Die Karte des Rumtreibers

Dieser Handlungsstrang verdankt seine Existenz meinem unbändigen Wunsch, Sirius möge Harry nicht ganz verloren gehen. Aus diesem Wunsch heraus habe ich überhaupt erst die Geschichte geschrieben und diese Idee war eine von vielen, wie Harry weiterhin mit seinem Paten in Kontakt stehen könnte. Ich habe sie ebenfalls in einer Kürzungsaktion entfernt. Die Szenen spielten ursprünglich um den ersten Vollmond in Hogwarts herum.

Nach einem kurzen, unangenehmen Schweigen sagte Remus: „Ich muss mir einmal die Karte des Rumtreibers ansehen, Harry. Hast du sie noch?"

„Klar!" Harry ging, um sie zu holen. Als er mit dem leeren Pergament zurückkam, saß Remus vorgebeugt und hatte den Kopf in die Hände gelegt. Er sah auf, als Harry sich setzte. Beunruhigt reichte Harry ihm die Karte: „Eigentlich gehört sie ja dir ..."

Remus winkte ab und fügte erklärend hinzu: „Wisst ihr, manche Schüler sind auf den Geschmack gekommen. Sie haben in ihre Mondtabellen geschaut und wissen, dass heute Vollmond ist. Ich muss mal sehen, ob ich nicht einen Weg finde, der noch nicht völlig belagert ist."

„Es ist Malfoy, oder?" fragte Hermine direkt.

„Auch." meinte Remus ausweichend, zückte seinen Zauberstab, tippte damit auf das Papier und murmelte: „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin!"
Sofort erschienen auf dem Pergament die feinen Linien, die die Flure und Räume Hogwarts anzeigten. Über einigen Punkten standen Namen: Harry Potter, Ronald Weasley, Hermine Granger, Remus Lupin, Severus Snape, Peeves, Argus Filch, Mrs. Norris und über einer großen Ansammlung etliche Namen von Slytherin-Schülern, angeführt von Draco Malfoy, Vincent Crabbe, Gregory Goyle und Pansy Parkinson.

Hermine verknotete beunruhigt ihre Finger: „Professor Lupin, beeilen Sie sich! Es wird schon dunkel!"

Remus erhob sich: „Ich bin schon weg! Harry, denk daran, was wir besprochen haben! Ich möchte nicht, dass du morgen früh in der Hütte auftauchst, ist das klar?"

„Das ist klar!"

Remus nickte und verließ sie eilig.

„Jetzt lasst uns das hier zu Ende bringen. Ron, Neville und ich besprechen uns übermorgen mit Madam Pomfrey und du gehst noch mal zu Professor Vance. Irgendwas müssen wir doch reißen können, was diesen dämlichen Trank angeht!" sagte Harry, sah noch auf die Karte und verfolgte Remus´ Weg weg von den neugierigen Schülern zum Geheimgang unter der Peitschenden Weide. Als er darin verschwunden war, legte er seufzend den Zauberstab auf die Karte und sagte: „Unheil angerichtet!"

Die Linien verschwanden und Harry wollte das Blatt schon weglegen, da erschien eine dünne Schrift: „Die hochwohlgeborenen Herren Tatze und Krone wünschen ihrem Freund Remus Lupin viel Glück! – Der edle Herr Wurmschwanz schließt sich an und hofft, dass alles gut geht!" Harry schrie auf.

„Was ist?" Hermine und Ron sahen erschrocken auf.

„N ... nichts." log Harry stotternd, „Ich habe mir in den Finger gepiekst! Ich ... muss ... schnell ins Bett!"

Er stürmte mit der Karte in den schweißnassen Händen nach oben und warf sich aufs Bett.

Neville schlief schon und schnarchte laut. Seamus war wegen eines kleinen Unfalls in Kräuterkunde im Krankenflügel (er hatte sich einen Finger weggeätzt) und Dean traf sich wahrscheinlich irgendwo heimlich mit Ginny. Harry starrte auf die Karte. Seine Augen brannten und tränten und er zitterte am ganzen Körper. Er war sich sicher, dass die Karte auf Remus´ Worte reagiert hatte.

Das bedeutete, er konnte ...

Und jetzt fiel es ihm wieder ein: Als Snape einmal an die Karte gelangte und vergebens versuchte, ihr ihr Geheimnis zu entlocken, da hatten ihn die vier Freunde beleidigt und zurückgewiesen.

„Oh, Mann!" stöhnte Harry. Warum war ihm das nie eingefallen! Durch diese Karte konnte er mit Sirius sprechen und sogar mit seinem Dad! Oder zumindest mit den Jugendlichen, die sie einmal gewesen waren. Und mit Wurmschwanz. Mit dem Verräter Peter, der die Schuld am Tod seiner Eltern war!

Harry verdrängte den Gedanken an ihn und konzentrierte sich auf Sirius und seinen Dad.

„Also, " sagte er zu der Karte, „Mein Name ist Harry Potter und ich würde gerne die Herren Tatze und Krone sprechen!"

Nichts geschah.

„Ich brauche die Hilfe der hochwohlgeborenen Herren Tatze und Krone!"

Nichts.

„Ich brauche ... ihre Gesellschaft?"

Nichts.

Er wurde ungeduldig. Nach weiteren ergebnislosen Versuchen, schlug er zornig auf das Papier und schrie: „Nun, macht schon!" Als wieder nichts passierte, fegte er die Karte vom Bett und starrte sie hasserfüllt an. Da erschien sie plötzlich: die ersehnte Schrift!

Harry sprang auf den Boden und las begierig: „Der edle Herr Tatze bittet Harry Potter, sein Temperament zu zügeln! Er benimmt sich ja wie der Herr Krone! – Der hochwohlgeborene Herr Krone nimmt das als Kompliment und sagt Harry Potter, er solle sich nicht beeindrucken lassen! – Der edle Herr Wurmschwanz ..."

Harry presste die Karte an die Brust und verbarg sie mit beiden Händen. In diese Szene platzten Ron und Hermine. Sie waren ziemlich laut, doch auch ihr Gepolter und ihre Rufe weckten Neville nicht.

„Was ist denn los, Harry?"

Harry zeigte ihnen die Karte, doch mittlerweile war sie wieder leer. Als er wieder sprechen konnte, sagte er atemlos: „Mein Dad und Sirius haben mit mir gesprochen!" Er endete mit einem Seufzer und Hermine und Ron rissen die Augen auf: „WAS?"

Harry erklärte es ihnen.

„Aber, Harry! Das sind doch nicht ... das ist doch lange her!" Doch Harry unterbrach Hermine: „Das ist doch egal! Sie waren da und sie haben mit mir gesprochen! Das zählt!"

Ron besah sich die Karte währenddessen und machte versehentlich einen kleinen Knick in eine Ecke, als er sie wiederholt heftig umdrehte.

„HA ... WAS?" Er schrie auf und Hermine und Harry stürzten auf ihn zu.

„Die hochwohlgeborenen Herren Tatze, Krone und Wurmschwanz bitten Ronald Weasley, etwas vorsichtiger mit ihrem Eigentum umzugehen!"

„Du liebe Güte!" rief Hermine. Ron keuchte und ließ die Karte fallen. Harry hob sie wieder auf und drückte sie an sich.

„Wurmschwanz?" stieß Hermine irgendwann hervor.

„Ja, leider!"

„Darf ich die Karte noch mal haben?" fragte Hermine unsicher und Harry gab sie ihr ebenso zögernd.

„Hallo! Ich bin ..." fing sie an, doch Harry unterbrach sie: „Sie reagiert nicht, wenn man sie so anspricht!"
„Doch, tut sie!" schrie Hermine.

„Der edle Herr Krone bittet Harry, der Dame Hermine Granger nicht so unhöflich ins Wort zu fallen! – Der edle Herr Moony pflichtet dem Herren Krone zwar bei, bemerkt aber, dass er selbst nicht besser ist! – Der edle Herr Wurm... „

„Nein, du nicht!" brüllte Harry und schlug nach der Karte.

„W ... was?" brummelte Neville, den der Lärm doch endlich geweckt hatte.

„Schlaf weiter!" gab Harry grob zurück und wandte sich dann an Hermine: „Wir müssen diesen Verräter hier raus kriegen!"

„Wie?" fragte Hermine schwach.

„Wir schauen in den Büchern nach!" Harry lief die Treppe hinunter und Ron und Hermine tauschten einen besorgt-mitleidigen Blick, bevor sie ihm folgten.

Sie saßen die ganze Nacht im Gemeinschaftsraum und zauberten an der Karte herum. Hermine wandte jeden Verschwinde-, Verscheuch- und Verbannungszauber an, den sie je gelernt hatten. Ron wälzte die Bücher durch und probierte einige neue Beschwörungsformeln in fragwürdiger Verbindung mit gerade greifbarem Material aus. Harry führte einige sehr komplexe Verwünschungen aus, verfluchte Peter Pettigrew und verbannte jede Erinnerung an ihn. Ab und an sah einer von ihnen aus dem Fenster. Der helle Vollmond warf monströse Schatten auf das Schulgelände und Harry schwor sich, er hätte in der Ferne einen Werwolf heulen hören.

Als der Morgen dämmerte, lehnte Ron sich gähnend zurück. Harry stand auf und streckte sich. Hermine tat einen letzten müden Versuch: „Persona non grata ... vanisse!"

Es puffte, aus der Karte stob hellgrüner Rauch. Da Ähnliches schon etliche Male zuvor geschehen war, horchten die Jungen nicht mehr erwartungsvoll auf. Ron erkundigte sich nur halbherzig: „Und?"

„Ich weiß es nicht!" Hermine gähnte, „Wir müssen bald zum Unterricht!"

„Ich geh nicht zum Unterricht!" sagte Harry und starrte die verblassenden Konturen des Mondes finster an.

„Natürlich kommst du mit!" sagte Hermine, „Du willst doch nicht etwa ins Bett!"

„ICH will ins Bett!" warf Ron ein.

„Nein, auch du nicht! Wir schwänzen nicht! Gerade jetzt, wo jeder Unterricht lebenswichtig ist! Ihr werdet ein viel zu schlechtes Gewissen habe, als dass ..."

„Ich will in den Krankenflügel, Hermine! Ich habe versprochen, ihn nicht von der Hütte abzuholen, aber ich will sehen, wie es ihm geht!" sagte Harry.

„Wie wäre es, wenn wir erst frühstücken gehen, damit wer auch immer ihn holt erst einmal dien Chance hat, ihn bei Madam Pomfrey abzuliefern und damit er ein bisschen verarztet werden kann?" schlug Hermine vor und auch in Harrys Ohren klang das vernünftig.

„Unsere erste Stunde ist Kampfutensilien. Kingsley versteht das, wenn wir später kommen!" sagte Ron zu Harry und stand ebenfalls auf, „Außerdem habe ich Hunger!"

„Gut, dann lasst uns was essen gehen!"

Nach einem leckeren Frühstück, das Harry nicht hundertprozentig genießen konnte, machten sie sich auf den Weg zur Krankenstation. Vor der Tür trafen sie Charlie.

„Na, ihr? Mit euch habe ich jetzt ja gar nicht gerechnet!" scherzte er.
„Wie geht es Remus?" fragte Harry sofort.

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Harrys erster Griff am Morgen nach dem Aufwachen war der unter sein Kissen. Er holte die Karte des Rumtreibers hervor.

„Ich wünsche den hohen Herren einen guten Morgen!" flüsterte er, damit Neville, Dean und Seamus nicht wach wurden. Auf dem Pergament erschienen sofort feine Buchstaben: „Der edle Herr Tatze wünscht Harry auch einen guten Morgen und fragt sich, warum (zum Teufel) es heute so früh losgeht! – Der hochwohlgeborene Herr Krone ist ebenfalls etwas verstimmt wegen des frühen Weckens, doch er freut sich über Harrys Treue! – Der edle Herr Moony ahnt, dass Harry zum Quidditch-Training gehen will und ermahnt ihn, darüber ja nicht seine Hausaufgaben zu vergessen!"

„Vielen Dank, ihr drei!" wisperte Harry, kroch aus dem Bett und zog sich um. Seit der durchzauberten Nacht hatte sich das Verhalten der Karte sehr verändert. Nachdem zwei Tage später auch der letzte Zauber seine volle Wirkung entfaltet hatte, war Wurmschwanz nicht mehr in Erscheinung getreten. Tatze, Moony und Krone reagierten auf direkte Ansprachen. Harry schlich sich in den Waschraum und traf Ron, der noch früher aufgestanden war.

„Und, was sagt die Karte?"

„Nur nette Sachen!"