In der Nacht erwachte Narzissa Malfoy von einem so ungewöhnlichen Geräusch, dass sie einen Moment benötigte, um zu erkennen, was es war: Jemand hatte an ihre Tür geklopft.

"Ja?", setzte sie sich im Bett auf und rieb sich müde mit dem Handrücken über die Augen.

Die Tür öffnete sich und ein kleiner Schatten fiel in den Raum. "Die Gnädige Frau möge bitte die Störung entschuldigen", fiepste eine aufgeregte und zugleich verängstigte Stimme. In der Tür stand eine der Hauselfen in ihrem dreckigen und fleckigen Arbeitskittel. Ihre großen Augen schienen das Mondlicht zu reflektieren, das in den Raum schien. "Aber...der Gnädige Herr...im Speisesaal...wir wissen nicht, was wir tun sollen." Die Stimme erstarb.

Narzissa hätte ihm Normalfall die Hauselfe angefahren, was ihr einfiel, hier mitten in der Nacht hereinzuplatzen. Sie hätte sie zur Strafe etwas ganz schauderhaftes tun lassen, wie den Abort mit der Zunge putzen. Aber die Nennung von Lucius und die Furcht und Ratlosigkeit in der Stimme der Hauselfe ließ jeden solchen Gedanken sich in Luft auflösen.

Sie wusste, wo er heute Nacht gewesen war und es war gut möglich, dass er tot war oder schwer verletzt oder aber, dass er nicht alleine zurückgekommen war und man die Hauselfe geschickt hatte, um sie zu holen.

Eilig griff Narzissa nach dem Zauberstab, der immer griffbereit auf ihrem Nachttisch lag und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Im Laufen knotete sie ihn zu.

Die Hauselfe hüpfte wie eine quiekende Ratte vor ihren Füßen entlang, die Treppe nach unten und durch die Eingangshalle. Narzissa sah Lucius' Mantel in der Eingangshalle über einen Stuhl geworfen. Sie griff ihren Zauberstab fester und betrat den Speisesaal.

Angewidert zog sie die Nase kraus, als sie den süßlichen Geruch von Alkohol wahrnahm, der im Raum schwebte wie ein schwerer Blumenduft. Auf dem Tisch standen ein paar Flaschen. Die meisten von ihnen ziemlich leer. Ein umgeworfenes Glas malte einen dunklen Weinfleck auf eine teure Damasttischdecke.

Lucius Malfoy selbst saß ein Stück neben dem Tisch auf dem Boden, halb liegend, während zwei Hauselfen ihn halbwegs so stützten, dass sein blondes langes Haar, das ihm zerzaust ins Gesicht fiel, gerade den Boden berührte. Er hatte den Kopf kraftlos gesenkt und atmete schwer.

Narzissa brauchte nicht viel um sich zusammenzureimen, was genau hier das Problem war und sie erkannte schlagartig, warum die Hauselfe nicht in der Lage gewesen war, genau zu sagen, was los war. Sie hätte schlechterdings sagen können, dass der gnädige Herr so stockbetrunken war, dass er beim Versuch aufzustehen über seine eigenen Füße gefallen war und nun aus eigener Kraft nicht mehr auf die Beine kam.

Narzissa versah die Hauselfen mit einer energischen Handbewegung ihres Zauberstabs. "Verschwindet", keifte sie. "In die Küche mit Euch und wehe ich sehe einen von Euch irgendwo anders, bevor ich Euch gerufen habe."

Als hätten sie sich verbrannt wichen die Hauselfen zurück und huschten durch den Gang zur Küche. Lucius, seiner einzigen Stütze beraubt, kippte endgültig nach vorne über und knallte mit dem Kopf unsanft auf den Boden, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, sich abzustützen.

Narzissa ging zum Tisch und stellte das umgefallene Glas hin. Dann hielt sie ihren Zauberstab auf Lucius gerichtet, zögerte aber. Es gab durchaus Sprüche, welche den Alkohol in Sekundenbruchteilen aus dem Körper zogen und Lucius zwar etwas benommen aber absolut nüchtern gemacht hätten.

Doch irgend etwas hielt Narzissa davon ab ihn zu sprechen. Lucius unternahm den vollkommen hilflosen Versuch, sich selbst aufzurichten und wimmerte dabei leise. Narzissa steckte den Zauberstab weg und ergriff Lucius' Arm, um ihn sanft aber bestimmt um ihre Schulter zu legen. Ihn so hilflos zu sehen, erfüllte sie mit einem merkwürdigen Hochgefühl.

Sein Kopf sank gegen ihre Schulter. Ein paar blonde Strähnen klebten ihm in Gesicht und er roch furchtbar nach dem teuren Portwein, den Narzissas Tante ihnen letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte.

Sie berührte Lucius vorsichtig am Kinn und hob so seinen Kopf, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Er musste geweint haben, denn die Spuren der inzwischen getrockneten Tränen, die ihm über die Wange gelaufen waren, waren deutlich sichtbar. Seine grauen Augen, die sonst immer so herablassend und arrogant blickten, waren glasig, sahen verwirrt und müde zu Narzissa auf.

Sie zog ihre Hand zurück und Lucius' Kopf sackte zurück an ihre Brust. Zum ersten Mal, seit sie ihn so gefunden hatte, brachte er ein Wort über die Lippen, auch wenn er nicht einmal in der Lage war, einen Satz daraus zu formen, geschweige denn es vollständig auszusprechen. "Schäm", murmelte er schwach.

Das Wort gab Narzissa einen warmen Stich in die Brust. Es fühlte sich merkwürdig wunderbar an. Sie erkannte, dass er ihr leid tat und dass sie das Gefühl genoss, ohne ihm wirklich helfen zu wollen.

Sie legte ihre Hand um seine Schulter, so dass sie ihn mit sich auf die Beine ziehen konnte. "Und schämen solltest Du Dich auch", sagte sie mit gedämpfter Stimme, dass es auch bestimmt keine noch so langen Hauselfenohren von der Küche aus hören konnten. "Stockbetrunken wie ein einfacher Muggel, Lucius."

Er brachte als Antwort ein kaum hörbares Wimmern hervor. Dass er überhaupt verstanden hatte, was sie gesagt hatte, bezweifelte Narzissa ohnehin. Vorsichtig führte sie ihren vollkommen hilflosen Mann aus dem Raum. Selbst auf sie gestützt, konnte er kaum einen Fuß vor den anderen setzen.

Auf der Treppe nach oben stolperte er mehrmals und Narzissa musste ihre ganze Kraft aufwänden, um sie beide vor einem Sturz zu bewahren. Kurz bevor sie das Ende der Treppe erreicht hatten, löste sich Lucius' Griff um Narzissas Schulter und er sank auf der Treppe zu Boden, sie halb mit sich ziehend.

In der Stille der Dunkelheit hörte sie überlaut seinen Atem, wie er nach Luft rang, als hätte ihn der kurze Weg hinauf mehr angestrengt als sie, die ihn die ganze Zeit stützen musste und vielleicht war das auch der Fall.

Im Mondlicht wirkte Lucius' Gesicht noch blasser als es es ohnehin war und seine zusammengesunkene Gestalt, wie ein Häufchen Elend, wirkte zerbrechlich und schutzbedürftig.

"Zizza", brachte er stockend hervor und ließ seinen Kopf auf die Treppe sinken, den Blick von ihr abgewandt. "Hilf."

Narzissa beugte sich über ihn und legte ihren Arm um ihn, um ihm wieder auf zu helfen. Sie konnte seinen Herzschlag spüren und das mühsame Ringen nach Atem. Zum ersten Mal spürte sie doch eine gewisse Besorgnis. Was, wenn Lucius nicht nur absolut betrunken war?

Sie half ihm die letzten Stufen nach oben und brachte ihn ins Schlafzimmer. Behutsam setzte sie ihn aufs Bett, wo er in sich zusammengesunken sitzen blieb, den Kopf gesenkt, so dass die Haare ihm in klebrigen Strähnen ins Gesicht fielen.

Narzissa begann ihn auszuziehen. Dabei stellte sie fest, dass er die Ärmel seiner Robe hoch geschoben und umgekrempelt hatte. Sie berührte seinen nackten Arm und sah auf der Innenseite des Unterarms das Dark Mark schwarz auf seiner weißen Haut hervorstechen.

"Schäm", murmelte Lucius und eine Träne tropfte von seiner Wange auf Narzissas Hand. Sie fuhr sich damit über den Mund und schmeckte das warme Salz, als sie über ihre Lippen leckte.

Sie zog Lucius bis auf sein Untergewand aus und half ihm ins Bett. Er sank in die Kissen und sah Narzissa erschöpft an. Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht und wischte Schweiß und Tränen von den Wangen.

Sie nahm sich die Zeit, doch endlich sicher zu stellen, dass ihm nichts fehlte außer einer halben Alkoholvergiftung. Aber er hatte keine offensichtlichen Verletzungen und kein Fluch hatte ihn getroffen. Es war einfach nur ein wenig zu viel Portwein gewesen.

Narzissas Hand glitt an seinem Arm entlang. Lucius Finger schlossen sich wie die eines verängstigten Kindes um ihre Hand, als sie sie berührte. Beruhigend strich sie ihm über den Kopf und küsste ihn liebevoll. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass sich das so gut anfühlen würde.

Sie sah zu, wie ihm irgendwann die Augen zufielen, sein Atem ruhiger wurde und er schließlich einschlief. Sie wachte neben ihm, wie am Bett eines kranken Kindes. Ihr Blick musterte sein Gesicht, das jetzt vollkommen entspannt aussah. Ein paar hellblonde Strähnen klebten ihm noch an den Schläfen. Ab und zu wimmerte er im Schlaf.

Narzissa dimmte das Licht und sank neben Lucius in die Kissen, ihren Kopf zur Seite gewandt, ihn nicht aus den Augen lassend. Es dauerte eine ganze Weile, bis auch sie dennoch irgendwann eingeschlafen war, glücklich und mit einem wundervoll warmen Gefühl im Bauch.