TITEL: Home again?
TEIL: 3/3
FSK: PG-13
GENRE: Romanze, Allgemein
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Garret, Annie mit einem Hauch Lily/Matt und Woody/Jordan
SPOILER: 5. Staffel (einschließlich „Luck be a Lady")
INHALT: Sequel zu „100 tears away"
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring (wäre es anders, wäre Annie schon lange wieder da und Woody und Jordan würden auch endlich mal voran kommen…) Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben!
Das Lied, das mich inspiriert hat, heißt „What are you doing New Year's Eve" und wurde komponiert und aufgenommen vom Vonda Shepard (zu finden auf dem Ally McBeal Soundtrack). Ich habe auch daran keine Rechte.
Einzig und allein die Handlung gehört mir…
BEMERKUNG: Ich danke Mariacharly für ihre supertolle Unterstützung. Ohne sie dürfet ihr wieder den Rotstift ansetzten – alle Tippfehler, die ihr jetzt noch findet, gehen auf meine Kappe …
Ich weiß, dass die Geschichte etwas fluffig und vielleicht auch schnulzig ist, aber … he, es ist bald Weihnachten! ;-)
Kapitel 3 - What becomes of the Brokenhearted
Als sie den dritten Stock erreichten, hörten sie schon gedämpfte Weihnachtsmusik aus dem Appartement 311. Garret glaubte, Jingle Bells zu erkennen, war sich aber nicht sicher.
Er trat vor und klopfte an die Tür, die auch prompt geöffnet würde.
Bevor er auch nur in irgendeiner Art reagieren konnte, fand er sich in einer festen Umarmung wieder und versuchte, unter dem dichten Bündel dunkler Haare atmen zu können.
„Wie schön, dass Sie da sind, Garret!"
„Ja, ich freue mich auch, Jordan", sagte Garret, darum bemüht, etwas Luft zu bekommen. „Aber lassen Sie mich leben, ja? Oder habt ihr neuerdings Arbeitsmangel hier in Boston und nehmt alles, was ihr kriegen könnt?"
„Das nicht unbedingt, Dr. Macy", sagte Nigel, der neben Jordan trat, und klopfte Garret auf die Schulter. „Schön Sie zu sehen, Boss."
„Die Freude ist ganz meinerseits, Nigel", sagte Garret und schaffte es endlich, sich von Jordan zu lösen, um Nigel die Hand zu schütteln.
Hinter Nigel tauchten Bug und Lily auf und die Willkommengrüße nahmen kein Ende.
„Jetzt lasst den Boss doch erstmal eintreten." Plötzlich war da wieder Nigels Hand auf seinem Rücken und schob ihn in die Wohnung, bevor er ihm ein Glas Punsch in die Hand drückte.
„Spezialrezept von meiner Großmutter", erklärte er und zwinkerte vielsagend.
Ja, die Brühe kannte Garret und nahm sich vor, das Glas bei der erstbesten Gelegenheit irgendwie unauffällig verschwinden zu lassen.
„Wo ist denn die angekündigte Begleitung?" Jordans Frage holte Garret zurück auf den Boden der Tatsachen und er trat schnell wieder auf den Flur hinaus, wo Annie etwas abseits im Dunkeln wartete.
„Alles in Ordnung?", fragte er leise.
„Ja, klar", antwortete Annie und lächelte. „Ich wollte nur noch stören."
„Du störst nicht, Annie", sagte Garret ernst und nahm ihre Hand. „Und jetzt komm. Sie warten auf dich."
Das Schweigen, das nun entstand hätte gespannter nicht sein können. Jordan, Lily, Nigel und Bug starrten Annie und Garret mit offenem Mund an, als hätten sie gerade ein Gespenst gesehen.
Garret wünschte sich augenblicklich eines dieser berühmten Löcher im Boden herbei, die nie da waren, wenn man sie brauchte. Er hatte keine Ahnung, was er tun oder sagen sollte, um die Situation zu entschärfen.
„Gibt es hier auch etwas zu trinken?" Annie brach das Schweigen und löste sich aus Garrets Griff, um auf Jordan zuzugehen. „Falls nicht, habe ich was mitgebracht."
Sie drückte Jordan die Flasche Whiskey in die Hand und grinste. „Schön Sie zu sehen, Jordan."
„Annie?" Jordan klappte den Mund zu und sah Annie erstaunt an. „Detective Annie Capra?"
Annie nickte.
„Ja, ich denke schon – falls Garret mich am Flughafen nicht aus Versehen vertauscht hat."
Garret spürte mit einem Male wieder alle Blicke auf sich und sah nervös von einem zum anderen. Bug und Nigel grinsten ihn frech an, Jordans blickte abwechselt zwischen ihm und Annie hin und her und Lilys Blick konnte er irgendwie nicht deuten; sie schwankte zwischen Entzücken und Verwirrtheit.
„He, feiert ihr auf dem Flur, Leute?" Woodys ständig gut gelaunte Stimme erklang von der Treppe her und löste die angespannte Stimmung endgültig. Alle Aufmerksamkeit lenkte sich von Annie und Garret ab und Woody zu.
Garret trat unauffällig neben Annie und drückte ihr beruhigend die Hand, während er mit dem Kopf in Richtung Wohnung deutete.
„Komm, lass uns reingehen."
„Du errätst nie, wer da ist, Woody." Nigels aufgeregte Stimme drang vom Flur her zu ihnen hinein, woraufhin Annie Garret angrinste.
Eine Sekunde später erschien Woody im Türrahmen, erkannte Annie und lief auf sie zu. Er zog sie in seine Arme und drückte sie an sich.
„Schön, dich zu sehen, Annie", sagte er, sichtlich erfreut und gab ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange.
„Warum hast du denn nicht angerufen?", fragte er und hielt Annie ein wenig von sich entfernt, um sie ansehen zu können. „Ich hätte dich vom Flughafen abgeholt und -"
Woodys Blick erfasste Garret und er löste sich von Annie.
„He, hallo, Doc", sagte Woody und klopfte Garret auf die Schulter. „Wie geht's?"
„Gut", antwortete Garret. „Schön Sie zu sehen, Detective."
„Dito." Woody nickte Garret zu und schenkte seine ganze Aufmerksamkeit wieder seiner ehemaligen Kollegin.
„Komm mit, Annie", sagte er und griff ihren Arm. „Wir müssen unbedingt reden."
Woody zog Annie mit sich zur Couch und nahm Annie für die nächsten Stunden in Beschlag.
Garret, der seinerseits von seinen ehemaligen Mitarbeitern in Beschlag genommen und mit Fragen bombardiert wurde, warf immer wieder einen Seitenblick auf die beiden Detectives und spürte eine leichte Eifersucht in sich aufsteigen; auf Woody, dem Annies Aufmerksamkeit galt und auf dessen Einfluss, der endlich wieder ein Lachen auf Annies Gesicht zauberte.
„… Wetter in Detroit?"
„Hm? Was?" Garret schreckte aus seinen Gedanken auf und sah Jordan fragend an. „Tut mir Leid, Jordan. Was haben Sie gesagt? Ich habe nicht zugehört."
„Ja, das habe ich gemerkt", sagte Jordan grinsend. „Wenn ich das richtig sehe, sind die alten Zeiten, wo wir noch die besten Freundinnen waren, vorbei."
„Wie kommen Sie darauf?", fragte Garret.
„Nun, Sie haben es versäumt, mir von Annie zu erzählen", sagte Jordan und zog eine Schnute. „Unter besten Freundinnen unterhält man auch übers Liebesleben, Garret. Ich bin echt erschüttert, dass Sie mir nicht mehr trauen. Aber … nun, das ist schon in Ordnung. Ich komme damit -"
„Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt!", fiel Garret ihr ins Wort. „Ich habe Ihnen nichts verheimlicht. Und außerdem wüsste ich nicht, was es Sie anginge. Sie erzählen mir doch auch nicht, was ihr Liebesleben macht, oder?" Er deutete mit einem Kopfnicken zu Woody, der gerade an der Küchentheke stand und sich einen Teller voll lud.
„Ach, da gibt es nichts", winkte Jordan ab. „Nichts Neues. Woody ist hier, weil Lily es für das Beste hielt. Das ist alles."
Garret nickte. Schon klar. Weil Lily es wollte...
Und der Weihnachtsmann ist eine Frau, dachte er.
„Also, erzählen Sie schon", drängte Jordan. „Was ist mit Annie? Warum ist sie hier?"
„Nun, weil ich sie mitgebracht habe", antwortete Garret ausweichend.
„Ja, das weiß ich." Jordan wurde langsam ungeduldig. „Aber warum?"
„Wir arbeiten zusammen und haben uns angefreundet", sagte Garret vorsichtig und trank einen Schluck Eierpunsch – den, den Jordan ihm angeboten hatte und nicht Nigels Spezialmischung.
„Angefreundet?"
„Ja, angefreundet. Mehr nicht."
„Erzählen Sie das mal Ihrer Großmutter, Garret", sagte Jordan. „Also, raus mit der Sprache! Waren Sie schon … also, ich meine, haben Sie …. Ach, Sie wissen schon."
„Jordan, Sie sind eine Plage, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?"
„Ja, mein alter Boss … so zwei – bis dreimal täglich", antwortete Jordan grinsend und stand auf. „Ich hole mir was zu essen. Wollen Sie auch was?"
Garret schüttelte den Kopf und sah Jordan nach, wie diese zu Woody an die Theke verschwand.
„Na, geht es dir gut?" Lily tauchte hinter Garret auf, legte ihm eine Hand sanft auf die Schulter und rutsche dann neben ihm auf einen Stuhl.
„He, Lily", sagte Garret und löste sich von Annies Anblick, die mittlerweile von Nigel und Bug eingekesselt wurde.
„Gut siehst du aus." Lily reichte ihm lächelnd ein neues Glas Punsch. „Sie tut dir gut."
„Wer? Annie?", fragte Garret und winkte ab. „Nein … wir sind … sie ist nur eine – ja, wahrscheinlich hast du recht." Er wollte Lily eigentlich erklären, dass Annie nur eine Freundin war, doch im Gegensatz zu Jordan konnte er sich vor Lily nicht verstellen. Lily hatte die seltene Gabe, viel besser zu wissen, was in dem anderen vorging, als es dieser selber wusste.
„Seit Annie da ist, geht es mir wirklich besser", gab er zu und nickte. „Wir haben zusammen an diesem Fall mit dem Tränenschmuck-Mörder gearbeitet", erklärte er. „Du erinnerst dich?"
Lily nickte und trank einen Schluck Punsch.
„Wie könnte ich mich nicht erinnern?", fragte sie lachend. „Du solltest mal das Institut sehen. Die Jungs haben alle Zeitungsschnipsel, die sie finden konnte, gesammelt und jeden freien Flecken im Personalraum damit tapeziert." Sie verdrehte die Augen, grinste aber. „Das war wirklich gute Arbeit, Garret. Du bist unser Held in der Ferne."
„Ach, das war doch nichts", sagte Garret. „Das meiste geht auf Annies Konto. Sie war der verantwortliche Detective. Ich habe ihr nur ein bisschen geholfen. Mehr nicht. Keine große Sache." Insgeheim freute er sich jedoch darüber, dass er so etwas wie ein Held geworden war und nicht nur als ein ehemaliger Chef ad acta gelegt wurde.
Er plauderte noch eine Weile mit Lily, erfuhr nebenbei, dass diese sich wieder mit Matt Seely traf, der heute allerdings arbeiten musste, und dass es wohl etwas Ernstes war. Seltsamerweise freute er sich für Lily und verspürte keinerlei Eifersucht mehr auf den blonden Detective, der ihm vor wenigen Monaten noch als Nebenbuhler übel aufgestoßen war. So, wie Annie ihm scheinbar gut tat, tat Seely Lily gut, das konnte er am Leuchten in ihren Augen sehen, wenn sie von ihm sprach.
Kurz vor Mitternacht stand Garret alleine hinter dem Sofa vor der großen Fensterfront in Jordans Appartement und blickte hinaus auf das nächtliche Boston. Nigel hatte den Rest am anderen Ende des Raumes zu einer Runde Flaschendrehen auf dem Fußboden versammelt – etwas, bei dem Garret grundsätzlich nicht mitmachte, weil er nicht die Spaßbremse spielen wollte. Leises Lachen drang wie durch eine dichte Wolke hindurch gedämpft zu ihm, während er seinen Blick über die Skyline schweifen ließ.
„Na, langweilst du dich?", fragte Annie und trat neben ihn.
„Nein, du?" Er wandte den Blick vom hell erleuchteten Hafen ab und sah Annie an. Sie hatte leicht gerötete Wangen – vermutlich vom Punsch – und kleine müde Augen. Trotzdem strahlte sie und lächelte, während sie den Kopf schüttelte.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast", sagte sie leise und stützte sich auf der Fensterbank ab. „Wow, ein herrlicher Ausblick!"
Garret warf einen kurzen Blick zu den anderen hinüber, die tief in ihr Spiel versunken waren und sie nicht weiter beachteten. Nachdem er sich so abgesichert hatte, trat er näher an Annie heran, so dass er halb hinter, halb neben ihr stand und legte seine Hand über ihre, schloss seine Finger um sie und streichelte sanft mit dem Daumen über ihren Handrücken.
„Danke, dass du mitgekommen bist", flüsterte er ihr ins Ohr, schloss einen Moment die Augen und genoss den Augenblick.
Annie drehte den Kopf und lächelte ihn an, bevor sie den Blick wieder nach vorne richtete und sich leicht mit ihrem ganzen Körper gegen Garret lehnte.
-o-
Zwei Stunden später lag Garret müde aber glücklich in seinem Hotelbett und versuchte einzuschlafen.
Da Nigel und Jordan am nächsten Morgen Dienst hatten, war die Party früh abgebrochen und auf den nächsten Tag verschoben wurden. Nigel wollte sie alle in einen Club einladen, von dem Garret hoffte, dass es nicht einer dieser New Age Läden war, in die Nigel sonst so ging und wo er, Garret, sicherlich ziemlich fehl am Platz wirkte.
Er und Annie waren die kurze Strecke von Jordans Wohnung zum Hotel zu Fuß gegangen, nachdem sie Woodys Angebot, sie zu fahren, einvernehmlich abgelehnt hatten. Sie brauchten beide ein wenig frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen. Der Punsch und Annies mitgebrachter Whiskey, der anschließend noch die Runde gemacht hatte, hatte es in sich gehabt und Garret hatte einige Probleme gehabt, Annies Schlüssel ins Schlüsselloch zu bekommen, als sie wieder im Hotel waren.
Er hatte sich von Annie mit einem kurzen Gute-Nacht-Kuss verabschiedet und war dann in sein eigenes Zimmer gegangen.
Nach einer kurzen aber eiskalten Dusche hatte er sich wieder so weit unter Kontrolle gehabt, dass er ohne Probleme geradeaus sehen konnte …
Diese Exzesse mussten aufhören, mahnte er sich. Der Alkohol tat ihm nicht gut – im Gegensatz zu Annie, bei der er wohl wie eine Wunderdroge gewirkt hatte. Sie war mit jedem Glas lockerer geworden und hatte den ganzen Heimweg über gekichert und herum gealbert.
Hoffentlich bereut sie es morgen nicht, war Garrets letzter Gedanke, bevor er einschlief und in die Welt der Träume entfloh.
-o-
In den nächsten drei Tagen sah er Annie kaum. Woody hatte sie überredet, mit ihm zum Präsidium zu fahren, um ein paar Kollegen Hallo zu sagen, und er selber war meistens im Institut oder sonst in Boston unterwegs, um ein paar alte Bekannte zu besuchen.
Doch so gut es tat, wieder in Boston zu sein, so sehr wünschte er sich auch wieder zurück nach Detroit. Es war nicht so, dass er sich in Boston nicht wohl fühlte - die Leute, die er traf, waren dieselben geblieben und genauso nett und freundlich wie eh und je. Es war vielmehr so, dass er sich fehl am Platz fühlte. Er fühlte sich wie ein Eindringling, ein Besucher in einer für ihn fremd gewordenen Welt; einer Welt, die bis vor wenigen Monaten noch seine eigene gewesen war, bis er eines Tages die Stopptaste gedrückt und ausgestiegen war. Die Welt hatte sich weiter gedreht, er hatte weiter gelebt und irgendwie hatten sie sich voneinander wegbewegt und waren sich fremd geworden.
Als er am Silvestermorgen mit Annie darüber sprach, nickte diese nachdenklich.
„Das ist genau das, was ich gespürt habe, als ich wieder nach Detroit zurückgekehrt bin", sagte sie. „Irgendwie scheint alles beim Alten geblieben zu sein, aber es hat sich dennoch alles verändert. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist ein komisches Gefühl."
Garret nickte. Ja, das war es in der Tat: ein komisches Gefühl.
„Und, was machen wir heute?", fragte er, um das Thema zu wechseln. „Irgendwelche Pläne?"
„Hm, eigentlich habe ich mich mit Lily und Jordan verabredet", sagte Annie. „Wir wollen shoppen gehen und - He, verdreh nicht so die Augen!" Sie lachte. „Und heute Abend gehe ich auf eine Party. Hast du Lust, mitzukommen?"
Garret hatte natürlich Lust und so verabredeten sie sich für nachmittags im Hotel, um dann gemeinsam zu Lily zu fahren. Diese wohnte dem Institut am nächsten, von dessen Dach aus sie am Abend das Feuerwerk sehen wollten – etwas, worauf sich Garret schon die ganze Zeit freute. Von Dach aus hatte man eine prima Aussicht auf ganz Boston.
Während Annie sich mit Lily und Jordan traf, verbrachte Garret den Tag eher ruhig. Er kaufte sich eine Tageskarte für die Straßenbahn und fuhr den ganzen Tag durchs Boston, um noch ein letztes Mal alles zu sehen und ein paar Dinge in seinen Lieblingsgeschäften einzukaufen, bevor er morgen wieder nach Detroit flog und die Nachfolge von James Duncan antrat. Er hatte keine Ahnung, wie stressig die nächste Zeit werden würde und wann er wieder einmal die Gelegenheit bekam, hier nach Boston zu kommen.
Am frühen Abend wartete er in der Hotellobby auf Annie, die ihm auf sein Klopfen an der Tür zugerufen hatte, dass sie nur noch fünf Minuten bräuchte. Da er wusste, was fünf Minuten bei Frauen bedeutet, beschloss er, in der Hotelbar noch einen Kaffee zu trinken und ein wenig dem Klavierspiel des talentierten Studenten zu lauschen, der dort jeden Abend spielte.
„Hallo Fremder", flüsterte ihm jemand ins Ohr, als er gerade den Klängen von Heart & Soul lauschte. Er drehte sich herum und merkte, wie ihm der Mund aufklappte. Annie stand vor ihm in einem Kleid, das eigentlich verboten gehörte, so eng geschnitten war es. Es war zwar hochgeschlossen und ging bis zu den Knöcheln, aber dafür war es so figurbetont, dass es jede ihrer Rundungen optimal betonte und in Szene setzte. Und die dunkelrote Farbe passte perfekt zu Annies blondem Haar, welches ihr heute lockig über die Schultern fiel.
„Alles in Ordnung?", fragte sie unsicher und sah an sich herab.
„Nein … also … ich meine, ja", stotterte er und stand auf, um sie genauer betrachten zu können.
„Wunderschön", murmelte er, ohne es überhaupt zu realisieren. „Phantastisch …"
„Wirklich?", fragte Annie ungläubig. „Ich war mir nicht sicher, aber Lily und Jordan meinten, es wäre perfekt."
„Das ist es auch", sagte Garret, nahm ihre Hand und gab ihr einen Handkuss. „Perfekt."
„Na, dann können wir ja los, oder?" Annie hakte sich bei Garret unter und gemeinsam verließen sie die Bar.
-o-
„Ich wünschte, Dad könnte das sehen", sagte Annie etwas wehmütig, während sie an Garret gelehnt auf dem Dach des Instituts stand und in den sternenklaren Himmel blickte.
„Es hätte ihm gefallen."
„Davon bin ich überzeugt", sagte Garret und legte einen Arm um ihre Schulter. Die Nacht war kalt und Annie musste wahnsinnig frieren. Doch falls sie es tat, ließ sie es sich nicht anmerken.
Sie hielten ihren Glühwein umklammert und beobachtete Bug und Nigel dabei, wie diese Bostons Jahrhundertfeuerwerk in Stellung brachten. Etwas abseits von ihnen standen Lily und Matt Seely eng beisammen, während Jordan und Woody schon seit einer halben Stunde weg waren, um ein paar Decken zu besorgen.
Wahrscheinlich haben sie sie gefunden und sich selber drin eingewickelt, dachte Garret und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Was auch immer zwischen den beiden gestanden hatten, die letzten Tage mussten Wunder gewirkt haben; sie schienen sich besser zu verstehen, denn je – und auch Annie war seit dem Morgen wieder wie ausgewechselt.
„Warst du deswegen so bedrückt?", fragte Garret und griff damit das Gesprächsthema wieder auf. „Als wir los geflogen sind, meine ich."
Annie schüttelte den Kopf.
„Nein, ich habe wirklich Angst vorm Fliegen", sagte sie und drehte sich zu ihm um. „Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch ein wenig Angst, hierher zu kommen."
„Warum das denn?", fragte Garret erstaunt.
„Na ja, weil ich Angst hatte, dass du nicht mehr mit zurückkommst", erklärte sie mit leicht zittriger Stimme, die nicht alleine von der Kälte her rühren konnte.
„Ich dachte, wenn du erstmal wieder hier bist, dann fällt dir wieder ein, wie schön es in Boston ist, und dass du lieber hier bleiben möchtest. Davor hatte ich Angst. Ich wollte dich nicht verlieren." Sie senkte den Blick, bevor sie leise fortfuhr. „Nicht, nachdem wir … nachdem ich …"
„Nach dem Kuss?", fragte Garret leise.
„Ja." Annie nickte. „Weißt du, ich fange gerade an, dich wirklich zu mögen – nein, das ist das falsche Wort", korrigierte sie sich. „Ich fange an, mich … ernsthaft in dich zu … verlieben", sie hob den Kopf und sah ihm fest in die Augen, „und ich hatte einfach Angst, schon wieder jemanden zu verlieren, der mit wichtig ist, dem ich vertrauen und -"
Weiter kam sie nicht, da Garret ihr einen Finger auf die Lippen legte und den Kopf schüttelte.
„Du verlierst mich nicht, Annie", sagte er ernst. „Und ich bleibe auch nicht in Boston, weil das hier nicht mehr mein Zuhause ist. Alles ist irgendwie fremd geworden. Und außerdem, was soll ich in Boston, wenn der größte Teil von mir in Detroit wäre?", fragte er lächelnd.
„Der größte Teil?"
„Ja, der größte Teil. Du, Annie. Du würdest mir fehlen, so, wie ich dir fehlen würde. Verstehst du?", fragte er ernst. „Das alles war für mich nicht nur ein Spiel, Annie. Der Kuss … die Küsse, die Einladung, das alles hier. Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, zu spielen. Langsam bin ich zu alt dafür." Er grinste sie an und wischte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Aber versprich mir eins, ja? Wenn du noch einmal so denkst und Angst hast, dann sag es mir direkt, okay?"
Sie nickte.
„Ich habe mir nämlich wirklich Sorgen um dich gemacht, Annie."
„Zehn – Neun – Acht – Sieben - …"
Den Rest des Countdowns, das anschließende Feuerwerk und das verspätete Auftauchen von Woody und Jordan, die mit hochrotem Köpfen und einem Lächeln auf den Lippen kichernd aus der Tür platzten, bekamen Garret und Annie nicht mehr mit. Sie hatten sich hinter den Kasten für die Klimaanlagen auf die andere Seite zurückgezogen und erlebten ihr ganz persönliches Neujahr – Feuerwerk inklusive…
Wonder whose arms will hold you good and tight
When it's exactly twelve o'clock that night
Welcoming in the New Year
New Year's eve
Ende
Ich wünsche Euch allen ein wunderschönes Weihnachtsfest mit Euren Liebsten!
