Danke für die Reviews. Ihr glaubt gar nicht wie erleichtert wir waren, als wir festgestellt haben, dass doch jemand unsere Geschichte liest :-) knuddel
So
reifte Agape zu einer jungen Frau. An einem Gewitterabend klopfte ein
weit gereister Pelzhändler an die Tür ihres Vaterhauses.
"Ich
bitte um Obdach, guter Mann." sprach der Händler "Es
soll mir gefallen, dich fürstlich dafür zu entlohnen."
Doch
Yannis winkte ab und Agape rief: "Erzähle uns lieber von
deinen Reisen. Geschichten sind uns kostbarer als Gold."
Und
der Pelzhändler nahm an dem Tisch platz, wo Agape saß und
Pajida, ihren Lieblingsganter, auf dem Schoße hielt.
Die
Schönheit der jungen Frau bezauberte den Händler. Er begann
gleich zu berichten von Akakios, einem Sänger von gar köstlichem
Angesicht. Auch den Tanz und die Dichtkunst beherrsche der Jüngling
meisterlich, und sein Wissen sei schier unermesslich. Der Händler
sprach lange über die hohen Künste, mit denen jener die
Menschen auf dem Markte zu Athen bezauberte, wie nur ein Gott es
hätte tun können. Und Agapes Herz entflammte für die
Erzählung des Pelzhändlers, und in ihr wuchs der Wunsch,
nach Athen zu reisen, mit eigenen Augen das Wunder dieses Jünglings
zu sehen. Sie wollte ihn zum Meister nehmen und von ihm die ihr so
liebe Sangeskunst recht erlernen.
Am
nächsten Tage bat Agape ihren Vater, nach Athen reisen zu
dürfen, doch er verbot es im Zorn. Seine Tochter wollte er nicht
an die große Stadt verlieren. Wieder und wieder ersuchte Agape
ihren Vater vergebens. So schnürte sie eines Nachts ihr Bündel
und machte sich auf, zu Fuß die Stadt zu erreichen.
Nach
Tagen der Wanderschaft trat sie auf blutigen Füßen durch
die Tore Athens. Angstvoll, den holden Jüngling mit ihrer
ärmlichen Gestalt zu erheitern, versteckte sie sich zwischen den
Menschen, die auch gekommen waren, ihn zu hören. Doch Akakios
sah Agape dennoch in der Menge stehen. Ihre Schönheit rührte
sein Herz, und er verstummte. Seinem bezauberten Blicke folgend trat
die Menge von Agape zurück und Akakios schritt auf sie zu und
barg sie voll Liebe in seinen Armen.
Kybele
sah all dies mit Missfallen an.
"Lucas
kann uns auf den Tod nicht leiden." stellt Gabrielle beim
Frühstück fest "Und ich verstehe nicht, warum. Man
könnte fast meinen, er hat Angst vor uns. Dabei war ich gar
nicht so komisch zu ihm."
Erik
zuckt mit den Schultern.
"Julie
ist viel zu nett zu ihm." Gabrielle nimmt sich eine Traube,
wirft sie in die Luft und fängt sie mit dem Mund auf.
Sie
schaut Erik nach, als er wortlos die Küche verlässt.
"Ja,
ich räum den Tisch gern auch ganz allein ab!" ruft sie ihm
hinterher. "Männer." murmelt sie dann zu sich selbst.
Sie grinst. "Männer sind komisch."
Acht
Uhr. Lucas hat nicht einmal gemerkt, dass sie gegangen ist. Aber
eigentlich hat sie sich auch bemüht, ihn nicht zu wecken.Sie
klopft an die Tür des Musikzimmers und öffnet dann.
"Guten
Morgen."
Erik
sitzt im Schneidersitz auf dem Piano und arbeitet an einem
Notenblatt. Als Julie eintritt, schaut er auf.
"Guten
Morgen."
Mit
raschen Schritten geht siezu ihm, kramt ihre Noten hervor und
sieht ihn erwartungsvoll an.
"Lass
uns anfangen."
"Wärm
dich auf, danach singst du das hier." er schiebt ihr das Blatt
zu, an dem er gearbeitet hat. "A capella. Ich habe eine
Theorie."
Sie
nickt und beginnt ein paar Tonleitern hoch und runter zu singen,
während sie Eriks Blatt überfliegt.
"Wie
lautet deine Theorie?" Sie summt die Melodie, die er ihr gegeben
hat.
"Das
erfährst du, wenn es soweit ist. Ich möchte, dass du dieses
Monster..." er deutet auf das Blatt "... so gefühlvoll
wie möglich singst. Welche Emotion du ausdrückst, ist mir
gleichgültig. Und versuche gar nicht erst, alles richtig zu
machen, dieses Stück ist zu komplex für deine Stimme und
dein Umfang reicht nicht aus." er springt vom Flügel und
wirft ihr einen unbarmherzigen Blick zu, ehe er zum Fenster geht. "Du
kannst heute nur versagen. Fang an."
"Danke."
brummt sie "Genau das brauche ich heute noch. Lucas reist ab."
Stirnrunzelnd nimmt sie das Blatt auf und beginnt zu singen.
"Dein
Becken." unterbricht Erik sie nach ein paar Takten ohne sich
umzudrehen. "Erinnere dich, wie ich dich gestern eingerichtet
habe. Achte auf deine Atmung und deine Stütze. Noch einmal von
vorn."
Julie
beißt sich auf Zunge. Was ist nur heute mit ihm los? Er dreht
sich nicht einmal um, um ihr beim Singen zuzusehen. Sie schiebt die
Unterlippe vor, konzentriert sich auf ihre Haltung und setzt dann
erneut an.
"Nein,
Julie!" unterbricht er sie nach drei Takten wieder "Du
singst nur einen Laut, aber ich will trotzdem, dass du etwas
aussagst. Sprich von einem Gefühl, Liebe, Hass, Trauer, ganz
egal, stell dir dazu vor was du willst, aber vermittle mir dieses
Gefühl eindeutig und lass deinen Kiefer locker."
Sie
kräuselt die Nase. Lucas geht und sie tut nichts, um ihn zu
halten. Eigentlich hat sie ihm sogar das Gefühl gegeben, dass es
ihr egal ist, ob er nun bleibt oder geht. Sie weiß nicht mehr,
was sie überhaupt für ihn empfindet, wie soll sie da mit
Gefühl singen können?
Sie
setzt noch einmal ein.
"Julie, kontrollier dich!" mit einer aggressiven Bewegung
fährt Erik herum und bringt sie zum Schweigen. "Hör
mir zu! Liebe, Hass, Trauer." Er beginnt, die ersten sechs Takte
des Liedes zu singen, zärtlich, sehnsuchtsvoll. In Takt sieben
bricht seine Stimmung von einem Ton auf den nächsten um; ohne
das Tempo zu variieren spricht sein Gesang plötzlich von
blutiger, unstillbarer Rachsucht, weitere sechs Takte später
zerfließt seine Stimme in Einsamkeit, Verlust und
Hoffnungslosigkeit. "Das kommt alles von hier." er deutet
auf seine Kehle "Das hier..." er tippt an seine Brust "...
folgt der Stimme. Noch einmal von vorn."
Julie
starrt ihn an und kann sie kaum bewegen. Hinter ihren Schläfen
pocht es. Warum ist er heute so verdammt gereizt? Seine Darbietung
von 'Hass' hat ihr ernsthaft Angst gemacht.Dabei hatte sie
sich so auf diese Stunde gefreut... gehofft, Ablenkung finden zu
können von Lucas und dem ganzen Ärger.
In
ihrem Gesicht arbeitet es.Kannsie sich nicht einfach
hier hinsetzen und weiter zuhören, wie Erik singt? Im Gegensatz
zu ihr trifft er wenigstens die Töne.Aber wenn es nach
Erik geht, ist sie nicht zum Zuhören hier, nein, heute definitiv
nicht... Sie schluckt schwer.
"Du
hast doch gewusst, dass ich es nicht kann. Warum gibst du mir dann
dieses Blatt?"
"Du
verstehst nichts." Sein Blick nagelt sie fest "Jetzt hör
auf zu fragen und sing. Mit Gefühl und lockerem Becken. Los!"
Wütend
knallt Julie die Noten auf den Flügel.
"So
nicht! Verdammt, warum bist du so schlecht drauf? Ich habe nichts
dagegen, wenn du streng mit mir bist, aber verflucht noch mal, ich
habe keine Lust weiterzusingen, wenn du mich so anmachst!"
faucht sie und funkelt ihn böse an.
"Das
interessiert mich nicht. Sing jetzt! Sing von deiner
Wut auf mich, los!"
"Du
kannst mich mal!" Trotzdem greift sie nach den Noten und singt
noch ein letztes Mal.
Als
sie geendet hat, starrt Erik sie noch einen Moment lang zornig an.
"Sehr
gut." sagt er dann und seine Haltung entspannt sich merklich.
"Jetzt analysiere dich selbst. Was hast du gestern und heute
anders gemacht als in den Jahren davor?"
"Ich
könnte dich..." knurrt sie ärgerlich "Das war
alles nur Taktik? Du wolltest mich auf hundertachtzig bringen, nur
damit ich genug Wut habe, um zu singen?"
"Hätte
ich dich lieber wieder umarmen sollen?" fragt er betont trocken
"Geh, setz dich eine halbe Stunde auf die Terrasse und finde
heraus, was du anders gemacht hast."
Unzufrieden
runzelt siedie Stirn. Sie kommt sich vor wie ein Schulkind,
dass in die Ecke gestellt wird, um über seine Taten
nachzudenken.
"Du
hättest mich ruhig vorwarnen können." brummt sie
gereizt, nimmt ihre Jacke und verlässt das Zimmer.
An
der Rezeption winkt sie Gabrielle kurz zu.
"Was
ist passiert?" fragt die verwundert und klickt den Kalender zu.
"Dein
Bruder ist ein Sadist." grollt Julie und bleibt stehen.
"Und...?"
Julie
zieht die Augenbrauen hoch.
"Keiner
warnt mich vor und er quält mich mit seiner schlechten Laune,
damit ich so singe, wie er sich das vorstellt. Und dann schickt er
mich weg, damit ich über das Gelernte nachdenke. Ich fühle
mich grade als wäre ich acht Jahre alt und hätte irgendwas
Schlimmes verbrochen." Sie seufzt. "Und ihm macht das auch
noch Spaß. Du bist doch seine große Schwester... Große
Schwester dürfen ihre kleinen Brüder doch mal verhauen,
oder?" Sie grinst schief.
Gabrielle
ballt ihre Linke zur Faust und reibt mit dem Daumen über ihre
Fingerknöchel.
"Ich
weiß nicht, auf wen er gerade sauer ist oder ob er überhaupt
sauer ist. Aber es... es könnte dran liegen, dass in neun Tagen
der Todestag unserer... Naja, gewöhn dich am besten schon mal
dran, dass die Stimmung hier etwas den Bach runter geht..."
Julie
zieht eine Grimasse.
"Tut
mir leid. Ich hab mich eben einfach nur so wahnsinnig über ihn
geärgert." Sie tippt mit den Fingerspitzen auf dem
Rezeptionstresen herum. "Hast du heute Abend schon was vor?
Lucas reist ab."
"Oh.
Ich wollte etwas aufwendiger kochen... Wir könnten das zusammen
machen und du isst nachher mit. Das wäre schön."
Julies
Mundwinkel zuckt.
"Dann
müsste ich nicht allein kochen. Klar, ich komme." Sie
schaut auf die Uhr. "Halte ich dich vom Arbeiten ab? Eigentlich
sollte ich noch im stillen Kämmerchen über meine
Schandtaten nachdenken..."
"Nein,
ich spiele nur mal wieder das 'Erik will Aufnahmen in einer
bestimmten Reihenfolge machen'-Puzzle und sortiere jetzt die
möglichen Lösungen. Mein Ohr ist noch platt vom vielen
Telefonieren gestern."
Julie
grinst.
"Naja,
bevor er noch mal wütend wird, lege ich mich trotzdem mal zehn
Minuten in die Sonne." Damit winkt sie Gabrielle und geht nach
draußen.
Er
hockt wieder im Schneidersitz auf dem Piano. Als Julie den
Instrumentenraum betritt, hört er auf, seine Hände zu
bemalen, legt er den Federhalter neben sich und stützt sich mit
einem Ellenbogen auf sein Knie.
"Nun,
ist deine Analysen von Erkenntnis gekrönt?"
"Du
bist ein Sadist!" entfährt es ihr. Sie feuert ihre Jacke
auf den Stuhl. "Ich habe keine Ahnung, worauf du hinaus willst.
Also verrate mir, großer Meister, Engel der Musik, wie soll ich
Liebe in meine Stimme legen, wenn meine Beziehung gerade zerbricht
und ich nur noch Wut empfinde?"
Erik
schaut einen Moment lang zur Decke, dann fixiert er Julies Augen.
"Diese
Frage zu klären, ist nicht das Ziel unseres heutigen
Unterrichts. Aber ich sage es dir. Wenn die Realität nicht zu
deiner Aufgabe passt, träume. Mach dich frei von dem, was
außerhalb deiner selbst tatsächlich geschieht. Mach alle
Türen zu, schließe die Augen, lege deine Hände über
die Ohren. Versetze dich in eine Welt, in der du fühlen kannst,
was du fühlen musst. Sei autistisch. Und dann
sing."
"And
listen to the Music of the Night." summt sie. Sie hält
seinem Blick zum ersten Mal stand und tritt zu ihm an den Flügel.
"Versuchen wirs?"
"Willst
du nicht zuerst wissen, welche Theorie ich bezüglich deines
Technik-Gefühl-Problems habe?"
"Doch
klar, erzähl!" Gespannt hält sie seine Augen einen
Moment lang fest.
'Bernstein.'
denkt sie wieder 'Faszinierend.'
"Technik
verlangt Konzentration und mentale Körpernähe, Gefühl
bedeutet Zerstreuung und Selbstvergessenheit. Auch du kannst eine
Gleichzeitigkeit dieser Zustände herstellen, aber anscheinend
brauchst du dazu noch jemanden, der es aus dir herauskitzelt, dich
zwingt, dich sowohl auf deine Körperhaltung zu konzentrieren,
als auch eine intensive Emotion zu erleben und auszudrücken. Du
musst einen Weg finden, selber zu tun, was ich gestern und heute für
dich getan habe."
"Hm."
macht Julie nachdenklich "Ich bemühe mich ja. Und du
konntest das einfach gleich, nachdem du die Bücher gelesen hast?
Automatisch?"
Amüsiert
schüttelt Erik den Kopf.
"Wissen
allein ist wertlos; erst die Fähigkeit, es anzuwenden, macht es
zu einem Schatz." prüfend hält er ihr Gesicht im Blick
"Das weißt du selbst am besten, denk nur an deine Angst
vor der Dunkelheit."
"Ja."
seufzt sie und schneidet eine Fratze. "Manchmal nützt
Wissen gar nichts. Ich werde mich zusammenreißen beim Singen,
okay?" Sie legt den Kopf schief und betrachtet ihn. "Wenn
ich heute noch richtig gut singe, bekomme ich dann eine Belohnung?"
Erstaunt
Erik zieht eine Augenbraue hoch.
"Belohnung?"
"Ich
glaube, das würde mich zu Höchstleistungen anspornen."
Sie grinst.
"Ich
verstehe, was du bezweckst. Aber womit sollte ich dich belohnen?
Mit... einem Bonbon, wie ein Kind beim Arzt?"
Julie
lacht.
"Nee,
ich dachte, vielleicht würdest du was singen. Meinen Background,
den du auch auf dem Soundtrack singst... oder 'Music of the Night'.
Michael Crawford ist abartig und die einzige gute englischsprachigeVersion, die ich gehört habe, ist von einem Mann ohne
richtige Ausbildung. Natürlich nur, wenn du willst..."
"Oh...,"
er verzieht das Gesicht "Ich verzichte auf 'Music of the Night'
und den Text für 'In the Dark' müsste ich erst aus meinem
Büro holen. Doch ich singe gern etwas aus Mozarts Requiem für
dich. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi..." er breitet
theatralisch die Arme aus und lässt den Kopf hängen. "Lamm
Gottes, das du trägst die Sünden der Welt."
Julie
runzelt die Stirn.
"Dann
das Requiem." murmelt sie ein wenig enttäuscht "Gabrielle
hat gesagt, dass sie Requiems mag... Da fällt mir ein, wir
kochen heute Abend zusammen. Nur falls du rechtzeitig eine Pizza
bestellen willst." Sie lächelt ihn an.
"Ich
habe heute schon gegessen. Ganz abgesehen davon kocht Gabrielle
hervorragend. Nun." er nimmt auf dem Klavierhocker platz "Wir
sind noch nicht fertig. Nimm die Blätter zu 'Belong' und
versuche, es mit Gefühl und Technik zu singen."
Kopfschüttelnd
nimmt Julie die Noten auf. Irgendetwas ist heute anders. Das vorhin
war nicht nur ein Versuch, sie aus der Reserve zu locken. Ihm geht
der Todestag seiner Mutter wohl tatsächlich sehr nahe.
Schließlich
reißt sie sich los und versucht, jeden Gedanken an Lucas und
Erik aus ihrem Kopf zu verbannen, an etwas Schönes zu denken.
Sommer, Sonne... ihr erster Kuss...
"Und
bitte." Er greift in die Tasten.
Sie
schluckt. Henry hieß er, und es war kurz bevor sie mit Lucas
zusammen gekommen ist. In irgendeinem Park in Québec hat er
sie geküsst, und sie weiß noch jetzt, wie ihre Beine vor
Aufregung gezittert haben. Sie schließt die Augen und singt
"Das
kommt." meint Erik anerkennend, als sie geendet hat. "Ich
denke, du bist dabei, es zu begreifen." Er wirft einen kurzen
Blick auf seine Taschenuhr "Wir sehen uns morgen um neun wieder.
Ich muss jetzt zu einem schwierigen Kunden und Zugeständnisse
machen." Er knurrt leise und tippt gegen seine Maske.
Julie
lächelt ihm mitfühlend zu.
"Also
bist du heute Abend gar nicht da?"
"Ich
werde in meinem Zimmer sitzen und mir die Augen ausweinen."
entgegnet er sarkastisch.
"Schade."
murmelt sie, nimmt ihre Jacke und verlässt dann ebenfalls den
Raum.
"Du
musst auch stillhalten." murrt Gabrielle und lässt das
Wattestäbchen, mit dem sie den Kleber auftragen will, sinken.
Erik
schließt die Augen.
"Ich
hasse es."
"Ach?
Wirklich?" Gabrielle schnaubt "Du zwingst dich selber dazu.
Es ist dein Entschluss, dich mit diesem Kunden ohne Maske zu treffen.
Du hast dich untergeordnet. Jetzt lass mich diese verdammte Nase
ankleben!"
"Ich
will nicht, dass mich Julie so sieht."
"Was
hast du gesagt?"
"Ich
sagte, du sollst dich beeilen."
Gabrielle
schüttelt den Kopf.
"Wenn
ich mich beeile, gibt das nichts. Jetzt halt still, sonst lass ich
dich nachher in den Spiegel sehen." Julie... was hat er nur
heute mit Julie!
Gegen
acht Uhr abends steht Julie vor der Tür des Haupthauses und
klingelt.
In
eine übergroße weiße Kochschürze und ein
schwarzes Kopftuch gewandet läuft Gabrielle durchs Foyer, um zu
öffnen.
"Du
hättest auch einfach über die Terrasse reinkommen können."
grüßt sie Julie.
"Och."
Julie zuckt mit den Schultern "Ich wusste nicht, ob ich noch
störe." Sie schwenkt ein Päckchen. "Ich hab dir
auch was mitgebracht. Größe siebenunddreißig,
blau-rot und extra-warm."
"Oh."
Gabrielle lächelt angestrengt "Danke, das ist lieb. Ich
werde sie gleich anziehen, wenn wir mit Kochen fertig sind."
"Schön."
Julie folgt ihr in die Küche und hängt ihre Jacke über
einen Stuhl. "Was kochen wir denn feines?"
"Eine
Bouillabaisse." Gabrielle nimmt einen Fisch von der
Arbeitsplatte und hält ihn neben ihr Gesicht "Schau ihm in
die Augen und sag ihm, dass du ihn nicht magst."
Julie
erschauert.
"Tote
Fische sind mir unheimlich. Hast du irgendwo Gemüse zum Putzen?"
"Hör
dir das an, Frank." entrüstet schaut Gabrielle den Fisch an
"Du bist ihr unheimlich! Vielleicht solltest du ihr etwas liebes
sagen, damit sie ihre Meinung ändert... So, du willst nicht? Na
dann..." sie knallt den Fisch auf die Arbeitsplatte, nimmt ein
Küchenbeil aus dem Messerblock und hackt dem Tier den Kopf ab.
"Armer Frank." prustet sie dann gezwungen "Aber seine
sozialen Fähigkeiten waren wirklich unter aller Sau."
Julie
beobachtet die Szene mit aufgerissenen Augen.
"Manchmal
bist du irgendwie beängstigend. Wenn ich dich so mit
dem Messer sehe, könnte ich mir glatt vorstellen, dich doch
als meinen Bodyguard zu engagieren, wenn es dunkel wird." Sie
grinst. "Sag mir was ich tun soll, dann helf ich dir."
"Hol
dir den Gemüsekorb von da hinten." Gabrielle deutet mit dem
Beil auf das andere Ende der Küche "Messer sind hier im
Block. Wieso bin ich beängstigend?"
"Wegen
demarmen Fisch." Julie holt sich Gemüse und Messer
und beginnt, Zwiebeln und Knoblauch zu schneiden. "Du hast ihn
enthauptet wie ein Ninja." Sie schmunzelt.
"Ach,
Frank hat nichts mehr gespürt. Grausam war der Fischer, der ihn
aus dem Meer zog und ersticken ließ."
"Ich
dachte, die werden mit einem Hammer erschlagen." Julie
schmunzelt "Armer Frank, aber es dient jaeinem guten
Zweck."
Gabrielle
prustet los, ehrlich diesmal.
"Ich
sehe es vor mir, hunderte von Männern mit einem Hammer in der
Hand, die auf riesige Netze voller Fische eindreschen..."
Julie
runzelt die Stirn. Na hoffentlich bessert sich Gabrielles Laune damit
dauerhaft. Wenn das nun den ganzen Abend oder sogar die nächsten
neun Tage so weitergeht...
"Wie
ist das Kundengespräch gelaufen, hat Erik etwas erzählt?"
"Oh...
nein, nach solchen Konferenzen kann man ihn in der
Pfeife rauchen, da geht er erstmal in sein Zimmer und hackt mit
seinem Schwert auf dem Baumstamm rum, bis er alle Beteiligten in
seiner Phantasie niedergemetzelt hat." Sie reibt sich mit dem
Handrücken über die Stirn und enthauptet den nächsten
Fisch "Aber morgen früh wird er erstmal wieder strahlen wie
ein junger Gott."
Julie
beobachtet die Szene und zuckt unwillkürlich zusammen, als das
Beil auf die Arbeitsunterlage knallt.
"Also
besteht keine Chance, dass er heute Abend mitisst?"
"Wenn
Besuch da ist? Sicher nicht... Bist du enttäuscht?"
"Merkt
man das?"
"Würde
man es merken, hätte ich dich nicht gefragt, ob du es bist."
Gabrielle klatscht eine Hand voll Eingeweide in die Kompostschüssel
neben sich. "Mach dir keine Hoffnungen, ich glaube nicht, dass
er in deiner Gegenwart essen wird, ehe deine Unterrichtszeit hier um
ist."
"Okay."
Julie zuckt mit den Schultern und schnippelt den Lauch in dünne
Streifen. "Ich hatte nur gehofft, dass er uns vielleicht
Gesellschaft leistet... Gestern Abend war es schon sehr lustig."
"Ich
glaube, Erik hat sich ehrlich gefreut, dass Lucas kotzen musste."
Julie
stöhnt auf.
"Die
beiden können sich wirklich nicht leiden.Naja, aber
Lucas ist jetzt erstmal weg." Sie beißt sich auf die
Lippe. Wieder allein nachts...
"Lass
uns eine Pyjama-Party machen!" verwegen grinsend dreht sich
Gabrielle nach ihr um "Wie dumme kleine Teenager. Wir schminken
uns gegenseitig und ich bürste deine Haare und mache dir
Zöpfchen."
"Jetzt?"
Julie lacht leise.
"Nein,
jetzt kochen wir. Aber nach dem Essen vielleicht. Wenn du magst."
"Klar,
auf mich wartet ja keiner mehr, der rummeckern könnte."
Julie verzieht traurig das Gesicht. Hoffentlich ruft Lucas heute
Abend an. Vielleicht sieht er endlich mal ein, dass auch er Fehler
macht. Aber wahrscheinlich passiert das ehnicht...
"Lucas
sollte wirklich netter zu dir sein." Gabrielle setzt einen Topf
Wasser auf und misst Salz ab "Wann kommt er wieder?"
"Gar
nicht. Ich hab ihm gesagt, dass ich erst wieder etwas von ihm hören
und sehen will, wenn er sich eingekriegt hat." Julie lässt
das Messer sinken. "Vielleicht sollte ich ihn nachher anrufen."
"Das
ist eine gute Idee."
"Mal
sehen." Julie schnaubt. "Er wird erwarten, dass ich wieder
klein beigebe und darauf habe ich keine Lust. Ich muss mich nicht vor
ihm rechtfertigen, wen ich mag und mit wem ich befreundet sein will.
Beschützertrieb hin oder her, im Augenblick übertreibt er
maßlos." "Er liebt dich sehr, denke ich."
"Wenn
er mich wirklich liebt, muss er gewisse Dinge akzeptieren."
"Männer."
entgegnet Gabrielle vage. "Gibst du mir das Gemüse bitte?
Ich glaube, ich hätte netter zu ihm sein sollen. Nur weil Erik
ihn nicht mag..."
"Lucas
war euch gegenüber aber auchnicht unbedingt nett. Er hat
von Anfang an ein Problem damit gehabt, dass ich hierher fliege."
Julie reicht Gabrielle das Gemüse und zieht die Augenbraue hoch.
"Warum verteidigst du ihn auf einmal"
"Ach,
einer muss doch den Anfang machen." Gabrielle kaut auf ihrer
Unterlippe herum, "Immer dieses Gezanke,Erik ist zum
abgewöhnen, wenn er sauer ist, und du kommst mit dem Lernen
nicht voran, das ist doch schlimm."
"Es
wird kein Gezanke mehr geben." entgegnet Julie störrisch
"Vielleicht kommt er überhaupt nicht mehr zurück."
"Ja."
Gabrielle schluckt "Aber du findest bestimmt bald einen neuen
Freund, der genau so... lieb ist, wie Lucas früher war, und
gutaussehend und all sowas."
"Ich
will gar keinen anderen. Nicht jetzt." brummt sie. Dann
zwingt sie sich zu einem Lächeln. "So und nun lass uns über
irgendwas schönes reden!"
Zufrieden
strahlt Gabrielle sie an.
"Darf
ich dir nachher die Fingernägel lackieren?"
Ungeduldig
klopft er an Gabrielles Tür und drückt die Klinke herunter.
Er ist schon halb eingetreten, als er die Warnung hört: "Julie
ist da!" Mit einem Knall und einem unterdrückten Fluch
schließt er die Tür wieder und hastet in sein Zimmer, um
seine Maske aufzusetzen.
Julie
versucht, sich zu Gabrielle umzudrehen, die gerade dabei ist, ihr die
Haare zu bürsten.
"Was
hat er denn?" fragt sie verwirrt und deutet mit dem Kopf auf die
Tür, was dazu führt, dass die Bürste an ihren Haaren
reißt.
"Keine
Maske auf."
Julie
verdreht die Augen.
"Manchmal
stellt er sich auch an..."
Gabrielle
seufzt und schüttelt den Kopf.
"Vielleicht
verstehst du es irgendwann."
"Nerven
tut es trotzdem." Julie schließt die Augen und hält
wieder still, während Gabrielle weiterbürstet.
"Nur
weil du ihn nicht verstehst." beharrt Gabrielle störrisch
und zieht Julie einen Scheitel.
Die
zieht eine Grimasse sagt aber nichts mehr.
Als
es wieder klopft, hört Gabrielle auf zu bürsten.
"Komm
rein."
Erik
streckt den Kopf herein.
"Eben
hat die Leiterin des Nonnenchors angerufen, um sich zu beschweren,
dass die versprochene Nachricht von meiner Sekretärin bezüglich
der Terminverschiebung nicht angekommen ist. Wieso hat sie keine
Nachricht und woher hat sie die Nummer meines Privatanschlusses?"
Gabrielle
faltet ihre Hände im Schoß und senkt den Blick.
"Ich
habe mich telefonisch zu melden versucht, aber niemanden erreicht,
und über die restlichen Aufgaben einen schriftlichen Nachtrag
vergessen. Und vorgestern habe ich ihr vom falschen Account aus
gemailt, dem mit deiner privaten Nummer in der Signatur."
Erik
nickt langsam.
"Bring
das morgen irgendwie in Ordnung, ja?" Dann lehnt er den Kopf
gegen das Türfutter und sein Blick wird zärtlicher "Wie
fühlst du dich?"
"Es
geht mir gut. Julie schläft heute Nacht hier. Wir haben
Bouillabaisse gekocht."
Julie
hat sich unterdessen ein wenig bequemer hingesetztund die
Arme vor der Brust verschränkt. Dieses Nachthemd ist wirklich
eine Spur zu knapp. Sie hätte sich etwas übergezogen, wenn
sie damit gerechnet hätte, dass Erik zurückkommt.
Angestrengtbeschäftigt sie sich mit einem Leberfleck auf ihrem Knie,
damit sie das Gefühl loswird, zu stören.
Erik wirft ihr
einen kurzen Blick zu.
"Dann
wünsche ich euch noch viel Spaß." Damit verschwindet
er.
Verunsichert
schaut Julie ihm nach.
"Wenn
ich störe, sag es ruhig. Ich kann euch auch allein lassen, wenn
ihr noch etwas besprechen müsst."
"Nein."
macht Gabrielle langgezogen, legt ihre Arme um Julie und knuddelt sie
kurz, ehe sie beginnt, ihr einen Bauernzopf zu flechten "Du
bleibst schön hier. Wachst du eigentlich leicht auf?"
"Ja."
Julie zögert "Warum, schnarcht einer von euch so laut?"
Gabrielle
lacht.
"Nein,
aber manchmal träume ich schlecht oder werde nachts wach und
fühle mich nicht gut, dann gehe ich zu Erik und schlafe in
seinem Bett. Es wäre blöd, wenn du dann aufwachst, weil ich
rausgehe."
"Macht
nichts." Das war es also, was Lucas gehört hat. Julie
verzieht das Gesicht. "Ich kann schnell wieder einschlafen, wenn
ich weiß, dass du es bist. Außerdem bin ich ja heute
hier, da träumst du bestimmtnicht schlecht." Sie
lächelt aufmunternd.
"Ja,
vielleicht... So..." Gabrielle greift hinter sich und nimmt
einen Handspiegel vom Bett. "Das passt gut zu deiner Kopfform.
Wenn ich dann noch deine Augen betone und deine Wangenknochen
rausarbeite, siehst du aus wie... ich weiß nicht wer, aber,
aber auf jeden Fall sehr sehr schön."
Julies
Mundwinkel zuckt.
"Danke.
Aber du hast das jaauch gelernt, bei dir sieht am Ende jeder
hübsch aus."
"Naja,
fast jeder..." schränkt Gabrielle ein. "Außerdem
ist ein Künstler stets nur so gut wie das Material, mit dem er
arbeitet."
Mit
geschürzten Lippen dreht Julie ihren Kopf vor dem Spiegel hin
und her.
"Wenn
du das sagst..."
