Kapitel 21
Mit einem leicht missmutigen Gesichtsausdruck klopft Gabrielle am nächsten Morgen an Julies Tür. Sie trägt nur eine Jeans und ein T-Shirt und reibt sich die Arme gegen die kühle Luft.
Julie fährt sich durch die Haare, ehe sie müde zur Tür geht. Verwirrt zieht sie eine Augenbraue hoch, als sie Gabrielles Gesicht sieht.
"Hey, was ist denn los?"
"Fährst du mit mir nach Brüssel?" Gabrielle quetscht sich an Julie vorbei ins Haus und lässt sich aufs Sofa fallen "Ich kriege einen Käfigkoller."
"Was, jetzt?" Julie schließt die Tür und folgt ihr. "Das geht nicht, ich hab um neun Unterricht."
"Du bist ja langweilig. Schwänz doch einfach."
Julie stützt sich auf die Sofalehne und betrachtet Gabrielle.
"Was ist los?"
"Was soll los sein?" Gabrielle verschränkt ihre Arme hinter dem Kopf. "Ich habe keine Lust, heute zu arbeiten."
"Aberich kann nicht einfach wegbleiben. Mein Unterricht ist der Grund, warum ich überhaupt noch hier bin." Sie lässt sich neben Gabrielle auf Sofa fallen. "Hast du dich mit Erik gestritten?"
"Na, was glaubst du? Er ist viel zu besitzergreifend und er denkt, er könnte alles kontrollieren, und ich... Pah. Er... er ist so..." Gabrielle knurrt.
"So schlimm?"
"Schlimmer." sie presst die Lippen zusammen.
"Worum genau ging es denn bei eurem Streit? Ich meine, das fällt dir doch bestimmt nicht erst jetzt auf..."
In Gabrielles Gesicht arbeitet es und sie wirft Julie einen unsicheren Blick zu. Dann schüttelt sie abwinkend den Kopf.
"Der Streit... der war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
"Hm. Aber ich glaub wirklich nicht, dass ich mit dir nach Brüssel fahren kann. Vielleicht heute Nachmittag, nach der Stunde."
Gabrielle schiebt die Unterlippe vor.
"Dann fahr ich eben allein... Aber Erik ist bestimmt auch noch sauer. Außerdem hat er gesagt, dass du große Fortschritte gemacht hast. Du kannst doch heute Nachmittag alleine üben. Oder ich übe mit dir. Ich weiß, wie Erik unterrichtet, und ich kenn deine Fehler, weil er mir davon erzählt hat."
"Aber..." Julie seufzt. "Ich weiß nicht, ob ihm das so recht ist..."
"Ach komm schon!" ärgerlich schlägt Gabrielle mit der Hand aufs Sofa "Warst du schon immer so brav oder hat mans dir antrainiert? Natürlich wird es ihm nicht gefallen, aber was will er schon groß tun? Wenn wir in der Stadt sind und Spaß haben, sind wir in der Stadt und haben Spaß. Und wie lange wird er dir für so eine Lappalie schon böse sein können?" sie dreht sich auf die Seite "Sag ihm, ich hätte dich gezwungen."
"Na gut, ich geh jetzt aufs Klo und dann überleg ichs mir, okay?" Julie beißt sich auf die Unterlippe. Sie wird Erik auf keinen Fall versetzen.
"Okay."
Auf dem Weg zum Bad schnappt sich Julie unauffälligdas Telefon und schließt die Tür hinter sich. Hastig tippt sie Eriks Nummer ein und wartet.
"Ja?" meldet sich seine müde Stimme.
"Hab ich dich geweckt?"
"Julie, guten Morgen." er unterdrückt ein Gähnen "Du hast mich nicht geweckt, ich habe nur ein bisschen gedöst. Warum rufst du an?"
"Gabrielle... Ihr hattet Streit, oder?" flüstert Julie."Sie will, dass ich heute schwänze und mit ihr nach Brüssel fahre."
"Oh..." Stoff raschelt, als er sich hastig aufsetzt "Wie... wie sieht sie aus? Ist sie blass?"
"Ja und sie ist viel zu dünn angezogen." Sie horcht einen Moment "Also, wenn das für dich ein Problem ist... ich könnte sie vielleicht irgendwie umstimmen..."
"Nein! Bloß nicht..." Er reibt sich mit der Hand über die Stirn "Traust du dir zu, mit ihr in die Stadt zu gehen?"
"Das hab ich schon oft gemacht..." Sie schließt einen Augenblick die Augen "Willst du... die Stunde heute nachholen, wenn ich zurückkomme?"
"Ja. Aber lass uns das besprechen wenn ich richtig wach bin. Ich habe die Nacht damit zugebracht, Gabrielle zu bewachen, ohne dass sie es merkt." er seufzt "Viel Glück mit ihr."
"Danke. Schlaf noch schön." Sie legt auf,betätigt die Spülung und verlässt das Bad ohne ihr Telefon. "Bist du wirklich sicher, dass du heute nicht arbeiten willst?" fragt sie, als sie das Wohnzimmer wieder betritt.
"Heute kommen fünf Posaunisten, ansonsten herrscht Ruhe. Wir haben einen Anrufbeantworter und die Tür aufmachen kann Erik wirklich schon allein... Sag mal, leihst du mir vielleicht einen Pullover?"
"Natürlich, vielleicht finde ich einen, in dem du nicht ertrinkst. Was hast du heute eigentlich in Brüssel vor?" Sie geht nach oben.
"Weiß nicht... Frühstücken auf jeden Fall. Dann will ich mir was zum Anziehen kaufen. Was, das Shea neidisch machen würde. Oder zumindest ein Top mit Spaghettiträgern." Gabrielle kratzt sich an der Nase "Mal gucken."
"Oh, dafür ist es jetzt allerdingsviel zu kalt." meint Julie mit einem Blick nach draußen, während sie die Treppe wieder hinunter hüpft undGabrielle einen Pullover reicht. "Ich tendiere zu Rollkragenpullis. Vielleicht strick ich mir einen."
"Erik trägt Rollis. Aber ich, iich/i..." Gabrielle schwingt dramatisch eine Hand durch die Luft "... will einen mit tiefem Ausschnitt... Und ich will einen Push-up BH." ergänzt sie etwas weniger vollmundig, während sie sich den Pullover überzieht.
Julie zuckt mit den Schultern.
"Von mir aus. Aber wir gehen nicht wieder in den Laden, in dem ich mein Korsett gekauft habe, oder?"
"Hatten die da überhaupt BHs? Ach, lass uns einfach Bummeln gehen, wir haben ja den ganzen Tag Zeit. Oder?"
"Hm." macht Julie und macht sich auf die Suche nach ihrem Handy. Nur zur Sicherheit...
"Uh, knapp!" quietscht Gabrielle, als sie vor einer gelben Ampel in die Eisen steigt.
Julie klammert sich an der Tür fest.
"Verdammt knapp, du hättest es fast noch bei Grün geschafft."
Gabrielle zuckt ein paar Mal mit einer Augenbraue.
"Nah, bei der nächsten. Drück mir die Daumen."
"Hm. Also wir frühstücken erst und dann kleiden wir dich neu ein?" presst Julie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Wenn dir noch schlecht von der Fahrt ist, kann ich mir auch was beim Bäcker holen, bevor wir einkaufen, und dann essen wir, wenns dir besser geht..." Gabrielle wirft ihr einen schuldbewussten Blick zu "Ich geb mir wirklich Mühe, besser zu fahren..."
"Du machst dich ja auch." Julie lächelt gezwungen "Wir essen jetzt erstmal was in irgendeinem Café... und wir trinken eine große heiße Schokolade, die macht nämlich glücklich."
"Sowas wurde früher gegen Depression verschrieben." meint Gabrielle, während sie zum Einparken kurz in ihre Rückspiegel schaut.
"Wenns mir schlecht geht, ess ich immerSchokolade... und Honigbrot."
"Wenns mir schlecht geht, fress ich Antidepressiva, schlafe fast gar nicht und kratze mir die Handflächen auf." Gabrielle schnaubt "Deins klingt besser."
Julie verzieht das Gesicht.
"Macht zwar dick, aber ich glaube, auf Dauer ist es gesünder für die Leber... So, und nun auf in den Kampf." kaum hat sie die Tür geöffnet, entdeckt sie schon wieder zwei Männer, die auf den Ferrari starren.
Gabrielle stützt sich auf das Dach des Autos und stiert die beiden böse an, bis sie ihren Blick bemerken.
"Das ist imein/i Ferrari. Kauft euch einen eigenen!" faucht sie dann und stampft auf den Gehsteig. "Komm, Julie, die Reizwäscheabteilung wartet auf uns."
Julie schmunzelt und lässt sich von Gabrielle mitziehen.
"Aber morgen arbeitest du wieder?"
"Weiß nicht. Ich hab jedenfalls nicht vor, Erik vor morgen über den Weg zu laufen. Achso." Gabrielle kratzt sich im Gehen am Knie "Könnte ich heute bei dir auf dem Sofa schlafen?"
"Auf dem Sofa? Also, wenns so schlimm ist, kannst du auch oben bei mir schlafen. Da ist mehr Platz und du hast nachher keinen steifen Nacken." Julie runzelt die Stirn "Willst du mir nicht doch erzählen was los ist?"
"Na gut, dann schlaf ich in deinem Bett. Und worüber haben wir gestritten haben..." Sie könnte Julie sagen, dass Erik genau so in sie verliebt ist, wie sie in ihn. Dann würde sie sich freuen, zu Erik rennen und die beiden wären genau die fünf Minuten glücklich, die es dauert, bis Julie ihn bittet, sie zu küssen. Sie könnte es aber auch lassen und die beiden vor Eriks Gesicht beschützen. "Er... er engt mich ein. Er will mich vor allem bewahren, aber..." sie seufzt "Ich weiß nicht, ich bin jetzt dreiundvierzig... Ich fühle mich so... so... ilächerlich/i. Ich könnte so viele Dinge tun, auf großen Bühnen singen, Haute couture nähen, mich verlieben, heiraten und Kinder kriegen, stattdessen... naja, du kennst die Geschichte."
Julie schürzt die Lippen.
"Es ist aber nicht lächerlich. Ihr versteht euch nunmal gut und er hilft dir... und du hilfst ihm."
"Tss, ja, wenn er sich denn von mir helfen lassen würde!" wütend ballt Gabrielle eine Hand zur Faust "Aber nein, inein/i... Oh, schau, da gibts heiße Schokolade." sie drängt Julie vom Bürgersteig.
Ohne einen weiteren Kommentar lässt sich Julie in das Café schieben.
"Also, zwei mal mit Sahne?" fragt Gabrielle, während sie sich auf einen Stuhl an einem Tisch am Fenster fallen lässt und der Kellnerin winkt "Ich will außerdem noch Torte. Torte zum Frühstück."
"Ich mag keine Torte. Ich hab auchgar keinen Hunger." Julie lehnt sich zurück und beobachtet ein Pärchen am Nachbartisch.
"Dann ess ich zwei Stücke." Gabrielle folgt Julies Blick und verzieht das Gesicht.
"Was ist?" Aufmerksam mustert Julie Gabrielle.
"Wenn du könntest, würdest du so mit Erik rumlaufen, oder?" grummelt die leise.
Julie zieht die Augenbrauen hoch.
"Ich laufe aber nicht so mit Erik rum, und er will mich ja eh nicht, also wird es auchnicht dazu kommen. Keine Angst." Sie schürzt die Lippen und versucht, nicht mehr auf die beiden am Nebentisch zu achten.
"Hm. Wie fühlt sich das an? Ich meine... so verliebt zu sein? Ich war noch nie richtig verliebt, glaub ich."
"Echt nicht?" fragt Julie ungläubig. "Naja, es ist... also... erst ist man total unruhig und es kribbelt, wenn man den anderen sieht, und man möchte mit ihm zusammensein und so. Und wenn man dann merkt, dass es nichts gibt, dann... dann geht es einem richtig dreckig..." Sie beißt sich auf die Zunge und spielt mit ihrer Serviette. "Ich kann dann immer nichts essen und nicht schlafen und eigentlich auch nicht wirklich geradeaus denken... und du warst echt noch nicht verliebt?"
"M-mh." Gabrielle schüttelt den Kopf und schielt zu Julie "Vielleicht sollte ich froh sein... nichts essen, nicht schlafen... hört sich depressiv an..."
"Ist es auch."
"Scheiße..."
"Naja, da verpasst du nichts." Julie hebt den Blick. Das Pärchen küsst sich. Hastig wendet siesich wieder ihrer Serviette zu.
Gabrielle kaut eine Weile auf ihrer Unterlippe herum.
"Wie fühlt man sich, wenn man denkt, es gibt was, und dann gibt es doch nichts?" fragt sie schließlich.
"Beschissen."
"Das heißt, Verlieben hat eine Zwei-zu-eins-Chance, dass es einem schlecht geht?"
"So ungefähr... Wenn nicht noch höher... Es kann ja immernoch einseitig sein, selbst wenn es was gibt. " Julie schüttelt den Kopf und seufzt.
"Dann hab ich ja absolut nichts verpasst." Und Julie und Erik auch nicht. Gabrielle kreuzt die Arme vor der Brust.
"Nein, hast du nicht. Denn wenn es gut geht... Aber im Augenblick frag ich mich... Ach egal. Lass uns von was schönem reden." Julie zwingt sich zu einem Lächeln.
"Na gut, was schönes..." Gabrielle stützt ihr Kinn in die Hand "Was sagst du, wir motzen mich so richtig auf, sündige schwarze Spitze. Und so setz ich mich heute Abend auf dein Sofa, damit mich wenigstens einmal einer drin sieht."
Gereizt hebt er den Hörer ab.
"Was denn noch?"
"Erik?"
"Julie... entschuldige. Seid ihr schon wieder zurück?"
"Ja. Ich wollte nur fragen... Gabrielle will heute Nacht bei mir schlafen und sie hockt jetzt in schwarzer Reizwäsche auf meinem Sofa." Sie setzt sich auf den Rand der Badewanne. "Willst du heute Abend noch vorbeikommen?"
Erik stützt seine Stirn in die Hand.
"Bitte was?" er seufzt "Sie geht mir tatsächlich aus dem Weg... Wenn du glaubst, dass du alleine mit ihr zurechtkommst, würde ich deine Massage heute ausfallen lassen."
"Hm." Sie verdreht eine Haarsträhne in den Fingern "Sag mal, was war eigentlich los? Ich hab sie echt noch nie so sauer auf dich erlebt."
"Wir hatten einen Streit und das Ergebnis ist, dass sie sich wieder eingesperrt und bevormundet fühlt... und... sie gibt mir nicht wirklich die Schuld für... ihren Zustand, aber... es kommt aufs selbe heraus..." er schüttelt den Kopf.
"Hm, aber ihr kriegt das wieder hin?" fragt sie und lauscht. Der Fernseher läuft im Wohnzimmer. "Muss ich... irgendwas beachten oder mit irgendwas rechnen, wenn sie bei mir schläft und allein ist?"
"Es könnte sein, dass sie schlecht träumt oder mitten in der Nacht wach wird, aber ich denke, sie weiß, dass sie entweder allein damit fertig werden oder zu mir kommen muss. Außerdem tritt sie gerne mal um sich oder schmiegt sich an." Er lässt sich aufs Sofa fallen. "Rechne mit einer unruhigen Nacht. Oder schmeiß sie raus, wenn es dir zuviel wird."
"Nein, ich habe ihr gesagt, dass sie bei mir bleiben kann, und ich halte mein Wort." Sie seufzt "Dann sehen wir uns morgen früh um neun?"
"Wenn du ausgeschlafen bist. Ruf mich vorher an, ja?"
"Gut, ich versuchs. Ich glaube, sie hat esim Moment nicht gern, wenn ich mich bei dir melde." Sie überlegt einen kurzen Moment. "Ich hoffe, du kannst gut schlafen. Mach dir keine Gedanken wegen Gabrielle, ich pass schon auf sie auf."
"Danke." er schließt die Augen "Schlaf du auch gut."
Julie legt auf und öffnet den Wasserhahn, um sich das Gesicht zu waschen. Als sie das Bad wiederverlässt, sitzt Gabrielle noch immer auf dem Sofa.
"Alles okay?"
Gabrielle räkelt sich lasziv und wirft ihr nicht vorhandenes Haar zurück.
"Es ist etwas kühl hier, Süße, vielleicht sollte ich mir wieder etwas mehr anziehen."
Julie lächelt.
"Brauchst du ein Nachthemd? Oder einen Gute-Nacht-Kakao?"
"Ja, ein Nachthemd wäre nicht schlecht. Und einen Kakao will ich auch." Sie betrachtet ihr rechtes Handgelenk und kratzt die Krusten von den Stellen, wo Erik ihr vor ein paar Tagen die Fäden gezogen hat. "Gibts hier auch Schlagsahne? Ich will Schlagsahne essen."
"Ich mach dir welche auf deinen Kakao." sagt Julie und runzelt die Stirn, als ihr Blick auf Gabrielles Handgelenk fällt.
"Au ja. Und bestäub es noch mit Kakaopulver, wie im Café. Ich revanchier mich morgen früh mit Crêpes."
"Zu Befehl." Julie salutiert und geht in die Küche, um die Milch zu erhitzen. Hoffentlich geht es Gabrielle morgen schon wieder besser. Sie hat wenig Lust, morgen schon wieder auf eine Gesangsstunde - auf Eriks kurze Gesellschaft - zu verzichten.
"Was tun wir mit dem angebrochenen Abend? Kommt irgendwas im Fernsehen?" ruft Gabrielle vom Sofa "Liegt denn hier keine Fernsehzeitung... Ah... Hm... Rosamunde Pilcher... nein, danke, davon muss ich brechen..."
"Ich hatte eigentlich nicht vor, noch so lange zu machen." gesteht Julie, während sie den Kakao in die heiße Milch rührt "Morgen früh müsste ich fit sein."
"Für deinen Unterricht bei dem doofen Erik..."
"Für meinen Unterricht." nickt Julie und kommt mit einer großen Tasse zurück ins Wohnzimmer. "Bitteschön."
"Danke. Hast du Angst vor morgen?"
"Wieso?" Sie setzt sich neben Gabrielle und zieht die Knie unters Kinn.
Gabrielle runzelt die Stirn.
"Na warum wohl? Warst du nicht diejenige, die sich Sorgen gemacht hat, dass er sauer werden könnte, wenn du schwänzt?"
"Ach." Julie winkt ab "Wird schon nicht zu schlimm werden. Ich kann es ja immer noch auf dich schieben und dass du ganz dringend einen Weibertag gebraucht hast." Sie grinst und springt dann schnell auf. "Ich hol dir mal was warmes zum Anziehen."
Gabrielle gurgelt kurz mit ihrem Kakao, ehe sie ihn herunterschluckt.
"Du bist die Güte selbst."
Julie hüpft die Treppe nach oben und zieht eins ihrer wärmeren Nachthemden heraus.
"Hier." Sie wirft es Gabrielle zu. " Nicht grade der letzte Schrei der Pariser Modewoche, aber man kanns tragen."
"Meine Nachthemden sind auch out wie sonstwas. Rüschen, schwarz... Aber ich mag sie." Gabrielle zieht sich das Hemd über und fummelt sich dann darunter den BH vom Leib. "Und nun... ab in die Heia?"
"Ja, aber wenn du noch fernsehen willst... " Julie hält sich die Hand vor den Mund und gähnt "Ich muss wirklich schlafen."
"Hm, nein, dann komm ich gleich mit hoch. Wann willst du aufstehen? Ich werd immer so um sechs oder sieben wach."
Julie verdreht die Augen. Sechs oder sieben... Viel zu früh.
"Ich werde dann automatisch auch wach. Ich hab nicht so einen festen Schlaf." murmelt sie und stakst die Treppe wieder hoch.
Gabrielle trottet ihr brav hinterher.
"Ich werde mich bemühen, ruhig zu schlafen und dich nicht zu wecken... Warte, ich leg mir ein Buch nebens Bett, dann kann ich lesen bis du auch aufwachst und muss nicht aufstehen."
Julie nickt und schlüpft unter die Decke.
"Ist okay..."
Seufzend wirft Gabrielle ihr Kissen ans Fußende.
"Wenn... wenn Erik dich wollen würde... würdest du... mit ihm schlafen wollen?"
Julie schließt die Augen.
"Erik will mich nicht... Träum was schönes."
Unzufrieden legt Gabrielle ihre Arme über ihr Gesicht.
"Ich wette, dass du ja sagen würdest. Träum du auch schön."
"Diese Situation wird es eh nicht geben." murmelt Julie und kuschelt sich ein.
"Wie du meinst..." macht Gabrielle sehr leise. Dann beißt sie sich auf die Zunge.
Die schwarze Tinte formt sich gerade zu einem weiten Bogen auf seinem Handrücken, als es an der Tür klopft und kurz darauf Julie eintritt.
"Guten Morgen. Ich nehme an, Gabrielle ist noch bei dir?"
Julie wirft ihre Jacke über die Chaiselongue und gähnt hinter vorgehaltener Hand.
"Ja, ist sie. Ich hoffe, du konntest einigermaßen schlafen."
Erik zuckt mit den Schultern.
"Hat sie dich getreten? Oder aus dem Bett gedrängelt?"
"Es hielt sich in Grenzen. Ich bin es nur nicht mehr gewohnt, dass sich jemand nachts so viel neben mir bewegt."
"Gut. Das heißt, dass es ihr wieder besser zu gehen beginnt."
Julie geht zum Flügel und wirft einen kurzen Blick über ihre Noten.
"Wenigstens wollte sie mich heute nicht wieder zum Schwänzen überreden." murmelt sie.
"Zum Glück." er lässt sich auf der Klavierbank nieder "Wärm dich mit ein paar Tonleitern auf. Und wenn du noch nichts besseres vorhast, könnten wir heute Nachmittag zusammen zum Fluss oder auf den Hügel spazieren."
Julie hebt kurz den Blick.
"Gerne... wenn du glaubst, dass Gabrielle das recht ist."
"Seit wann muss ich sie um Erlaubnis bitten?" gereizt fasst er an seine Maske.
"Musst du ja nicht, aber mir reicht es schon, dass sie so schlecht auf dich zu sprechen ist. Ich hab wenig Lust, dass sie mich jetzt auch noch so anzickt."
"Wenn du deine Tagesplanung von Gabrielles Laune abhängig machen willst, steht dir das natürlich frei." antwortet Erik in einem sehr neutralen Tonfall.
"Eigentlich nicht."
"Aber...?"
"Ich habe keine Ahnung." Sie reibt sich den Nacken "Ich hab irgendwie ein schlechtes Gefühl, wenn ich mich jetzt auch noch mir ihr anlege. Aber ich möchte mir auch nicht von ihr vorschreiben lassen, ob ich mit dir meine Zeit verbringe oder nicht."
Erik stützt sein Kinn in die Hand.
"Was würdest du tun, wenn sie nicht krank wäre?"
"Wahrscheinlich mit dir spazieren gehen... Aber dann hätte sie auch noch andere Freunde..."
"Was du ihr gibst, ist bereits mehr als sie je hatte. Du hast die letzten vierundzwanzig Stunden mit ihr verbracht." Er lässt diese Aussage im Raum stehen und gibt einen Ton vor "Überlege es dir. Ich würde mich freuen, wenn du mitkämst."
"Hm." macht sie, beobachtet ihn einen Augenblick aus dem Augenwinkel und beginnt dann, sich einzusingen.
