Autor: OgaShi
Kapitel: 10 von ?
Disclaimer: Tief in unseren Herzen wissen wir doch alle insgeheim, dass Beyblade den Fans gehört. v.v Nur leider haben meine immer wiederkehrenden Besuche bei der Bank endgültig bestätigt, dass ich auch damit kein Geld verdiene.
Kapitel Zehn
... gibt es auch Götter, die uns retten.
Mittwoch, 16. Dezember 2009
Im tiefen Winter, knapp eine Woche vor Heilig Abend, lag Irland unter einer jungfräulich weißen Decke unberührten Schnees. Das Leben rastete in einem kalten, traumlosen Schlaf, sich fortwährend nach der Wiederkehr warmer Sonnenstrahlen sehnend. Einzig und allein die Magie lebendiger Sagen wachte über die legendären Gefilde, die einstige Heimat der Tuatha De Danann einst Riesen und nun Feen, die als Sidhen das Erdreich Irlands bevölkerten. Hügel reihte sich an Hügel, zwischen denen sich idyllische Kommunen aneinander betteten, und zerklüftete Felsen ragten über reißenden Strömen auf, in denen manch einer den Schatten eines mythischen Wesens gesehen zu haben glaubte. Im Norden Irlands, wo sich das malerische County Fermanagh in der Kälte behauptete, rauschte das Wasser des Lough Erne unter steifen Windböen. Jene Nacht hatte es geschneit und unter der fernen Sonne wirkten Low Lough Erne's Inseln wie erstarrt.
Im County Fermanagh fand sich auf der buckeligen Landschaft alle hundert oder fünfzig Meter der Sitz einer stolzen Familie, flache Häuschen mit roten Dächern, im Frühling von bunten Blumen umringt, und ein einzelner Kirchturm im Zentrum der Gemeinde, dessen Wände sich an das Kleid des Winters anpassten und mit ihm verschmolzen. Wer auf einem dieser Hügel verharrte und den Blick in die Ferne richtete, der blickte weit über eine inspirierende Region, über Berge und Schluchten, Flüsse und vereiste Felder, unikal bis ins allerletzte Detail, und wenn es nur die schwarzen Krähen waren, die sich auf Boa Island im Schnee um ein kleines Mädchen versammelt hatten.
Starr stand es zwischen den alten, verfallenen Statuen des Friedhofs Caldragh, zwischen Grabsteinen, die wie Ruinen eines Gebiss' aus dem funkelnden Weiß wuchsen. Hinter ihr trotzten mit herzförmigen Gesichtern, riesigen Köpfen, Katzenaugen und verschränkten Armen und Beinen die Janusstatuen dem Orkan. Moos wucherte auf den Felsen und Efeu umrankte die Kreuze. Es war ein alter Bauer von Boa Island, der seinen Spazierstock genommen hatte, um seiner Nichte auf dem Friedhof einen Besuch abzustatten; es war ihr Todestag und er ging der Annahme, dass ihn die Götter Asgards mit dem Wind dazu hatten bewegen wollten, zu Hause zu bleiben – doch ein Todestag war ein Todestag und er wollte ihn in Ehre halten, Götter hin oder her. Doch als er am Friedhof ankam und die Gestalt dort unten entdeckte, schlug sein Herz einen Moment höher – dieser Ort war allgemein als eine Heimat der Sidhen bekannt, doch zu Gesicht bekommen hatte er noch nie eines dieser Feenwesen. Es musste wohl ein Kind aus dem Dorf sein – doch welche Rabeneltern ließen zu, dass ihr Sprössling in diesem Sturm das Haus verließ? Er musste dreimal hinsehen, ehe er sich sicher sein konnte, dass es sich nicht um eine Geistererscheinung handelte, denn es bewegte sich kein Zipfel ihres dicken Mantels im Wind, der so erbarmungslos an dem seinen zerrte. Beinahe sah es so aus, als machten die Böen einen großen Bogen um diese kleine Gestalt. Sie trug eine Bärenfellmütze auf dem Kopf und ihre Stiefel steckten tief im Neuschnee – für einen Augenblick kam ihm der fürchterliche Gedanke, das Mädchen könne erfroren sein. Nun, zumindest glaubte er, dass es ein Mädchen war, denn langes, dünnes Haar hing wirr aus der Mütze heraus. Gedankenverloren und mit gerunzelter Stirn stapfte er etwas unbeholfen mit langen, schlaksigen Beinen den Hügel herab und näherte sich ehrfürchtig den steinernen Friedhofswächtern.
Mit jedem Meter, den er dem Mädchen näher kam, veränderte sich die Umgebung merkwürdig fühlbar. Bald spürte er, wie der Wind nachließ und das Heulen des Orkans leiser wurde, doch wenn er zurück blickte, sah er die Äste der kahlen Bäume, die sich bedrohlich gen Erde bogen.
„Hello?", rief er und verengte die von Krähenfüßen gezeichneten Augen. Ein unergründliches Gefühl der Bedrängnis riss an seinen Beinen, sodass er knapp drei Schritte vor den eindringlich starrenden Janusstatuen Widerwillen inne halten musste. Oh nein, er war außergewöhnlichen Dinge nicht abgeneigt, immerhin hatte er sein Leben auf dieser Insel verbracht, auf der es in jeder Ecke nach Magie nur so stank. Man dachte nur einmal an den Grabhügel von Newgrange, sowie an die Ruinen des Klosters von Clonmacnoise und die Steinkreise von Beaghmore. Und doch, und doch … Die plötzlich eintretende Grabesstille ließ ihn an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln. Es war wie eine dumpfe Geräuschlosigkeit durch einen starken Druck auf den Ohren, oder wie im Auge eines Zyklons – und diesen Wind wollte er keinesfalls als einen solchen anerkennen, es war ein steifer Wind, nicht mehr und nicht weniger, so dachte er –, und sie verursachte ihm eine Gänsehaut. Es herrschte Windstille. „Hello? Are you okay?", versuchte er es noch einmal. Doch seine Stimme wirkte ihm selbst fern.
Da bewegte sich etwas vor dem Mädchen und seine Augen, die unter dem Rand der viel zu großen Bärenfellmütze hervor stierten, verfolgten dieses Etwas mit akribischer Apathie. Ihm wurde kalt, als er es betrachtete – verwirrt musste er feststellen, dass er es tatsächlich nicht kannte –, und noch weit kälter, als er erkannte, was seine Aufmerksamkeit fesselte.
Es war ein riesenhafter Schmetterling, ein Trauermantel, so sagte ihm der noch funktionierende Part seines Verstandes. Des Trauermantels nussbraune, weiß gesäumte Flügel schlugen fleißig auf und ab, schlugen und schlugen und flatterten und flatterten, als hinge sein Leben davon ab. Leider rettete es ihm nicht das Leben, denn er erstarrte jäh und fiel tot herab auf den Schnee.
Vielleicht hätte der Schmetterling ihm Leid getan, wenn er selbst zur Trauer die Zeit gehabt hätte. Der alte Bauer sollte der Erste und Letzte bleiben, der diesem Schauspiel beiwohnen durfte. Vor allem aber war es das Letzte, was er in seinem Leben zu Gesicht bekam – nun, vielleicht war es auch der Schnee, oder gar der hysterische, auf ihn gerichtete Blick des Mädchens – doch das spielte keine Rolle mehr, als sie ihn gen Abend fanden. Das lange, faltige Gesicht war gebrandmarkt von Frostbeulen, seine verängstigten Augen waren glasig, von seinem spitzen Kinn hing ein Eiszapfen und die Hand, die sich an den Knauf des Spazierstocks klammerte, war blau angelaufen, ebenso wie seine schmalen Lippen. Er sah aus, als sei er stehen geblieben und an Ort und Stelle tief gefroren worden, denn seine Fußstapfen im Schnee waren die Einzigen in einem Umkreis von einer Meile.
Donnerstag, 17. Dezember 2009, 08:30
Wenn ein Taifun im schwülen Sommer über die japanische Küste hinweg fegte, war er meistens Tage zuvor von hohen Wassertemperaturen auf dem Nordpazifik entfacht worden. In einem schleichenden Prozess von wenigen Tagen verdunstete dort auf einer Fläche von der Größe Frankreichs die Wassermenge des Bodensees in Form eines dunstigen Nebels, in dem sich das Sonnenlicht brach. Gigantische Massen feuchtwarmer Luft erhoben sich gen Himmel und verursachten dort eine Druckdifferenz, die den entstehenden Tornado dazu zwang, anzugleichen, indem er Luftmassen aus seinem Umfeld heran saugte. Unterdessen fiel im Auge des wütenden Strudels kühle Luft herab und die Corioliskraft der Erddrehung versetzte den Sturmgiganten gemächlich in eine unaufhaltsame Drehbewegung.
Die Menschen Japans kannten dieses Phänomen und ebenso wussten sie, dass die Gefahr einer Bedrohung durch verheerende Taifune nur von August bis Oktober zu erwarten war. Denn um geboren zu werden, benötigten sie eine durchschnittliche Wassertemperatur von siebenundzwanzig Grad Celsius und eine hohe Luftfeuchtigkeit, die ihnen der Winter nicht bieten konnte. Geologisch gesehen war eine Entstehung zu dieser Zeit also definitiv unmöglich. Was für eine Erleichterung.
Stürmte im Sommer eines dieser Ungeheuer los, streifte es meist eine kleine, grüne Insel mitten im Pazifik. Die Einheimischen pflegten sie nicht zuletzt aus diesem Grund Taifuninsel zu nennen, denn von sechs erwarteten Wirbelstürmen durfte sie mindestens mit einer Face-to-Face-Konfrontation rechnen. Minami-Daitojima war mit sechs Kilometern an der breitesten Stelle ein winziger Landstrich südlich der japanischen Halbinsel Kyushu, der nicht einmal auf einfachen Landkarten verzeichnet war. Ziemlich genau 1500 Menschen bevölkerten die Taifuninsel und bewirtschafteten die Zuckerrohrfelder, die den Löwenanteil der Landschaft für sich beanspruchten. Mit Brettern und Schrauben bewaffnet, wussten es das Dorfvolk sich innerhalb weniger Minuten gegen den herannahenden Taifun zu wappnen: in ihren Augen war er längst keine Naturkatastrophe mehr, sondern viel mehr eine Jahreszeit, die sie nach langen, heißen Sommern sogar herbei sehnten. Denn sie hatten gelernt, dass eine Trockenperiode den für sie überlebenswichtigen Zuckerrohrplantagen weit mehr Schaden zuzufügen vermochten, als ein heftiger Taifun.
Minami-Daitojima war winzig, aber für die japanische Zivilisation annähernd so wichtig wie das Wasser, die Luft und die Sojasoßennudelsuppen aus dem Sparmarkt. Denn dort stand im einzigen Dorf der Insel ein großer, weißer Plattenbau voller High-Tech-Messgeräte: eine Wetterstation, wenn nicht genau die Wetterstation. Unzählige Messgeräte und nicht halb so viele Experten brachten ihren Lebtag damit zu, Taifune als erstes zu erkennen, um die Warnung an das japanische Festland weiterzugeben. Alltäglich um Punkt halb neun am Vormittag ließen sie eine ballonförmige Sonde bis zu dreißig Kilometer hoch empor steigen und empfingen ihre Funkdaten in der Zentrale. Eine Arbeit, die im Winter außerordentlich langweilig, aber leider nicht zu beurlauben war.
Professor Nabi, frischer Absolvent der Tokioter Toudai Universität, konnte selbst ein Jahr nach seiner Versetzung noch nicht fassen, wohin es ihn verschlagen hatte. Als Meteorologe mit einem unnachahmlichen Uniabschluss hatte er selbstverständlich schon vor seiner Ankunft von Minami-Daitojima gehört; doch als er die Insel schließlich zu Gesicht bekommen hatte, wie sie vor ihm lag, wie ein grünes Schnitzel im blauen Wasser, war er vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Da es hier keinen Hafen gab, hatte man ihn, seine Frau und sämtliche Ladungen Reis, Gemüse und Fisch mit einem Kran aufs Land transportieren müssen; und da war er gestanden, in einer steifen Spätherbstbrise, aschfahl im Gesicht und wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt.
Es war an einem Freitag gewesen. Die Nahrungsmittelvorräte wurden immer an einem Freitag von Okinawa und dem japanischen Festland heran transportiert, er hatte also keine Möglichkeit, diesen grässlichen Tag zu vergessen. Er erinnere sich immer daran, vor allem dann, wenn im Sommer ein Taifun über sein flaches Dach hinweg bretterte, oder wenn er im Winter vor Langeweile fast umkam. Noch sieben Tage bis heilig Abend und anstatt mit seiner Gattin ins Disney Land fahren zu können, musste er hier auf diesem gefliesten Platz vor der Wetterstation die Schnurr eines Ballons halten, damit dieser vom Wind nicht weggerissen wurde. Es dauerte seine Zeit, bis das erforderte Pensum von dreißig Kilometern Höhe erreicht war, und genauso lang, um die Sonde wieder herunter zu holen, und in dieser Zeit durfte er sich nicht von der Stelle bewegen. Bei den Göttern, was für ein Scheißjob. Es wusste doch jeder normal denkende Mensch, dass Taifune im Dezember schlicht und ergreifend nicht möglich waren.
Missmutig vergrub er das Kinn in seiner gepolsterten Jacke. Er sehnte sich nach einer Zigarette und einer Tasse heißen Tee.
Eine Stunde später – die Sonde war wieder verstaut, die Daten für den heutigen Tag im Kasten (nun, zumindest die der Sonde, an all die anderen Messgeräte wollte er jetzt noch gar nicht denken) – stapfte er mit knirschenden Zähnen zur Wetterstation zurück. In der Basisstation, wo riesige LC-Displays die Messungen der Sensoren anzeigten, saßen zwei seiner ältesten Kollegen und pokerten verbotener Weise um ihre Gehälter, ohne den Bildschirmen einen Funken ihrer wertvollen Beachtung zu schenken. Warum auch? Niemanden interessierte es, aus welcher Richtung der Wind kam, zumindest niemanden in diesem Raum. Und dass es kalt war, das wussten die da draußen auch selbst.
Demonstrativ schmiss Nabi seine Fausthandschuhe auf den einzigen Tisch im Raum und ließ seinen Blick routiniert über die LC-Displays schweifen. Zischend sog er die aufgeheizte, stickige Luft ein. Er wartete darauf, dass seine Kollegen etwas sagten; die plötzliche Stille im Raum lastete auf seiner Brust wie ein Sack Reis, die beiden Männer saßen sich schweigend gegenüber und schmissen wortlos die Karten auf den Tisch, obwohl er sich sicher gewesen war, sie auf dem Flur noch lachen gehört zu haben. Am Liebsten hätte er ihnen auf die Karten gespuckt, doch es gab ein paar Dinge, die durfte selbst er, als gemiedener Kopf der Truppe, sich nicht erlauben. Gelangweilt nahm er sich einen Stuhl, fischte seine Bentobox aus dem Rucksack und platzierte sich mit dem Rücken zu seinen Kollegen vor den von Bildschirmen umringten Fernseher. Und stutzte.
Die Anzeige des GOES Wettersatelliten über dem Nordpazifik schien defekt zu sein: sie zeigte den offenen, weiten Ozean in einer wolkenlosen Wetterlage – wolkenlos, bis auf eine einzige, kreisrunde Wolkenspirale von mehreren hundert Kilometern Durchmesser, die ein schwarzes Loch in der Mitte hatte und über dem Nordpazifik, nicht weit von ihnen, unter dem Himmel hing. Irgendein Hacker hatte sich wohl einen Spaß daraus gemacht, ihr System zu hacken und ihnen ein falsches Satellitenbild zu schicken. Ein Taifun um diese Jahreszeit? Lächerlich. Er hatte ihn längst durchschaut.
Trotzdem beschloss er, die Temperaturen zu überprüfen. Schnell war er bei den Thermohygrographen – einer altmodischen Kombination aus Messgeräten der Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit – und betrachtete kritisch den Schreibarm, der mit einem Schreibaufsatz auf seiner Spitze den Verlauf der Temperatur auf eine rotierende Papiertrommel übertrug. Und ja, verdammt, sie mussten es mit einem guten Hacker zu tun haben, denn laut der grafischen Aufzeichnung herrschten über dem Meer über zwanzig Grad Celsius.
Er schluckte hart. Natürlich konnte ein Hacker keinen Sensor hacken, und auch keinen Thermohygrographen. Ein Blick auf eine digitale Thermoanzeige sagte ihm die Temperaturmessungen der Region. Okinawa meldete unfassbare zwanzig Grad Celsius. Kyushu lag bei achtzehn, Shikoku bei siebzehn, Osaka und Kyoto bei zwölf und Tokyo bei zehn Grad Celsius. In diesem Moment sprang die Anzeige von zehn auf elf und Nabi musste sich festhalten. Verschwommen erinnerte er sich an die Nachrichten des vergangenen Abends – Tokyo, hatte es geheißen, lag unter vier Zentimetern Schnee, was allein schon eine Seltenheit war, doch ein Temperaturaufschwung von fünfzehn Grad – ach, was dachte er da. Unmöglich. Das war absolut unmöglich.
Was war mit Minami-Daitojima? Er hatte keine Temperaturumstürze gespürt, und Okinawa lag nicht allzu weit weg von ihnen, wenn also dorthin die Wärme zurückkehrte, musste es hier genauso geschehen. Leichenblass starrte er die Übertragung des Wettersatelliten an, stierte auf die Anzeige der Wassertemperatur, stellte sechsundzwanzig Grad fest und kehrte zurück zu der Entwicklung des Taifuns. Tatsächlich. Ein Taifun, wenn nicht weit mehr als das. Mitten im Winter. Diese Entdeckung war schon fast einen Lacher wert.
„Ey, Nabi-san", hörte er Tanaka-sans Stimme hinter sich, „was ist los? Haste irgendwelche Nabis gesehen?"
Sein Kollege kicherte hinter verhaltener Hand und Nabi straffte die Schultern. Es war sein tragisches Schicksal, dass er als Meteorologe ausgerechnet Nabi hieß – so wie der Monstertaifun, der 2005 Japans Norden heimgesucht hatte.
„Mitten im Winter findet Nabi-san einen zweiten Nabi. Nabi-sama.", dichtete Toyota-san hinzu. „Wow."
Nabi schenkte ihnen ein professionelles Lächeln. „Nein, mir ist nur etwas unwohl.", sagte er und verließ den Raum leise und schnell. Sein ungewöhnlich intelligentes Hirn hatte keine fünf Sekunden benötigt, um einen hinterhältigen Plan zu entwerfen. Die Mäntel von Tanaka und Toyota hingen an Haken im Gang und mindestens einer von beiden – er wusste nicht wer – pflegte seine Schlüsselkarte in der Jackentasche zu behalten. Sein erster Versuch war ein Treffer: er zog die Karte aus der Innentasche, tauschte sie gegen seine eigene und lief los. In seinem Kopf stürmte der Hass.
Das Gebäude war leer, niemand würde ihn sehen, dachte er bei sich, als er schnellen Schrittes die Treppen hinab hetzte, in der Hoffnung, dass seine verhassten Kollegen weiterhin an den Karten klebten und den Taifun nicht bemerkten. Die Überwachungskameras waren ausgeschaltet – ohnehin hingen sie nur noch zur Zierde an den Decken – und weißes Halogenlicht ließ die Gänge in einem unnatürlichen Glanz erscheinen. Ein hämisches Grinsen zierte sein langes Gesicht, als er sich mit der Schlüsselkarte Zugang zum Keller verschaffte. Der Computer würde die Karte registrieren und wenn es später darum ging, einen Schuldigen zu finden, war er selbst fein aus dem Schneider.
Mit diesem hasserfüllten Gedanken machte er sich an den drei Notstromaggregaten zu schaffen, die hinter einer Stahltür ungeschützt zwischen Kabelhaufen und Benzinkanistern herumstanden, und brauchte nur eine Minute, um sie ihres Gasolins zu berauben. Dann öffnete er den Stromkasten und legte den mit dem Pullover bedeckten Finger auf die Sicherung. Oh ja, er hasste diesen Job. Wenn er Glück hatte, war Minami-Daitojima morgen früh nicht mehr als ein Haufen verwüsteter Häuser und Zuckerrohrfelder und er konnte nach Tokyo zurückkehren.
Als in Japans wichtigster Wetterstation der Strom ausfiel, konnte man im Dorf bereits bedrohliche Wolkengebirge am nördlichen Horizont erkennen. Gleichzeitig zog sich Nabis Gattin in ihrer schäbigen Behausung den warmen Winterkimono aus, kramte einen schönen Papierfächer aus einer Schublade, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und wunderte sich über die so plötzlich hereingebrochene Wärme.
Was für eine seltsame Insel dies doch war …
Freitag, 18. Dezember 2009, 06:00 Uhr
In jener Nacht zum 18. Dezember tat Rei Kon kein Auge zu. Unruhig wie ein hungriger Wolf wälzte er sich auf seiner Seite des Bettes hin und her; sein Körper war ermattet von den mitreißenden Ereignissen des Tages und verlangte nach Schlaf, in seinem Kopf aber tobten die Gedanken, wie Wellen auf dem stürmischen Meer. Keine Sekunde lang zweifelte er daran, dass sich unter diesem Dach nur er auf diese Weise durch die Nacht quälte – ganz im Gegenteil. Er wusste, dass es seine Schuld war, dass im Wohnzimmer ein verheulter Max die Zimmerdecke anstarrte, die Gedanken bei Takao und Hiromi, die sich leidenschaftlich küssten, wie ein Paar, das viel zu lange hatte warten müssen …
In Reis Augen eine gar unvorstellbare Szene, der sein Geist nicht eine Sekunde lang Glauben schenken wollte. In den überarbeiteten Zellen seines Hirns fügten sich indessen Erinnerungen aneinander, die im Licht der jetzigen Situation ihre Schönheit gänzlich verloren hatten und gar grausam und ungreifbar fern wirkten. Begonnen bei ihrem Treffen im kindlichen Übermut, als sie ihre Herzen den Beyblades geschenkt hatten, nichts anderes im Sinn als den Wettbewerb und die Dualität von Sieg und Niederlage. Unbewusst musste Rei lächeln. Wie naiv sie doch gewesen waren, nie einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Zukunft bringen würde. Hätte ihm damals jemand prophezeit, dass er und der Beyblade-Gott Kai eines Tages … nun, wie auch immer man es nennen wollte, jedenfalls hätte er es für einen schlechten Witz gehalten. Heute fragte er sich, ob die Homo-Ehe in Japan erlaubt war. Ein doch bemerkenswerter Fortschritt.
Dann die für den Tokyoter Stadtteil Chuo-ku verheerende WM 2005. Die damals mit Brooklyn einher gegangene Verwüstung in Verbindung mit den mystischen Bestien war eines der Ereignisse, die sie geprägt und aneinander geschweißt hatte, wie die Bruchstücke eines Schwertes. Es war das Wissen, dass übernatürliche Phänomene ebenso existierten wie Tsunamis und Taifune, Erdbeben und Vulkanausbrüche. Sie hatten sich geschworen, dies niemals zu vergessen, immerzu zu sehen und die Augen nicht dem zu verschließen, woran sie nicht glauben wollten. Ein Taifun sollte die Verwüstung angerichtet haben? Dass er nicht lachte! Das erwachsene Volk war wirklich unfassbar verblendet.
Anschließend war alles Schlag auf Schlag gekommen. Zwar belächelte er selbst müde alle jene, die nur sahen, was sie sehen wollten, doch sie selbst hatten nicht bemerkt, was so offensichtlich gewesen sein musste. Max' Schmerz, der sich in seinen Augen widergespiegelt hatte, obgleich er immer gelächelt hatte, ein flüchtiges Erröten seiner Wangen, eine zaghafte Berührung und der schleichende Prozess der Distanzierung, bis hin zu jenem epochalen Tag. Rei vernahm Max' Stimme so deutlich in seinem Ohr, als stünde der Blondschopf direkt neben ihm, als er sich an seine klaren Worte erinnerte.
„Wir sind jetzt sechzehn und ich denke, wir sollten das Bladen an die Jüngeren unserer Generation abtreten und uns um einen halbwegs akzeptablen Schulabschluss bemühen. Don't you think so?"
Der Beginn einer neuen Ära ihres Lebens und eines abgrundtiefen Hasses seitens Daichi. Und zugleich der Auftakt zu drei langen Jahren der Trennung, die, frei nach dem Motto „Sehnsucht macht die Liebe stark", nicht ganz Max' erwünschten Effekt erzielt hatten. Nein, sie hatten weit daneben gezielt.
Reis Gedanken drehten sich im Kreis, welche Wege er auch belief, egal in welche Richtung er steuerte, immer wieder landete er an seinem Ausgangspunkt. Müde bis in die Knochen hievte er sich herum, schlang die Beine um die Bettdecke und schmiegte sich an Kai, der nachts schlief wie ein abgefallener Felsbrocken des Mount Everests. Die rote Digitalanzeige des Chromweckers, der auf dem Nachttisch stand, schaltete auf sechs Uhr.
Im Flur knarrte eine Diele. Erschaudernd hielt Rei den Atem an, einen Moment lang war er vor Schreck in jeder Faser seines Körpers gelähmt, hob langsam den Kopf und lauschte angestrengt in die Stille. Etwa Max? Da – schon wieder! Jemand sog scharf Luft ein, dann ertönte ein Schlurfen, das Geräusch von aneinander geriebenen Stoffen, einer Jacke vielleicht, die über Arme gestreift wurde. Rei schielte erneut auf den Wecker, nur um festzustellen, dass er sich nicht geirrt hatte. Es war tatsächlich erst sechs Uhr morgens. Keine Frage – Max wollte abhauen!
Entschieden schlug er die Bettdecke zurück und setzte sich auf, als jäh Kais Arm herum schnellte und ihn wie eine Ganzkörperklammer ans Bett heftete.
Mann, Kai!, schoss es dem verbissenen Rei durch den Kopf, lass schon los, du –
Kai aber zog ihn wie einen Teddy an seine Brust, den energischen Befreiungsversuchen ebenso energisch trotzend. Kurz darauf vernahm Rei ein Flüstern an seinem Ohr, das ihn durchfuhr wie ein Blitz und zeitgleich ein eiskaltes Prickeln unter seine Haut jagte. „Lass ihn gehen."
Rei unterdrückte einen Schrei, beschränkte sich auf ein Zucken und senkte seine Stimme. „Du bist ja wach!"
„Hätte ich schlafen wollen", erwiderte Kai wispernd, „wäre ich ins Wohnzimmer gegangen, oder hätte es mir auf dem Boden bequem gemacht, jenseits jeglicher Unruhen."
„Oh – sorry", murmelte Rei reumütig.
„Hn." Kai grinste ein ahnendes Grinsen im Schatten der Nacht, das Rei – wie die meisten dieser Phänomene – verborgen blieb. Es erklang das Geräusch einer vorsichtig zugezogenen Haustür, gefolgt von Schritten im Hausflur. Rei seufzte tief und schlug die Augen nieder.
„Wenn ich nicht wüsste, dass du Selbstmitleid hasst, würde ich mich für das größte Arschloch der Welt halten. Diese ganze Sache mit Takao ist auf meinem Mist gewachsen, wenn ich daran denke … ich kann mich selbst nicht mehr ausstehen." Er schüttelte fassungslos über sich selbst den Kopf, befreite sich von den Armen, die ihn festhielten, und wandte sich verletzt von Kai ab.
Mit dem JR-Zug fuhr Max in die Tokyoter Innenstadt und mit seiner Ankunft erwachte die Metropole aus ihrem Tiefschlaf. Das Meer funkelte wie flüssiges Gold unter der aufgehenden Sonne, deren schwaches Licht durch die heimlich still und leise kriechenden Nebelschwaden brach, die sich zur Morgendämmerung über den Gewässern gebildet hatten. Die Laternen brannten noch auf den Schnellstraßen und je weiter die Zeit voran schritt, desto mehr Autos tummelten sich unter ihnen; Fenster wurden geöffnet, Kleinläden nahmen den Betrieb wieder auf und geschäftige, Manga lesende Männer in Anzügen gesellten sich zu Max auf die Bank, auf welcher er auf dem Weg von Chiba nach Tokyo eine Stunde lang ausgeharrt hatte, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben.
Was am Vorabend geschehen war, lag ihm wie Gestein im Magen. Der Stress hatte ihm Kopfschmerzen beschert, denn selbst unter diesen Umständen hatte er die ganze Nacht nach einer optimistischen Alternative zu seinem Standpunkt gefahndet. Die Hoffnung war immer mit dickem Garn an sein Denken genäht gewesen und Takao hatte es mit einem einzigen Satz mühelos fertig gebracht, sie einfach abzureißen. Jetzt blutete er und niemand war da, seine Wunde zu flicken. Er stieg an einem Bahnhof mit Straßenbahnhaltestelle aus, fuhr in der Nähe des Dojos der Familie Kinomiya, kaufte sich dort an einem Kiosk eine verpackte Misosuppe und schlenderte los. Es ging auf halb acht zu und er hatte alle Zeit der Welt.
Max hatte schon immer ein Problem gehabt, das nie als ein solches angesehen worden war: er dachte zuviel nach. Selbst im Spiel mit den Beyblades war er nie ohne eine geniale Strategie in die Arena gestiegen, immer zu hatte er interpretiert und kombiniert, und seine Freunde hatten ihn dafür geschätzt. Jetzt, vier Jahre danach, begriff er erst, wie ähnlich er tatsächlich einer Schildkröte war. Der Denker war ein unvorteilhafter Wesenszug in seinem Charakterbild, denn er zwang ihn zur Defensive; wurde es gefährlich für ihn, verkroch er sich in seinen harten Panzer, zog sprichwörtlich den Schwanz ein und mied mit einem Lächeln die Konfrontation. Alle Welt mochte ihn, denn das machte ihn zu einem unkomplizierten, umgänglichen Menschen. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass es die Schildkröte sein würde, die ihm eines Tages so weh tun würde, denn jetzt sagte ihm sein Gewissen, dass er sich dem Kampf hätte stellen sollen. Ja, vielleicht hätte er toben sollen, als Takao ihm von Hiromi berichtet hatte. Vielleicht hätte er sich dann besser gefühlt.
Den Dojo umlief Max mit einem Häuserblock, bevor er in die Straße einbog, in der sein Vater schon seit Jahrzehnten lebte. Das weiße Haus wirkte auf ihn so vertraut, es empfing ihn wie einen Sohn, der einst ausgezogen war, die Welt zu entdecken, und nun niedergeschlagen zurückkehrte, weil er erfahren musste, wie grausam sie doch war. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er durch das quietschende Gartentürchen auf das Grundstück trat. Würde sein Vater sauer auf ihn sein? Würde er ihn willkommen heißen? Er erinnerte sich an die klare Botschaft vor drei Monaten, als er im Dojo um das Kukrimesser gebangt hatte. Drei Monate hatte er gebraucht, um den Mut aufzubringen, seinen Vater zu besuchen …
Gerade wollte er den Klingelknopf drücken, als die Haustür aufschwang und Max vor Schreck erstarrte. Vor ihm stand eine Frau, eine Chinesin, selbst noch ein blutjunges Ding und eine Schönheit sondergleichen.
„Kann ich Ihnen helfen?", fragte sie mit heller Stimme und hob ihre fein nachgezogenen Augenbrauen um ein zehntel Zentimeter. Ihr spitzes Gesicht war schneeweiß und ihr feines Haar, das sie zu einem hochgesteckten Dutt trug, pechschwarz, ebenso wie ihre stechenden Augen. Unter dem rechten dieser Augen befand sich ein Schönheitsfleck, anhand dessen – und noch mehr – er sie sofort wieder erkannte: es war die neue Freundin seines Vaters. Wäre er bei seinem letzten Besuch – der viel mehr ein Einbruch gewesen war, als ein Besuch – nicht so aufgeregt gewesen, hätte er sich vielleicht auch an ihre Mädchenhaftigkeit erinnert. Überrumpelt suchte Max nach seiner Stimme, während sich der Knoten in seinem Magen noch verstärkte. Ihr intensiver, kalter Blick hatte etwas gar etwas beängstigend Furioses an sich …
Sie trug einen Aktenkoffer in der Hand, einen Haustürschlüssel in der anderen, ein Kostüm am jugendlichen Körper und einen weißen Mantel über dem Arm. Offenbar arbeitete sie in einer Praxis oder in einem Labor. „Wer sind Sie? Und wissen Sie eigentlich, wie früh es ist?"
Max spürte die Übelkeit in seinem Rachen anschwellen. Er verstand sofort: für sie musste es so ausgesehen haben, als habe er vor dem Haus herumgelungert. Doch seit wann musste er sich vor seinem eigenen Zuhause so behandeln lassen? „Ich bin Max. Mizuhara. Und ich will zu meinem Dad."
„Oh", entgegnete sie mäßig enthusiastisch und klimperte mit den Wimpern. „Tut mir leid, aber dein Vater ist nicht da. Komm' heute Nachmittag noch einmal vorbei, wenn du ihn besuchen willst." Während sie sprach trat sie aus dem Haus und zog die Tür hinter sich zu – ein Vorgang, der einem kräftigen Tritt in seine empfindlichsten Weichteile in nichts nachstand. Max Herz sprengte sich beinahe selbst aus der Brust, als sich geräuschvoll der Schlüssel im Schloss drehte. „Kannst du bitte unser Grundstück verlassen und später noch einmal wiederkommen?", wiederholte sie sich großäugig. Ihr perfektes Antlitz blickte ihm direkt in die Augen.
„Wo ist mein Dad", entgegnete er tonlos und ihre Züge verhärteten sich.
„Er verkauft dieses Spielzeug, weißt du das nicht?"
„Um diese Uhrzeit schon?", schnellte er ihr dazwischen. „Mein Dad geht nie ohne Frühstück aus dem Haus, und der Shop –"
„Dein Dad frühstückt nie und geht immer so früh in den Laden. Wenn du was von ihm willst, musst du entweder selbst hin gehen oder später noch mal kommen. Am besten gehst du hin, ich hab' heute Nachmittag noch genug im Haus zu tun." Sie schritt an ihm vorbei. Nach einem Moment der Stille bemerkte er, dass sie ihm das Gartentürchen aufhielt.
„Ich möchte bitte hier warten", entgegnete er, bemüht, höflich zu bleiben, obgleich er sich betrogen fühlte – dies war sein Zuhause, er durfte hier her zurück kehren, wann immer ihm beliebte!
Ihr Porzellangesicht zeigte nicht den Hauch einer Veränderung, doch ihre Stimme senkte sich zu einem gefährlichen Flüstern. „Im Garten? Bis heute Abend?"
„Nein, im Haus natürlich!"
„Wie bitte?" Sie lachte gekünstelt und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber ich lasse doch keine wildfremden Menschen den ganzen Tag in meinem Haus herum laufen. Wenn du willst, geb' ich dir die neue Adresse vom Geschäft deines Vaters. Andernfalls geh' jetzt. Hier ist niemand zuhause."
Max' Knie wurden weich, doch die Wut in seiner Brust explodierte förmlich. Er fühlte sich wie der Verlierer eines unlauteren Wettkampfs, seine zwei Füße steckten in schweren Betonblöcken und bewegten sich keinen Millimeter von der Stelle. Sein Vater, der Verräter, wie konnte er nur zulassen, dass diese … Frau ihn behandelte wie einen Fremden? Seinen eigenen Stammhalter! Ein Gedankenblitz schoss ihm jäh durch den angestrengt arbeitenden Kopf: das Bild eines Schlafzimmers, aus dem jegliche Spuren von ihm gewischt worden waren, wie Dreck von einem sauberen Fußboden. Sein Zimmer, das längst nicht mehr existierte; seit wann, das wusste nur der Himmel. Vielleicht war er tatsächlich längst in den Status eines Wildfremden gerutscht …
„Du da", sagte die Frau auf der anderen Seite des Gartens. „Ich will nicht unbedingt im Berufsverkehr durch Tokyo fahren. Wenn du nicht gehst, ruf' ich die Polizei, dann kannst du dich mit denen rumschlagen. Willst du das?"
Nein. Darauf hatte in der Tat keine Lust. „Sagen Sie meinem Dad bitte nicht, dass ich hier war.", bat er sie im Vorübergehen – wobei er einen größtmöglichen Abstand zu ihr hielt und sich nicht verneigte – und kaum hatte er das Tor durchquert, nahm er die Beine in die Hand und rannte er los, sodass die Furie nur entrüstet schnauben konnte. In der Tat hatte er beschlossen, seinen Entschluss rückgängig zu machen und sich nicht bei seinem Vater blicken zu lassen – nicht, wenn alle Zeichen auf Trennung standen. Die Trennung von seiner Familie, von seiner Mutter, die ihn hasste, weil er am anderen Ufer angedockt hatte, von seinem Vater, der ihn mit einem Lachen verraten hatte, von Takao, der –
Es gab ein schepperndes Geräusch, verbunden mit einem pfeilschnellen Schmerz, der auf seiner Stirn barst und kalt durch seinen Kopf raste. Der Schock nahm ihm für Sekunden das Bewusstsein und ließ ihn rücklings auf das Pflaster stürzen. Sein Hinterkopf erlitt einen zweiten Stoß und als Max wieder die Augen öffnete, kreisten über ihm am strahlend blauen Himmel die Vögel unter weißen Zuckerwattewolken. Auf seiner Stirn pochte eine schmerzende Beule, die einen Blitz durch sein Hirn jagte, als er sie berührte. Irritiert hob er den Kopf an und musste feststellen, dass er geradewegs in das einzige Straßenschild weit und breit gerannt war, Tränen getrübten Blickes und einen Kloß im Hals, der selbst einen leisen Schmerzensschrei im Keim erstickt hatte. Verzweiflung nahm mehr und mehr von ihm Besitz, umgarnte ihn wie eine Spinne ihr Opfer, ihn zu Brei zu zersetzen und auszusaugen … Wohin sollte er gehen, wenn es keinen Platz mehr für ihn gab? Wo sollte er bleiben, wenn er nirgends willkommen war? Wie hatte er sich seiner Sache bislang so sicher sein können, hatten sie ihm letztendlich alle ins Gesicht gelacht, um auf eine Gelegenheit zu warten, ihm den Garaus zu machen? Wo war er hin, sein Mut, wer hatte ihn abgeschossen?
Er hielt sich den Kopf und musste an eine Schildkröte denken. Und plötzlich hörte er Schritte.
