6. Vergangenheit... doch gibt es eine Zukunft?
Es war bereits
später Abend, als Lucius Malfoy sich stöhnend im Bett
aufsetzte und sich durch die ungekämmten Haare fuhr. Langsam
glitten seine Augen zum Fenster, durch das der Vollmond ins Zimmer
schien und alles in einem grauen Zwielicht erhellte.
Plötzlich
hörte er neben sich einen gehauchten Seufzer, den der Todesser
nur mit Müh und Not vernahm. Sein Blick wanderte zu der Person,
die ebenfalls im Bett lag.
Er grinste. Bei diesem wundervollen
Geschöpf, welches mit offenem Mund und wirren schwarzen Strähnen
neben ihn schlief und ruhig atmete, musste er an den Nachmittag
denken, den sie beide in voller Leidenschaft ausgekostet
hatten.
Sanft strich Lucius ein vorwitziges Haarbüschel zur
Seite und erntete dafür ein kleines Lächeln seines
Gegenübers.
Ohne sein Zutun beugte er sich zu dem schlafenden
Engel, der nun ihm gehörte, hinunter und drückte einen
zärtlichen Kuss auf dessen Lippen.
Verwirrend
richtete er sich wieder auf und schaute Harry Potter durchdringend
an.
Lucius verstand sich selber nicht mehr. Dieser Junge, die
Verzweiflung pur, weckte in ihm Gefühle, die er seit Narzissas
Tod vor wenigen Monaten zu vergessen geglaubt hatte.
Der Junge war
eine Gefahr für ihn. Nie wieder wollte er jemanden so nahe an
sich heran lassen, doch dieser Engel war kurz davor dies zu
schaffen.
Entschlossen schmiss er die Decke vom Körper und
stieg aus dem Bett. Schnell zog er sich an und verließ das
Zimmer, vorerst die Empfindungen für Harry Potter außer
Acht lassend, denn er hatte einiges für den Meister zu
erledigen.
Eine Stunde später regte sich auch ein kleiner
schmächtiger Junge mit schwarzen Haaren und blickte mit
halbgeöffneten Augen um sich. Gähnend rieb er sich den
Schlaf aus den Augen und orientierte sich.
Erschrocken tastete er
neben sich, doch der Platz war leer. Mit leichter Enttäuschung
stellte er fest, dass er allein war.
Niedergeschlagen kämpfte
er sich aus dem Bett und stand zitternd unentschlossen im Zimmer. Auf
einem Stuhl entdeckte er Anziehsachen und ging darauf zu. Schnell
stieg er in die Boxershorts und schwarze Stoffhose und schlüpfte
in einen braunen Kapuzenpulli. Mit Verwunderung musterte er die
Kleidung. Sie passte in wie an gegossen.
Dann ging er auf die
Zimmertür zu und verließ den Raum. Langsam durchquerte er
die verlassenen Gänge, in denen kein Laut zu vernehmen war.
Nicht
auf die Umgebung achtend versuchte er seine eigenen Gefühle und
Empfindungen zu ordnen, allerdings nur mit mäßigen Erfolg.
Harry biss sich auf die Unterlippe und betrat wahllos einen Raum. Ein
riesengroßer Saal, der an einer Seite mit Fenstern, die bis auf
den Boden reichten, bestückt war. Die restlichen Wände
bestanden aus meterhohen Regalen, die nur vor Büchern so
strotzten.
Mit offenem Mund ging er in die Mitte der Bibliothek,
denn nichts anderes stellte sie dar, und drehte sich einmal um die
eigene Achse. Leider bemerkte er nicht eine bestimmte Person, die ihn
auf einer der Sitzgelegenheiten mit feurigen Augen
beobachtete.
Willkürlich ging der Schwarzhaarige auf eines
der Regale zu und nahm sich ein Buch heraus. Mit Widerwillen erkannte
er, dass das Buch über Dunkle Künste handelte und rammte es
zurück neben die anderen Bücher.
Was
hatte er erwartet in einem Haus, wo Todesser wohnten?
Erschrocken
drehte er sich um, als er eine kühle Hand an seiner Schulter
spürte und stand plötzlich einem Draco Malfoy gegenüber,
der ihn diabolisch angrinste.
"Na, Potter. Wohl nicht dein
Geschmack, oder?", fragte er zuckersüß und umfasste
hart den Arm von Harry.
"L-Lass mich los, Ma-Malfoy.",
stotterte der Gryffindor und ging ein Stück rückwärts.
"Na,
na, na. Hast du etwas Angst vor mir?", harkte der blonde
Slytherin nach und trat auf Harry zu.
"B-Bestimmt nicht.",
antwortete der Schwarzhaarige und merkte selber, dass seine Aussage
ganz und gar nicht überzeugend war.
"Aber vor mir
brauchst du doch keine Angst haben... Harry.", hauchte der junge
Malfoy und legte die andere Hand in den Nacken seines Gegenübers,
der seine Augen panisch im Raum umhersuchen ließ nach einer
Fluchtmöglichkeit.
"Lass
mich gehen, bitte.", bettelte Harry und fing an zu weinen. Doch
Draco reagierte darauf nicht, sondern zog den Kleineren zu sich heran
und näherte sich seinem Mund.
Wie in Hypnose starrte der
Schwarzhaarige auf die Lippen von Draco und erstarrte zur
Salzsäule.
"Bitte, Draco, nicht!", wimmerte Harry,
kurz bevor seine Lippen durch einen Kuss zum Schweigen gebracht
wurden. Jetzt kam wieder das Leben zurück in den Gryffindor und
er stemmte sich mit aller Kraft gegen den Blonden, während er
ihm in die Lippe biss. Draco löste fluchend den Kuss, packte
aber den Kleinen nur noch fester. Dieser schrie auf vor Schmerz und
stolperte mit seinem Anhängsel nach hinten an eine Wand.
Draco
stemmte die Hände an diese Wand und schloss Harry zwischen sich
und dieser ein.
"Du bist wunderschön, Harry.",
flüsterte Draco in sein Ohr und knabberte dann daran.
"Hör
auf. Ich will das nicht!", keuchte der Schwarzhaarige und
kämpfte gegen seine erwachenden Gefühle.
Plötzlich
wirbelte Draco ihm herum und schmiss ihn hart auf den Boden. Harry
wurde dadurch die Luft aus den Lungen gedrückt und er zuckte
zusammen vor Schmerz.
"Ach ja, aber mein Vater darf dich
vögeln.", zischte Draco wütend und baute sich vor dem
liegenden Gryffindor auf.
"W-wie?" Ängstlich
schaute Harry zum Slytherin auf und kroch von ihm weg.
"Denkst
du, ich bin blöd? Natürlich habe ich gemerkt, wie mein
Vater dich anguckt und du ihn.", redete sich Malfoy jun. weiter
in Rage und umkreiste den Schwarzhaarigen.
"Wie
ich ihn angucke?" Harry war verwirrt. Was meinte er?
"Du
liebst ihn, oder?", hauchte plötzlich Draco und blickte ihn
traurig an.
"I-Ich... Ich weiß nicht. Ich... wie
kommst du darauf?"
Der Slytherin lächelte.
"Ich
muss es doch wissen. Schließlich bin ich selber verliebt."
Der
junge Malfoy kniete sich hin und reichte Harry die Hand.
"Aber
die Person, die ich liebe gibt es wohl nicht mehr.", meinte
Draco stockend.
Fassungslos starrte der Gryffindor die ihm
gereichte Hand an. Er wurde einfach nicht schlau aus Draco Malfoy.
Wieso sollte es diese Person nicht mehr geben?
Diese Frage stellte
er auch unsicher dem Slytherin.
Draco schloss schmerzhaft die
Augen.
"Weil
sie sich verändert hat. Etwas muss mit ihr passiert sein. Etwas
Schreckliches... und ich würde gerne erfahren was.",
erzählte der junge Malfoy, öffnete wieder die Augen und
schaute Harry durchdringend an.
Und jetzt verstand er. Draco
meinte ihn! Ihn und niemand anderen. Der Schwarzhaarige hielt die
Luft an.
"D-Du..." Harry war nicht fähig einen
vernünftigen Ton heraus zu bringen, aber nahm letztendlich doch
die Hand an und ließ sich in die Höhe ziehen.
Wieder
lächelte Draco traurig.
"Ja, ich bin ich dich verliebt
und ich habe mir krampfhaft eingebildet dich mit allen Mitteln nehmen
zu müssen.", sprach der Blonde schwach und zog den
Kleineren zu der Sitzecke. Zärtlich bugsierte er Harry auf einen
Sessel und platzierte sich ihm Gegenüber.
"Seit
der fünften Klasse, wenn du es genau wissen willst. Doch ich
dachte, ich hätte es verkraftet, bis du hier auftauchtest.
Verzweifelt, kränklich, den Tod wünschend. Ich war
geschockt, schließlich kannte ich dich nur als selbstbewussten
und fröhlichen Gryffindor, aber du warst seelisch ein Wrack. Und
als dann mein Vater sagte, dass er dir den Tod versprochen hatte, ist
etwas in mir durchgebrannt."
Harry stand auf und setzte sich
neben den jungen Slytherin auf die Lehne.
"Draco, soll...
soll das eine Entschuldigung sein?", fragte Harry vorsichtig und
streichelte Malfoy jun. zitternd über die Wange.
Der
Schwarzhaarige wusste nicht woher er diesen Mut besaß dies zu
tun, doch er fühlte, dass es richtig war. Außerdem musste
es für Draco eine Menge Überwindung gekostet haben, ihm
sein Gefühlsleben zu offenbaren.
Draco machte eine Bewegung,
die man mit guten Willen als ein Nicken annehmen konnte und seufzte.
"Harry,
was ist mit dir passiert?", verlangte plötzlich der
Slytherin zu wissen und zog seinen ehemaligen Mitschüler in
seine Arme.
Dieser zuckte zusammen und zitterte noch stärker.
"Ich
tu dir nichts. Scht.", flüsterte der Blonde und wippte mit
den Kleinen vor und zurück.
Harry beruhigte sich langsam
wieder, als er erkannte, dass Draco ihm nichts tun wollte.
"Nein...
ich will das nicht erzählen. Bitte... ich... nein.",
nuschelte der Schwarzhaarige.
"Bitte, Harry. Ich möchte
dich verstehen.", versuchte Draco es weiter und Harry spürte,
dass sich der Blonde wirklich Sorgen um ihn machte.
"Ok,
aber... Aber bitte ekele dich dann nicht vor mir."
"Aber-"
Harry legte seinen Finger auf den Mund und brachte so den
Malfoyspross zum Schweigen.
"Versprich es.", sagte der
Gryffindor verzweifelt und schaute Draco in die grauen
Sturmböen.
"Warum soll ich mich vor dir ekeln? Ich
verspreche es dir."
"Gut." Erleichtert fuhr sich
Harry über die Augen.
"Es begann alles nach dem siebten
Schuljahr..."
flashback
Glücklich betrat
Harry Potter das Grundstück seiner verhassten Verwandten und
pfiff vor sich hin. Endlich konnte er die Hölle auf Erden
verlassen und in seine eigene Wohnung in London ziehen, die nur
wenige Meter vom Zauberministerium entfernt lag.
Tief durchatmend
klingelte er und wartete darauf, dass man ihm aufmachte.
Nicht mal
eine Sekunde später öffnete sich schon die Tür und
Onkel Vernon schaute ihn wütend an.
"Bin gleich wieder
weg. Ich hole nur mein restliches Zeug.", ließ Harry
seinen Verwandten nicht zu Wort kommen und stürmte in das Haus.
Doch er hatte nicht mit seinem Cousin gerechnet, der ihn plötzlich
an die Wand schleuderte und in seine Tasche griff, um den Zauberstab
heraus zu ziehen. Mit süffisantem Lächeln auf den wulstigen
Lippen zerbrach er den Stab und schmiss die Stücke achtlos auf
den Boden. Die Augen des Schwarzhaarigen verfolgten fassungslos diese
Gesten. Er schluckte hart, während sein Blick zu seinem Onkel
wanderte.
Dieser
packte ihn sogleich grob und grub seine Faust in den Magen des
zierlichen Jungen.
"So, jetzt wirst du alles wieder gut
machen, was du uns angetan hast.", zischte der dicke Mann und
führte ihn am Nacken zu dem Schrank unter der Treppe und
schupste ihn hinein.
"Da bleibst du erst mal eine Weile.",
lachte Onkel Vernon hämisch und schloss die Tür.
Harry
begann zu weinen und verkroch in der hintersten Ecke des
Schrankes.
Er verstand die Welt nicht mehr. Vor weniger als zehn
Minuten war noch alles in Ordnung gewesen: Ein Ausbildung zum Auror,
eine super Dreizimmerwohnung, eine süße Freundin...
Doch
jetzt?
Tagelang blieb Harry im Schrank eingesperrt, bei Wasser
und trocken Brot. Dann ließ man ihn raus, nur damit er im Haus
arbeiten konnte. Von morgens bis abends schuftete er ohne eine Minute
Pause.
Durch diese Behandlung wurde er immer dürrer und
kranker und er dachte es konnte nicht mehr schlimmer kommen, als
Prügel und Erniedrigungen. Doch er irrte sich.
Eines Abends
tauchte ein fremder Mann auf und unterhielt sich angeregt mit Onkel
Vernon.
Immer wieder vernahm der Gryffindor seinen Namen und
verschiedene Geldbeträge.
Verwirrt schaute er durch die
Schlitze des Schrankes und musterte den Fremden. Er musste um die
vierzig sein, trug einen sehr teuer aussehenden Anzug und wedelte mit
ein paar Geldscheinen.
Dann gab plötzlich sein Verwandter
nach, steckte das Geld des Unbekannten in die Tasche und ging auf den
Schrank zu.
Harry drängte sich entsetzt in die Ecke und
zitterte.
Die
Tür öffnete sich und eine fette Hand griff nach seinem
Handgelenk und zerrte ihn ins Freie.
"So, da ist der
Prachtjunge.", sagte Vernon schleimig lächelnd zu den
Fremden und schupste den Jungen in dessen Arme.
"Die Treppe
hoch und gleich die erste Tür rechts.", grinste der dicke
Mann und rieb sich die Hände.
Harry versuchte sich zu wehren,
erntete aber nur eine knallende Ohrfeige des unbekannten Mannes, die
ihn Sterne sehen ließ. Der Fremde zog ihn die Treppe hoch und
warf ihm aufs Bett des Zimmers rechts der Treppe.
Der
schwarzhaarige Junge wimmerte auf und schlang die Arme um die Beine.
Ängstlich schaute er auf den Fremden, der sich genüsslich
über die Lippen leckte.
"Du bist ja wirklich ein süßes
Balg. Mit dir werde ich viel Spaß haben.", grinste der
Mann erregt und ging langsam auf das Bett zu.
Harry verstand
nicht, was der ältere Mann von ihm wollte, doch er sollte es
bald erfahren...
flashback ende
"... es blieb
nicht nur bei dem einen. Ich kann sie schon gar nicht mehr zählen...
Doch ich habe das Gefühl, jeden einzigen noch zu schmecken und
in mir zuspüren.", schloss Harry seinen monotonen Vortrag
und kuschelte sich an die Schulter von Draco.
"Jetzt wirst du
mich bestimmt verabscheuen.", flüsterte der Gryffindor und
setzte sich wieder auf.
"Ich..." Der blonde Junge
räusperte sich. "Ich verstehe nicht, wie Menschen so etwas
tun können. Selbst wir Todesser finden so etwas abscheulich."
Draco zog den Kleinen an sich. "Ich verabscheue dich nicht.
Niemals."
"Danke, Draco."
Dann
schwiegen beide etliche Minuten. Doch der junge Malfoy verlangte
etwas zu wissen.
"Liebst du meinen Vater?"
Harry
zuckte zusammen.
"Ich weiß es nicht. Irgendetwas ist
zwar in mir, dass mir zeigt, dass ich nicht ohne Gefühle für
ihn bin, doch ob es Liebe ist..."
Draco ließ den Kopf
hängen. Für ihn hörte es sich nach Liebe an... und er
wusste, dass sein Vater genauso fühlte. Er musste es nur noch
selber erkennen.
Also hatte er keine Chance.
Ein trauriges
Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Irgendwie hatte er das
schon immer geahnt. Aber es war gut so. Er würde ihn gehen
lassen.
"Und jetzt? Wie sieht deine Zukunft aus? Willst du
immer noch sterben?", harkte Draco nach.
"Das ist eine
interessante Frage.", kam es plötzlich von der Tür.
Draco
und Harry drehten sich gleichzeitig herum und kein anderer als Lucius
Malfoy stand im Türrahmen und hatte eine Augenbraue
hochgezogen.
