Kapitel 2
„Wahrheiten"

„Wo ist Danny?", fragte Sam, als sie das Büro betreten hatte und Martin und Vivianne über eine alte Akte gebeugt vorgefunden hatten.
„Er ist zu hause", sagte Martin und sah Sam an. Samantha zog ihren Mantel aus, legte ihn über den Stuhl und stellte sich neben die beiden.
„Was wollt ihr mit der Akte von Clare Metcalf? Der Fall ist doch schon längst abgeschlossen."
„Ich war gestern mit Danny in einer Bar." Da Samantha nichts sagte, redete Martin weiter. „Er hat Probleme. Das weiß er und das wissen wir. Ich dachte er würde es mir vielleicht erzählen."'
„Er war wahrscheinlich stur wie immer", gab Sam zurück und Martin nickte.
„Ich hab es Jack gesagt."
„Du hast was Jack gesagt? Es ist doch nichts passiert." Martin wollte antworten, war aber zu perplex wie Sam sich für Danny einsetze. Die beiden hatte doch nie eine besonders tiefe Freundschaft verbunden…
„Er schläft nicht", mischte sich nun Vivianne auch in das Gespräch ein.
„Was ist passiert", fragte Sam erneut und Martin sah sie lange an bevor er antwortete: „Er ist für zwei Wochen suspendiert."
„Und ihr glaubt das hilft ihm?"
„Was hättest du denn getan?" fragte Martin, der leicht verärgert war über Sams Einwand.
„Ich hätte noch mal mit ihm geredet…" Aber bevor Samantha ihren Satz zu Ende sprechen konnte, wurde sie von Martin unterbrochen: „Sam in diesem Job muss man immer zu Einhundertprozent einsatzfähig sein und das ist Danny nicht. Ich hab versucht mit ihm zu reden. Mehrmals. Doch irgendetwas an diesem Fall beschäftigt ihn", er deutete auf die Akte, „und wir werden jetzt herausfinden was."

Eine Stunde später saßen Vivianne und Samantha über der Akte. Sie waren alles noch einmal durchgegangen.
„Nichts", sagte Sam, „ich sehe nichts, dass uns irgend einen Hinweis geben könnte."
„Hier steht Danny hat sie gefunden?" fragte Vivianne.
„Jack war dabei, aber Danny hat mit ihr geredet."
„Was hat er gesagt?" Vivianne sah Sam an und erkannte sofort, dass sie ihr keine Antwort geben konnte.
„Ich fahre zu ihm!" Samantha war aufgestanden und griff nach ihrer Jacke. Martin kam an den Schreibtisch: In der Hand das Bild von Dannys Familie, dass Danny an seinem Arbeitsplatz aufgehängt hatte.
„Kennt ihr dieses Bild?"
„Nein", antwortete Vivianne, „aber Danny hat es kurz nachdem Clare gefunden worden ist aufgehängt."
„Ich fahre zu ihm", sagte Sam und sah Martin an, „kommst du mit?" Martin schüttelte den Kopf. Er war überrascht, dass Samantha ihn fragte. „Ich würde gerne, aber Jack hat mit einigen Schreibkram aufgehalst. Aber", er reichte Sam das Bild, „nimm das mit."

Danny war gerade auf seinem Sofa eingeschlafen, als ihn ein Klopfen an der Tür wieder aus dem Schlaf riss. Gereizt öffnete er die Tür und war umso überraschter, als er Samantha vor sich sah. Sie war die letzte Person mit der er gerechnet hätte. Vielleicht mit Martin. Aber nicht mit Sam. „Was machst du denn hier?" fragte er ungläubig.
Samantha hielt ihm das Bild seiner Familie vor die Nase: „Ich will mit dir reden." Dann nahm ihr das Bild ab und antwortete garstig: „Wo hast du das her?"
„Von deinem Schreibtisch", gab Sam zurück und sah Danny besorgt an. „Verdammt Danny, was ist los mit dir?"
Danny hasst diese Frage. Er wollte sie nicht beantworten. Wollte seiner Mauer keine weiteren Risse zufügen. Aber dennoch bat er Sam in seine Wohnung. Sie hatte den weiten Weg extra gemacht. Sie war wegen ihm gekommen. Wie lange war es her seit jemand so etwas für ihn getan hatte? Danny wollte und konnte ihr nicht einfach die Tür vor der Nase zuknallen.
„Setz dich doch", sagte Danny und räumte schnell eine Decke zur Seite, die auf dem Sofa lag. Sam setzte sich und betrachtete Danny. Was war nur los mit ihm? Er sah schlecht aus. Richtig schlecht.
„Willst du es mir nicht sagen?" fragte Sam.
Danny setzte sich in einen Sessel, der dem Sofa genau gegenüber stand. Warum sollte er Sam alles sagen? Sie waren nicht einmal sonderlich gut befreundet. Er hatte sich Martin nicht anvertraut, warum sollte er es jetzt tun. Sein Blick wanderte zu dem Foto in seiner Hand.
„Es ist deine Familie, oder?" Sam ließ nicht locker. Sie merkte, dass Danny an einem Punkt war, wo er sich jemandem anvertrauen würde. Freundschaftlich griff sie nach seiner Hand. Als Danny von dem Foto hochsah erkannte Sam, dass er Tränen in den Augen hatte. Ohne zu zögern nahm Samantha Danny in den Arm und wartete geduldig darauf, dass er endlich sagte, endlich sagen konnte, was ihn bedrückte.
Als sich Danny einigermaßen beruhigt hatte, stand er auf, wischte sich verschämt die Tränen aus den Augen und ging unruhig durch den Raum.
„Sag es mir Danny" Sam wollte aufstehen, doch als Danny sich umdrehte erkannte sie die Wut in seinen Augen.
„Ich kann es dir nicht sagen!", gab Danny trotzig zurück und war im Begriff die Tür zu öffnen, um Sam herauszukomplimentieren.
„Du sagst mir jetzt die Wahrheit! Ich bin wegen dir hier Danny! Ich sehe doch, dass dich etwas quält. Und ich sehe auch, dass du es mir sagen willst, aber einfach zu viel Angst davor hast. Was kann so schlimm sein, dass du es mir nicht sagen kannst?" Sie sah ihn durchdringend an.
Lange war es still bevor Danny wütend sagte: „Verdammt Sam…ich…wegen mir mussten meine Eltern sterben!"

„Danke Sam", sagte Danny, nachdem er Samantha alles erzählt hatte: Der Tod seiner Eltern. Die Schuldgefühle. Die Vergangenheit. Alles was seit Clare Metcalf wieder in sein Leben getreten war.
Als Samantha gerade gehen wollte hielt Danny sie zurück: „Sam?" Sie drehte sich um und sah ihn an. „Kannst du mir etwas versprechen?" Sie nickte. „Das alles hier. Das bleibt unter uns, OK."
„Aber wieso…" Danny unterbrach sie: „Bitte Sam. Das alles…ich will allein damit klar kommen…du…du und Clare ihr seid die einzigen die das Wissen und ich will einfach…es soll so bleiben." Samantha nickte. Danny hatte die Mauer, die heute eingestürzt war, wieder notdürftig aufgebaut.
„Bist du OK?" fragte Samantha noch einmal und als Danny nickte, lächelte sie ihn noch einmal an und hatte dann auch schon die Tür hinter sich zugezogen...