Kurz nach Mitternacht – Beginn des 28. Oktober 1978

...Michael erkannte die Uhrzeit daran, dass Thomas im Nebenraum pünktlich zu dieser Zeit mit Beten anfing.

„Lieber Gott, gib mir die Kraft, alle zu töten und dann lachend in ihrem Blut zu baden!", schrie es bis zu Michael herüber und sofort erklang das seit beinah 15 Jahren wohlvertraute Wummern an der Wand, wenn Thomas seinen Schädel dagegen schlug, bis die Wunde an seinem Kopf wieder aufplatzte.

Michael kannte es in – und auswendig und er hatte schon lange aufgehört, darüber nachzudenken. Emotionslos hörte er den Ärzten zu, wie sie Thomas anschrieen und ihn dann mit Drogen zupumpten. Alles Routine.

Doch Schwester Maria ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Leb wohl, Michael, hatte sie gesagt. Warum? Die Erinnerungen an ihre Zärtlichkeit brachten ihn völlig aus seiner Selbstmeditation.

Michael schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Bauchatmung. Durch jahrelanges Training versank er schnell wieder in einer tiefen Meditation. Nichts drang mehr zu ihm durch. Seine Welt war eine Seelenwüste, in der er allein war, ausatmen konnte. Seine verbrannte Seele entspannte sich etwas.

Eine Vision flammte vor Michaels Augen auf und schicksalsergeben ließ er zu, dass sie in seinen Geist kroch.

„Michael...Michael...du bist ein braver Junge gewesen."

Die Stimme. Bei ihrem Klang durchfuhr ein scharfer Schmerz seine Seele.

Er erkannte das Flammenmeer, dass er vor 15 Jahren gesehen hatte. Die Feuersbrunst loderte so stark, dass Michael beinah die Wärme der Flammen auf seinem liegenden Körper im Sanatorium spüren konnte. Blinzelnd entdeckte er die robentragenden Männer...dunkel...bedrohlich...ihre Schatten tanzten vor dem riesigen Scheiterhaufen.

Erinnerst du dich an die heilige Zahl der Thorn-Rune?" schwebte die Stimme zu ihm, wie aus einer anderen Welt. „Drei...Michael...die Drei. In 3 Tagen ist es soweit... Hörst du? Es wird Zeit zu gehen, Michael..."

Einen Moment lang dachte er an Schwester Maria und wollte dagegen kämpfen, doch die Stimme schien es zu wissen. Ja, sie wusste alles über ihn.

Schh...Michael...schhh...du bist doch mein guter Junge."

Wie eine geschmeidige Schlage umhüllte die Stimme seinen Geist, zwang jede Rebellion nieder.

Wirst du brav sein, Michael?"

Wie ein elektrischer Schlag fuhr die Frage durch ihn und lies keine Zweifel mehr zu.

Michael nickte apathisch.

So bist du mein guter Junge. Du wirst sie alle töten, nicht wahr?"

Ein weiteres schwerfälliges Nicken und Michael wurde in einen Strudel aus Dunkelheit gezogen.

„Michael", wie aus weiter Ferne drang Dr. Sam Loomis Stimme in sein Bewusstsein. Michael schrak hoch, setzte sich so ruckartig auf, dass Loomis instinktiv einen Schritt zurück wich.

Echos seiner Vision schrieen noch in ihm, er konnte die Bilder nicht abschütteln, aber vor allem nicht die Botschaft darin...

„Michael?", fragte der Arzt irritiert.

Der Jüngere beachtete Loomis nicht. Er krallte seine Finger in das Bettlagen. Sein Herz raste und sein Atmen ging so heftig, dass sein Brustkorb bebte.

„Michael!", fragte Loomis jetzt fordernd und seine Stimme verriet eine gewisse Sorge.

In der Dunkelheit konnte er seinen Patienten nur schemenhaft erkennen.

„Ich schalte jetzt das Licht ein."

Das Deckenlicht sprang an und Loomis erschrak nicht schlecht. Er sah Michael, wie der erbärmlich zitterte.

„Michael, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung."

Sein Patient sah auf, doch wie stets, entbehrte sein Gesicht jeder Gefühlsregung.

Aber Michaels Atemzüge waren noch heftiger geworden und Loomis erkannte, dass der junge Mann begann zu Hyperventilieren. Er dachte nicht darüber nach, was er tat, in welche Gefahr er sich begab. Von einer unterschwelligen Vatersorge gelenkt, setzte er sich zu Michael aufs Bett.

„Atme tief in den Bauch, hörst du? Ganz ruhig, niemand ist hier, außer du und ich", sagte er ruhig und übertrug so seine Ruhe auf Michael. Der beruhigte sich allmählich, wusste aber nicht, wie er damit umgehen sollte, dass Loomis so dicht neben ihm saß. Ein Teil in ihm, der Teil Thurizas' wollte augenblicklich seine Hand ausstrecken und ein für alle Mal das Genick dieses erbärmlichen Menschenabschaums brechen. Aber das kleine Kind in diesem bald 21. Jährigen schrie nach Vergebung. Ja, es betete, für Frieden und Linderung dieses furchtbaren Schmerzes.

Loomis hatte keine Ahnung, wie recht er mit seinem nächsten Satz hatte.

„Michael, gib mir eine Chance. Ich weiß, dass du innerlich mit dir auf Leben und Tod kämpfst."

Von der Seite sehe ich ihn an, diesen seltsamen Arzt, der noch besessener ist, als ich. Ich wünschte, ich könnte es ihm erzählen – ihm erzählen wie unglaublich leid mir alles tut. Doch wie könnte er auch nur in Ansätzen verstehen, was in mir vorgeht? Welchen Blutbann ich trage. Nein, ich würde niemals die richten Worte finden. Ich kann nie lang darüber nachdenken. Über dieses Schicksal; diesen Fluch. Sofort fühle ich wieder die Starre, die Eiskruste, die um meine leere Seele wie ein Schloss hängt – Thorn, der nicht zulässt, dass ich einen Ausweg suchen kann.

Das heftige Keuchen war vergangen und ein Schniefen erklang plötzlich im Raum.

Doktor und Patient brachten beide einen Moment um zu realisieren, dass es Michael gewesen war.

„Michael, weinst du...", brachte Loomis nur fassungslos über die Lippen. Der drehte daraufhin nur schnell das Gesicht weg, sodass Loomis es nicht mit Sicherheit sagen konnte.

Einen Moment wollte er Michael an der Schulter anfassen und sacht zu sich drehen, doch dann besann er sich eines Bessren. Er wusste, wie heftig Michael auf jede fremde Berührung reagierte.

Loomis seufzte. „Mir ist klar, dass du mir nicht vertrauen, sondern mich am Liebsten töten willst. Ich habe immerhin seit Jahren versucht dich ein für alle Mal wegschließen zu lassen und das hast du sehr wohl mitbekommen. Ich sagte dir vor 15 Jahren schon, dass du die anderen täuschen kannst, nicht mich."

Michael reagierte nicht.

„Aber warum gibst du mir keine Chance? Vor allem: warum gibst du DIR keine Chance!"

Eine handvoll Tränen, die versuchen das Flammenmeer einer Seele zu löschen. Sie haben keine Ahnung, wie sich das anfühlt.

„Es gibt da ein Wort, Michael, das heißt Liebe. Wenn du auch nur im Geringsten noch weißt, was es ist, dann zeig es mir jetzt! Das ist die letzte aller Gelegenheiten."

Loomis eindringliche Stimme schien ein Echo nach sich zu ziehen. Loomis zerriss es fast vor Anspannung. Er war mitten in der Nacht, lange nach Dienstschluss hierher gekommen, um einen letzten Versuch zu machen, denn tief in sich wollte er Michael einfach nicht aufgeben. Es herrschte eine kleine Ewigkeit Schweigen, dann nickte Loomis zu sich selbst. Es war entschieden.

In 2 Tagen würde er erst wieder die Anstalt betreten und dieser Abend des 30. Oktober 1978 würde das letzte Zusammentreffen zwischen Michael und ihm sein.

Er stand auf, griff nach dem Lichtschalter: „Gute Nacht, Michael", erklang sein Flüstern – beinah Schwermut darin. Der Doktor räusperte sich und nahm Haltung an.

Ich sehe ihn in der Dunkelheit zur Tür gehen. Für einen Moment habe ich den Drang aufzuspringen und ihn zu stoppen. Nein, nicht um ihn an die Wand zu schleudern und seinen Schädel zu zerschlagen, sondern um...ich weiß es nicht ...ihm eine Chance zu geben? Um mir eine Chance zu geben?

Liebe...beim Klang dieses Wortes musste ich an Maria denken.

An diese schmerzhafte Welle, die ihr Streicheln in meine Seele gesenkt hatte. Schmerzhaft und dabei irgendwie auch bittersüß.

Ist das dieses Etwas, das er Liebe nannte? Aber war Liebe nicht etwas, das nicht weh tut?

Oder tut Liebe nur mir so weh, weil es etwas ist, dass ich so lange entbehrt habe?

Für einen Moment möchte ich meine Hand ausstrecken und ihn um Hilfe bitten. Zeigen Sie mir, was Liebe ist. Ich möchte ihn um Hilfe anflehen! Retten Sie mich! Retten Sie mich vor Thorn!

U...N...S...I...N...N...!

Der törichte Wunsch und die blasse Erinnerung vergehen so schnell, wie sie gekommen sind.

Die Sicherheitstür fällt ins Schloss.

Aus.


...Irgendwie will ich mehr dazu auch nicht sagen. Das steht so leiseweinend für sich...

Ein letztes Kapitel kommt noch. Es soll eine Brücke zwischen meiner Erzählung und dem ersten Halloweenfilm herstellen.