupt nicht vor hatte, einen von ihnen in die Suche mit einzubeziehen. Drei P. blieb er skeptisch. Fünf P. würde er morgen machen.
Damit verfiel er mit ein paar mehr Gedanken in den alten Zustand der Gedankenlosigkeit.
08:51 früh.
Mehrere schwarze Kapuzengestalten mit weißen Masken näherten sich dem Ligusterweg. Bei Tageslicht wirkten sie weniger furchteinflößend.
08:56 früh.
Harry war beim 129. weißen Punkt angelangt als er einen dumpfen Knall von weit her hörte. Sein Unterbewusstsein merkte an, dass es dem ‚Alohomora' sehr ähnlich klang.
130 weiße Punkte.
Schritte, die zielsicher in den Flur traten.
131 weiße Punkte.
132 weiße Punkte.
133 weiße Punkte.
„Was wollt ihr?" baffte Onkel Vernon, „Die Tür war teuer, wisst ihr das?"
134 weiße Punkte.
„Ist Harry Potter hier?"
„Aaah." grummelte Vernon gedehnt. „Ihr seid einer von den Freaks, seid ihr?"
„Nicht nur einer, sondern viele, Mr. Dursley." Antwortete dieselbe geschwollene Stimme. „Und ich würde tun, was mir gesagt wird, wenn ich nicht am falschen Ende eines Zauberstabes stehen möchte."
135 weiße Punkte.
136 weiße Punkte.
137 weiße Punkte.
„Was wollt ihr?" fragte Vernon.
„Ah, das hört sich schon besser an, nicht wahr?." Lachte der Todesser. „Wenn sie uns freiwillig Harry Potter aushändigen, würden wir sie vielleicht davon kommen lassen."
138 weiße Punkte.
139 weiße Punkte.
„Vielleicht?" hauchte Vernon.
140 weiße Punkte.
Ein schriller Frauenschrei.
„V-Ver..Vernon, das sind Tot-...to..Todes..."
141 weiße Punkte.
„Petunia, liebes. Sie sehen sehr lebendig aus. Und wenn wir machen was sie uns sagen, sind sie in Null-Komma-nix verschwunden. Und die Nachbarn merken vielleicht nichts."
„D-du ver-ve...verstehst nicht,..."
142 weiße Punkte.
143 weiße Punkte.
144 weiße Punkte.
„Oh ich verstehe dich sehr gut. Ich mag diese Freaks auch nicht."
145 weiße Punkte.
146 weiße Punkte.
Flüstern.
147 weiße Punkte.
„Wir danken für ihre Aufmerksamkeit, aber wir müssen jetzt wirklich den Jungen abholen. Sie wissen ja, die Zeit ist knapp..."
„Oh, ja, ja." Antwortete Vernon „Die Treppe hoch, die Tür ganz am Ende. Ihr könnt gleich sein ganzes freakisches Zeug mitnehmen."
Schritte.
148 weiße Punkte.
Die Treppe knirscht unter dem ersten Schritt.
Kracks
In dem Moment wachte Harry aus seinem Halb-Wachschlaf auf. Mit einer einzigen Bewegung sprang er aus dem Bett und holte gleichzeitig den Zauberstab aus dem Halfter.
Die ersten Schritte hatten die Treppe überwunden.
Drei leise gesprochene Sprüche und der Tarnumhang sowie der Besen flogen ihm entgegen in die Hand.
Ein weiterer Zauberspruch und das Fenster öffnete sich.
Harry hievte sich auf die Fensterbank, sprang hinaus und flog der Sonne entgegen.
Die Tür zum kleinsten Schlafzimmer im Ligusterweg 4 flog mit einem Dramatischen Knall auf.
„ Mist."
„Potter ist weg."
„Danke, dass du das Offensichtliche festgestellt hast."
„Mr. Potter, es wäre wirklich sehr freundlich, wenn sie nochmals zurückkehren würden."
„Das war nicht fair."
„Er ist durchs Fenster entkommen."
„Ach tatsächlich?"
„Es ist offen."
„Oh."
„Er ist also entkommen?"
„Wer?"
„Potter."
Mehrere Minuten schwiegen die Insassen des kleinsten Schlafzimmers im Ligusterweg 4. Die Stille wurde nur vom Schuhuen der Eule unterbrochen. Die Mission war fehlgeschlagen. Der dunkle Lord würde nicht erfreut sein.
09:01 früh.
In der Abteilung für Registrierung minderjähriger Magie leuchtete ein Lämpchen.
Madame Hopkins räusperte sich, „Mr. Potter hat dreimal in Folge Magie angewandt."
„Schon wieder?"
„Was denn?"
„Zwei Aufrufezauber und ein Öffnungszauber."
„Ich bin enttäuscht."
„Ganz meine Meinung."
„Der Patronus war viel schöner."
„Süß."
„Was sollen wir tun?"
„Lassen wir es fürs erste ruhen."
„Genau."
„Die Aufruhr vorletztes Jahr war schlimm genug."
„Recht hast du."
Das Lämpchen hörte auf, zu leuchten.
Du-weißt-schon-wasEnde.
Fortsetztung folgt...
