Chapter I

Endless Rain – Oktober 1965

Als die Dunkelheit gekommen ist

Das Leiden schien so fern

Warum kam das Schicksal

Um mein Leben zu zerstören

L'ame immortelle – Stumme Schreie

„Bellatrix Black, komm sofort her!" hallte ein greller Schrei durch den dunklen Korridor. Mit leiser Stimme quietschte ich auf und beschleunigte die Schritte meiner kurzen Beine. Ich war fünf Jahre alt, ein wahrer Wildfang, der keinen Streich ausließ und die gesamte Familie terrorisierte. Meine Eltern belächelten mein Verhalten, glaubten sie fest daran, dass es eine Phase, ja lediglich eine kindliche Neigung zur Unabhängigkeit war, die rasch vergehen würde, wenn mir die Verantwortung bewusst würde, eine Black, eine Reinblüterin zu sein. Ich erkannte damals nie, wie viel Nachsicht sie mit mir hatten, doch mein kindliches Herz musste es gespürt haben, liebte es beide Elternteile ach zu sehr. Vor allem meinen glorreichen Vater vergötterte ich.

Er spielte nie mit mir, noch mit meiner älteren Schwester Narcissa, die besonders stark unter meinen Unfugsanfällen zu leiden hatte. Auch schienen seine kalten Augen mir keinerlei Gefühl entgegen bringen zu können, dennoch war er für mich der Mittelpunkt meiner kleinen, zuckersüßen Welt. Der strahlende König im goldenen Gewand, der mich immer befreien würde. Er war derjenige, der meiner Mutter verbot, mich für meine Vergehen zu schelten und mir jegliche Strafen ersparte. Dafür liebte ich ihn mit kindlicher Naivität, hörte nicht auf die bösen Worte meiner Schwester, die von Stunden erzählte, in denen er sie besuchen kam um ihr ihre wahre Bestrafung zuteil werden zu lassen. Mit erstickter Stimme berichtete sie mir von Taten, die ich rasch vergaß, denn ich glaubte sie niemals, war mein Vater schließlich mein Idol, dem einzigen, den ich wirklich reine Gefühle entgegen brachte.

Mit Narcissa kam ich recht gut zurecht, ich liebte sie nicht, aber hasste sie auch keineswegs. Sie war wie das ewige Eis, ruhig, beherrscht und folgsam, Mutters Lieblingskind, nachdem ihre Erziehungsmaßnahmen bei meiner ältesten Schwester Andromeda versagten. Diese war das schwarze Schaf der Familie, sorgte stets für Ärger, nicht durch Streiche wie ich, sondern für Konflikte mit ihren flatterhaften Ansichten, die denen meiner Eltern grundlegend missfielen.

Sie war fünf Jahre älter als ich und hatte gerade ihre Einschulung in Hogwarts hinter sich gebracht. Ich verstand nicht, weswegen Mutter und Vater so erzürnt waren, doch selbst mein naives Ich bemerkte, dass sie wohl in der Schule irgendetwas angestellt hatte, dass ihr nun die Verachtung meiner Familie einbrachte. Dennoch war es mir gleichgültig, hatte ich mit Andromeda nie viel zu tun gehabt. Sie war schlichtweg zu alt und kümmerte sich auch nicht um uns Jüngere.

Viel mehr Spaß konnte ich mit meinem Cousin Sirius erleben, er ähnelte mir auf frappierende Weise. Da wir das gleiche Alter besaßen, wurden wir oft zusammen zu Unterrichtstunden im Benehmen geschickt. Ich brachte ihm große Zuneigung entgegen, schaffte er doch immer mich zum lachen zu bringen und machte mir kleine Geschenke. Ja, wir zwei waren das geborene Duo des Chaos, wo wir hinkamen, herrschte die Unordnung. Keiner konnte uns bändigen, außer mein Vater, mein liebster Held, mein größtes Unglück.

Wie schnell sich Familienbande doch ändern.

Ich rannte also davon, wie jeden Tag. Weit entfernt von meinem Kindermädchen, das es fast aufgab mir folgen zu wollen. Doch ich war mir nicht sicher und da ich bereits einmal für eine kleine Explosion in der Küche gescholten worden war, verspürte ich nicht den Wunsch erneut erwischt zu werden. Sicherheit bot lediglich ein Ort, eigentlich verboten für mich, doch scherte ich mich nicht um solche Regeln, nicht wenn mir eine Schreitirade meiner Erzieherin drohte.

Flink wie ein junges Reh erreichte ich sein Schlafzimmer, ein dunkler Ort, voller Schatten, die mir als kleines Mädchen große Angst bereiteten, mittlerweile waren sie mir aber vertraut. Sein Mobiliar war sehr geschmackvoll eingerichtet, ganz in Mahagoni gehalten, mit wenigen Lichtquellen. Einige Kerzenhalter sorgten für Beleuchtung. Mein Vater teilte seinen Schlafbereich nicht mit meiner Mutter, seit einem Streit vor zwei Jahren, an den ich mich nur wage erinnerte, redeten beide nicht viel privates miteinander. Eigentlich machte mich dieser Umstand glücklich, waren beide Elternteile doch stärker darauf bedacht die Erziehung ihrer Töchter in die richtige Bahnen zu leiten und schenkten uns größere Aufmerksamkeit als sich.

In meiner jugendlich-beschränkten Sichtweise redete ich mir ein, dass sie sobald wir alt genug waren und zur Schule gingen, wieder zueinander finden würden. Ich hatte niemals Gewissensbisse, keine Reue, solche Regungen waren mir fremd und erfüllten meine Verwandten mit Erstaunen. Schon als Fünfjährige hatte ich keine Probleme damit, einen Vogel zu quälen um meine Neugier zu befriedigen.

Mit Schwung schmiss ich mich nun auf das große, mit schwarzen Satinbezügen ausgestattete Bett und schloss die Augen, ein erfreutes Lächeln auf dem Gesicht, denn die Gewissheit, dass mein Kindermädchen sich niemals trauen würde, mich hier aufzusuchen, versetzte mich in wahre Begeisterungsstürme. Ich bemerkte weder den ungewöhnlich großen Schatten in der Fensternische, noch das leise Näherkommen eben diesem. Ein leises Räuspern ließ mich erschrocken auffahren und meine dunklen Augen weiteten sich voller Panik. Ich spürte meinen Herzschlag, laut, pochend, fast dröhnend als ich mich ängstlich in die Richtung wandte, aus der das Geräusch ertönt war.

„Vater!" entfuhr es mir, als ich die düstere Gestalt erkannte und allmählich klang meine Panikattacke ab, auch wenn sich mein Herz länger Zeit ließ um sich zu beruhigen. „Es tut mir leid, ich wollte nicht einfach hereinkommen!" erklärte ich demütig und erhob mich aus seinem Bett um ihn mit reuevollen Augen entgegenzutreten. Er antwortete nicht und ich senkte den Blick um seinem Stechenden zu entgehen, der mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich spürte, dass etwas nicht stimmte, sonst hatte er mich mit einem eisigen Blick nach draußen geschickt oder eine kurze Ansprache über das Verhalten einer Lady in meiner Position gehalten, aber niemals sah er mich mit einem so lodernden Augenausdruck an. Verschüchtert stand ich da, unfähig mich zu bewegen oder den Kopf nach oben zu richten. Mir war nicht klar, was ich Falsches getan hätte und ich wartete zitternd auf die erlösende Schelte, auf eine Strafandrohung sogar, auf irgendwelche Worte. Das Schweigen zerrte an meinen Nerven, doch ich wollte mir nicht die Blöße geben vor meiner Heldenfigur zu weinen, irgendwelche Schwäche zu zeigen. Stumm wartete ich, doch nichts geschah für scheinbar eine ewige Zeit. Bald versteiften sich meine Glieder, die Haltung tat regelrecht weh und meine lauernden Ohren hörten die ersten Regentropfen gegen das Fenster klirren.

Diese Laute schienen meinen Vater aus seiner Trance zu reißen, spürte ich alsbald seine Hand auf meiner Schulter, die mich sanft, aber bestimmt in Richtung des Bettes drückte. Wie durch einen Nebel hörte ich hastige, flüsternde Worte, die mir von einer ganz besonderen Strafe erzählten, die nun nötig war. Ich nickte geistesabwesend, vertraute ich ihm doch blind und wollte nur noch eines, dass er wieder so distanziert wie eh und je zu mir war. Dafür würde ich alles erdulden.

Ich hörte ihn einen Spruch murmeln und fühlte wie mein Körper erschlaffte, ich sackte regelrecht auf dem Bett zusammen und meine Gedanken ließen sich nicht mehr erfassen. Nur den immer lauter dröhnenden Regen hörte ich, es klang wie verzweifeltes Weinen eines Kindes. Ich merkte, wie mir Tränen aus den Augen liefen, ein leises Schluchzen meinen kleinen Körper erbeben ließ, als suchende Hände über diesen fuhren. Sie taten nicht weh, doch sie waren falsch, verdorben, düster. Vor meinen Augen erschien ein dunkler Schatten, ich sah ein hämisches Grinsen und ein kalter Hauch fuhr über meine Glieder, als er mir meine Kleider abstreifte. Ich wehrte mich nicht, konnte mich gar nicht wehren, war zu gefangen in meinen Alptraum aus Dunkelheit und Verzweiflung. Und immer wieder prasselte der Regen gegen die Fenster.

Ohnmacht schien sich meiner bemächtigen zu wollen und ich wollte ihr folgen, die Situation, den Regen, die Schatten, mich vergessen. Kurz bevor mich das Nichts umfing, spürte ich einen stechenden, zerschneidenden Schmerz, mein Leib krampfte sich zusammen und ungekannte Qualen ließen mich erzittern. Es fühlte sich an, als wäre etwas Fremdes in meinen Körper gedrungen und verletzte ihn von innen. Rasch öffnete ich die Augen und starrte in das Schweiß überströmte Antlitz meines Vaters, meines Beschützers, meines Peinigers. Körperliche Liebe war mir damals genauso fremd, wie einem Muggel die Magie. Ich verstand nicht, was er mit mir machte, erkannte aber, dass es mir Pein bereitete und begann mich zu bewegen. Der Schleier über meinen Gedanken schien sich zu lichten, als eine erneute Schmerzattacke mich von innen nach außen aufrüttelte. Als ich gellend aufschrie, bedeckte er meinen Mund mit seiner großen, rauen Hand, hörte aber nicht auf mit keuchenden Atem mich zu erniedrigen. Je unruhiger ich wurde, desto schneller bewegte er sich, doch als ich ihm vor lauter Panik in die Hand biss, schlug er mir mit der anderen flach ins Gesicht. Allmählich schwanden mir die Sinne und ich begrüßte die Dunkelheit mit offenen Armen, doch den Regen konnte ich nicht aus meinen Gedanken, aus meinen Träumen fernhalten.

Er prasselte und prasselte, schrie und schrie von unglaublicher Pein, von dem Ende der Unschuld, der Jugend, der Reinheit. Meinem Ende.