Autor: OgaShi
Kapitel: 4 von ?
Disclaimer: Tief in unseren Herzen wissen wir doch alle insgeheim, dass Beyblade den Fans gehört. v.v Nur leider haben meine immer wiederkehrenden Besuche bei der Bank endgültig bestätigt, dass ich auch damit kein Geld verdiene.
Kapitel Vier
Mein Geheimnis, dein Geheimnis I
Sunday, September 21st, 2009
Fancy me doing that. 've got light in the head. It's a lot too thin – I'm panik-stricken.
Can't almost believe, that I'm just sitting in this plane.
Seeing my dear friends and Takao is the best I could possibly imagine now.
Everything will turn out all right. With him, I'm safe.
Have to bear up from now on.
But I hope, they'll never find out about him …
Ein scharrendes Geräusch aus dem Flur ließ Kai aufschrecken. Blitzschnell klappte er das empfindlich gebundene Buch in seinen Händen zu, schlug das dazugehörige, blau gefärbte Leinentuch herum und schob es unter das Kopfkissen des Futonbetts, neben dem er saß. Als er den unberührten Blick wieder hob, zu dem Skizzenblock neben sich griff und sich unbeteiligt gegen das Bücherregal lehnte, um die Beine ausstrecken zu können, lugte ein brünetter Schopf in Takaos Zimmer.
„Mochi und Grünen Tee für das kreative Köpfchen! Darf ich dir etwas anbieten?"
Man sah es Kai zwar nicht an, aber das Herz schlug ihm bis zum Hals. Um ein Haar hätte er sich erwischen lassen – doch es war nur Hiromi, die überhaupt erst auf diese abstruse Idee gekommen war.
Sie sah ihn eindringlich an und Kai schüttelte den Kopf. Ob Max da war, wollte sie wissen; jetzt, wo sie sich sicher fühlte, trat sie ein und stellte neben Kai ein Tablett auf den Boden.
„Hast du etwas gefunden?", fragte sie, in die Knie gehend. Kai antwortete erneut mit einem Kopfschütteln, nahm sich eine Teetasse und legte den Skizzenblock auf den Boden. Hiromi musste schmunzeln: er hatte einen Kringel darauf gemalt, dem Kringel Punktaugen gekritzelt und dem ganzen einen schiefen Mund mit heraushängender Zunge verpasst. „Weißt du, es gibt auch Camps, in denen man gegen Kreatiefs ankämpfen kann …"
Skeptisch hob Kai eine Augenbraue.
„Max ist schreibfaul", sagte er dann, „und vorsichtig."
„Und das heißt im Klartext?"
„Undeutliche Einträge im Tagebuch."
„Oh." Nachdenklich kaute Hiromi auf ihrer Unterlippe. „Willst du nicht einen Reisball probieren? Und hast du schon mit Rei gesprochen? Weißt du, Kai, ich finde das falsch."
Immer wieder war Kai entsetzt darüber, wie viele Themen eine Frau in einem einzigen Atemzug anschneiden konnte. War es nicht viel einfacher und entspannender, eines nach dem anderen abzuklären?
Zu ihrer Zufriedenheit nahm er sich zu der Teetasse noch einen Reisball. „Er ist im Krankenhaus."
„Ach richtig, dort muss man ja das Handy ausschalten … aber falsch ist es dennoch."
„Es war deine Idee."
„Wer hätte denn gedacht, dass du dich gleich heiß entflammt an seinem Tagebuch vergreifst?"
„Hn." Kai schmunzelte sarkastisch. „Bonus vir semper tiro."
Hiromi stopfte sich den Mund mit einem Reisball und funkelte Kai an. Sinnlos nachzufragen – von ihm erfuhr sie ohnehin nicht, wie die Übersetzung lautete.
In den vergangenen Stunden, während Rei und Kai zu ihrer Rettungs-Rettungsaktion geeilt waren, Max in der Höhle des Löwen gefangen saß und sich Takao heldenhaft für den Blondschopf vor ein Auto geworfen hatte (so lautete zumindest Reis und Kais offizielle Version), hatte Hiromi altbewährte Methoden angewandt, um Max auf die Schliche zu kommen und in aller Ruhe seinen Rucksack inspiziert. Dabei war ihr jenes Tagebuch in die Hände gefallen: ein handgebundener Stapel gelblichen Papiers mit angekokelten Rändern, das in ein blau gefärbtes Leinentuch eingewickelt und mit Kordeln zusammengebunden war.
Aus Scham und Angst, das Tagebuch zu öffnen, hatte sie Kai, kaum hatte er – einen zu Tode deprimierten und völlig durch den Wind gewehten Max grob am Arm – den Dojo betreten, bei Seite gezogen und ihm von ihrem Fundstück erzählt. Und dieser hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als Max und Kyouju einkaufen zu schicken, sich in Takaos Zimmer zurückzuziehen und sich, mit dem Skizzenblock zur Tarnung, einer äußerst spannenden Lektüre zu widmen.
„Schnell, wickel' die Kordeln wieder herum und pack' es zurück in seinen Rucksack, ich glaube, ich hab' Stimmen gehört!", flüsterte Hiromi plötzlich. Vor Schreck verschluckte sich der Angesprochene prompt an seinem Tee; hustend und prustend beeilte er sich widerwillig, ihren Anweisungen Folge zu leisten, während das Mädchen aufsprang und zum Fenster lief.
Sie stemmte die Hände auf ein paar beschriebene Seiten, die auf dem Schreibtisch lagen, streckte sich, um auf den Weg vor dem Dojo blicken zu können und stieß sich den Kopf an einer fleischfressenden Kannenpflanze.
„Verdammt!", fluchte sie schrill. „Diese ganzen Pflanzen in diesem Zimmer sind wirklich eine Plage!"
„Kommen sie?"
„Ja … und Max sieht immer noch nicht fröhlicher aus. Keiner Wunder, wenn ihr ihm weiß machen wollt, Takao habe sich vor ein Auto geschmissen, um …"
„So war es."
„So ein Unsinn!"
„Nein."
„Doch!"
„Nein."
„Ach, Kai, du bist einfach unmöglich!"
„Hn."
Die Zimmertür öffnete sich mit einem Ruck. Herein traten ein schweigsamer Kyouju und ein kränklich bleicher Max, der sich zu einem Lächeln abrang.
„Hi, Leute", begrüßte er sie matt und stellte die Plastiktüte zu Boden.
„Wir haben zehn Packungen Fertignudeln mitgebracht. Reicht dir das, Kai?", fragte Kyouju und Kai nickte.
„Wie bitte!" Hiromi wechselte irritiert von Kyouju zu Kai. „Zehn Packungen? Bekommst du zu Hause denn nichts zu essen?"
„Risotto mit Dill.", entgegnete Kai langsam.
„Wie bitte?" Hiromi seufzte tief, wobei sie sich in einer typischen Geste an die Stirn fasste. „Wie auch immer. Ich habe morgen Lesung und muss schon früh raus, deshalb mach' ich jetzt die Fliege … kommst du, Kyouju?"
„J-ja!" Unter seinem noch immer viel zu langen Ponyvorhang löste sich Kyoujus Gesicht in ein Lachen auf. „Halt uns wegen Takao auf dem Laufenden, Kai! Macht's gut, ihr zwei!"
Und schon hatten sich die beiden in Luft aufgelöst; sie hörten sie noch durch den Dojo gehen, dann wurde es still.
Max stand noch immer vor der Tür und sah sich etwas unschlüssig im Zimmer um. Die undurchdringliche Wand aus Schweigen, die Kai schon immer umgeben hatte, war ihm auf Anhieb wieder unangenehm. Wenn er sich recht zurückerinnerte, so war er noch nie mit ihm auf engem Raum allein gewesen – und hatte es auch nie sein wollen.
Um diese Zweifel zu deuten, musste Kai keine telepathischen Fähigkeiten besitzen. Er nahm seinen Bleistift zur Hand, hob den Skizzenblock auf und schlug eine neue Seite auf. „Setz' dich da hin.", sagte er und deutete auf das Futonbett. Unschlüssig sah Max ihn an. „Nein, warte. Zieh dir etwas anderes an."
„Etwas anderes? Meinen Schlafanzug?"
„Ja."
„Okay."
Max Schlafanzug war ein orange-weiß karierter Zweiteiler aus dünnen Stoff. Er bestand aus einer Dreiviertelhose mit Zugbandverschluss und einem Kragenhemd, dessen Ärmel Max zu lang waren; Dinge, die Kais geschulten Augen auf den ersten Blick auffielen. Während Max sich umzog, spitzte er seinen Bleistift und trank noch eine Tasse Grünen Tee auf Ex.
„Was hast du vor?", fragte Max, als er auf das Bett krabbelte und auf dem Kopfkissen sitzend die Beine anwinkelte. Kai hob den auf das Papier gesenkten Blick und ließ ihn auf Max' Körper ruhen.
Und verharrte so.
Unter den inspizierenden Augen wurde Max zusehends nervöser und die davon tickenden Sekunden kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Wer wusste schon, was im Kopf dieses Panthers vor sich ging – von Rei unter Umständen einmal abgesehen?
Plötzlich hob er die Hand mit dem Bleistift und gab Max ein undeutliches Zeichen. „Mizuhara. Warum so verkrampft?"
„Kai, willst du mich ärgern? Takao liegt wegen mir im Krankenhaus und du –"
„Leg' dich schlafen. Und lass die Decke weg."
„Schlafen?" Kaum hatte er ausgesprochen, spürte er schon Kais stillen, heimlichen Zorn über seine Haut kriechen, der keinen Widerspruch zuließ. Also rollte er sich zu Kais Genügsamkeit auf der Decke zusammen und schloss die Augen – in er Tat, er war todmüde –, der beobachtende Blick aber schwand nicht.
Was Max nicht sehen konnte, waren die Bleistiftnotizen, die sich Kai an den Rand des Blockes machte:
Keine Verletzungen am Körper. Reizbarer als sonst. Rollt sich zusammen.
Dann setzte er an einer anderen Stelle auf und konzentrierte Stelle umfing das Zimmer.
„Takao, könntest du nicht endlich aufhören, die Decke anzustarren? Du machst mir Angst …"
„Sechsunddreißig Schlachtpläne sind nicht so gut wie die Flucht. Und ich lasse mich von einem Auto anfahren!"
„Es ist nun mal passiert. Du wirst doch morgen wieder nach Hause können!"
„Mir geht es ums Prinzip!"
„Aber die Decke kann doch nichts dafür …"
„Soll ich dich …?"
„N-Nein!"
Nicht jeder konnte von sich behaupten, einen Schutzengel zu haben, wie er über Takao wachte. Mehr als eine schnell genähte Platzwunde am Kopf und eine leichte Gehirnerschütterung hatte er von dem Unfall nicht davongetragen; und hätte er sich nicht sofort nach seinem Erwachen übergeben, hätte er unter Umständen sogar an diesem Abend noch nach Hause gehen dürfen.
Hätte.
„Max braucht mich! Jetzt ist er mit Daichi ganz allein – oh mein Gott! Ich darf doch jetzt nicht im Krankenhaus herumliegen! Und überhaupt ist das Essen hier furchtbar! Wie soll ich bis morgen überleben! Ich will hier raus! Ich will nach HAUSE!"
Kaum zu glauben, dass ich es hier mit einem neunzehnjährigen Studenten zu tun habe …, dachte Rei grinsend, dankbar dafür, dass dies ein Einzelzimmer war. „Wenn du jetzt ein wenig schläfst, ist die Nacht schneller vorbei, als du gucken kannst. Sieh es positiv, Takao!"
„Was gibt es denn da Positives zu sehen!"
„Na ja …" Rei warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. Es war eine Rolex, die ihm Kai vergangenen Juli zum Geburtstag geschenkt hatte. „So leid es mir tut, ich muss jetzt jedenfalls gehen. Unsere Uni wartet nicht auf uns."
„Rei, könntet ihr nicht Max …"
„Ausgeschlossen", kam ihm Rei dazwischen. Er musste an ihr Wohnzimmer denken, welches von ausgebreiteten Stoffen, Nadelkissen, Nähmaschinen, einer Kleiderpuppe und etlichem Gedöns belagert wurde – einer Ordnung, durch die nur noch Chaoten zu blicken vermochten – und konnte sich nicht ausmalen, wo sie da noch Max unterbringen wollten, außer neben der Kleiderpuppe oder in ihrem Schlafzimmer. „Damit wäre Kai auf keinen Fall einverstanden."
„Warum nicht?"
Rei, der sich erhoben hatte, dachte kurz nach. Dann beugte er sich vor, stützte sich auf das Krankenbett und näherte sich Takao auf legitime Distanz. „Hör zu, Takao."
„Was denn?"
„In zu klarem Wasser leben keine Fische. Und mit einem zu reinen Mann verkehren wenige …", flüsterte er. „Bonus vir semper tiro."
„Was heißt das!", wisperte Takao zurück.
„Ein guter Mensch bleibt immer Anfänger. Wenn du heute Nacht ohnehin nicht schlafen kannst, weil du dir Sorgen um Max machst, dann denk' doch mal darüber nach."
Takao runzelte die Stirn. „Ich versteh' nur Bahnhof … Du erinnerst mich immer mehr an Konfuzius."
„Und du bist ein Magnet für Trubel und Ärger. Seit wir gestern losgefahren sind, um Max abzuholen, jagt ein Unglück das andere."
„Was meinst du damit!"
„Vielleicht kommst du ja noch drauf" … was selbst in Reis Augen ein reichlich optimistischer Gedanke war. Vielleicht hatte der Unfall Takao ein paar Gehirnzellen mehr gekostet, doch sonderlich viele waren auch zuvor nicht vorhanden gewesen. Der Unterschied blieb also gering. „Bis Demnächst!"
„Bis demnächst … hoffentlich geht es Max gut …"
Als Rei die Zimmertür hinter sich schloss, seinen Mantel zurechtrückte und den Heimweg antrat, musste er plötzlich grinsen. Takao hatte sich schon immer übermäßig stark um seine Freunde gesorgt … doch bestand am Ende vielleicht die winzige Möglichkeit, dass er doch von ihrem Ufer war …?
Er schob den Gedanken in ein Hinterstübchen seines Gehirns.
Später würde sich noch genügend Zeit bieten, um darüber mit Kai zu diskutieren – spätestens dann, wenn er sich entschieden hatte, was er heute Abend kochen wollte …
Die Essensfrage klärte sich, als Rei am Anwesend er Kinomiyas ankam, um Kai abzuholen.
„Was soll bitte das!", fragte er entsetzt im Angesicht der Tüte mit den Fertiggerichten, „ich wollte doch heute kochen –"
„Nicht nötig.", entgegnete Kai finster. Er stellte zwei der Nudelpackungen neben dem friedlich schlummernden Max auf den Boden, drückte Rei einen tröstenden Kuss auf die Lippen und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach Hause.
Der Himmel glühte in Gold und Ocker, dort, wo im Westen die Sonne schon hinter den Schatten der Häuser und Strommästen verschwunden war. Den Osten hatte die Nacht in Schwärze getunkt; ein atemberaubendes Farbenspiel aber bot sich ihnen vor allem in den dahinziehenden Wolkenfeldern, die weiße Linien über den Horizont malten und dunkle Akzente in das leuchtende Ocker setzten. Als sie einander schweigend im Zug gegenübersaßen, der sie in die Vorstadt Chiba bringen sollte, wurde ihnen zum ersten Mal nach vierundzwanzig Stunden bewusst, dass ihre Körper von den Ereignissen ermüdet waren.
„Kaum zu fassen, dass wir erst gestern um diese Zeit noch auf unserem Balkon saßen. Da wussten wir noch nicht einmal etwas von Max' plötzlichem Besuch", sagte Rei und wandte Kai lächelnd den Blick zu. „So viel Aufregung an einem Tag … das hatten wir zuletzt vor mehr als drei Jahren."
„Unser Auto ist hin. Und Takao liegt im Krankenhaus.", erwiderte Kai.
„Das sind Opfer, die zu bringen sind. Ich spüre, dass Veränderungen auf uns zukommen werden. Aber ich bin damit nicht unglücklich."
„Hn."
„Hn mich nicht so an!" Rei legte den Kopf schief und zog eine Schnute – ein Anblick, der selbst Kai zum Schmunzeln brachte.
„Hör auf damit."
„Erzähl mir lieber, was du über unsere kleine Blondine herausgefunden hast. Was war in dem Päckchen?"
„Es gab kein Päckchen. Zumindest nicht seines." Gemächlich beugte sich Kai herab und holte den Skizzenblock herauf, der zwischen seinen Beinen auf dem Boden stand.
„Oh … das ist natürlich tragisch, wenn man bedenkt, was passiert ist. Wie denkt Max darüber?"
Stillschweigend schlug Kai die Seite seiner letzten Zeichnung auf und reichte sie Rei, der ihn fragend dreinblickend entgegen nahm.
Der harte Kai – so hätte ihm vermutlich nie jemand zugetraut – zeichnete in einem sehr weichen, angenehmen Stil. Und noch etwas zeichnete ihn aus, eine Kunst, die Kai heimlich beherrschte wie kein Zweiter: er wusste die Menschen zu dirigieren, wie es ihm beliebte. Indem er Max' in Pose gelegt hatte, hatte er bewirkt, dass dieser einschlief – und das trotz der großen Sorgen, die ihn plagten.
„Der Wechsel ist das Wesen der Welt.", kommentierte er. „Doch im Herzen bleiben die Menschen immer gleich."
Rei nickte, während er das Bild vom auf der Bettdecke zusammengerollten Max betrachtete. Wenn sich Menschen im Schlaf zusammenrollen, so heißt es, dann versuchten sie der Welt den Rücken zu kehren; wie Schnecken, die sich in ihr Häuschen zurückziehen, wenn es brenzlig wird.
„Hat er vor etwas Angst?", grübelte Rei mit gerunzelter Stirn. „Ich wüsste zu gern, was in seinem Kopf vor sich geht. Was steht hier? Keine Verletzungen am Körper. Reizbarer als sonst. Rollt sich zusammen. Hm … vermutlich gab es in Amerika Streit. Was meinst du?"
„Mizuhara? Streit?"
„Du hast recht. In der Tat eine ziemlich … gewöhnungsbedürftige Kombination." Seufzend lehnte sich Rei zurück und richtete den Blick aus dem Fenster. „Menschen, die Schwarz tragen, wollen etwas verbergen. Reizbare Menschen stehen unter Spannung."
„Er will der Welt den Rücken kehren und etwas verbergen.", fasste Kai zusammen.
„Jetzt stellt sich nur noch die Frage: was will er vor uns verheimlichen? Vermutlich ist das, was er verheimlichen will, der Grund für seine Anspannung."
„Lassen wir ihm Zeit."
„Ja, aber diese Angelegenheit ist ja noch nicht vorbei! Es gibt da immer noch dieses Päckchen – was glaubst du, ob er morgen noch einmal zu seinem Vater geht?"
„Vielleicht."
Rei atmete tief durch. „Ich hege so langsam dem Verdacht, dass wir selbst mit den größten Bemühungen nicht einmal im Entferntesten dazu in der Lage sein werden, nachzuempfinden, was in unserem Sonnenschein vor sich geht. Verdammt!" Ruckartig fuhr Rei auf und raufte sich die Haare. „Es ist furchtbar, in Ungewissheit warten zu müssen!"
Eine Weile schwiegen sie sich andächtig an, während Rei in Gedanken versunken die Zeichnung anstarrte. In seinem Schlafanzug unterschied sich der Junge kaum von dem sechzehnjährigen Max von vor drei Jahren; sein Gesicht war etwas länger geworden, erinnerte er sich, und die Sommersprossen auf seiner Nase hatten sich vermehrt, von der Körpergröße ganz zu schweigen. Er erinnerte sich an das Strahlen seiner blauen Augen, kurz bevor er am Flughafen zu weinen begonnen hatte … nein, unmöglich, dass das alles gespielt worden sein sollte. Und wie, um seine Mutmaßungen zu bestätigen, ergriff Kai plötzlich das Wort.
„Es gibt da noch etwas.", sagte er langsam.
„Oh nein – nicht schon wieder so was wie heute Nachmittag!", heulte Rei auf.
„Nein. Das bezahlst du heute Nacht."
Rei grinste ihn neckisch an. „Und was ist es?"
„Sein Tagebuch."
„SEIN – sein Tagebuch!" Mit einem Mal saß Rei aufrecht auf seinem Platz, die Finger um die Ränder des Blockes verkrampft. „Und das sagst du erst jetzt!"
„Gib' mir den Block."
„Erzähl' erst!"
„Nein. Gib' mir den Block."
Rei wusste, dass sie diese Diskussion noch weiterführen konnten, bis Kai im Bett über ihn herfiel, denn um nichts in der Welt würde er bereit sein, nachzugeben. Also gab er ihm den Block zurück – doch anstatt zu reden, zog Kai einen Stift aus seiner Manteltasche und begann zu schreiben. Ungeduldig spielte Rei mit seinen Fingern; Kai dachte nach, schrieb, überlegte, schrieb weiter, und so ging es fort, bis sie Chiba fast erreicht hatten.
Reis Finger brannten sich ins Papier, als er das gute Stück endlich an ihn zurück gab und ihn lesen ließ, was er wusste.
Und das war genug, um Spekulationen zuzulassen.
Sonntag, 21. September 2009
Wie konnte ich das nur tun. Ich bin ganz wirr im Kopf. Das darf doch nicht wahr sein – ich sterbe vor Angst.
Kann es fast nicht glauben, dass ich gerade in diesem Flugzeug sitze.
Meine Freunde und Takao zu sehen, ist das beste, was mir jetzt passieren kann.
Es wird alles wieder gut. Bei ihm bin ich sicher.
Von jetzt an muss ich wieder Mut fassen.
Aber ich hoffe, dass sie das mit "ihm" niemals herausfinden …
Reis Kopf fuhr hoch. Das Lachen war gänzlich aus seinem Gesicht verschwunden, doch seine bernsteinfarbenen Katzenaugen funkelten Kai an.
Max konnte nicht atmen.
Zwischen der hübschen, orangefarben gesprenkelten Blüte der Phalenopsis, den riesigen, stacheligen Blättern der Agave Franzosini und einer buschigen Ficus mit gelbgrün gemusterten Blättern, stand er vor dem Bücherregal. Der weiße Vollmond leuchtete ins Zimmer und Max war sich sicher, dass auch er es gewesen war, der ihn geweckt hatte.
In diesem Regal hatte er diese Bücher entdeckt: solche über tropische und europäische Pflanzen, Arzneien und Alkaloide, einen kleinen Gartenführer für Teichpflanzen und andere, die nur sehr schwer aufgezogen werden konnten, und sogar eine zweibändige Enzyklopädie der Pflanzen, eingefasst in einen dunkelgrünen Stoffumschlag.
Zwei der Bücher dieses Regals aber waren handgebunden. Auf den ersten Blick erkannte er, dass es sich dabei um dieselbe Art von Buch handelte, die ihm Takao einst geschenkt hatte. Er benutzte das seine als Tagebuch – doch dies … das waren keine Memoiren.
Vorsichtig nahm er beide Bücher heraus und trug sie zum Schreibtisch, unter das Fenster, in dem der Vollmond stand. Im Zimmer herrschte dank der vielen Pflanzen ein schwüles Klima und Max schwitzte. Doch im Angesicht der unbeschriebenen Ledercover, die nebeneinander auf der Tischplatte lagen und ihn anblickten, lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Ehrfürchtig strich er über das Leder des linken Buches, schlug es behutsam auf und las Takaos steile Handschrift auf der ersten der ungebleichten Seiten.
Herbarium März 2007 – September 2009 Takao Kinomiya
Darunter klebte unter Schutzfolie eine gepresste, bordeauxrote Passionsblume.
„Ein Herbarium", murmelte Max und lächelte in sich hinein. Jede einzelne der vielen Seiten war mühsam mit getrockneten und gepressten Blüten und Blättern ausgestaltet, hier und da durch eine unbeholfene Zeichnung ergänzt und mit Texten beschrieben worden, die Name, Herkunft und etliche weitere Eigenschaften der Pflanze preisgaben. Diese Leidenschaft hätte er dem großmäuligen Japaner nicht zugetraut, musste er sich eingestehen – doch umso angenehmer war diese Überraschung.
Weniger angenehm war ihm das rechte der beiden Bücher. Dieses, so sah er auf den zweiten Blick, wies eine weitere Besonderheit auf. Durch zwei Ösen im Umschlag hatte Takao ein starkes Lederband gezogen und das Herbarium mit einem festen Knoten verschlossen. Aus unerfindlichen Gründen pochte sein Herz, als er es umdrehte und den Knoten betrachtete … sollte er es öffnen? Oder auf sein Gefühl hören, und es nicht anrühren?
Mit den Fingerspitzen berührte er die Seitenränder und die geheimnisvolle Spannung, die von diesem Buch ausging, traf ihn wie ein Stromschlag. Was er in Händen hielt, war vielleicht weit mehr wert als ein Tagebuch; es war die Tür zu den dunklen Gedanken des ewigen Streiters für Gerechtigkeit, der Deckel auf dem Brunnen der Samara und der Schlüssel zur verfallenen Geistervilla.
Es war Takaos wohlgehütetes Geheimnis.
„Nicht heute", wisperte Max in die Stille, „erst wenn ich das Päckchen habe."
Mit diesen Worten nahm er die Herbarien auf den Arm und stellte sie zurück in den Schrank. Ruhigen Gewissens legte er sich wieder schlafen, denn unter dem Vollmond begannen bereits die Vögel zu zwitschern.
