Kapitel 18

Zwei Tage später schließt er leise die Tür von Studio 3 hinter sich.

"Fertig."

"Das heißt, der Vertrag ist erfüllt." Sie beißt sich auf die Lippen. Und wenn er jetzt keine Lust mehr hat, wird er sie einfach bitten können, zu gehen. Die letzten Tage hat sie sich zurückgehalten, und wenn er abends zu ihr gekommen ist, um sie zehn Schritte vor ihr Haus zu locken, hat sie ihn nachher nicht mehr mit zu sich hineingebeten. Aber diese Rücksichtnahme und die Selbstüberwindung, mit der sie ernsthaft versucht hat, nachts auf den Hügel hinauszugehen, haben ihn anscheinend nicht im Geringsten beeindruckt.Wenn er jetzt will, dass sie geht, kann sie nichts tun.

Erik nickt langsam.

"Ich würde sagen, du hast dir eine Woche Urlaub mehr als verdient. Ich bin stolz auf deine Leistung. Deine Stimme ist... meinen Erwartungen gerecht geworden."

Julie errötet.

"Danke. Das freut mich." Zögerndhebt sie den Blick und sieht ihn an. "Was meinst du mit 'Urlaub'? Was... was soll ich damit anfangen?"

"Was immer du willst. Erhol dich, lies ein Buch..." er zuckt mit den Schultern "Besuche deine Freunde in Québec - wenn es sich lohnt, für eine Woche zurückzufliegen."

Sie schüttelt den Kopf. Nicht zurück nach Québec... zu Lucas. Noch nicht.

"Ich würde gerne die Aufnahmen hören. Sogar Aimée kennt schon mehr Lieder aus dem Soundtrack als ich."

"Tatsächlich?" er schaut auf die Tapes in seiner Hand. "Dann sollten wir vielleicht einen Abstecher in den Hörsaal machen. Komm."

Zufrieden lächelnd steht Julie auf und folgt ihm.

"Ich bin sehr gespannt auf 'In the Dark'. Ich möchte echt mal hören, wie unsere Stimmen zusammen klingen. Aimée liebt dieses Lied."

"Traust du dich, es im Dunkeln zu hören?"

"Im Dunkeln? Hm... ich... aber du bleibst dabei?" Sie presst die Lippen fest aufeinander.

"Habe ich dich je im Dunkeln allein gelassen, Julie?"

"Nein."

"Warum fragst du dann noch?" er hält ihr die Tür zum Hörsaal auf und geht dann zielstrebig zur Musikanlage hinüber, um sie einzuschalten.

Julie lässt sich auf dem Sessel in der Raummitte nieder und lehnt sich zurück.

"Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich diesen Sessel liebe, oder?"

"Ja." er geht zu ihr und nimmt die Fernbedienung von der Lehne. "Ich erzeuge akustische Weite." erklärt er, als sich die Platten an den Wänden auf Knopfdruck drehen und die schallschluckende Oberfläche gegen eine -reflektierende getauscht wird. "Und nun..." er beginnt, das Licht zu dimmen "Entspann dich."

Sie zieht die Luft scharf ein, nimmt Eriks Hand und schließt die Augen. Sie spürt den Sessel noch unter sich... sie ist noch immer in diesem Raum, nicht draußen, und sie ist nicht allein. Hier wird ihr nichts geschehen... Langsam beginnt sie, wieder ruhiger zu atmen.

'In the Dark'... Bisher hatte sie nochkeine professionelle Aufnahme ihrer Stimme gehört, aber sie ist sich sicher, dass sie noch vor einem Monat nicht so gut gesungen hat. Und Eriks Stimme im Background... Sie hält die Luft an. Aimée hatte recht, das Lied ist perfekt.

Als das Licht wieder angeht, hält Erik ihre Hand noch immer fest.

"Das war sehr schön." flüstert sie.

"Und nun kommt 'Belong'..." er löst sich von Julie, hackt auf der Fernbedienung herum und der CD-Wechsler gehorcht.

Wieder lauscht sie mit geschlossenen Augen. Nicht schlecht... gar nicht schlecht. Aber 'In the Dark' hat in ihr ein ganz anderes Gefühl hervorgerufen. Als ihre Stimme mit Eriks verschmolzen ist... Sie dreht den Kopf und runzelt die Stirn.

"Das ist auch ziemlich gut."

"Natürlich ist es das." er setzt sich neben der Musikanlage auf den Boden "Ich hätte es nicht aufgenommen, wenn es schlecht wäre."

"Aber... meine Stimme klingt ganz anders."

"Du singst jetzt mit einer sauberen Technik. Das verändert den Klang."

Sie presst die Lippen aufeinander.

"Ich bekomme seit meinem sechsten Lebensjahr Gesangsunterricht, aber zu so einen Fortschritt hat mir noch niemand verholfen." sagt sie beeindruckt.

"Ein guter Lehrer kann viel für eine Stimme tun."

"Wann kann ich mir 'Fille Noire anhören?" Sie legt den Kopf schief."Ich meine, mit Musik und allem?"

"Heute Abend, würde ich sagen."

"Gut, dann... dann komm ich heute oder morgen nochmal vorbei, wenn dir das recht ist."

"Ich könnte dich auch heute Abend abholen." er erhebt sich und wischt automatisch über seine Hose.

"Gut, warum nicht." Sie versucht, möglichst desinteressiert zu wirken. "Um wieviel Uhr?"

"Um zehn? Statt einer Massage."

Julie rutscht aus dem Sessel und nickt.

"Statt einer Massage."

"Isst du lieber italienisch oder asiatisch?" fragt Erik nebenbei, ehe sie sich im Foyer trennen.

"Italienisch." Sie runzelt die Stirn. "Warum?"

"Reines Interesse. Bis heute Abend, Julie... Gabrielle..." wendet er sich seiner Schwester zu, als Julie das Haus verlassen hat "Miete ein italienisches Restaurant. Ein edles. Das ganze."

"Öh... Gut..." sie beginnt, an ihrem Computer herumzuklicken und zu tippen, wählt schließlich eine Nummer.

Ungeduldig trommelt Erik mit den Fingern auf dem Tresen herum, während Gabrielle versucht, dem Menschen am anderen Ende der Leitung klarzumachen, was sie will.

"Möchtest du was vorbestellen?" fragt sie nach einer Weile. "Muscheln?"

"Höchstens etwas edles. Nicht das, was sie jeden Tag zusammenschustern."

Gabrielle lauscht.

"Er sagt, in diesem Fall würde er von den Muscheln abraten."

"Hm... Ach, mach du das, ich habe keine Ahnung vom Kochen." er dreht sich weg "Das Kleid, das du für Julie nähst, wann wird das fertig sein?" fragt er im Weggehen.

"Bald... am 12. vielleicht... Pünktlich für eure Feier?"

Erik nickt

"Okay... Darf ich eigentlich mit?"

"Nein. Ich möchte einen Abend nur für Julie und mich machen... Der Streit hängt uns noch nach."

Gabrielle seufzt.

"Na gut. Dawson und Laura haben sich noch immer nicht geeinigt, sagt Maddie."

Er dreht sich noch einmal kurz um.

"Wie zu erwarten war." damit verschwindet er in seinem Zimmer.

"Schickst du mir das letzte Tape auch noch?" fragt Aimées verschlafene Stimme am anderen Ende der Leitung.

Julie klemmt den Hörer zwischen Ohr und Schulter und verteilt den Honig auf ihrem Brot.

"Ist schon unterwegs. Wahrscheinlich hast dus morgen." Sie leckt sich einen Tropfen von der Hand.

"Und was ist jetzt mit dir und... deinem Lehrer?"

Julie geht mit Teller und Telefon bewaffnet zurück ins Wohnzimmer.

"Was soll sein?"

"Na, du klingst nicht unbedingt so, als hättest du die Liebe deines Lebens gefunden. Er ist pervers, oder?"

Julie lacht leise.

"Nein, ist er nicht. Er hat nur ein paar schlechte Erfahrungen gemacht."

"Das haben sie alle." Aimée seufzt. "Also hast dus aufgegeben, oder hat er dir den Laufpass gegeben, oder was?"

Julie kuschelt sich in die Kissen.

"Nein, nichts. Wir hatten ein bisschen Streit. Wegen... wegen ein paar Sachen, die er mir von früher erzählt hat. Und weil Gabrielle gesagt hat, dass er jede..." Sie bricht ab und schließt die Augen "Er hat mir gesagt, dass er mich mag. Gern sogar. Aber..."

"Aber nicht mehr..." vermutet Aimée.

Julie zuckt hilflos mit den Schultern.

"Ich weiß nicht. Er sagte, dass er Angst hat, dass sich vielleicht mal mehr entwickeln könnte."

"Und das wäre schlimm?"

"Für ihn offensichtlich schon."

"Und was ist mit dir?"

"Ich weiß nicht... ich hab es mir irgendwie schon gewünscht. Aber nach dem Streit... Er dachte, ich wollte mich nur mit ihmüber Lucas trösten und danach... also, nachdem er gesagt hat, dass er Angst hat, dass wir irgendwie... Ich trau mich kaum noch an ihn ran. Er ist so ein... ich meine, er..." Sie seufzt "Ich will ihn nicht verlieren. Egal als was."

"Du bist also immer noch in ihn verknallt?"

"Ich hab versucht, eszu verdrängen und auf dich zu hören, aber... Es ist einfach da und ich kann nichts dagegen tun." Julie legt den Kopf zurück. "Jetzt fühl ich mich wirklich wiederwie vierzehn."

Aimée lacht.

"Oh, und weißt du was? Wir haben die drei Lieder, die ich eingesungen habe, in seinem Hörsaal gehört. Ein Traum, sag ich dir. Und 'Fille noire'... das musst du hören!"

"Hat er denn nochmal was zu dir gesagt, nachdem ihr euch gestritten habt? Ich meine, er muss doch merken, dass du ihm aus dem Weg gehst..."

Julie zuckt mit den Schultern.

"Er hat mich nach den Aufnahmen gefragt, ob ich lieber italienisch oder asisatisch esse."

"Will er dich ausführen?"

"Ich hab keine Ahnung. Eher nicht, würde ich sagen. Erik isst nie, wenn ich dabei bin."

Aimée prustet los.

"Was für einkomischer Kauz!"

Julie zwirbelt eine Haarsträhne zwischen den Fingern.

"Wo wir gerade von komischen Käuzen reden: Hast du Lucas mal wieder getroffen?"

"Hast du ihn angerufen?" fragt Aimée zurück.

"Ja, vor ein paar Tagen."

"Es geht ihm nicht gut."

"Ich weiß. Er hat mich gebeten, zurückzukommen und ihm noch eine Chance zu geben."

"Weiß er von dir und..."

"Nein!" unterbricht Julie sie hastig "Und da gibt es auch nichts zu wissen."

"Julie!"

"Er konnte Erik sowieso nie leiden, und wenn ich ihm jetzt noch erzähle, dass ich mich in ihn verliebt habe..." Sie schüttelt den Kopf "Nein, das braucht er nicht zu erfahren."

"Und wie geht es mit dir und Erik weiter?"

"Wie solls schon weitergehen, wenn er es nicht will?" Julie seufzt "Ich glaube, ich lass es einfach auf mich zukommen... Naja, ich leg jetzt mal auf. Ich bin ziemlich fertig von den Aufnahmen..."

"Das wird schon."

Julie zuckt mit den Schultern.

"Wenn du meinst..."

"Das sieht gut aus." verkündet Gabrielle am übernächsten Abend, während sie ein paar nicht vorhandene Fusseln von Eriks Schultern zupft. "Ich geh jetzt und komplimentier sie in ihr Kleid. Gib mir... eine Stunde."

Erik nickt und reibt nervös seine Handflächen gegeneinander. Er wird Julie zum Essen ausführen. Nur um das erfolgreiche Ende ihres Vertrages zu feiern, natürlich.

Er hat lange überlegt, ob er sie tatsächlich weiter unterrichten soll, und er hält sich bewusst, dass er ihr heute Abend immer noch sagen kann, dass sie zurück nach Québec fliegen soll. Andererseits liefen die letzten Tage recht gut. Sie hat sich von ihm ferngehalten und er hat es erfolgreich vermieden, nachzudenken oder nachzufühlen, wie es ihm damit geht.

Er könnte mit ihr tanzen, heute Abend. Er könnte auf sie zugehen. Er... er könnte etwas riskieren... nur ein kleines bisschen unverfänglicher Nähe... so wie das Halten ihrer Hand, wenn er sie von ihrer Massage zurück zum Haus bringt...

Unruhig beginnt er, auf und ab zu laufen. Schließlich holt er einen Umhang aus seinem Schrank und wirft ihn sich über.

Er kann es sich immer noch anders überlegen, versucht er, sich zu beruhigen. Jederzeit kann er umkehren und von der dunklen Wiese in sein hell erleuchtetes Haus zurückkehren.

Außerdem ist es ja in Wirklichkeit nur ein Geschäftsessen. Ein ordinäres, bedeutungsloses Essen mit einer Vertragspartnerin, die ihn abends nicht mehr in ihr Haus bittet.

"Julie? Julie, mach ganz schnell auf, ich hab dein Kleid fertig und du muss es sofort anziehen!" lautstark klopft Gabrielle an ihre Tür "Und die passende Schminke und Frisur kriegst du auch noch." grinst sie, als Julie öffnet und sie etwas entgeistert anstarrt.

"Was? Jetzt? Aber... ich bin grade beim Kochen und nachher wollte ich mir einen Film ansehen. Können wir das nicht morgen machen?"

"Nein, tut mir leid, morgen bricht die Apokalypse über die Welt herein und heute ist deine letzte Chance, noch mal richtig gut auszusehen."

Julie seufzt.

"Komm erstmal rein. Ich stell nur kurz die Kartoffeln ab." Sie verschwindet in der Küche. So viel zu ihrem ruhigen Fernsehabend. 'Der Name der Rose' wird wohlwarten müssen. "So,da bin ich, was muss ich tun?"

"Du könntest für den Anfang mal dein Korsett holen und dich seelisch drauf vorbereiten, auf sechsundfünfzig Zentimeter Taillenweite geschnürt zu werden."

"Ich dachte, du willst bloß sehen, ob das Kleid passt?" Stirnrunzelnd tapst Julie nach oben und holt das Korsett aus dem Schrank. Ihr Magen knurrt. "Ich ziehs schnell über... Moment." Nach ein paar Minuten kommt sie, in Korsett und Wollsocken, wieder nach unten.

Gabrielle schüttelt den Kopf.

"Sehr sexy, Spätzchen. Und ohne Korsett passt du nicht so perfekt in das Kleid, wie ich mir das vorstelle. Also... sechsundfünfzig Zentimeter." sie zückt ein Maßband und beginnt, Julie zu schnüren. Als die Taille sitzt, nimmt sie das Kleid vom Sofa und hält es für Julie auf "Dann steig mal rein..."

Kopfschüttelnd nimmt Julie das Kleid und betrachtet es.

"Das ist wirklich sehr schön geworden. Aber ich kann damit doch unmöglich zuhause rumlaufen und fernsehen."

"Nicht denken, anziehen." Gabrielle hilft ihr und hakt das Kleid zu "Und jetzt deine Haare... Ich mach was simples aber effektvolles. Und deine Sommersprossen werd ich nicht überschminken, ich mach dir nur die Augen und die Lippen. Und ein bisschen Rouge."

Julie lässt sich auf den Stuhl drücken und schließt die Augen, während Gabrielle ihre Haare bürstet und steckt.

"Du kommst auf seltsame Ideen. Ich dachte, du warnst mich vor, wenn das Kleid fertig ist und du mich zurechtmachst." Sie presst die Lippen aufeinander als die Bürste noch einmalin ihren Haaren ziept und dann ein paar Haarnadeln schmerzhaft über ihre Kopfhaut schrammen. "Wenn ich gewusst hätte, dass du vorbeikommst, hätte ich etwas mehr gekocht."

"Tja, so bin ich. Spontan und sowas. Guck mich mal an..." Gabrielle runzelt kritisch die Stirn, zupft und bessert herum, dann lächelt sie zufrieden "Einfach aber effektvoll. Ich liebe es. Und jetzt dein holdes Antlitz." sie zückt Wimperntusche, Kajal, Rouge und ein Töpfchen mit unauffälligem Lippenrot.

"Schminken? Du musst mich jetzt wirklich nicht noch schminken. Sean Connery wird mich nicht sehen." Julie deutet auf den Fernseher.

Doch Gabrielle schüttelt nur den Kopf und streckt ihre Zungenspitze heraus, während sie beginnt, Julies Augen zu umrahmen.

"Ich bin psychisch schwer krank und wenn du nicht tust, was ich dir sage, schmeiß ich mich auf den Boden und schrei." nuschelt sie ernst.

Seufzend zieht eine Augenbraue hoch.

"Okay, von mir aus. Ich finds nur... unnötig. Aber wenn du meinst, dass es sein muss..."

"Und wie ich das meine." Gabrielle wirft einen flüchtigen Blick in Richtung des Haupthauses und entdeckt Erik, der sich langsam nähert. "Augen zu..."

Julie gehorcht.

"Und was mach ich, wenn ich fertig bin? So kann ich jedenfalls nicht kochen." Ihr Magen knurrt noch einmal. "Siehst du, ich werde noch verhungern... Aber wenigstens seh ich dann gut aus." Sie grinst.

"Perfekt... Mund auf... nicht zum Essen, Lippenfarbe..."

"Aaah."

"Jetzt einmal beißen bitte..." Sie hält Julie ein Taschentuch hin. In diesem Moment klopft es an der Tür.

Erschrockendreht sich Julie um.

"Was ist denn jetzt?" Sie nimmt dass Tuch und beißt kurz darauf. "Machst du mal auf?"

"Uff..." Gabrielle lässt sich zu Boden sinken "Nach ider/i Arbeit? Tut mir leid, dazu bin ich zu schwach."

"iGabrielle/i!" Julie steht auf "Ich kann doch so nicht an die Tür gehen! Wenn das Erik ist... Er sucht dichbestimmt, und wenn er mich sieht, macht er bloß wieder eine komische Bemerkung..."

"Ja, er wird dir wieder so ein ekelhaftes Kompliment machen, sowas charmantes, igitt." Gabrielle röchelt "Nun zier dich nicht so und mach auf, der arme erfriert noch da draußen."

Zögernd geht Julie zur Tür und öffnet sie. Davor steht tatsächlich Erik, gekleidet in einen taillierten schwarzen Gehrock, einen Umhang über dem Arm. Sein langes Haar hat er zu einem altmodischen Zopf zusammengenommen. Für einen Augenblick steht Julie einfach nur da und starrt ihn an.

"Oh... Hallo, Erik... Gabrielle sitzt da hinten irgendwo im Wohnzimmer... und... auf dem Fußboden. Sie hat sich nicht davon abbringen lassen, mich in dieses Kleid zu stecken und zurechtzumachen... Ich..."

"Wenn du heute Abend noch nichts anderes vorhast, würde ich dich gern zum Essen ausführen, um den Abschluss der Aufnahmen zu feiern." sagt er ruhig.

"iMich/i? Aber... iSo/i? Das mit dem Kleid und dem Überfall von Gabrielle, das war Absicht?" Also hatte Aimée tatsächlich Recht. Sie blinzelt verwirrt. Erik will mit ihr Essen gehen? Essen...

"So ist es. Ich hätte dich darauf vorbereitet, aber Gabrielle wollte unbedingt eine Überraschung daraus machen."

"Wollte sie das?" Unsicher schaut Juliean sich herunter. Sie hat nicht einmal Gelegenheit gehabt, sich selbst zu betrachten. "Ähm, dann muss ich... Schuhe anziehen und..." Sie stützt sich am Türrahmen ab, während sie sich die Wollsocken auszieht. Schnell schlüpft sie in ihre Schuhe. "Dann müssen wir nur noch Gabrielle rufen."

"Nu-uh." immer noch auf dem Boden liegend winkt Gabrielle ab "Ich hab heute schon eine andere Verabredung. Sean Connery, du weißt schon... Ich finde ältere Männer unglaublich sexy."

"Du kommst nicht mit?" Sie dreht sich wieder zu Erik. "Aber..." Nur er und sie?

"Wir sind die Vertragspartner." Erik zuckt mit den Schultern und reicht ihr ihren Umhang.

Julie kräuselt die Nase. iVertragspartner/i. Also ist das alles nicht mehr als ein Geschäftsessen, das er mit jedem seiner Künstler macht?

"Natürlich." Sie knöpft ihren Umhang zu und wendet sich dann noch einmal an Gabrielle. "Also, falls du Hunger hast oder so... in der Küche steht noch mein halbfertiges Abendessen. Du musst nur noch die Kartoffeln zu Gratin verarbeiten."

"Oh, super..." Gabrielle reckt eine Hand hoch und winkt "Ich gebe Sean was ab."

Julie lächelt.

"Viel Spaß. Und grusel dich nicht."

"Ach was. Ich bin doch schon groß."

"Hast du den Brief verbrannt?" fragt Erik leise, als Julie die Haustür zuzieht.

"Gleich nachdem du mich darum gebeten hast." antwortet sie und hakt sich zögerlich bei ihm unter, als er ihr seinen Arm anbietet.

"Wunderbar. Und da kommt auch schon der Wagen." er deutet auf die schwarze Limousine, die sich in diesem Moment durch das Haupttor schiebt.

Julies Mund klappt auf.

"Ich bin noch nie in einer Limousine gefahren." sagt sie leise.

"Tatsächlich? Dann war es wohl eine gute Idee, nicht Gabrielles Ferrari zu nehmen." Er hält ihr die Tür auf.

"Den fährst du auch manchmal?" fragt sie belustigt. Irgendwie kann sie sich ihn nur mit großer Mühe hinter dem Lenkrad dieses roten Flitzers vorstellen. Sie rafft den Rock ihres Kleides und steigt ein.

"Gabrielle fährt. Ich habe keinen Führerschein."

"Oh." macht sie und blickt sich im Innern des Wagens um. "Die ist... riesig." staunt sie.

"Ja." Erik setzt sich auf den Platz ihr gegenüber und streckt seine Beine von sich "Fahren Sie los." ruft er dann dem Mann am Steuer zu.

"Ich komme mir vor wie auf einer Filmpremiere." murmelt Julie und sieht auf die Landschaft vor ihrem Fenster. "Du tauchst da nie auf, oder?" Sie wendet den Blick nicht von draußen.

"Nein. Warum sollte ich? Ich begutachte meine Arbeit lieber in Ruhe und allein."

Sie nickt. Bäume... Wald, und irgendwann andere Autos und Häuser. Stärker befahrene Straßen, Laternen... Sie kneift die Augen zusammen und versucht, ein paar von den vorbeifliegenden Schildern und Plakaten zu lesen, ohne sich wirklich darauf konzentrieren zu können. Erik lenkt sie ab... Er sieht so iverdammt/i gut aus... Wo sie wohl hinfahren? Brüssel? Oder eine ganze andere Stadt?

Schließlich hält die Limousine vor einem Restaurant. Julie rafft ihren Rock und lässt sich von Erik aus dem Wagen helfen. Ihre Augenbrauen schießen in die Höhe, als sie das große, noble Gebäude vor ihr betrachtet. Es muss unheimlich teuer sein, hier auch nur ein Glas Wasser zu bestellen. Unsichersieht sie Erik an.

"Hier?"

Er runzelt die Stirn.

"Natürlich. Komm..."

Sie lässt sich von ihm durch eine riesige Tür führen. Sofort kommt aus einer Ecke ein junger Italiener herbeigeeilt, der sie mit einer knappen Verbeugung begrüßt. Julies Blick gleitet über die edle Einrichtung, die Teppiche und Lampen. Seltsam, dass kein Kellner an ihnen vorbeiläuft, kein anderer Gast. Abwartendblickt sieErik an.

"Senor Erik, Senorina Deniaud, ich bin Paolo, der Geschäftsleiter, und begrüße Sie herzlich in meinem Restaurant." Der Italiener verehrt Julie einen Handkuss und schüttelt Erik mit einem sehr respektvollen Gesichtsausdruck die Hand "Ich habe alles nach Ihren Vorgaben herrichten lassen. Alonzo wird Sie nun an Ihren Tisch führen."

Erik nickt dem Geschäftsleiter zu und reicht dem blassen Kellner seinen Umhang.

Nachdem Alonzo auchihren Umhang abgenommen hat, hakt sich Julie erneut bei Erik unter und lässt sich mitziehen.

"Das... das ist doch viel zu teuer hier." flüstert sie. Für ein Geschäftsessen... Vielleicht wird er ihr am Ende des Abends einfach nahelegen dass sie nun nach Erfüllung des Vertrags doch besser zurück nach Kanada fliegen sollte. Sie wirft ihm einen ängstlichen Blick zu, kann aber nichts aus seinen Augenlesen.

Als sie den Speisesaal betreten, bleibt sie stehen. Ein großer Raum mit Parkettboden, ein Konzertflügel, an dem ein Pianist sitzt, überall riesige Grünpflanzen. Undin der Mitte des Raumes ein einzelner Tisch mit hohen Kerzen und einer schlanken Vase voll weißer Rosen.

"Wo sind die Gäste?" fragt sie verwirrt und sieht sich um. Nein, es gibt keine anderen Räume hier.

"Ich habe das komplette Restaurant gemietet." Erik wartet, bis sich Julie gesetzt hat, dann sagt er "Entschuldige mich kurz." und geht zu dem Pianisten hinüber, um ihn mit Handschlag zu begrüßen und ein paar Worte zu wechseln. Als er zum Tisch zurückkehrt, beginnt der Pianist, eine Beethovensonate zu spielen. "Ein alter Bekannter, außergewöhnlich talentiert." erklärt Erik, als er sich wieder setzt "Er war so freundlich, sich heute Abend zur Verfügung zu stellen."

Julie beugt sich vor.

"Erik, ich... ich weiß nicht was ich sagen soll..."

"Du hast sehr gut gearbeitet, das hier ist ein Zeichen meiner Anerkennung."

Sie lehnt sich langsam wiederzurück und sieht sich noch einmalum. Das alles überfordert sie etwas. Sie hatte fest damit gerechnet, dass sie den Abend mit einer Portion Kartoffelauflauf vor dem Fernseher verbringen würde, und nun sitzt sie in einem absoluten Nobelschuppen, völlig allein... mit Erik.

Als sich ihre Blicke treffen, lächelt sie zaghaft.

Ehe er begreift, was er tut, lächelt Erik zurück. Hastig senkt er die Augen.

"Senorina." der Kellner ist geräuschlos an ihren Tisch getreten und reicht Julie nun eine Karte. "Möchten Senorina schon etwas zu Trinken bestellen?"

Julie wirft Erik einen flüchtigen Blick zu und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Natürlich trinkt er nichts.

"Ein Glas Wasser." Sie schlägt die Karte auf und runzelt die Stirn. Keine Preise - natürlich nicht... und sie kann keinen einzigen der Namen aussprechen. Hilflos sieht sie auf.

Erik wirft dem Kellner einen kurzen Blick zu. Sofort beugt sich dieser über Julie und deutet mit dem Finger auf der Karte herum.

"Da hätten wir vegetarische Gerichte, hier Gerichte mit Rind, mit Schwein, Lamm, Geflügel, und diese sind mit Fisch."

"Ich nehme... das." Sie deutet auf einen sehr langen Namen und reicht dem Kellner die Karte zurück.

"Kalbsfilet auf Blattspinat, gedämpft, mit Pastinakenravioli." übersetzt Alonzo "Möchten Sie auch einen Salat dazu?"

"Nein, danke."

Unsicher schaut der Kellner in Eriks Richtung und kassiert einen weiteren scharfen Blick.

"Sen... Senorina möchten nicht vielleicht doch einen Wein? Sie... müssten nur sagen, ob lieblich, trocken, rot oder weiß, der... der Senor hat bereits eine Auswahl getroffen..."

"Oh." Sie schaut kurz zu Erik "Dann hätte ich gern einen trockenen Weißen."

"Prego." damit verschwindet der Kellner auf leicht zittrigen Beinen in der Küche.

"Hat der arme Kerl was falsch gemacht?" fragt Julie leise, als sie Eriks noch immer strengen Ausdruck bemerkt.

Erik räuspert sich.

"Er ist nicht gerade ein Oberkellner. Aber solange er deinen Wein und dein Essen bringt..."

"Ich komm mir wirklich total dämlich vor. Ich kann nicht mal die Karte lesen." seufzt Julie und lehnt sich wieder zurück.

"Und um solche Momente elegant zu lösen, gibt es gute Kellner."

"Machst du das immer nach Vertragserfüllung mit deinen Kunden?" Sie legt den Kopf schief und zupft an ihrer Serviette herum. Stoff - was hatte sie denn erwartet?

"Natürlich nicht."

"Wie... wie bist du dann auf die Idee gekommen, das bei mir zu machen?" Sie beißt sich auf die Lippen.

Erik zuckt die Schultern und macht eine kleine theatralische Geste.

"Inspiration."

"Hm." Etwas unbefriedigt von seiner Antwort reckt sie sich, um den Pianisten zu sehen. "War der auch mal dein Kunde?"

"Er war einer der ersten, mit denen ich gearbeitet habe. Wir haben viel experimentiert... Er ist heute nur zufällig in Brüssel, eigentlich macht er gerade eine Tournee durch die großen Musikhallen Europas."

"Ein... ein richtiger Konzertpianist?" flüstert Julie beeindruckt. Erik muss reicher sein und über mehr Einfluss verfügen, als sie gedacht hat. Wenn er es sich leisten kann ein komplettes Restaurant zu mieten und zur musikalischen Untermalung einen Konzertpianisten zu engagieren.

"Er hat hart dafür gearbeitet, und meine Aufnahmen haben eine erste Grundlage für seine Karriere gelegt."

Sie nickt. Fast so wie bei ihr.

In diesem Moment kommtder Keller zurück, bringt Julies Wein und beeilt sich dann, den Raum wieder zu verlassen. Julie kichert.

"Ich glaube, du hast den armen Kleinen ziemlich eingeschüchtert."

Erik nickt langsam.

"Es gibt Menschen, die haben Angst vor mir."

'Vielleicht hätte man weniger Angst vor dir, wenn du endlich mal deine Maske absetzen würdest.' Aber das sagt sie nicht laut. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl, um Alonzo nachzusehen.

"Ungewöhnlich für einen italienischen Kellner. Normalerweise machen die doch immer irgendeinen dummen Spruch, wenn man weiblich ist. Aimées Mann ist irgendwann mal richtig wütend geworden." Sie grinst.

"Ich denke, er weiß, dass ich ihm dafür den Hals brechen würde." murmelt Erik und spielt an einer der Kniefalten seiner Hose. "Hat Aimée 'Fille noire' gefallen?"

"Sie hat die CD heute Morgen bekommen und gleich angerufen, nachdem sie es gehört hat. Sie liebt es. Sie meint, du hättest Wunder bei meiner Stimme bewirkt."

Er lächelt.

"Das freut mich."

"Mich auch. Aimée ist klasse. Wenn sie sagt, dass es gut ist, dann ist es auch gut. Sie würde esmir eiskalt ins Gesicht sagen, wenn sie es scheiße fände." Julie verschränkt die Hände auf ihrem Schoß.

Erik nickt.

"Schmeckt dir der Wein?"

"Oh..." Sie trinkt einen Schluck und bewegt den Mund. "Lecker." meint sie dann "Nicht zu lieblich, genau wie er sein sollte."

"Gut. Wie lange arbeitest du schon mit Aimée zusammen?"

"Fünf Jahre. Ich hab sie kennengelernt, als ich bei einem Workshop mitgemacht hab. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden... Oh." sie tippt mit der Fingerspitze auf den Tisch "Und ich war ihre Trauzeugin vor vier Jahren." Sie schiebt die Unterlippe vor. "Ich hab dir doch gesagt, dass ich lange nicht mehr getanzt hab; najadas letzte Mal warauf dieser Hochzeit... Aimées Mann ist ein Riese, noch größer als du und Schultern wie..." sie streckt die Arme aus "So breite Schultern. Aber er wollte unbedingt mit mir tanzen, als ihm Aimée erzählt hat, dass ich Walzer mag. Und jetzt stell dir diesen Zwei-Meter-Berg mit mir vor! Dann kannst du dir ungefähr ausmalen, wie sichmeine Füße am nächsten Tag angefühlt haben." Sie kichert.

Erik lächelt mit einem Mundwinkel und nickt.

"Blau waren die... ich dachte, mir fallen die Zehen ab. So..." Sie legt die Hand auf den Tisch. "Und jetzt erzähl du mir was!"

"Oh..." Erik überlegt einen Moment "Ich arbeite zur Zeit wieder an einem Kurzfilmprojekt. Dazu arbeite ich mich in spanische und portugiesische Folklore ein."

"Glaubst du, du findest dazwischen trotzdem noch Zeit für... meinen Unterricht?" Julie presst die Lippen fest aufeinander. Mittlerweile ist sie fest davon überzeugt, dass er das alles hier nur macht, um die ganze Sache abzuschließen. Am Ende dieses Abends wird er sie bitten, abzureisen.

Unentschlossen mustert Erik ihr plötzlich etwas bleiches Gesicht.

"Natürlich." stößt er dann hervor und reibt sich mit der Hand über das Knie "Ich habe zwei Stunden täglich dafür eingeplant."

"Und was genau hast du da vor mit mir?" Sie kann ihre Erleichterung kaum verbergen.

"Ich will steigern, was zu steigern ist. Volumen, Stabilität, Umfang, Flexibilität, Geschwindigkeit... Ausdruck..."

Julie nickt und wendet sich um, als sie ein Geräusch hört.

"Da kommt mein Essen. Erschreck den armen Kleinen nicht noch mehr mit deinem vernichtenden Blick!"

Erik holt Luft, um etwas zu sagen, verbeißt es sich aber und bemüht sich stattdessen um einen freundlichen Ausdruck - der den Kellner jedoch nur noch weiter zu verunsichern scheint.

"Wie ichs mach, mach ichs verkehrt." seufzt er, als Alonzo wieder gegangen ist "Guten Appetit, Julie."

"Danke." Sie hebt kurz die Augen. "Du hast gar keinen Hunger?" Warum fragt sie überhaupt...

"Damit hat das nichts zu tun, Julie. Und das weißt du auch."

"Ja." sie seufzt "Das weiß ich." Sie konzentriert sich auf ihr Essen und blickt nur manchmal auf, um ihn anzusehen.

"Schmeckt es dir?" fragt Erik, als das Schweigen unbehaglich zu werden beginnt.

Julie nickt.

"Ja,sehr gut, danke." Sie nimmt einen Schluck Wein und faltet schließlich die Serviette zusammen. "Aber ich kann nicht mehr."

"Gabrielle hat dich zu fest geschnürt." bemerkt er nickend.

"Taillenmaß sechsundfünfzig... Gabrielle hat nachgemessen. Sie meinte, sonst würde das Kleid nicht passen."

Zögernd mustert Erik sie einen Moment.

"Dann sollten wir wohl besser auf einen langsamen Walzer tanzen, damit du nicht aus der Puste kommst." sagt er schließlich "Das heißt, falls du tanzen möchtest." er verkrampft seine Hände in seinem Schoß und schaut auf einen der Bäume in den Ecken des Raumes.

"Tanzen?" Julie sieht ihn mit großen Augen an. Nach allem, was in der letzten Zeit vorgefallen ist, hat sie am wenigsten damit gerechnet, dass er sie noch einmal zum Tanzen auffordert. "Gerne."

"Jetzt gleich?"

"Lass erst den Kellner kommen und abräumen." überlegt sie, und wie auf Kommando steht der verschüchterte Mann wieder neben ihr.

"Hat es Ihnen geschmeckt? Möchten Senorina vielleicht einen Nachtisch oder einen Grappa?" fragt Alonzo und bemüht sich krampfhaft, Julie beim Abheben ihres Tellers nicht zu bekleckern.

"Oh, nein, vielen Dank." sie lächelt den armen Kerl aufmunternd an, bevor er mit ihrem Teller wieder verschwindet.

Erik seine Handflächen gegeneinander. Dann gibt er sich einen Ruck, steht auf und verneigt sich leicht vor Julie.

"Mademoiselle, würdet Ihr mir die Ehre des nächsten Tanzes erweisen?"

"Mit dem größten Vergnügen, Monsieur." Sie reicht ihm ihre Hand, und mit einem auffordernden Blick zum Piano führt Erik sie in die Mitte des Raumes.

"Diesmal muss ich nicht einzählen." seine Stimme klingt heiser und eine Spur zittrig.

"Nein, dieses Mal nicht." Lächelnd legt sieihre Hand auf seine Schulter. Alles ist so perfekt. Das Essen, die Musik, und nun will er mit ihr tanzen... Aber ganz offensichtlich hat er eine Heidenangst davor.

Vorsichtig berührt Erik Julies Taille und lässt sich auf die Wärme ein, die von ihrer Haut durch den Stoff ihrer Korsage und ihres Kleides dringt. Immer wieder schließt er für einen Moment die Augen, bis er spürt, wie seine Furcht nachlässt.

Julie hat wieder das Gefühl, ein paar Zentimeter über den Boden zu schweben, auch wenn es diesmal ganz anders ist, als der Tanz auf der Lichtung, viel verkrampfter und... vielleicht auch bedeutungsvoller. Sie genießt jeden einzelnen Schritt, während sie sich fragt, was er wohl denkt, warum er noch immer solche Angst vor ihrer Nähe hat, obwohl sie ihm doch keinen Grund mehr dafür gibt. Und sie würde ihm so gerne etwas sagen, aber sie fürchtet, dass er dann sofort den Tanz abbrechen und an seinen Platz zurückkehren würde.

Langsam öffnet Erik seine Augen wieder und betrachtet Julies Gesicht. Sie ist schön, wunderschön, wenn sie glücklich ist. Ohne nachzudenken zieht er sie näher an sich.

Sie seufzt verhalten und widersteht dem Drang, ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen. Es ist so schön mit ihm. Wenn er sie nur nie wieder loslassen würde...

"Erik?" flüstert sie.

"Ja?"

Sie beißt sich auf die Lippen.

"Ich... ich lie..." Plötzlich dringt vondraußen ein ohrenbetäubender Knall zu ihnen. Julie zuckt zusammen und krallt sich in Eriks Arm.

"Was war das?"

"Ich weiß nicht..." er lässt sie los und geht zum Fenster hinüber, um auf die Straße hinunterzusehen. "Ein Auffahrunfall... Komm besser nicht her..." er wendet sich wieder zu Julie. "Vielleicht sollten wir jetzt besser zurückfahren."

"Jetzt schon?" Sie sieht ihn unglücklich an.

"Mir ist nicht mehr nach Tanzen zumute... Außerdem sollte jemand einen Krankenwagen rufen." Eilig geht er zur Rezeption hinüber und hebt das Telefon ab.

Julie lässt sich auf den Stuhl fallen und sieht den Pianisten traurig an. Vorbei. Es wäre auch zu schön gewesen. Irgendetwas geht immer schief, wenn sie sich näher kommen. Sie reibt sich mit der Hand über das Gesicht.

"Wir sollten hier verschwunden sein, ehe die Krankenwagen die Straße blockieren." meint Erik, als er zurückkommt.

Paolo in seinem Schlepptau äußert überschwängliches Bedauern.

"Es tut mir so unglaublich leid, Senor, Senorina. Ich hoffe, Ihr Abend war dennoch die Reise wert und es war alles zu Ihrer Zufriedenheit..."

Julie zwingt sich zu einem Lächeln, nach dem sie sich nun wirklich nicht mehr fühlt.

"Es war sehr schön." antwortet sie und steht auf, um zu Erik zu gehen.

"Nun, ich wünsche den Herrschaften noch einen schönen Abend."

Erik nickt dem Geschäftsleiter zu.

"Danke, Paolo." er legt Julie ihren Umhang um, den Alonzo bereits sehr dienstbeflissen herbeigetragen hat, und wirft dann seinen eigenen über. "Gehen wir?"

"Hm." macht sie und hakt sich bei ihm unter. "Ist es sehr schlimm da draußen?"

Erik nickt mit zusammengepressten Lippen.

"Du solltest deinen Blick besser auf den Wagen richten..."

Ängstlich klammert sie sich an seinen Arm.

"Okay."

Als sie die Limousine erreichen, hört sie von weitem die Krankenwagen näher kommen. Sie wartet, bis Erik ihr die Tür aufhält und steigt rasch ein.

Als das Geheul der Sirenen und die grellen Stadtlichter hinter ihnen liegen, lehnt Erik seinen Kopf an die Scheibe und sucht für einen kurzen Moment Julies Blick.

"Es war trotz allem ein schöner Abend." sagt er leise; dann schaut er wieder aus dem Fenster.

"Ja." entgegnet sie nur, ehe auch sie ihren Blick wieder nach draußen wendet.

"Halten Sie bitte auf dem Rasen vor dem Gästehaus." weist Erik den Fahrer an, bevor er auf den Kiesweg des Grundstücks einbiegt. "Oder möchtest du auch noch etwas gegen die Angst tun, Julie?"

Sie schüttelt den Kopf.

"Nein, heute nicht mehr." Rasch wirft sie einen Blick auf das Gästehaus. "Meinst du, Gabrielle ist schon gegangen?

"Bestimmt. Normalerweise schläft sie um diese Zeit bereits."

"Wartest du, bis ich im Haus bin?"

"Natürlich." er öffnet die Tür und hilft Julie beim Aussteigen.

Hastig schließt sie die Haustür auf. Das Licht funktioniert und die Wohnung ist verlassen.

"Dann sehen wir uns morgen?"

Er nickt.

"Morgen Abend zu deiner Massage."

"Schlaf gut."

"Du auch." antwortet er und nimmt sie kurz in den Arm, ehe er eilig zum Haupthaus hinübergeht und hinter der Terrassentür verschwindet.