Kapitel 4
„Narben"
„Du musst gehen", sagte Danny und betrachtete Sam, die neben ihm lag, aber keine Anstalten machte aufzustehen.
„Warum?", demonstrativ zog Sam die Decke näher an sich.
„Du musst morgen früh arbeiten", sagte Danny und betrachtete Sam eindringlich. Sie war so schön. Er hätte nie gedacht, dass er das jemals denken würde, dass er jemals mit ihr hier liegen würde. Aber er tat es und er war ihr so unendlich dankbar für alles, was sie für ihn getan hatte. Doch er hatte bisher noch nicht den Mut gehabt ihr das zu sagen. Ihr alles zu sagen.
„Vielleicht hast du es vergessen, aber wir arbeiten im selben Büro. Das ist kein Grund mich rauszuschmeißen." Danny betrachtete sie immer noch. „Was ist los? Warum siehst du mich so an?" Sam hatte ihr Kinn auf Dannys Brust gelegt und sah ihn an. In diesen Momenten bemerkte sie wieder, wie wenig sie von ihm wusste. Sie fuhr mit der Hand über eine große Narbe, die über Dannys Bauch verlief. Diese Narbe war sichtbar, doch Sam wusste, dass Danny noch unzählige weitere Narben hatte, die sie nicht sehen konnte. Sie würde ihm so gerne helfen all das zu überwinden, aber sie wusste nicht wie. Sie wusste einfach nicht wie.
„Geh jetzt Sam", sagte Danny noch einmal. Sam nickte unmerklich und fing dann an ihre Klamotten, die neben dem Bett lagen zusammen zu suchen. Sie hatte jetzt nicht die Kraft wieder mit ihm zu diskutieren. Sie hatte es schon so oft versucht. Als sie gerade ihre Bluse zugeknöpft hatte drehte sie sich zu Danny um, der in der Zwischenzeit seine Hose angezogen hatte: „Wird es immer so sein?"
Danny sah sie an: „Was meinst du?"
„Was ich meine? Ich meine das hier! Warum schickst du mich weg?"
„Bitte Sam. Lass uns morgen darüber reden, OK?"
Sam wollte sich nicht damit zufrieden geben und doch nickte sie. „Machs gut." Sie berührte Danny leicht an der Hand, aber selbst diese kleine Berührung zeigte ihr die Distanz, die trotz allem was geschehen war, noch immer zwischen ihnen herrschte.
Am nächsten Tag war Danny noch genauso abwesend, wie er es die Nacht zuvor gewesen war. Er sprach den ganzen Tag über kaum mit Sam, arbeitete stur vor sich hin, bestrebt niemand aufzufallen. „Gar nicht seine Art", wie selbst Martin treffend feststellte. „Ist alles OK mit ihm?"
Sam sah Martin fragend an: „Woher soll ich das wissen?"
„Na ja, ich dachte…ich dachte ihr hättet irgendwie einen Draht zueinander." Sam antwortete nicht sondern ließ Martin wortlos stehen.
Danny saß spät abends noch vor seinem Papierkram, der, so bildete er sich es zumindest ein, immer mehr anstatt weniger wurde, als Sam, schon in ihrem Mantel, an seinen Schreibtisch trat. „Ich gehe nach hause." Sie wartete auf eine weitere Reaktion als das bloße „hm", das Danny von sich gab. „Ich sagte ich gehe nach hause", sie startete einen neuen Versuch, doch wieder erhielt sie von Danny keine Antwort. „OK Danny, du hast gewonnen. Ich verschwinde aus deinem Leben. Leb wohl!" Sam verließ wutentbrannt das Büro. Als sie im Fahrstuhl stand spürte sie wie eine Träne über ihre Wange lief. Das hatte er nicht verdient, sie würde nicht um diesen Idioten weinen. Sie hatte alles versucht, hatte versucht für ihn da zu sein, doch je näher sie ihm kam, desto mehr entfernte er sich von ihr und sie wusste nicht warum. Sie wusste einfach nicht warum. Als Sam aus dem Fahrstuhl trat war sie sich sicher das richtige getan zu haben. Als sie aus dem Gebäude gegangen war atmete sie tief ein. Es war eine sternenklare Nacht. Das war mehr als ungewöhnlich für New York.
„Es tut mir leid!" Sam drehte sich um; Hinter ihr stand Danny. „Es tut mir wirklich leid!"
Sam fühlte, dass wieder Tränen in ihr aufstiegen: „Mir tut es auch leid."
„Dir muss nichts leid tun. Du…noch nie hat mir jemand so geholfen, wie du es getan hast!" Danny wollte noch viel mehr sagen, aber er fand nicht die Worte, um das zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag.
„Aber hier ist Schluss Danny. Ich kann dir nicht mehr helfen. Ab jetzt kannst nur noch du dir helfen." Sie fühlte, wie ihr wieder eine Träne über die Wangen lief. „Es liegt ganz allein an dir, was von diesem Moment an aus uns beiden wird." Was hätte sie dafür gegeben, wenn Danny sie jetzt umarmt hätte, aber er stand ihr nur gegenüber und sah sie an. Mit diesem speziellen Blick, den sie früher immer für Arroganz gehalten hatte. Doch heute wusste sie, dass aus diesem Blick all die Narben sprachen, die Danny sich in seinem Leben geholt hatte. Und es waren viele. Es waren unendlich viele. So viele, dass er jetzt nicht fähig war zu ihr zu kommen und sie zu umarmen.
„Kommst du nachher noch vorbei?" Danny nickte. Sam betrachtete ihn und drehte sich dann um, um zu gehen. In der Kälte fühlte sie die warmen Tränen auf ihren Wangen.
Danny ging zurück an seinen Papierkram. Er blieb fast die ganze Nacht im Büro. Er hatte nicht den Mut zu Sam zu gehen. Zu groß wäre die emotionale Barriere gewesen, die er hätte aufgeben müssen. Zu groß war die Mauer, die den Teil seines Herzens umgab. Doch tief im Inneren wusste er, dass Sam schon gewusst hatte, dass er nicht kommen würde. Das sie schon einen Abend zuvor gewusst hatte, dass es vorbei war. Das er nicht den Mut haben würde sie zu lieben. Und er wünschte sich, dass er den Mut gehabt hätte. Aber er hatte ihn nicht.
Am nächsten Morgen erschienen sowohl Danny als auch Samantha völlig normal im Büro. Sie sprachen nie wieder über diese vier Wochen, die sie zusammen verbracht hatten. Diese vier Wochen in denen sie sich fast geliebt hatten. Es blieb ihr wohlbehütetes Geheimnis. Manchmal, so dachte Danny, wieder etwas von der Sam gesehen zu haben, die ihm an dieser sternenklaren Nacht gegenüber stand, aber so schnell es gekommen war, war es auch schon wieder verschwunden und in genau diesen Momenten wünschte sich Danny er hätte damals mehr Mut gehabt. Den mit jedem Mal an dem er zurück dachte wurde ihm klarer, dass er nur diese eine Chance gehabt hatte. Nur diese Eine.
Der Scotch stand immer noch in Dannys Kühlschrank. Er hatte nicht den Mut aufgebracht ihn wegzuschütten, aber er hatte ihn auch nicht wieder angerührt. Er stand einfach da. Immer griffbereit. In seinem Kühlschrank.
Danny schlief zwar wieder besser, aber dennoch wachte er in der ein oder anderen Nacht durch einen Traum auf: doch waren es nicht die Träume vom Unfall seiner Eltern, es war Sam. Sie führte ihm in diesen Nächten immer wieder vor Augen, was sie beinahe gehabt hätten und wozu Danny nie den Mut gehabt hatte...
Ende
