Autor: OgaShi
Kapitel: 1 von ?
Disclaimer: Tief in unseren Herzen wissen wir doch alle insgeheim, dass Beyblade den Fans gehört. v.v Nur leider haben meine immer wiederkehrenden Besuche bei der Bank endgültig bestätigt, dass ich auch damit kein Geld verdiene.
Bei dieser Version handelt es sich um die ausgebaute Version des ursprünglichen SWst - die alte könnt ihr beim Animexx unter meinem Nick OgaShi einsehen …
Kapitel Eins
Modedesign und Risotto mit Dill
Schmerzerfüllten Blickes fixierte Yuriy Iwanov das Photo in seinen rauen Händen. In einen filigran gearbeiteten Rahmen oxidierenden Kupfers eingefasst, wirkte es wie eine bemerkenswerte Rarität aus einem westlichen Antiquitätenshop, ein ausgesuchtes Fundstück vielleicht, dessen Wert mit globalen Währungen längst nicht mehr messbar war. Zumindest nicht für Yuriy – betrachtete er dieses Bild, welches schöner nicht hätte sein können, fühlte er sich mit Abertausenden rostigen Nägeln malträtiert; sie stachen auf seine Brust ein, auf dass sie sich wie ein austrocknender Schwamm zusammenzog, und jagten ihm die Übelkeit in die Weiche.
Diese Ablichtung … welch ein Meisterwerk. Ohne Mühe vereinte sie die süßlich duftende Blüte einer tief gehenden Liebe und die stinkende Fäule eines brennenden Hasses in einer einzigen, qualvoll schönen, zufälligen Aufnahme. Wer immer dieses Photo geschossen hatte, er war ein sadistischer Künstler, ein Meister seines Fachs, bescheiden vermutlich, und doch ein Unikat. Einzigartig.
Das dünne, schmutzige Glas vermochte dem festen Druck seiner Daumen nicht standzuhalten und splitterte schrill klirrend; ein feines Geräusch, welches Yuriy, trotz seiner kurzen Lebensdauer, tief durchdrang. Schaurig schön klang diese Symphonie des Grauens in seinen empfindlichen Ohren, wie sie weder Beethoven hätte komponieren, noch Goethe hätte beschreiben können. Sein Blut malte die Noten auf das Bild und das unruhige Trommeln großer Regentropfen auf die hohen Fenster des Zimmers gab den monotonen Rhythmus an.
„Das ist unser Lied …", kam es kaum hörbar über seine schmalen Lippen, „die Glühwürmchen sangen es bereits zu Zeiten jenseits des Moments, in dem du unsere Wege trenntest. Du kannst sie doch nicht vergessen haben, unsere Melodie, diese schöne Melodie, Kai …"
Ein irres Funkeln in den Augen trennte Yuriy den Kupferrahmen grob von Glas und Bild, ließ die Antiquität herab auf den roten Perserteppich poltern, wo sich das prasselnde Kaminfeuer glühend in den Scherben wieder fand, und führte das Hochglanzphoto an seinen Mund heran. Verharrend schloss er die Augen, küsste es kalt und zerriss es mit spitzen, blutigen Fingern noch an Ort und Stelle. Wie dicht Hass und Liebe doch beieinander lagen, beinahe schon reichten sie sich die Hand und machten gemeinsame Sache … seine Lippen kräuselten sich, als er auf die Hälften herab blickte.
„Adora quod incendisti, incende quod adorasti", murmelte er und es klang gänzlich wie eine schwarzmagische Formel, „bete an, was du verbrannt hast; verbrenne, was du angebetet hast." Daraufhin stimmte er summend eine düstere Melodie an, auf die seine Kehle mit einer Vibration reagiert und die sich finster zwischen Regenprasseln und Kaminfeuerknistern schmiegte.
Der weiche Perserteppich verschluckte jeden seiner Schritte, als er an den warmen Schein des Kamins heran trat, um die rechte Hälfte des Photos an die gierigen Flammen zu verfüttern. Langen, gekrümmten Fingern gleich, leckten ihm die Feuerzungen entgegen, hasserfüllt zerknüllte er das feste Photopapier in seiner Hand, warf es hinein – und lauschte grinsend dem stummen Schrei des abgebildeten Chinesen, das sekundenlang in der Stille des Raumes hing, erstickt von dem wütenden Kampf des Feuers. Das Papier wand sich in der Hitze, erglühte rot und wurde zerfressen, wie ein grünes Blatt von einer hungrigen Raupe.
„Brenne", flüsterte er zischend, „brenne, du …" Die Stimme stockte ihm, erschrocken hielt er inne und drehte den Kopf zur Seite. Seine geweiteten Augen richteten sich auf den dämmrigen Schatten einer Zimmerecke, die das flackernde Licht des Kamins nicht zu erhellen vermochte. Für einen kurzen Moment nur hatte er im Augenwinkel ein Kind erhascht, eingepackt in einen dicken Mantel und auf dem Kopf eine Bärenfellmütze …
Ein spottendes Geräusch kam über seine zu einem Lächeln verzerrten Lippen. Natürlich stand dort kein Kind, weshalb also verschwendete er noch einen Gedanken daran? Auch heute Abend war er allein gewesen, wie all die Tage der vergangenen Jahre, seit seine Kumpanen untergetaucht waren. Sein Blick wanderte zu einem Koffer und einem Ticket, das auf der polierten Oberfläche der alten Kommode lag. Ja, alleine, doch nicht mehr lange …
Entschlossen nahm er beides zur Hand, um Moskau zu verlassen – und entdeckte eine Mütze. Es war eine braune Bärenfellmütze, wie sie viele Russen trugen, doch klein, wie für einen Kinderkopf genäht. Sie lag hinter dem Koffer, doch gehörte sie nicht ihm. Gedankenverloren bückte er sich, hob sie auf … und stopfte sie wie selbstverständlich in seine Manteltasche. Wem immer sie gehörte, sie hatte ihren Weg zu ihm gefunden, damit er sie an sich nahm. Schwer zerrte der Koffer an seinem gespannten Arm, als er ein letztes Mal zum Kamin blickte.
„Daswidania", murmelte er, atmete tief durch und sah nicht zurück, als sich die Zimmertür geräuschvoll hinter seinem Rücken schloss.
Montag, 21. September 2009
Löwen konnten bisweilen richtige Dickköpfe sein. Kai Hiwatari hatte seinen zwanzigsten Geburtstag am fünfzehnten September in einem teuren, ägyptischen Restaurant gefeiert und obwohl er mit keiner Silbe erwähnt hatte, überhaupt Essen gehen zu wollen, hatte Rei darauf bestanden. In eine außergewöhnliche Kreation altägyptischer Kluft geworfen, hatten sie gespeist wie einst die Kleopatra, eine Ölmassage genossen und anschließend in Milch und Honig gebadet. Vielleicht war es in Reis Augen eine Art Geburtstagsgeschenk gewesen – schließlich hatte er den ganzen Spaß finanziert –, doch Kai wusste ob seiner egoistischen Denkweise, in der er dieses Restaurant ausgewählt hatte: denn Rei Kon hatte im Laufe der Jahre einen exquisiten Geschmack in Sachen Nahrung entwickelt – spätestens, nachdem sie mit dem Beybladen aufgehört hatten.
Und das war inzwischen schon vier Jahre her.
Zu dieser Zeit, als Kai die Teens endgültig hinter sich ließ, färbte sich das Laub golden, das von den Bäumen tanzte, und bronzefarben der Sonnenschein, der im September täglich früher hinter den Schatten der Dächer Chibas dahinschwand. Die Brisen schickte das Meer und dementsprechend kühler wehten sie am Abend, wenn sie die sengende Hitze des Tages in die Vergessenheit fegten.
Chiba war ein Vorstadtteil der Megametropole Tokyo und keine zwei Stunden mit der Japan Railway von der Tokyoter Innenstadt entfernt. Sie hatten sich in dieses Zweizimmerappartement verliebt, gleich nachdem sie während der Wohnungssuche vor drei Jahren ganz überraschend über sie gestolpert waren: es war ein Neubau, die Wände ragten bis zu drei Meter empor und der rune Balkon wurde von einer venezianischen, mattschwarz lackierten Balustrade umzäunt, die Küche war geräumig und die einzelnen Zimmer nicht nach japanischer Neubaumanier dicht gedrängt. Der Architekt war ein Meister europäischer Architektur und außerdem stinkreich: denn keinem Architekt mit dünnem Geldbeutel wäre es jäh gelungen, einen solchen Bau bei der Behörde durchzusetzen. Verschnörkelt und Retro noch dazu – unmöglich!
Die Wohnung zu bekommen war einfach gewesen, denn die Japaner standen dem Wohnblock, der so gar nicht nach Chiba passen wollte, kritisch gegenüber. Ihre Nachbarn setzten sich aus französischen, amerikanischen und deutschen Immigranten zusammen, und einige Wohnungen standen noch heute frei. Es gab Tage, an denen sich Kai über den langen Weg zur Uni beschwerte, doch der Ausblick vom Balkon auf den glitzernden Fluss stellte alle Einwände in den Schatten.
Eine Tasse Tee und einen Bleistift in der rechten Hand, saß er auch heute auf einem der Stühle aus kohlefarbenen Eisen und betrachtete den rosa getränkten Himmel mit seinen idyllischen Zuckerwattewölkchen. Seine Laune befand sich im Keller und in seinem Kopf pochte ein Specht gegen seinen Stirnlappen.
„Kann man Leuten ohne Rückgrat das Genick brechen?", fragte er düster in die Stille und Rei, der ihm an einem runden, viktorianischen Tisch gegenüber saß und konzentriert seinen Skizzenblock anstarrte, hob den Blick. Ein sadistisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als Kai gereizt den Bleistift in den Mund nahm und begann, darauf herumzukauen. Auch auf seinem Schoß lag ein Skizzenblock, das weiße Gesicht einer unbemalten Seite nach oben gewandt.
„Soll ich es für dich herausfinden?", erwiderte er und brach damit endgültig die nachdenkliche Stille, die bereits vor zwei Äonen oder einer halben Stunde auf den von der Abendsonne beschienen Balkon eingekehrt war. Er musste sich eingestehen, dass auch sein Energiepegel in den letzten Stunden abgenommen hatte, obgleich er nur hier gesessen und nachgedacht hatte. Die Luft sirrte, ehe Kai jäh das Ungetüm auf die Tischplatte knallte, sodass die halbgeleerten Teetassen klirrten und das Zuckerfass umfiel. Schnaufend raffte er sich auf und dampfte davon.
Obwohl er dabei kein Wort verlor, wusste Rei, wie ausgelutscht sich Kai fühlen musste, denn ihm ging es nicht anders. Dunkel erinnerte er sich daran, dass ihm einst jemand gesagt hatte, er solle sich nicht an den Stift klammern und krampfhaft versuchen, eine geniale Idee aus seinem Hirn zu pressen, weil er dann erst recht nichts zustande bekäme. War das nicht erst gestern gewesen? Er wusste es nicht mehr. Als Kai im kühlen Appartment verschwand, legte er ebenfalls seufzend seine Arbeit nieder und stellte ernüchtert fest, dass keiner von ihnen einen einzigen Strich auf's Papier gebracht hatte, nicht einmal eine Langeweilespirale. Wahrlich zum Verzweifeln … ihre Sinne standen nach einer temporären Kreativitätspause. Oder nach einem guten Essen.
Er folgte Kai in die Küche – wobei er ein höchst chaotisches Wohnzimmer durchqueren musste; wohin man auch sah, stieß man auf Stoffe, Schnittmuster, Fadenrollen und Nadelkissen, die sich in ihrer eigenen nicht vorhandenen Ordnung um eine Kleiderpuppe und eine Nähmaschine herum verteilten, und so Couch, Tisch und Teppich völlig unter sich begruben. Kurz innehaltend verzog er die Mundwinkel sarkastisch nach oben – ein derartiges Chaos konnten nur wahrhaftige Künstler verursachen –, dann trat er in die Küche ein, wo er Kai desinteressiert in einer Zeitschrift blätternd wiederfand.
Routiniert füllte Rei den Wasserkocher und bedeckte den Boden einer Kanne mit Teeblättern. Während er eine Tonne Zucker hinterher kippte, schielte er zu Kai hinüber: wieder einmal hatte er sich in seinen imaginären Schutzbunker zurückgezogen, wo die Wände aus schalldichtem Stahl bestanden, um wegen seiner eigenen Einfallslosigkeit vor sich hin zu schmollen. „Was machst du da?", schickte Rei seine betont freundliche Stimme durch die Stahlwände und hoffte, dass sie imstande waren, das Vakuum zu überwinden.
„Ich WOHNE hier.", grummelte Kai gereizt, schlug geräuschvoll eine Seite der Zeitschrift um – und erstarrte einen Atemzug lang wie vom Blitz getroffen.
„Genau", seufzte Rei, „das da meinte ich." Er legte Kai beide Hände auf die Schultern, um die verspannten Muskeln ein wenig zu lockern, und warf dabei einen Blick in die Zeitung. Er entdeckte einen Artikel über Dior's neueste Modeschöpfungen: ansprechende Farben, ausgefallene Schnitte und attraktive Kombinationen fielen ihm sofort ins Auge. Solche Lobeshymnen auf die Stars der Modewelt konnten Kai zerfressen wie Salz eine Schnecke. Sein Ego verkraftete das nicht – also nahm er ihm die Zeitung demonstrativ weg und kniff einmal kräftig zwischen Schulterblatt und Wirbel, tief in einen steinharten Muskel. Kai zuckte vor Schmerz einmal kurz zusammen, ließ sich aber nix weiter anmerken.
„Wann warst du eigentlich das letzte Mal beim Krafttraining?"
„Und du beim Karate?", erwiderte Kai.
„Ist es nicht unhöflich mit einer Gegenfrage zu antworten?"
„Tu ich das?"
Rei kicherte leise in sich hinein und machte sich auf, den Tee mit dem kochenden Wasser zu übergießen. In einer Wolke löste sich der Zucker in der Flüssigkeit auf, während das Wasser die Farbe von Bernstein annahm. „Vor zwei Wochen", sagte Rei, „und davor waren es schon zwei Monate. Aber was soll's, wenn ich hin und wieder mal das Karatetraining sausen lasse, ist das halb so schlimm, immer hin bin ich sowas wie ein angehender Zen-Meister …"
„Du warst es."
„Sei doch nicht so hart zu mir …"
„Ich hasse dieses Studium.", murrte Kai und wandte den Kopf ab.
„Du liebst es", korrigierte Rei.
„Ich hasse es."
„Und ich hab' Hunger."
Rei versuchte so viel Optimismus wie möglich in seine Stimme zu legen, um die Atmosphäre einen Tick aufzulockern. „Ich hätte panierten Sellerie von gestern zum Angebot … oder ich könnte auch was kochen! Was möchtest du essen?", fügte er schnell hinzu, als er Kais Knurren hörte. „Wie wär's mit Pastinakengratin? Hühnerherzenspieße? Quinoa mit Champagner? Auch nicht ? … Wir können auch zum McDonald's gehen, wenn du möchtest."
„Kannst du nicht mal was Normales kochen?"
„… Risotto mit Dill?"
„Ich mach' schluss. Raus aus meiner Wohnung."
„Deiner Wohnung!"
Das klingelnde Telefon kam Reis Antwort dazwischen. Kai sprang auf, als hätte er nur darauf gewartet – keine zwanzig Sekunden später kehrte er mit dem Telefon am Ohr zurück. Wie zur Salzsäule erstarrt stand Rei noch immer hinter seinem Stuhl.
„Er kommt! Er kommt her!", hörte er es dumpf durch den Höhrer, was bedeutete, dass jemand auf der anderen Seite der Leitung ziemlich am Brüllen war, was wiederum nur heißen konnte, dass es sich um Takao handelte. Leider war das alles, was er heraushören konnte.
„Schön, richte ihm einen Gruß von uns aus. Auf wiedersehen.", sagte Kai und ließ sich wieder auf seinen Stuhl plumpsen.
„KAI! Leg' nicht auf!", rief ein ziemlich verzweifelter Takao.
„Was ist denn noch?"
Unterdessen nahm Rei einen Zettel von dem Papierstapel auf der Küchenanrichte und schrieb hastig ‚Reis mit Miso-Suppe?' darauf, bevor er es Kai vor die Nase hielt.
„Ich kann dich nicht verstehen, Takao!", sagte dieser in den Hörer, wobei er Rei rücksichtslos zur Seite schob. „Und nein, wir werden nicht mit zum Flughafen kommen."
„Mann, Kai! Ich …"
Mit angehaltenem Atem griff der Vergessene wieder zum Stift, überlegte kurz, während er Kai mit Takao zanken hörte – und fügte ein verschnörkeltes ‚mich zum Nachtisch?' hinzu. Wieder bewegte er den Zettel in eine für Kai nicht zu übersehende Position und gab seinem Ohrläppchen einen lasziven Vorgeschmack mit der Zungenspitze. Vermutlich rettete er damit ihre Beziehung, denn Kai schenkte ihm sogleich eines seiner seltenen, matten Lächeln, die Rei immer wieder mit lodernder, stolzer Hitze erfüllten. Vielleicht ging es mit seiner besitzergreifenden Ader einher, dass er so fühlte, denn er wusste, dass nur er dazu in der Lage war, Kai dieses Lächeln zu entlocken und hinter die stählerne Fassade des Unberührbaren zu blicken.
„Das ist mir doch egal, wenn du deinen Führerschein vermasselt hast", konterte dieser gerade und so nah an seinem Gesicht war Rei nun auch in der Lage, Takaos Antwort deutlich zu vernehmen:
„Kai! Er klang so aufgelöst, ich wette, er braucht unsere seelische Unterstützung! Wenn es dich kalt lässt, dann gib' mir wenigstens Rei, sonst …"
Weiter ließ Rei ihn nicht kommen. Er drückte Kai einen Kuss auf die Lippen, der seinen Freund unmittelbar in eine andere Gefühlsebene riss, und nahm ihm dabei das Telefon aus der Hand. Kai begriff sofort, dass er überlistet worden war; mit einem sadistischen Blick ließ er Rei wissen, dass er heute Nacht bestimmen würde, wie der Dessert aussehen sollte.
„Hey, Takao, ich bin's. Was gibt's?"
Stille antwortete ihm. Dann kam ein recht aufgeregtes „Rei? Bist du das?" durch die Leitung.
„Er will, dass wir zum Flughafen kommen. Max abholen.", warf Kai düster ein.
„Max kommt nach Japan?"
„Das IST es ja!" Takaos Stimme ließ Rei annehmen, dass er kurz davor stand, das Telefon zu fressen.
Kai malte mit dem Finger Kreise auf den Tisch, ohne die Augen abzuwenden.
„Wann kommt Max an?"
„In zwei Stunden! Am Airport Narita!" Mit anderen Worten: Takao wollte, dass er sich Hermesstiefel anzog, und die Zeit überlistete.
„Takao, ich –"
„Wenn du mir absagst, dann werde ich dich auf immer und ewig hassen, das verspreche ich dir, Rei!", unterbrach Takao ihn so heftig, dass Rei kurz zusammenzuckte.
„Gib mir eine halbe Stunde, Takao –", gab er schließlich nach und Kai verschränkte trotzig die Arme. Sein Blick sprach Bände und noch mehr. „Nein – eine ganze Stunde, dann bin ich bei dir. Ja, mit Auto. Ich schaff' das schon!"
Damit legte er auf und sah reumütig zu Kai. „Es ist drei Jahre her. Sieh es ein, ich finde, wir sollten ihm helfen."
„Hmm.", brummte der Überlistete missmutig. „Wir sind nicht sein Taxi, Rei"
„Noch nicht.", warf Rei ein, „er wird uns dazu machen, ich sehe es kommen."
„…"
„Reis mit Miso-Suppe, also?", lenkte Rei vorsichtig ein.
„Mit Nachtisch.", entgegnete Kai langsam.
„Wie versprochen …"
Rei konnte in seinen Augen lesen, dass Kai es kaum noch aushielt – ein Punkt, in dem sie sich beide nichts nahmen –, als er die Küche verließ, um die Skizzenblöcke vor der hereinbrechenden Nacht zu retten. Fakt aber war, dass Rei in diesem Moment noch nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie er es schaffen sollte, ein gutes Essen, Sex und eine halbstündige Autofahrt zu Takao in sechzig Minuten packen und dann auch noch pünktlich da sein sollte.
Das Unmögliche hatte begonnen, als Max vor drei Jahren mit einer ganz bestimmten Aussage einen heftigen Wirbel verursacht hatte: mit sechzehn Jahren, so hatte er ihnen einen Gedanken, der ihn sehr beschäftigte, laut ausgesprochen, sei er so langsam aber sicher zu alt für's Beybladen und wolle den Sport stolz an die ihnen nachfolgende Generation weitergeben, um sich letztendlich um seinen Abschluss zu kümmern. Nach stürmischem Protest von seitens Takao, hatten Rei und Kai Max seufzend zugestimmt und ersterer hatte ihnen sogar zögernd gebeichtet, dass sein Beyblade ohnehin nicht mehr ganz derselbe für ihn sei, wie einst in ‚jungen Jahren'. Das Spiel verlöre seinen Reiz und aufgrund ihres Alters an Fairness gegenüber Jüngeren, und so langsam sei es an der Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es denn nach der Schule weiterginge – sich neben dem Bladen noch schulisch sehr gut über Wasser halten zu können, sei so gut wie unmöglich, und die Abschlussklasse verlange weit mehr, als sie in den letzten Jahren geleistet hätten.
Das leuchtete auch Takao ein; er leistete sich ein letztes heißes Match gegen seine Kameraden, vergoss ein paar Tränen um der schönen Vergangenheit Willen, suchte seinem Dragoon einen Ehrenplatz auf seinem Bücherregal und erklärte zu Daichis namenlosem Entsetzen zeitgleich mit dem Rest des Teams das Beybladen zur wertvollen Erinnerung.
Max hielt bis zum letzten Tag hinterm Berg mit seinem eigentlichen Motiv, und umso härter traf sie alle seine Ankündigung, er würde zurück nach New York zu seiner Mum gehen und dort die High School abschließen.
„Morgen geht mein Flieger", erzählte er mehr oder weniger heiter, was wiederum bei Rei und Takao namenloses Entsetzen hervorrief, „außerdem hat meine Mum irgendetwas vor. Keine Ahnung. Wir werden uns wohl eine Weile nicht sehen."
Was genauso viel heißen konnte, wie „Vielleicht sehen wir uns nie wieder" – was aber niemand laut auszusprechen wagte, vor allem wegen Takao, der für den Rest des verhängnisvollen Tages seine Stimme nicht mehr wiederfand.
So gingen sie auseinander: Max stieg am nächsten Tag in den Flieger, wie er es verkündet hatte, während Takao mit Wut und Tränen kämpfte; Kai tauchte nur noch selten auf; und die verbliebenen Vier – inklusive Kyouju und Hiromi – fragten sich auf einmal, woher sie denn all die Jahre die Zeit zum Bladen genommen hätten, denn sie verbrachten ein Jahr mit hartnäckiger Lernerei, in der kaum Platz für Freizeit und Freunde war.
Das Jahr verging wie im Flug, sodass es Kai und Rei nur wie eine Woche oder zwei erschien, als sie eines Tages, wie aus allen Wolken gefallen, an einem Tag der offenen Tür des Bunka Fashion Colleges – einer angesehenen Universität für Modedesign – wieder aufeinander trafen.
„Was machst du denn hier?", fragte Rei, als er an jenem Tag als erstes seine Stimme wiederfand, nachdem er Kai mit allen Regeln der Kunst über den Haufen gerannt hatte, und hätte wohl über beide Ohren gegrinst, wäre es ihm nicht selbst super peinlich gewesen, gerade an diesem Ort wieder auf ein altes Teammitglied zu treffen. Kai aber schien selbst völlig aus der Fassung zu sein (ein amüsanter Anblick für jeden, der Kai näher kannte), weshalb ihm Reis Verwirrung nicht auffiel.
„Nach was sieht es denn aus?", murrte er.
„Du willst Modedesign studieren?" Reis Stimme sprühte mehr vor Begeisterung und weniger vor Spott, was Kai ziemlich irritierte.
„Na und? Du doch auch, oder nicht!"
„Ähm – tja, da hast du mich wohl erwischt … zeigst du mir deine Entwürfe?"
„Nein."
„Ach, komm schon, zier dich nicht so!"
„Ich sagte: Nein!"
„Ich werde dich nicht in Ruhe lassen, bis du sie mir gezeigt hast!"
„Rei!"
Keine vier Wochen später durften sie sich beide stolze Studenten des Bunka Fashion Colleges nennen, noch weniger Zeit brauchte es, bis sie erkannten, dass sie zu zweit unschlagbare Entwürfe designen konnten, und nur einen weiteren Monat darauf waren sie ein körperlich wie seelisch heiß verliebtes Paar. Nun, ersteres traf zumindest schwer auf Kai zu.
Über diesen Wink des Schicksals schmunzelte Rei noch heute – ganz im Gegenteil zu Takao, der sich, nach eigenen Angaben, mit den stetig aufeinander folgenden Katastrophen absolut überfordert sah und die Welt für verrückt hielt. Jetzt waren zwei seiner besten Freunde auch noch schwul – und bezogen eine gemeinsame Wohnung am Rande von Tokyo!
Dass Modedesign nicht viel mit Beyblade zu tun hatte und die beiden trotzdem brennend interessierte, akzeptierte er mit einem Schulterzucken, während er klammheimlich seine Anmeldung für ein Managementstudium in der Tasche verschwinden ließ (was nicht heißen soll, dass ihm Kai, Rei, Kyouju und Hiromi nicht früher oder später auf die Schliche kamen).
Obwohl sich Takao und Max jedoch überregelmäßig schrieben, ließ der Blondschopf niemals ein Wort darüber fallen, was er tat – ob er studierte, eine Lehre eingegangen war oder überhaupt einen Abschluss erworben hatte. Seine Briefe fielen zumeist kurz aus und fast immer schrieb er darin über seine Auseinandersetzungen mit Rick und eine ganze Menge Stress, dessen Ursprung sie nicht kannten.
„Eine halbe Stunde!", beschwerte sich Takao, während der Glanz der nächtlichen Stadtbeleuchtung hinter der Autofensterscheibe an ihnen vorüberflog. „Wolltet ihr nicht pünktlich sein? Ich will ihn nicht warten lassen, verdammt!"
„Mach deinen Führerschein.", kam es von Kai.
„Könnten wir bitte für mindestens drei Stunden dieses Thema lassen!"
„Nein.", sagte Kai.
„Ja", sagte Rei.
Danach schwiegen sie ein Schweigen, dass den Lärm des Verkehrs noch übertönte, und wieder war es Rei, der es brach. Er drehte das Radio leiser und erlangte sofortige Aufmerksamkeit.
„Es ist ganz einfach, Takao", begann er, doch weiterzusprechen war gar nicht mehr nötig.
„Ihr seid wütend", kam ihm Takao zuvor. „Ich weiß, diese Geschichte haben wir schon oft genug durchgekaut. Aber vielleicht habe ich mich nicht geirrt, und Max braucht wirklich unseren seelischen Beistand!"
„Das stimmt nicht ganz – Kai ist nicht sauer. Aber ich bin es, das stimmt", korrigierte Rei, „Freunde machen sich nicht einfach so von heute auf morgen aus dem Staub und lassen einen danach kaum mehr etwas von sich wissen."
„Aber sind wir nicht mindestens so sehr Freund für ihn, um über das Vergangene hinwegsehen und ihm helfen zu können? Er wird seine Gründe haben, Rei, und er wird es uns erklären!"
Takaos Optimismus war einfach unschlagbar.
„Das sagst du so einfach", entgegnete Rei mit gedämpfter Stimme, „aber drei Jahre sind schon irgendwo eine verdammt lange Zeit. Klar, ich habe ihn genauso vermisst wie du. Und ich mache mir auch Sorgen, verstehst du?"
„… Nicht wirklich! Red' Klartext mit mir, Rei!"
„Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Max wegen der Schule gegangen ist", mischte sich wieder Kai ein und Rei nickte bestätigend.
„Ich auch nicht. Und deshalb sollten wir uns vielleicht nicht zu früh freuen."
„Hä? Was meint ihr denn damit?" Takao sackte im Sitz zusammen und starrte auf Kais Kopfstütze. „Also, was auch immer, ich freue mich jedenfalls riesig. Vielleicht bleibt er ja für immer und alles wird wieder so wie früher!"
Rei biss sich auf die Lippe, um nicht laut loszulachen, tauschte vielsagende Blicke mit Kai und entschloss sich, dazu nichts mehr zu sagen. Momentan befanden sie sich nicht in der richtigen Positon, um zu spekulieren – noch war alles offen und somit alles möglich. Vielleicht handelte es sich ja auch nur um ein klassisches Überraschungscomeback à la Max und sie verursachten hier viel Wirbel um nichts.
„Was hieltet ihr von einem Willkommensessen? Ich hab' einen Bärenhunger.", sagte Takao nach einer Weile.
„Geht mir genauso", entgegnete Rei.
„Ich dachte, du hättest vorhin noch gekocht!" Takao richtete sich in seinem Sitz auf, wie ein Bär, der zum Angriff bereit war. Kai murrte ein „Ich bring ihn um" in sich hinein und bezog sich damit zweifelsohne auf die akute Hyperaktivität des Blauhaarigen.
„Na ja, weißt du, dazu bin ich irgendwie nicht mehr gekommen …"
„Wieso wart ihr dann so spät dran!"
„Was hieltest du von einem Feng-Shui-Restaurant, Takao?"
„Was? Wie kommst du denn jetzt darauf?"
Auf Kais Gesicht breitete sich etwas aus, was unter Umständen als Schmunzeln hätte bezeichnet werden können. Rei seufzte, widerstand dem Drang, seinem Freund eine tröstende Hand auf's Knie zu legen und drückte das Gaspedal durch.
Das Edit des nächsten Kapitels wird noch ein wenig auf sich warten lassen. Die einfache Version beim Animexx befindet sich schon bei Kapitel 10 - allerdings ist sie einfacher geschrieben, wie gesagt, es gibt Leute, denen dieser Schreibstil hier besser gefällt ... Vielen Dank fürs Lesen! OgaShi
