TITEL: Home again?
TEIL: 1/3
FSK: PG-13
GENRE: Romanze, Allgemein
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Garret, Annie mit einem Hauch Lily/Matt und Woody/Jordan
SPOILER: 5. Staffel (einschließlich „Luck be a Lady")
INHALT: Sequel zu „100 tears away"
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring (wäre es anders, wäre Annie schon lange wieder da und Woody und Jordan würden auch endlich mal voran kommen…) Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben!
Das Lied, das mich inspiriert hat, heißt „What are you doing New Year's Eve" und wurde komponiert und aufgenommen von Vonda Shepard (zu finden auf dem Ally McBeal Soundtrack). Ich habe auch daran keine Rechte.
Einzig und allein die Handlung gehört mir…
BEMERKUNG: Ich danke Mariacharly für ihre supertolle Unterstützung. Ohne sie dürfet Ihr wieder den Rotstift ansetzten – alle Tippfehler, die ihr jetzt noch findet, gehen auf meine Kappe …
Bedanken möchte ich mich auch bei den Reviewern zu „100 tears away" – Ihr alleine seid schuld daran, dass es noch ein Sequel gibt ;-)
Ich weiß, dass die Geschichte etwas fluffig und vielleicht auch schnulzig ist, aber … he, es ist bald Weihnachten! ;-)


Kapitel 1 - What are you doing New Year's Eve

Maybe it's much too early in the game
Ooh, but I thought I'd ask you just the same
what are you doing New Year's
New Year's Eve?

„Hallo Garret, hast du den Autopsiebericht von Jessica Simmons fertig?"

Detective Annie Capra erschien im Türrahmen und riss Garret, der sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Beine auf den Schreibtisch gelegt hatte, aus den Gedanken. Er sah auf, zog die Brille von der Nase und nahm die Beine herunter.

„Oh, hallo, Annie", sagte er unangenehm überrascht. Es war nicht so, dass es ihm wirklich unangenehm war, sie zu sehen, nur das Timing war einfach … schlecht. Schnell ließ er den Brief, den er gerade zum hundertsten Mal gelesen hatte, unter einem Stapel brauner Akten verschwinden.
„Wie geht es dir?" Garret stand auf und ging zur Tür hinüber. „Komm doch rein. Möchtest du einen Kaffee? Ich habe gerade welchen gemacht. Ist noch heiß." Er sah sie fragend an und beschloss plötzlich, dass der Zeitpunkt vielleicht doch nicht so schlecht war. Vielleicht war er genau richtig.

„Oh ja, ein Kaffee ist genau das, was ich jetzt gebrauchen kann", sagte Annie und schälte sich auf ihren Handschuhen, dem Schal und dem dickem Mantel. „Ist ganz schön kalt geworden, nicht?"
„Nun ja, es ist Dezember, da ist es meistens kalt." Garret grinste und schüttete ihr eine große Tasse voll. „Wie immer mit Milch und ohne Zucker?" Annie nickte und nahm auf dem Sofa Platz.
„In Boston ist es nie so kalt gewesen", bemerkte sie, als Garret ihr die Tasse reichte und wieder hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Unter normalen Umständen hätte er sich neben sie gesetzt, doch im Moment fühlte er sich hinter seinem Schreibtisch sicherer. Die Holzplatte mit den Aktenstapeln darauf gab ihm die nötige Sicherheit, die er brauchte, wenn er das hier durchziehen wollte.

Während er sich wieder zurücklehnte, beobachtete er über den Tassenrand hinweg seine Besucherin.

„Der Winter ist kalt für die, die keine warmen Erinnerungen haben", sagte Annie nachdenklich, während sie sich an ihrer Tasse festklammerte und sich die Hände wärmte.

„Cary Grant in Die große Liebe meines Lebens", sagte Garret und grinste.
„Wow. Du kennst den Film", stellte Annie erstaunt fest und beugte sich neugierig vor, während kleine Wassertropfen, die einmal Schneeflocken gewesen waren, langsam zu ihren blonden Haarspitzen wanderten, sich dort sammelten und zu Boden tropften. Ihre Wangen waren ebenso wie ihre Nase von der Kälte schwach gerötet und die Lippen ein wenig rau und aufgesprungen. Doch Garret war sicher, dass sie sich noch genau so sanft und weich anfühlten, wie vor knapp acht Wochen, als sie ihn hier in seinem Büro geküsst hatte; nur flüchtig, aber dieser kurze Moment hatte gereicht, um Garret vollständig den Kopf zu verdrehen.
Es war seitdem fast kein Tag mehr vergangen, an dem er nicht an Annie gedacht hatte. Irgendwie hatte es die blonde Polizistin geschafft, dass er Boston schneller hinter sich gelassen hatte, als er jemals für möglich gehalten hatte. Er fühlte sich mittlerweile in Detroit wohl; dass er erst seit knapp zwei Monaten hier war, kam ihm manchmal unwirklich vor. Selbst jetzt, kurz vor den Feiertagen, verspürte er kein Heimweh nach Boston.
Warum auch? Abby fuhr mit ihren Freunden über Weihnachten nach Aspen, Colorado, Maggie wollte mit ihrem neuen Lebensgefährten in die Südsee und Renee wollte nichts von ihm wissen. Was zog ihn also nach Boston? Nichts … bis auf diesen Brief, der mitsamt dem roten Umschlag unter dem Aktenstapel verschwunden war …

„Weißt du, in Boston ist es im Winter noch viel kälter", antwortete Garret und ging nicht näher auf seine vorhandenen Filmvorlieben ein. Er hatte den Film damals an jedem verdammten Weihnachten mit seiner Mutter anschauen dürfen - nachdem sein Vater sie verlassen hatte – und verband eigentlich nur eine Erinnerung mit dem Film, nämlich dass seine Mutter im Anschluss immer weinend dagesessen und er sich hilflos in sein Zimmer geflüchtet hatte.
„Kaum vorstellbar bei dem Wetter da draußen, oder?" Er grinste und deutete mit einem Nicken zum Fenster, hinter dem dicke Schneeflocken ihnen die Sicht auf das weihnachtlich geschmückte Detroit nahmen.
Es schneite nun schon seit einer Woche fast ununterbrochen und das Thermometer blieb konstant bei Minus 5 Grad stehen – selbst für Detroit war es viel zu kalt für diese Jahreszeit.

„Wenn das so weiter geht, werden sie den Flughafen sperren", sagte Annie. „Kannst du dir vorstellen, was dann auf den Straßen los sein wird, wenn alle mit dem Wagen zu ihren Verwandten fahren? Daran möchte ich gar nicht denken."

Garret verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schüttelte den Kopf. Nein, diese Vorstellung gefiel ihm ebenfalls ganz und gar nicht. Nicht nur wegen des Verkehrschaos', sondern auch wegen eben jenem Brief im roten Umschlag.
Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt. Er atmete tief durch und wollte gerade die Frage stellen, die ihm schon seit dem Morgen, als er seinen Briefkasten geleert hatte, auf der Seele brannte.
Doch Annie kam ihm zuvor.

„Hast du den Autopsiebericht?" Sie sah ihn fragend an. „Den von Jessica Simmons, der alten Lady, die wir vor fünf Tagen in ihrer Wohnung gefunden haben", erklärte sie auf seinen fragenden Blick.

„Ja … genau", sagte Garret irritiert und wühlte in den Aktenstapeln herum.
Chance vertan.
„Irgendwo hier muss er sein. Billy hat ihn mir heute Morgen auf den Tisch gelegt." Innerlich ohrfeigte er sich für seine Feigheit. Warum fragte er sie nicht einfach? Was war denn so schwer daran? Mehr als nein sagen konnte sie doch nicht. Worauf wartete er also noch?

Garret fuhr sich seufzend durch die wenigen Haare und sah Annie kurz aus dem Augenwinkel an. Sie beobachtete ihn ebenfalls.
„Wenn du ihn nicht findest, ist es auch nicht schlimm", sagte sie. „Schick ihn doch einfach per Kurier zum Revier rüber." Sie stand auf und kam zu ihm herüber.
„Weißt du, ich war nur gerade in der Nähe und dachte, ich … schaue mal vorbei."
Sie lächelte ihn nervös an und Garret fragte sich, was der wirkliche Grund ihres Besuches war.
Sie hatte in den letzten Wochen nicht viel miteinander geredet, was über das dienstliche hinausgegangen war. Nicht, weil sie es nicht wollten, sondern vielmehr, weil es sich einfach nicht ergeben hatte.
Nachdem sie den Tränenschmuck-Mörder überführt hatten, hatte Garret eigentlich gehofft, dass es ein wenig ruhiger werden würde und er so Zeit bekam, sich in aller Ruhe um seinen Umzug, seinen neuen Job und um die liegen gebliebene Arbeit zu kümmern. Doch Detroits Verbrecherszene hatte andere Pläne gehabt. Es verging fast kein Tag, an dem nicht mindestens drei Neuzugänge im Autopsiesaal landeten, und Garret war selten vor acht Uhr Abends nach Hause gekommen; in eine Wohnung, in der das meiste noch in grauen Umzugskartons verpackt in einer Ecke oder meistens mitten im Weg herum stand.

„Ich hab ihn." Garret zog eine Akte aus dem großen Stapel zu seiner Rechten, der daraufhin gefährlich ins Wanken geriet. Annie sah die Gefahr und streckte gleichzeitig mit Garret den Arm aus, um die Akten zu stabilisieren.

„Zwei Dumme, ein Gedanke." Annie lächelte Garret an, dessen warme Hand über ihrer eigenen lag und den Stapel im Gleichgewicht hielt, während ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren.
„Ja … danke." Garret, der sich langsam Annies plötzlicher Nähe bewusst wurde, lächelte ebenfalls und verharrte in der unter normalen Umständen doch eher rückenschädigenden Position, in der er sich gerade befand.

Jetzt oder nie, dachte er.

„Annie, ich -" Weiter kam er nicht, weil Annie in dem Moment genau das entdeckte, was Garret hatte vermeiden wollen: den roten Umschlag.
„Oh, ein Liebesbrief?", fragte sie grinsend und zog vorsichtig ihre Hand unter seiner hervor, um nach dem Umschlag zu greifen, der auf dem Boden gefallen war.
„Nein, das ist nichts … Wichtiges." Garret ließ den Aktenstapel ebenfalls los, stellte sicher, dass er nicht umkippen würde und bückte sich. Doch Annie war schneller. Sie nahm den Umschlag und hielt ihn interessiert in der Hand.
„Kein Absender", bemerkte sie. „Hast du eine heimliche Verehrerin, von der ich nichts weiß?" Sie grinste immer noch, doch ihre Augen sagten ihm etwas anderes; Traurigkeit, Enttäuschung und auch ein bisschen Wehmut spiegelten sich in ihnen wieder.
Garret schluckte.
„Nein, es ist wirklich nichts. Ich -"

„Du brauchst mir nichts zu erklären, Garret", sagte Annie und drückte Garret den Umschlag in die Hand, während sie sich selber wieder aufrichtetet. „Es ist schon in Ordnung. Hast du den Bericht?"

„Ja, der ist hier." Garret reichte Annie die Akte. „Annie, ich …."

„Ich muss los, Garret." Annie schnappte sich ihren Mantel und ging zur Tür. „Bis irgendwann mal."

„Ja, bis irgendwann mal." Sein Gruß erreichte nur noch die Innenseite seiner Bürotür, durch die Annie schneller verschwunden war, als Garret überhaupt realisieren konnte.

Er sank langsam wieder auf seinen Stuhl zurück und schloss resigniert seufzend die Augen.
Wärst du doch einmal ein wenig schneller gewesen, Macy, schimpfte er sich und wünschte sich seine Flasche Scotch herbei, die er früher in solchen Situationen um Hilfe gebeten hätte.

Aber das war früher gewesen …

-o-

In den nächsten drei Tagen sah er Annie gar nicht und hörte auch nichts von ihr. Von Detective Quinn erfuhr er, dass Annie hauptsächlich Innendienst machte und die liegen gebliebenen Akten abarbeiten sollte – Aufgabe vom Chief, wie Quinn grinsend hinzufügte.
Marco Quinn war ein Mann, den Garret nach nur wenigen Sekunden als Detroits größten Chauvinisten eingeschätzt hatte – eine Einschätzung, die sich schnell bewahrheitet hatte.
Quinn war Ende vierzig, groß, muskulös, immer braun gebrannt und hielt sich selber für unwiderstehlich – vor allem, was das weibliche Geschlecht anging. Frauen gehörten für ihn ins Haus und nicht in ein Büro, Geldverdienen war reine Männersache; daraus machte er keinen Hehl. Er lud Frauen nicht einfach ein, er gab ihnen einfach keine andere Möglichkeit, als Verabredungen mit ihm anzunehmen. Und die meisten Frauen fühlten sich auch geschmeichelt, wenn der Neffe von Senator David Quinn mit ihnen ausgehen wollte. Dass es Quinn meistens nur um eine schnelle Nummer ging, fanden sie oft erst später heraus; zu spät.

Bei Annie hatte sich Quinn allerdings einen Zahn ausgebissen. Zweimal hatte er sich mit ihr verabredet und zweimal hatte sie ihn sitzen lassen, wie Garret zu seiner Freude erfahren hatte.

„Können Sie mir bitte mit der Trage helfen?" Garret fragte nur ungern, aber da Quinn momentan der einzige im Raum war, der nichts zutun hatte und er, Garret, die Leiche unmöglich alleine zum Wagen tragen konnte, blieb ihm keine andere Wahl.

Er war von Quinn zu einem abgelegenen Haus gerufen wurden, wo man einen alten Mann, Michael McDonald, tot aufgefunden hatte. Vom Verwesungszustand der Leiche ausgegangen lag McDonald schon seit mindestens einer Woche tot auf dem Boden seines Schlafzimmers. Da es keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens gab, ging Garret davon aus, dass McDonald die Waffe, die neben ihm lag, selber abgefeuert hatte. Der Abschiedsbrief, den er aus der Rocktasche des Rentners gezogen hatte, bestätigte seine Vermutung, dass McDonald sich selber umgebracht hatte.

„Die Weihnachtsdepression fängt dieses Jahr besonders früh an, oder?", fragte Quinn, während er mit spitzen Fingern versuchte, der Leiche nicht zu nah zu kommen.
„Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn Sie all die fröhlichen Gesichter und die Weihnachtsdekoration dort draußen sehen, fröhliche Weihnachtslieder im Radio hören und genau wissen, dass Sie das Fest alleine verbringen werden?", fragte Garret gereizt. „Würden Sie dann vor Freude im Dreieck springen?"
„Hoho, was sind wir denn heute so gereizt?" Quinn hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück, während Garret die Rollen der Bahre einklappte und die Leiche in den Wagen schob.
„Schlechte Nacht gehabt? Oder hat Ihre Freundin Sie sitzen gelassen?"
„Ich wüsste nicht, was Sie das anginge", entgegnete Garret knapp und schlug die Tür des Wagens zu. „Sie bekommen den Bericht in zwei Tagen."

Mit diesen Worten ließ er Quinn, der ihm verdutzt, aber grinsend nach sah, stehen und stieg in den Wagen.

-o-

Am Abend desselben Tages löschte Garret gegen zehn Uhr das Licht in seinem Büro und ging langsam zum Fahrstuhl, während er den Tag Revue passieren ließ. Mit einem hatte Quinn Recht gehabt, die Weihnachtsdepression hatte wirklich früh begonnen. Alleine heute waren fünf potenzielle Selbstmorde – hauptsächlich ältere oder allein stehende Menschen – eingeliefert worden; und bis Weihnachten war es immer noch fast eine Woche hin. Garret wollte gar nicht daran denken, was sie bis dahin noch erwartete.

Als er aus dem Fahrstuhl trat und zu seinem Wagen ging, hörte er leise Schimpftiraden, abgelöst von dem würgenden Geräusch eines abgesoffenen Motors. Er blickte sich um und entdeckte in der hinteren Ecke, die für die Detectives reserviert war, einen einzelnen Wagen stehen, hinter dessen Steuer eine Person saß. Durch die geöffnete Fahrertür konnte Garret hören, wie diese Person ihr ganzes Repertoire an Schimpfworten auf ihre Umwelt losließ und dabei immer wieder wütend auf das Lenkrad schlug.

Garret ging grinsend zum Wagen. Er näherte sich von hinten und lehnte sich lässig neben die geöffnete Tür.

„Kann ich irgendwie helfen?", fragte er und beugte sich mit verschränkten Armen in den Wagen.

„Die Schrottkiste hat keine Lust mehr", antwortete Annie knapp. Sie war immer noch schlecht gelaunt, aber in ihr wutverzerrtes Gesicht schlich sich langsam aber sicher ein Grinsen. „Ich glaube, der Karre ist es zu kalt geworden. Dabei war ich nur zehn Minuten weg, um bei Billy einen Bericht zu holen …"

„Lass mich mal versuchen", bot Garret an. „Bevor du dir noch die Hand wehtust, meine ich."

Annie stieg bereitwillig aus und machte Garret Platz. Dieser rutschte hinters Lenkrad und versuchte sein Glück, während Annie ihn vor Kälte zitternd beobachtete.

„Tja, ich fürchte, die Batterie ist hinüber", meinte Garret nach einigen erfolglosen Versuchen und stieg wieder aus dem Wagen. „Da hilft wohl nur der Abschleppdienst."
Er sah, dass Annie immer noch zitterte und dachte einen Moment nach.
„Also, wenn du den Wagen heute nicht mehr brauchst, dann kann ich dich auch nach Hause fahren", bot er an.
„Das … das wäre toll", sagte sie und ihr vor Kälte gerötetes Gesicht erhellte sich für einen kurzen Moment. „Aber ich möchte dir keine Umstände machen. Wenn du noch etwas vorhast oder so, dann kann ich mir auch ein Taxi rufen."
„Ja, damit du erfroren bist, bis das Taxi da ist", sagte Garret sarkastisch. „Nein, du fährst mit mir. Keine Widerrede!"

Annie lächelte Garret dankbar an und ließ sich ohne Widerstand zu seinem Wagen führen.

Sie fuhren eine Weile schweigend durch die fast leeren, aber dafür schneeverstopften Straßen, bis Annie das Schweigen brach.
„Garret, ich wollte mich entschuldigen", sagte sie leise und sah ihn an.
„Entschuldigen? Wofür?" Er hob fragend die Augenbrauen und runzelte die Stirn. „Habe ich was verpasst?" Er hatte wirklich keine Ahnung, worauf Annie hinauswollte und wartete gespannt auf eine Erklärung. Als er an der nächsten roten Ampel halten musste, drehte er sich zu ihr und sah sie fragend an.
„Also?"
„Na ja." Annie knetete nervös ihre Finger. „Wegen des Umschlags, in deinem Büro. Ich … wollte nicht … also, ich hatte kein Recht dazu, neugierig zu sein."
„Ach das." Garret hätte beinahe gelacht, wenn ihm die Sache nicht sowieso schon so schwer auf dem Herzen gelegen hätte.
„Nein, das … du warst nicht neugierig", beruhigte er sie. „Und du hast nebenbei bemerkt auch daneben gelegen. Es war wirklich kein Liebesbrief, sondern nur eine Einladung."

„Ach so", sagte Annie leise und senkte den Kopf. „Na dann …"
„Nein, so ist das auch nicht gemeint", sagte Garret und lenkte den Wagen vorausschauend an den Straßenrand. Das, was nun folgte war nichts, was man während der Fahrt und schon gar nicht bei dichtem Schneetreiben besprach.
„Die Karte oder vielmehr der Brief ist aus Boston", erklärte er, nachdem er den Wagen abgestellt, die Standheizung aber angelassen hatte.
„Genauer gesagt von Jordan", fügte er hinzu, als er Annies fragenden Blick sah. „Sie hat mich über Weihnachten eingeladen. Mich und eine Begleitung. Sie und die Jungs planen wohl so etwas wie ein Weihnachten - bis Neujahrfest und sie wollen, dass ich auch komme. Das ist alles."

„Und - gehst du?", fragte Annie, die von der Neuigkeit immer noch nicht beruhigt zu sein schien, im Gegenteil. Irgendwie wirkte sie auf Garret noch niedergeschlagener – sofern er das im Schein der Laterne über seinem Wagen überhaupt erkennen konnte.
„Ich weiß nicht", antwortete er ausweichend. „Das hängt ganz davon ab."
„Wovon?"
„Na ja, ob meine Begleiterin Lust hat, mitzukommen", sagte er und blickte Annie an.
„Dann solltest du sie fragen", meinte diese und sah Garret jetzt ebenfalls wieder in die Augen. „Nur wer fragt, erhält eine Antwort. Glaub mir, ich spreche da aus Erfahrung." Sie lächelte ihn nervös an und senkte dann wieder den Blick auf ihre Hände.
„Ja, das ist eine gute Idee", stimmte Garret ihr zu. „Ich glaube, das werde ich machen. Gleich heute Abend."
„Ja, mach das", murmelte Annie und blickte aus dem Seitenfenster, wo sich gerade ein verliebtes Pärchen durch die auf dem Gehweg aufgetürmten Schneemassen kämpfte. Der Junge hatte einen Arm um seine Freundin gelegt und führte sie sicher an den Schneehügeln vorbei, während er mit der anderen Hand ihren Arm hielt, um sie am Ausrutschen zu hindern.

„Hättest du Lust?", fragte Garret nun schon zum zweiten Mal und legte eine Hand auf Annies Arm. Er war Annies Blick gefolgt und ihm war langsam klar geworden, dass er auf dem besten Wege war, die Sache schon wieder zu versauen.
Annie drehte sich zu ihm herum.
„Wozu?"
„Nach Boston zu fliegen", antwortete Garret. „Mit mir. Über Weihnachten."
Annie sah ihn ausdruckslos an und schwieg, was Garret ziemlich verunsicherte. Hatte er schon wieder etwas Falsches gesagt oder getan? Verdammt, er hatte einfach keine gute Hand, wenn es um Frauen ging. Immer machte er etwas falsch.
„Okay", sagte Annie nach einer Weile.
„Was?"
„Okay. Ja. Gerne." Auf Annies Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, bei dessen Anblick Garret erleichtert ausatmete. Es war, als würde eine tonnenschwere Last von ihm abfallen – was ja eigentlich auch stimmte, wenn er es Recht überlegte.

„Aber, Garret?" Annie wurde wieder ernst bei diesen Worten. „Beim nächsten Mal frag bitte gleich, okay? Ich … also, irgendwie … na ja, ich hatte ganz schön damit zu kämpfen in den letzten Tagen." Sie war immer leiser geworden und wich seinem fragenden Blick aus.
„Versprochen", antwortete Garret ebenso ernst und sah sie besorgt an. „Indianerehrenwort."

Er legte eine Hand unter Annies Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Er sah ihr fest in die Augen und versuchte zu ergründen, ob das, was sie gerade durch die Blume versucht hatte mitzuteilen, auch wirklich stimmte, oder ob er sich da nur wieder etwas hinzudichtete, was gar nicht da war – nur, weil er es sich vielleicht wünschte.

Doch ihr Blick ließ ihn jeden Zweifel vergessen. Sie sah ihn mit einer Mischung aus versiegender Traurigkeit und wieder auflebender Fröhlichkeit an, dass sein Herz gar keine andere Wahl hatte, als automatisch höher zu schlagen.
„Dann waren die liegen gebliebenen Berichte also nur ein Vorwand, um mir aus dem Weg gehen zu können?", fragte er, nachdem er den Blick endlich von ihren braunen Augen lösen konnte. „Du wolltest mich nicht sehen, stimmt 's?"
Annie nickte und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, ich …. na ja, sowohl als auch, würde ich sagen. Ganz schön albern, nicht?" Sie lächelte ihn schüchtern an.
„Ach, Quatsch!", sagte Garret grinsend und machte eine wegwerfende Bewegung. „Ich meine, ich war doch derjenige, der albern war, weil ich mich nicht getraut habe, dich zu fragen."
„Dann sind wir wohl quitt, oder?", fragte Annie.
„Was meinst du?" Garret runzelte die Stirn.
„Tja, weil ich mich nämlich genauso albern aufgeführt habe", erklärte Annie. „Der Bericht vom Simmonsfall war nämlich nur ein Vorwand, weil ich dich eigentlich fragen wollte, was du an Weihnachten machst. Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht … also, ich wollte für uns kochen."
Garret spürte, wie sein Herz noch einen Tick schneller zu schlagen begann, und machte sich langsam Sorgen um seine Gesundheit. Wenn das so weiter ging, musste er sich dringend blutdrucksenkende Mittel verschreiben lassen, um in Annies Gegenwart überhaupt eine Überlebenschance zu haben.
„Dann lass uns das doch machen", schlug er vor. „Wir feiern Weihnachten hier und fliegen anschließend zusammen nach Boston. Was meinst du? Ich glaube, länger als vier Tage halte ich es mit Jordan und Nigel sowieso nicht aus." Er grinste, wohl wissend, dass dies nur eine vorgeschobene Ausrede war. Im Grunde genommen freute er sich auf seine ehemaligen Kollegen. Doch auf die Aussicht, mit Annie alleine Weihnachten zu feiern, freute er sich noch mehr.

„Einverstanden", sagte Annie strahlend. „Aber wir sollten dann langsam weiter fahren, bevor wir hier noch festfrieren."


-TBC-

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