Kapitel 19

Die Jahre gingen ins Land und Agapes und Akakios Liebe füreinander wuchs von Tag zu Tag.

Auch der Zorn und die Missgunst der Kybele wuchsen noch. Von Attis verschmäht, brannte sich das Glück der gegenseitigen Liebe wie ein Gift in ihr Herz.

Um ihr neidisches Gemüt zu besänftigen, sann sie darauf, einen Keil zwischen die Liebenden zu treiben.

Sie schlug Agape mit schrecklichen Alpdrücken. Doch Aphrodites Tochter blieb bei Akakios, und ihre Liebe nahm nicht ab. Da schlug Kybele die Herden des Paares mit einer Seuche, dass das Paar arm wurde und in Schulden geriet. Doch noch immer blieb Agape bei ihrem Mann, und ihre Liebe nahm nicht ab. Da tötete Kybele vor den Augen der Agape deren Vater Yannis und sprach: "Dies ist die Schuld des Akakios!" Doch Agape wich auch jetzt nicht von ihrer Liebe ab.

In brennendem Zorn kam nun Kybele über Akakios und schlug seinen Leib mit dem Angesicht des Todes, dass er einem jeden erscheinen sollte, als sei er aus dem Grab erstiegen. Und Pajida, den Ganter, verwandelte sie in einen Jüngling, köstlicher noch als Akakios es gewesen war, mit Haar, wogend und hell wie der Weizen, Augen, blau wie der Sommerhimmel, und einem Mund, rot wie die Beeren im Walde.

Als Agape von ihrem Tagwerk auf dem Markt heimkehrte, da verbarg sich Akakios vor ihr.

"Warum verbirgst du dich, Liebster?" fragte Agape.

Und Akakios schluchzte: "Gar schrecklich bin ich anzusehen, die Kybele schlug mich mit dem Angesicht des Todes."

"Ich fürchte keine Tat der Kybele. Zeige dich, Liebster!" verlangte Agape.

Da trat Akakios aus seinem Versteck heraus, dass Agape ihn sehe.

Und Agape sah ihn und schrie und floh aus dem Haus, hinaus auf den Hof. Dort stand Pajida, der Ganter, in Gestalt eines schönen Kämpfers.

"Rette mich, Krieger!" flehte Agape ihn an "Ein Ungeheuer lauert in meinem Haus!"

"Gleich will ich dich befreien, Agape." sprach Pajida, der die schöne Gestalt seiner Herrin schon als Ganter geliebt hatte.

Durch das Fenster sah Akakios, was sich im Hofe zutrug, und sein Herz brach in zwei Teile. Er sank auf seine Knie nieder.

"Soviel war sie wert, die Liebe der Agape?" klagte er "Nur mein Antlitz war es, das sie an mich band? Ich will sterben!" Und er nahm einen Dolch und stieß ihn in sein Herz.

Da fuhr triumphierend die Kybele in das Gemach, und über dem sterbenden Leib des Akakios sprach sie einen schrecklichen Fluch aus: "Geschlagen sollst du sein mit der ewigen Wiedergeburt. Ewig lieben sollst du Agape, ewig verschmähen soll sie dich, und ewig jagen soll dich Pajida!"

Aufatmend lehnt er sich gegen die Terrassentür und lässt sich zu Boden rutschen. Seine Hände zittern wie verrückt und sein Herz rast, aber er fühlt sich alles andere als schlecht. Viel eher... berauscht...

"Da bist du ja wieder." ohne das Licht einzuschalten tapst Gabrielle im Nachthemd durch die Küche. "Ist... ist alles in Ordnung?" sie runzelt die Stirn "Ihr habt euch doch nicht wieder gestritten, oder sowas?"

"Was? Oh, nein, nein, ich... bin nur den Weg zum Haus gerannt, weil ich gefroren habe..."

"Dann ist ja gut." sie lässt sich neben Erik auf dem Boden nieder und lehnt ihren Kopf an seine Schulter. "Julie sieht schön aus in dem Kleid, oder?"

"Das tut sie. Du hast wirklich gute Arbeit geleistet."

"Vielleicht sollte ich eine Nähwerkstatt aufmachen und Aufträge annehmen. Du könntest halbtags noch jemanden einstellen..." murmelt sie halbherzig.

"Wenn du möchtest."

Gabrielle seufzt.

"Nein... nicht wirklich... So, und jetzt komm." sie rappelt sich auf und zieht an Eriks Hand "Dir wird nicht wärmer, wenn du weiter hier sitzen bleibst. Und der Film war wirklich gut..."

Widerwillig folgt Erik seiner Schwester, doch er hat kein Ohr für das, was sie ihm erzählt. Er hat noch einmal mit Julie getanzt. Er hat sie umarmt... und sie hat ihn wieder gehen lassen...

Zur selben Zeit trommelt Julie ungeduldig mit den Fingern auf der Platte des kleinen Wohnzimmertisches herum.

'Geh schon ran, verflucht.'

"Ja, hallo?"

Sie zuckt zusammen, als nicht wie erwartet Aimées leises müdes Stimmchen, sondern Quentins lautstarker Bass am Apparat ist.

"Kann ich bitte Aimée haben?"

"Wer ist denn da? Julie? Wie gehts dir? Aimée hat erzählt..."

"Quentin, bitte bitte bitte gib mir ganz schnell Aimée! Ich erzähl dir das alles irgendwann mal." Julie wickelt eine Haarsträhne um ihren Finger und wippt ungeduldig mit dem Fuß.

"Aimée... bei Julie brennts..."

Es dauert kaum zwei Sekunden, bis Aimée keuchend das Telefon in ihre Gewalt gebracht hat.

"Schieß los!"

"Ist Quentin weg?" fragt Julie leise.

Am anderen Ende der Leitung hört sie, wie sich Aimées Mann beschwert und dann eine Tür ins Schloss fällt.

"Was ist mit dir und Erik?" flüstert Aimée in den Hörer.

Julie schließt die Augen.

"Er hat mich zum Essen ausgeführt."

"Na bitte!" schnaubt Aimée "Ich habs dir ja gesagt! Weiter und zwar in allen Einzelheiten, meine Liebe!"

"Also, ich hab dir doch von dem Kleid erzählt, das Gabrielle für mich näht. Und das musste ich ganz plötzlich anziehen und Gabrielle wollte mich unbedingt zurechtmachen. Und plötzlich stand Erik vor der Tür, in Gehrock und Umhang."

Aimée quiekt.

"Erzähl weiter, na mach schon!"

"Wir sind mit einer Limousine in ein Restaurant gefahren, das hat er nur für uns gemietet und... und da war ein Pianist und wir haben getanzt... Aimée, ich war so kurz davor..."

"Was? Wolltest du ihm was sagen?" fragt Aimée.

Julie nickt.

"Ja. Aber dann gab es einen Unfall draußen auf der Straßeund irgendwie wars vorbei. Wir sind wieder heimgefahren und... und hier vor der Haustür hat er mich plötzlich umarmt."

"Hat er was gesagt?"

"Nein, aber... aber er hat mich umarmt, ganz kurz! Ich glaube, wenn ich ihm was gesagt hätte... nein, es war gut, dass ichs nicht gemacht hab, er hätte sich bloß wieder in die Enge getrieben gefühlt."

"Und was machst du jetzt?"

Julie zuckt mit den Schultern.

"Abwarten. Er wird morgen wieder kommen und mich massieren." murmelt sie nachdenklich.

"Du hast eine ziemliche Geduld, was diesen Mann angeht. Dafür, dass du nicht weißt, wie wichtig oder unwichtigdu ihm tatsächlich bist."

"Er hat mich jedenfalls nicht gebeten, nach Québec zurückzufliegen."

Aimée schnaubt.

"Vielleicht wär das aber gar nicht so schlecht gewesen. Du solltest wirklichmal mit Lucas telefonieren."

Julie zuckt zusammen.

"Warum?"

"Nur so. Ich glaube, es wäre mal ganz gut. Aber sag ihm nicht, dass ich dir was gesagt habe."

"Ok..." Julie runzelt die Stirn "Naja, wir... wir hören uns die Tage nochmal, oder?"

"Klar."

Morgens früh vor der Arbeit klopft Gabrielle an Julies Tür. Bibbernd gräbt sie ihre Hände in ihre Hosentaschen und schaut in den bewölkten Himmel hinauf. Der Herbst hält wirklich mit einigem Aplomb Einzug.

"Morgen." ruft Julie und zieht sie in die Wohnung. "Erbärmliches Wetter. Was treibt dich so früh hierher?"

"Ich wollte nur mal gucken, ob das Kleid noch lebt. Haben alle Nähte gehalten? Und konntest du was essen oder hab ich dich zu eng geschnürt?"

"Nein, es war alles bestens." entgegnet Julie. "Soll ich Tee kochen?"

"Au ja. Es war gestern Abend verdammt kalt und windig, oder?" meint Gabrielle, eine Spur unsicher.

"War es das? Ich finde, heute ist es schlimmer." Julie wirft einen Blick nach draußen und zuckt mit den Schultern.

"Hmm... Aber ihr habt euch vertragen gestern Abend, oder?"

"Ja, kein Streit."Juliegießt das heiße Wasser in die Teekanne "Ich mag ja nicht schon wieder Ärger mit dir bekommen."

"Hm. Dann... dann ist er wohl wirklich zum Haus gelaufen..." murmelt Gabrielle und beobachtet den Dampf über dem Ausguss der Kanne.

"Wer ist gelaufen?"

"Ach, nicht so wichtig." Gabrielle winkt ab. "Was hast du denn leckeres gegessen gestern?"

"Kalb mit Spinat. Und Ravioli." Julie zieht zwei Tassen aus dem Schrank und stellt sie auf ein Tablett.

"Dein Kartoffelauflauf war auch gut."

"Das freut mich." sagt Julie, wenig begeistert. "Und der Film?" sie nimmt das Tablett mit dem Tee unddem Honig und geht ins Wohnzimmer, wo sie alles auf dem Tisch ablädt.

"Sean Connery war fast so lecker wie die Kartoffeln. Und Christian Slater... Adson von Melk, hach. In früher Jugend verführt, der arme kleine..."

"Hm, ich muss den Film wirklich mal ansehen." Julie gießt den Tee in beide Tassen, klammert sich dann an ihrer Tasse fest und starrt aus dem Fenster.

Gabrielle nickt.

"Der Film ist genau so gut wie das Buch. Nur anders."

"Hm."

Brummelnd rückt Gabrielle dicht neben Julie, dreht ihr Gesicht am Kinn zu sich und fragt, jede einzelne Silbe betonend: "Was ist los?"

"Was soll den los sein?" fragt Julie mit Unschuldmiene

"Wenn du keine Lust hast, mit mir zu reden, sags mir. Wenn dir was auf der Seele liegt, sags mir! Habt ihr euch doch gestritten? Oder... oder habt ihr etwa..." Gabrielle presst die Lippen zusammen. Das darf nicht sein, das darf nicht sein! Er hat gesagt, es ist nur eine Freundschaft!

"Nein... nein." Julie zwingt sich zu einem Lächeln "Es ist wirklich gar nichts, ich bin bloß ein bisschen fertig. Das Wetter macht mir zu schaffen, und als wir gestern gegangen sind, gab es einen Unfall vor dem Restaurant. Hast du was darüber gelesen?"

"Erik hats mir erzählt." Gabrielle verzieht das Gesicht. "Er hat gesagt, es hat das eine Auto völlig zusammengefaltet. Er meint, zumindest aus dem Wrack wäre keiner mehr lebend rausgekommen. Was fahren die auch so schnell, mitten in der Stadt..."

"Hm." macht Julie wieder und schaut in ihren Tee "Das war echt... schlimm."

Gabrielle seufzt und stellt ihre Tasse wieder ab.

"Ich geh mal wieder und überlasse dich deinen Gedanken."

Julie springt auf.

"Tut mir leid, ich wollte dich nicht verjagen. Ich bin heute bloß nicht so... kommunikativ, glaub ich."

"Macht ja nichts." Gabrielle legt ihre Hand auf die Klinke "Aber... aber wenn was ist, kannst dus mir ruhig sagen... egal was es ist... Ja? Ich werd nicht böse werden oder so, wirklich."

"Natürlich." Natürlich nicht... Gestern abend, nachdem Erik weg war und das Gespräch mit Aimée vorbei, ist ihr etwas klar geworden: Sie wird Gabrielle nie gestehen können, dass sie sich in Erik verliebt hat; ganz gleich, wie stark sich Gabrielle fühlt. Sie braucht Erik, sie erhebt Besitzansprüche. Es würde sie tief verletzen, wenn sie wüsste, dass es ihre einzige Freundin auf ihren Bruder abgesehen hat. Ganz unabhängig davon, dass Erik überhaupt keine Beziehung will.

Gabrielle lächelt.

"Dann ist gut. Ich sag dir ja auch alles, was wichtig ist..." damit verlässt sie das Haus und stapft eilig durch den einsetzenden Nieselregen zur Terrassentür zurück.

Julie sieht ihr nach und ballt eine Hand zur Faust.

"Scheiße." Gabrielle ahnt sicher etwas, und trotzdem lügt sie sie nochan. Dabei hat sie doch noch nie gelogen...

Es wäre vielleicht besser, wenn sie jetzt ihre Koffer packt und zurückfliegt. Der Soundtrack ist aufgenommen, alles andere ist bloß eine mündliche Vereinbarung, die sie zu nichts zwingt. Und sie sollte sich nichts einreden wegen einem Tanz und einer hastigen Umarmung.

Wenn sie jetzt abreist, würde Gabrielle nichts erfahren und sie würde Erik nicht weitermit ihren Gefühlen bedrängen. Alles würde für die beiden bleiben, wie bisher. Es wäre wirklich das Beste...

"Ja, hallo?" meldet sie sich und setzt sich im Schneidersitz auf das Sofa.

"Guten Abend, Julie. Ich weiß nicht, ob du in letzter Zeit einmal aus dem Fenster gesehen hast..."

"Erik..." Sie wirft einen flüchtigen Blick hinaus "Ja, gerade... es ist dunkel. Und windig." Sie klammert sich an den Hörer.

"Außerdem regnet es schon seit Stunden. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre, dich draußen zu massieren."

"Das heißt, du kommst nicht?" fragt sie mit mühsam unterdrückter Enttäuschung.

Erik holt Luft.

"Ich habe überlegt... dass in deinem Wohnzimmer genügend Platz sein könnte, wenn wir den Tisch unter die Galerie schieben."

"Oh." Sie presst die Lippen aufeinander. Er will wieder hierher kommen... Sie muss ihn nicht mal hereinbitten.

"Das heißt, wenn es dir recht ist, ist, dass ich..." er bricht ab.

"Oh... oh... ja. Entschuldige." sie schüttelt den Kopf. "Natürlich, komm vorbei."

"Gut, dann... erschreck dich nicht, wenn es in zwei Minuten bei dir klopft."

Julies Mundwinkel zuckt.

"Nein, werd ich nicht." Sie legt auf und beginnt, eilig die Teller abzuräumen und in die Spülmaschine zu sortieren. Gerade als sie dabei ist, den Tisch zu verschieben, klopft es auch schon an der Tür.

"Das ging wirklich schnell." sagt sie beim Öffnen.

"Ich habe mich beeilt. Draußen herrscht schreckliches Wetter." tropfnass drängt er an ihr vorbei in den Flur "Aber ab morgen soll es angeblich wieder besser werden."

"Brauchst du ein Handtuch?" fragt sie und schließt die Tür hinter ihm.

"Das wäre nicht schlecht. Mir ist Regen hinter die Maske gelaufen."

Julie zieht die Stirn kraus und mustert ihn einen Augenblick.

"Warte, ich... ich hol dir was." Sie geht nach oben und zieht ein Handtuch aus ihrem Schrank. Er wird seine Maske abnehmen müssen, aber sie bezweifelt, dass er zulässt, dass sie ihn dabeisieht. Egal was er behauptet, er verbirgt darunter sicherlich eine Entstellung, vielleicht ähnliche Verletzungen wie Gabrielle siean ihrem Körper hat. Möglicherweise noch schlimmer. Und wenn er nicht will, dass sie ihn so sieht, muss sie das respektieren. Schließlich würde sie Gabrielle auch nie bitten, ihre Perücken abzunehmen.

Sie geht nach unten und reicht Erik das Handtuch.

"Wo... wo das Badezimmer ist weißt du ja..."

"Danke." er verschwindet im Bad und schließt die Tür hinter sich ab. Sein erster Blick trifft auf den Spiegel über dem Waschbecken und lässt ihn zusammenzucken. Hastig dreht er dem Ding den Rücken zu, ehe er sein Gesicht und die Maske abtrocknet.

Julie verzieht den Mund und geht ins Wohnzimmer. Mit zusammengefalteten Händen setzt sie sichauf das Sofa, geduldig darauf wartend, dass Erik zurückkommt.

"Nun." meint er, als er das Bad wieder verlässt "Wenn du die Decke vom Sofa nimmst und über den Teppich legst, schalte ich das Licht aus."

Sie nickt, breitet die Decke aus und sieht ihn an.

"Fertig"

"Dann..." er macht das Licht aus "Leg dich hin. Auf den Bauch."

Gehorsam lässt sich Julie fallen, legt sich flach auf die Decke und schließt die Augen. Doch Erik kommt nicht zu ihr. Sie ballt die Hände zu Fäusten und beißt die Zähne zusammen. Es ist stockdunkel und er kommt nicht zu ihr...

"Erik?" ruft sie mit bebender Stimme.

"Ich bin hier, Julie." antwortet er ruhig "Zwischen uns liegen keine fünf Schritte."

"Warum kommst du nicht zu mir?"

"Ich komme gleich zu dir. Entspann dich, Julie."

"Erzähl mir was!"

"Wenn du möchtest und das Wetter wieder besser ist, könnten wir noch einmal zusammen in den Wald gehen und auf der Lichtung Walzer tanzen."

"Ehrlich?" flüstert sie und schluckt den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals bildet.

"Ja. Was macht deine Angst?" er geht eine hörbaren Schritt auf sie zu.

Sie atmet aus.

"Grade jetzt? Die ist ziemlich beschissen."

"Ich bin einen Schritt näher gekommen." er macht noch einen "Zwei Schritte."

"Ich hörs." Sie hält die Luft an. "Ich hab immer noch Angst. Aber mir ist nicht schlecht."

"Das ist sehr gut. Kannst du noch eine halbe Minute aushalten? Du bist in deinem Haus und niemand außer uns beiden ist hier."

Sie beißt sich auf die Zunge.

"Hm."

Langsam lässt sich Erik auf die Knie nieder und mustert Julie im schwachen Licht.

"Du bist wirklich tapfer."

Vorsichtig sucht sie nach seiner Hand und drückt sie kurz.

"Danke."

Er legt ihre Hand neben ihrem Kopf ab und rückt dann so dicht an sie, dass sein Bein fast ihren Körper berührt.

"Entspann dich."

Julie atmet tief durch und kneift die Augen zu. Erik ist bei ihr... in ihrer Wohnung. Ihr kann nichts passieren.

Er lässt die Hände sinken und verstummt.

Nach einer Weiledreht sich Julieauf die Seite und versucht, ihn anzusehen, aber außer seinen dunklen Umrissen kann sie nichts erkennen. Er hat sie heute länger massiertals sonst. Aber sie hat keine Ahnung, ob er nun sofort wieder die Flucht ergreifen wird.

"Wie fühlst du dich?" fragt er leise.

"Entspannt... noch."

"Was bedeutet 'noch'?"

"Naja, ich muss jetzt nicht ins Haus zurückgehen, also wird der Zustand wahrscheinlich etwas länger andauern. Nur wenn es dunkel bleibt, kommt die Angst irgendwann zurück." Sie verzieht das Gesicht.

"Soll ich das Licht anmachen?"

"Ich weiß nicht. Gehst du dann gleich wieder zurück ins Haupthaus?"

"Das hatte ich vor." Was nicht ganz der Wahrheit entspricht. Das Gästehaus ist heute der einzige angenehme Ort auf dem Grundstück...

"Hm..." Julie legt den Kopf wieder auf die Decke. Was soll sie jetzt nur sagen, damit er bleibt und sie ihm trotzdem nicht das Gefühl gibt, ihn zu bedrängen?

"Also? Soll ich das Licht anmachen oder noch hier bei dir bleiben?"

"Ich hätte nichts dagegen, wenn du noch etwas bleibst." Julie schließt die Augen. "Ich glaube, ich habe Gabrielle heute Morgen vergrault."

"Vergrault?"

"Ach, sie wollte alles mögliche wissen, über gestern und so... und irgendwie... ich hab kaum mit ihr geredet... hast du irgendwas von dem Unfall gehört?" Sie rollt sich wieder auf den Bauch und stützt den Kopf auf die Hände.

"Zwei Tote, ein Schwerverletzter."

Julie beißt sich auf die Lippen.

"Scheiße." murmelt sie.

"Du sagst es."

"Was hast du heute so gemacht? Aufnahmen für die Kurzfilme?"

"Nein, ich arbeite noch an der Komposition. Aber ich habe Shea Gawaine aufgenommen. Gabrielle war von der Stimme der Frau begeistert und hat mich bekniet, bis ich einen Vertrag mit ihr gemacht habe."

Shea Gawaine... Nie gehört den Namen. Und Julie hat heute überhaupt niemanden auf dem Grundstück gesehen. Ob er sich Shea genau so vorgestellt hat wie ihr vor mehr als einem Monat? Aber wenn Gabrielle von ihr begeistert ist, kann es nur bedeuten, dass sie nicht eine dieser Glamourtanten ist, die sich an Erik heranmachen. Und er ist jetzt hier bei ihr. Er hat sie massiert... Und er sitzt immernoch neben ihr...

"Es ist ganz schön dunkel." flüstert sie, als sie die Augen wieder öffnet.

"Soll ich das Licht anmachen?"

Und dann gehen?

"Ich weiß nicht." murmelt sie unsicher.

"Wenn du noch darüber nachdenken möchtest, setze ich mich aufs Sofa. Meine Beine schlafen langsam ein."

"Oh." Sie richtet sich auf. "Du... du kannst auch das Licht wieder anmachen, wenn du gehen willst..."

Erik schüttelt den Kopf.

"Ehrlichgesagt habe ich überhaupt keine Lust, schon ins Haupthaus zurückzugehen. Gabrielle hat gekocht und Miss Gawaine hat es recht offensichtlich nicht geschmeckt."

Julie lacht kurz auf.

"Das heißt es herrscht dicke Luft?"

"Spätestens seit Miss Gawaine versucht hat, sich in der Küchentür an mich zu pressen..." er schüttelt den Kopf. "In meinem Wohnzimmer tobt ein kalter Krieg."

Julie hält die Luft an.

"Sie hat versucht, sich... Ohje... und Gabrielles squirrely wrath kam über sie, ja?" Sie umklammert ihren Oberkörper mit den Armen. "Schläft sie bei euch im Haupthaus?"

"Squirrely was?" Erik runzelt die Stirn. "Und ja, sie schläft im Gästezimmer. Es wäre etwas übertrieben, dich für diese eine Nacht aus dem Gästehaus ausziehen zu lassen, oder Miss Gawaine auf dein Sofa zu verbannen..."

"Da danke ich dir... Ich glaube, ich würde mit dieser Frau nicht zurechtkommen, wenn Gabrielle sie schon hasst." Sie schluckt und grinst dann. "So und du kennst also tatsächlich nicht densquirrely wrath... Oft gehst du nicht ins Internet, oder?"

"Ich habe zu viele andere Dinge zu tun."

"Hm, als es wärmer war, hatte ich dieses T-Shirt an, mit einem psychedelischengrauen Vieh drauf. Das ist Foamy, ein chronisch angepisstesEichhörnchen... Ist ein Internetfilmchen - nicht so wichtig." Sie stützt ihren Kopf auf ihr Knie. "Diese Shea Gawaine... ist ihre Stimme gut?"

"Ja. Hätte ich dich nicht gehört, hätte sie den Soundtrack gesungen."

"Wieso hast du mich genommen? Sie hätte doch bestimmt keinen Unterricht gebraucht, oder?"

"Oh, sie macht auch einige Fehler, die man hätte ausbügeln müssen... Aber deine Stimme..." er zieht sich ein Stück von ihr zurück, indem er sich aus seiner Hocke in eine sitzende Position begibt "Deine Stimme hat etwas... ich weiß es nicht... Sie... hat mich berührt."

"iMeine/i Stimme?" Julie zieht eine Augenbraue hoch. Das gleiche hat sie über seine Stimme gedacht. Sie schließt die Augen und atmet tief durch. "Wie lang bleibt diese... Shea Gawaine noch?"

"Wir nehmen ein Doppelalbum auf und sie ist... nicht ganz einfach." er zuckt mit den Schultern. "Es ist geplant, dass wir morgen fertig werden, aber unter Umständen muss ich ein paar Tracks am Freitag nachschieben."

"Hm."

"Ich werde jetzt das Licht anmachen." mit einem leisen Stöhnen streckt er seine schmerzenden Beine durch und geht zum Schalter. "Mach die Augen zu."

"Sind zu."

"Gut." er blinzelt in das grelle Licht. "Wenn du möchtest, kannst du morgen um acht mit uns frühstücken." Damit schnappt er seinen Umhang und geht, ehe er auf die Idee kommt, Julie noch einmal in den Arm zu nehmen.

Langsam steht sie auf und schließt die Tür hinter ihm ab. Acht Uhr ist... Körperverletzung. Andererseits könnte sie sich vielleicht bei Gabrielle entschuldigen und ganz nebenbei noch einen Blick auf diese Gawaine werfen.

Als Gabrielle Julie am nächsten Morgen aus dem Gästehaus kommen sieht, springt sie von Eriks Schoß und läuft ihr entgegen.

"Guten Morgen!" kurz vor ihr hält sie an "Bist du wieder gut gelaunt?"

"Ja.Tut mit leid wegen gestern." Julie streicht ihr kurz über den Arm und wirft dann einen suchenden Blick über die Terrasse. Keine Spur von Shea zu sehen...

Gabrielle lächelt schief.

"Ist schon in Ordnung." sie seufzt "Diese... diese Tussi, die gleich rauskommt... Ich mag sie nicht. Ihre Stimme ist toll, aber..." sie presst die Lippen zusammen "Sie schmeißt sich an Erik ran, so richtig aufdringlich und fies... dabei kann sie ihn nicht mal leiden..."

"Kann sie nicht?" Julies Stimme ist tonlos und ihre Hände ballen sich unwillkürlich zu Fäusten, als sie sich vorstellt, wie sich diese Frau beiErik anbiedert. "Woher weißt du das denn?"

"Och, ich hab eins ihrer Telefonate abgehört." Gabrielle grinst dreist "Die Haussprechanlage... Du musst mir helfen, sie auf Abstand zu ekeln. Spiel einfach nur mit, du musst so tun, als wäre alles, was ich mache, vollkommen normal."

Julie grinst.

"Von mir aus. Meinst du... Erik macht da auch mit?"

"Nein. Er ist sauer auf mich. Oder er tut zumindest so."

"Hm... aber... glaubst du, sie hat mit ihrer komischen Tour bei Erik noch Erfolg?" Sie beißt sich auf die Zunge. Eigentlich will sie die Antwort gar nicht wissen.

Gabrielle zuckt mit den Schultern.

"Was weiß ich... das letzte mal, dass er sowas gemacht hat, ist schon ein paar Jahre her, aber er ist komisch in letzter Zeit. Und er hat schon die... die merkwürdigsten Weiber flachgelegt..."

"Aber gestern... hast du nichts gehört?" Julie schluckt heftig.

"Nein. Aber Shea hat." Gabrielle streckt ihre flache Brust heraus "Erik vögelt seine Sekretärin, wusstest du das nicht?" Dann schaut sie auf die Terrasse und verzieht das Gesicht, als Shea aus der Tür tritt und sich lasziv in den Stuhl neben Erik fläzt. "Willst du ganz ernsthaft mitspielen?" fragt Gabrielle noch einmal.

"Irgendwie muss ich meine schlechte Laune von gestern ja wieder gutmachen."

"Denn mögen die Spiele beginnen." Nach einem weiteren flüchtigen Blick zur Terrasse zieht Gabrielle Julie an sich, presst ihre Lippen auf ihren Mund und fasst ihr an den Hintern.

Überrascht zuckt Julie zusammen und holt tief Luft. Ein wenig um Fassung bemüht folgt sie Gabrielle danach auf die Terrasse und mustert Shea von oben bis unten. Doch ein Glamourgirl... Hochhackige Schuhe, die neueste Mode, tiefes Dekolletéüber Brüsten, die garantiert operativ vergrößert sind, das Gesicht eine Mischung aus Britney Spears und Anastacia. Julie beißt sich auf die Unterlippe. Plötzlich kommt sie sich mit ihren kaputten Jeans und ihrem Schlabberpulliwie eine graue Maus vor. Sie lächelt erstErik zu, dann Shea.

"Guten Morgen."

"Ach, Shea, guten Morgen." Gabrielle strahlt sie an "Wie hast du geschlafen?" Sie marschiert in die Küche und kommt kurz darauf mit ihrem Therapieplan, einem Block und einer Dose Tabletten zurück. Seufzend lässt sie sich in den Stuhl neben Julie fallen.

Deren Augenbraue zuckt unmerklich, als sie über Gabrielles Schulter schaut. Einen kurzen Moment blickt sie zu Erik, der die Augen geschlossen hält und mit den Fingerspitzen auf die Lehne seines Stuhls trommelt.

Shea atmet tief durch, dann produziert sie ein etwas säuerliches Lächeln in Richtung von Julie und Gabrielle.

"Guten Morgen. Ich habe... hervorragend geschlafen." sie räkelt sich ein wenig "Ich denke, ich werde heute gut bei Stimme sein."

Gabrielle nickt.

"Bestimmt. Wir sollten irgendwann mal zusammen singen, Shea." sie räuspert sich, zieht mit großer Geste ihren Pullover aus, und stößt ein paar halsbrecherische Koloraturen hervor, während Shea, plötzlich etwas blasser um die Nase, auf ihre zerstochenen, zerschnittenen Arme starrt.

"Das hast du schön gemacht." flüstert Julie - laut genug, damit Shea es hört - und streichelt kurz über Gabrielles Arm.

"Danke." Gabrielle nimmt ihren Block.

iLass uns sinnloses Zeug hin und her schreiben und anzüglich kichern./i

iPrima./i schreibt Julie zurück und grinst.

Gabrielle schaut Julie an, als hätte sie einen sehr gefälligen unsittlichen Antrag gemacht; schließlich prustet sie los, ein paar anzügliche Blicke in Richtung Shea schießend.

iGuck doch, sie fängt gleich an zu weinen./i

iWir sind schon ganz schön gemein zu ihr/i Julie hebt eine Augenbraue, wirft Shea einen kurzen Blick zu und dreht sich dann wieder zu Gabrielle.

iSie hat ihn am Telefon eine kranke Type genannt/i Nach einem gewinnenden Lächeln in Richtung Shea beugt sich Gabrielle über ihren Therapieplan, um leise murmelnd ihre Daten einzutragen.

iDumme Pute/i schreibt Julie zurück.

iSie will sich von ihm vögeln lassen, um ihre Karriere zu fördern./i

iKarrieregeiles Miststück./i

iIch kann sie sowas von nicht leiden.../i Gabrielle seufzt leise und spült dann ihre Phasenprophylaxe mit etwas Wasser herunter.

"Miss Gawaine, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir den Beginn der Aufnahmen vorziehen?" fragt Erik leise und öffnet die Augen.

"Aber nicht doch. Ich kann es gar nicht erwarten, endlich wieder für dich im Studio zu stehen, Erik." sie erhebt sich etwas ungrazil aus ihrem Stuhl, dann geht sie mit schwingenden Hüften vor Erik her in die Küche.

"Gabrielle und Julie, ihr wollt doch sicher den Tisch abräumen?" fragt der in scharfem Tonfall.

Julie beißt sich kurz auf die Lippen und wirft ihm einen entschuldigenden Blick zu. Was ist bloß in sie gefahren?

"Natürlich." antwortet sie tonlos.

Gabrielle nickt und schaut den beiden finster nach.

"Beinhart, dieses Miststück..."

"Ich glaub, ich muss kotzen."

"Du bist wirklich die einzige richtig Nette, die hier in letzter Zeit vorbeigekommen ist."

"Gabrielle, ich..." Julie bricht ab und verzieht das Gesicht "Diese Frau ist wirklich ätzend. Aber ich glaub, wir sind zu weit gegangen. Hast du gesehen, wie Erik gekuckt hat?"

"Pöh." Gabrielle kreuzt die Arme vor der Brust "Was haben wir denn gemacht? Wenn sie was gegen Lesben, Drogensüchtige und Leute, die sich schriftlich verständigen, hat, ist das ihre Schuld."

"Ja, aber Erik sah nicht sonderlich begeistert aus." Julie steht auf. "Ich glaub, ich räum den Tisch mal ab."

"Der hat nur schlechte Laune, weil er mit ihr ins Studio muss... Vielleicht hat er diese Weiber auch nur gevögelt, um sich dafür zu entschädigen, dass sie ihm vorher so auf die Nerven gegangen sind."

Hastig stapelt Julie die Teller aufeinander und stellt sie dann auf das Tablett.

"Ich räum das malin die Spülmaschine." flüstert sie.

Mit einem Seufzen lehnt Gabrille den Kopf zurück.

"Warum die Eile? Das wird mindestens drei Stunden dauern, bis die da wieder rauskommen. Und vorher gurrt Shea ihn noch an 'Oh, Erik, du hast so eine schöne Stimme, warum singst du nicht selber? Wirklich, ich hätte so iLust/i ein... iDuett/i mit dir aufzunehmen...'"

Mit zitternden Händen trägt Julie das Tablett in die Küche und stützt sich auf die Arbeitsplatte. All das hat sie irgendwann einmal selbst zu Erik gesagt. Sie schließt die Augen. Kein Wunder, dass er auf seltsame Ideen gekommen ist, wenn sie sich ihm genähert hat. Sie dreht den Wasserhahn auf und lässt einen Augenblick lang eiskaltes Wasser über ihre Hände laufen, um sich dann mit ihnen über das Gesicht zu fahren.

"Dir ist ja wirklich schlecht." Besorgt geht Gabrielle zu ihr an die Spüle und streichelt ihr die Schultern "Was ist nur los mit dir? Gestern warst du auch schon so komisch."

"Ach, gar nichts." Julie versucht zu lächeln. "Ich glaub, ich räum das jetzt weg und leg mich drüben was aufs Sofa."

"Bist du sicher?" skeptisch mustert Gabrielle ihr Gesicht "Ich komm mit und dann lästern wir." bietet sie an "Ich muss erst so um zehn wieder an die Rezeption."

"Sei mir nicht böse, aber ich glaub, ich muss ein bisschen schlafen. Dann wirds bestimmt besser." Julie schluckt "Aber wenn du Mittagspause hast, kannst du mal vorbeischauen."

"Und erzähl dir, wie Erik geguckt hat, als er aus dem Studio zurückkam, genau. Vielleicht bindet er Shea auch unten an seinen Baum und hackt sie in Stücke."

Julie starrt sie einen Augenblick entgeistert an

"Ich leg mich jetzt hin." Damit stürzt sie aus der Küche.

Erwartungsvoll klopft Gabrielle ein paar Stunden später an Julies Tür. In der Hand hat sie einen Korb mit Obst, Brot, Butter und Honig.

Etwas verkatert stiefelt Julie zur Tür und öffnet.

"Huhu."

"Na?" Gabrielle verzieht das Gesicht. "Entschuldige, aber du siehst richtig scheiße aus." sie umarmt Julie kurz, ehe sie an ihr vorbei ins Haus geht. "Hier ist ein Fresspaket für dich."

"Ich hab zwar keinen Hunger, aber trotzdem danke." Julie wirft einen Blick zum Haupthaus und schließt dann die Tür.

"Erik hasst Shea, jetzt ist es amtlich." zufrieden setzt sich Gabrielle aufs Sofa "Als er aus dem Tonstudio kam, war er so gereizt... so hab ich ihn das letzte Mal nach... nach eurem letzten Streit gesehen."

Julie schließt die Augen.

"Er ist bestimmt sauer wegen heute morgen. Immerhin musste er nachher noch mit der Tante ins Studio."

"Ach was... Wenn er sauer auf mich gewesen wäre... nein, dann hätte er noch anders geguckt. Ich weiß ziemlich genau wie er aussieht, wenn er sauer auf mich ist."

Julie lässt sich auf das Sofa fallen.

"Und wie sieht er aus wenn er sauer auf mich ist?"

"Hm..." Gabrielle überlegt eine Weile, schließlich meint sie: "Trauriger als heute."

Julie schüttelt den Kopf und presst sich die Hand auf den Bauch.

"Mir gehts immer noch nicht gut."

Gabrielle stöhnt.

"Jetzt reichts aber. Ich kann das nicht mit ansehen, wenn du so bist!" sie rückt dicht an Julie heran und legt ihr beide Hände aufs Bein "Sag was... Bitte..."

"Ich hab bestimmt nur was falsches gegessen." Julie verzieht den Mund "Oder ich werde einfach so krank. Um die Jahreszeit bekomm ich immer meine Erkältung." Sie streicht Gabrielle kurz über die Schulter. "Das wird schon wieder."

"Bist du sicher?" Gabrielle rutscht auf ihrem Platz hin und her "Vielleicht sollte ich dich zum Arzt fahren oder so...?"

"Gabrielle..." sie schließt die Augen und schluckt schwer. "Nein... es ist bloß... Ich... glaub, ich hab mich in deinen Bruder verliebt." Sie schüttelt den Kopf. Jetzt ist es raus. Jetzt wird Gabrielle gehen, und Erik wird sie bitten, ihre Koffer zu packen. Sie ballt eine Faust.

"Erik heißt er, Erik! Und was... was erzählst du da? Du... was... Du..." Gabrielle springt auf, setzt sich wieder hin, holt Luft und presst entsetzt hervor: "iWas/i!"

"Es tut mir leid... es ist einfach so passiert und er... er weiß auch gar nichts davon. Bitte sag ihm nichts... Er... er will mich doch sowieso nicht." Julie wagt es nicht, die Augen zu öffnen.

Gabrielle blinzelt und reibt sich hektisch über das Gesicht.

"Wie... warum... Aber... aber du kannst dich doch nicht in Erik verlieben!" schluchzt sie leise "Du... du kannst doch nicht... Und du bist doch meine Freundin!"

"Ich will ihn dir ja auchnicht wegnehmen. Ich hab ihm nicht mal etwas davon erzählt... und wenn du ihm nichts sagst, muss er gar nichts erfahren und ich reise ja eh bald ab. Dann seh ich Erik nie wieder und bleibe deine Freundin." Julie beißt sich auf die Lippen.

Stumm lässt sich Gabrielle gegen die Sofalehne sinken.

"Du fliegst doch frühstens fünf Monaten." flüstert sie.

"Ich könnte auch früher abreisen..." murmelt Julie tonlos.

"Nein." Gabrielle schüttelt den Kopf "Nein, das darfst du nicht, ich komm doch nicht raus hier und seh dich nie wieder."

"Aber dann begegne ich auchErik nicht mehr und du hast ihn ganz für dich und brauchst keine Angst zu haben, dass ich ihn dir wegnehme." Als sie Gabrielle endlich ansieht, stehen auch in ihren Augen Tränen.

"Aber ich hab dich doch lieb." hilflos krampft Gabrielle ihre Hände in ihren Rock.

Julie zuckt traurig mit den Schultern.

"Ich hab dich auch lieb, Gabrielle. Vielleicht könnte ich bleiben; wenn das alles ein Geheimnis zwischen uns beiden ist, erfährt Erik nie etwas davon und alles bleibt so, wie es ist."

"Nein, es ist schon alles anders. Weil du dich verliebt hast, und... und man kann sich nicht einfach entlieben..." Gabrielle kauert sich auf dem Sofa zusammen, wo sie reglos auf einen unsichtbaren Fleck auf ihrem Rock starrend sitzen bleibt.

Julie schneidet eine Grimasse und streichelt Gabrielle kurz über den Rücken.

"Das stimmt, ich habe es lange versucht, aber es hat nichts gebracht. Und dann warst du noch böse, weil ich kaum noch mit Erik gesprochen habe und ihm aus dem Weg gegangen bin. Ich werde zurück nach Kanada gehen." Sie seufzt.

Langsam setzt sich Gabrielle wieder aufrecht hin.

"Jetzt weiß ich endlich, warum ihr euch gestritten habt... Erik hat mir davon erzählt... Er hat gesagt, dass er Angst hat, dass du ihn verletzt, weil du... zuviel von ihm verlangen wirst... als Freundin... Aber ich glaube, er weiß, was du wirklich fühlst..." sie stützt ihre Stirn in die Hand und schüttelt sich. "Er vermutet immer das Schlimmste."

Das Schlimmste... Für Erik oder für Gabrielle? Das Schlimmste wäre, wenn sie ihn tatsächlich lieben könnte? Julie schließt die Augen und lehnt sich zurück.

"Ich hab ihm wirklich nichts gesagt... Und unser Streit... Ich... ich such mir den nächstmöglichen Flug raus und reise zurück."

"Ja, das ist vielleicht das beste." Gabrielle legt ihren Kopf in Julies Schoß. "Willst du wieder zu Lucas?"

"Nein."

"Du wirst mich hier sitzen lassen..." murmelt Gabrielle traurig.

Julie schluckt.

"Sieh mal, Erik kümmert sich doch um dich. Wenn ich jetzt gehe, habt ihr mich bald vergessen. Ich kann dir ja auch immer schreiben von Kanada aus..."

"Ja..." Gabrielle steht auf und geht langsam zur Tür. "Ich muss jetzt wieder arbeiten. Kommst du nochmal zu mir bevor du fährst?"

"Versprochen."

Fußnoten:

squirrely wrath Eichhörnchenzorn (Die Fomay-Filmchen sind zu finden unter