Prolog oder Die Erschaffung des Akakios
Die Musen wurden einst ihrer Aufgabe -
der Inspiration - überdrüssig. Sie wollten das Verbot,
selbst zu schaffen, nicht mehr befolgen. So trafen sich die neun
Töchter des Zeus und der Mnemosyne an einem Quell um zu beraten.
"Schwestern." sprach Klio
"Lasst uns Schöpfer sein."
"Ja." sprach Melpomene "Die
Pfade des Prometheus wollen wir wandeln."
"Nun." wandte Terpsichore
sich an Thalia "Was wollen wir erschaffen?"
"Einen Menschen!" rief
Euterpe "Einen Menschen aus Fleisch und Blut!"
"Nein, aus Kunst!" sprach
Erato.
"Und den Elementen der Welt."
ergänzte Urania.
"Einen Geist, den wir binden an
den Leib des schönsten Kindes!" rief Polyhymnia.
"So sei es denn." schloss
Kalliope. "Ich suche ein Kind, den Geist zu binden. Findet euch
morgen in der tiefsten Nacht wieder ein, dann soll die Schöpfung
beginnen."
So trafen sich die Musen unter
bestirntem Himmel am Quell. Dort beschworen sie über dem Leib
des Kindes die vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und in
den Reigen der Vier mischten sie jene Geister, mit denen ihr Kuss die
Künstler beseelte: Klio den Geist der Geschichte, Melpomene die
Trauer der Tragödie, Terpsichore die Freude des Tanzes, Thalia
das Lachen der Komödie, Euterpe den Klang des Flötenspiels,
Erato das Sehnen der Liebesdichtung, Urania den Sternenblick,
Polyhymnia den Schall der Hymne und Kalliope den Geist der
Wissenschaft.
"Seht unseren Sohn!" jauchzte
Thalia nachdem der Zauber vollbracht.
"Der schönste und klügste
und schöpferischste Jüngling wird er werden." seufzte
Erato.
"Man wird sich an ihn erinnern,
auch in fernsten Zeiten noch." pflichtete Klio ihr bei.
"Seine Kunst wird die Welt aus
jeder Trauer erheben." flüsterte Melpomene.
"Und tanzen werden die Menschen,
ihn zu ehren!" flohlockte Terpsichore.
"Der strahlendste unter ihnen wird
er sein." verkündete Polyhymnia.
"Denn die Rätsel der Welt
werden sich ihm nicht verschließen." ergänzte
Kalliope.
"Der Wind wird seine Lieder
singen." sprach Euterpe zu Urania "Und Akakios soll sein
Name sein."
Da trat die Göttin Kybele aus dem
Gebüsch, hinter dem verborgen sie das Treiben der Musen
beobachtet hatte. Sie war von Zorn beseelt auf Attis, der ihre Liebe
verschmäht und sie gedemütigt hatte.
"Töchter der Mnemosyne!"
rief sie schallend "Ist es euch nicht verboten, zu erschaffen
und die Welt in neue Form zu prägen?"
Erschrocken knieten die Musen nieder,
den Leib ihres Sohnes hinter sich verborgen.
"Kybele, wir bitten dich, verrate
nicht, was wir getan! Er wird getötet werden und wir bestraft!"
Der Mund der Kybele verzerrte sich in
grausamer Lust.
"Was gebt ihr mir für mein
Schweigen, Schwestern der Künste? Ich will ein Blutopfer, wie es
einer Göttin geziemt."
"Es ist kein Blut in uns, Kybele!"
"Doch in eurem Sohn."
Da schrien die Musen auf vor Angst und
drängten sich um ihr Kind.
"Töte ihn nicht, Kybele, wir
flehen dich an! Ewig wollen wir dir zu Diensten sein, aber töte
nicht unser Kind!"
Und Kybele lachte zufrieden.
"So
sei es. Ihr seid mein, Schwestern der Künste. Und euer Sohn ist
es ebenso." Damit entriss sie Akakios den Musen und gab ihn zu
schlechten Menschen, die ihn grausam erzogen. Denn musste sie auch
seinen Körper am Leben erhalten, so wollte sie doch die Geister
der Musen in ihm töten. Dennoch wurde Akakios schön und
stark, und was die Musen für ihn prophezeit hatten, traf ein.
