Reviewantwort:
Nyella!
Vielen Dank für deine Review! Die erste zu bekommen ist wahrlich etwas Besonderes! ‚Hannon le' dafür und für die guten Tipps! Au ja, an meinem Stil muss ich noch kräftig arbeiten, aber es freut mich, dass dir die Story gefällt.
Das mit dem Elben und dem Pferd:
Es war wirklich so gedacht, dass er dort entkräftet herunter gleitet. Die Verletzung hatte er bereits, als das Pferd bei der Koppel auftauchte. Es scheut dann vor ihr und läuft davon. Das wird später sicher noch erklärt ;-)
Erklärung zu Kapitel 2:
Ich gehe davon aus, dass die Elben, die heute noch in Irland leben sollen, sich sehr wohl über uns informieren. Sie sind bei Tolkien auch sehr gebildet und an anderen Völkern interessiert. Bis zu einem gewissen Grad kennen sie in meiner Geschichte zumindest theoretisch Teile unserer Lebensweise, Sprache und Schrift und in den Sagen spricht man von ihrer Neugierde auf uns, wenn sie sich selbst auch niemals beobachten lassen.
Diesmal gibt es noch viel zu erklären, in Kapitel 3 kommt dann auch etwas Action. Aber es bleibt weiterhin eine „Romance/Drama" Story. Ich vertrage eine Menge ehrlicher Kritik – also keine Scheu – Reviews sind immer willkommen.
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NUR EIN TRAUM
Kapitel 2: Hannon le
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Alena öffnete die Türe und Giant drängte sich sofort hinaus. Peter kam eiligen Schrittes herein, ignorierte diesmal die freundliche Begrüßung des Hundes und fragte Alena hastig: „Wo ist er?", und übersah dabei nicht die Aufregung in ihren Augen.
„Auf der Couch", deutete diese in deren Richtung.
Peter stellte seine Tasche neben dem Verletzten ab, nahm seine Handschuhe heraus und begann sofort mit der Untersuchung der Pfeilschusswunde.
„Das ist aber schon länger her", bemerkte er nach einer Weile, ohne von der Arbeit abzulassen. „Das Gewebe herum ist bereits leicht entzündet. Einen deftigen Schlag auf den Kopf hat er wohl auch abbekommen."
„Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte Alena besorgt, drängte dabei Giant abermals von Peter weg und verwies ihn deutend auf seinen Platz.
„Später."
Er blickte kurz zu ihr auf und seine Stirn legte sich in Falten, als er Alenas blutbefleckte Hände dabei bemerkte.
„Hast du etwa keine Handschuhe getragen?", fragte er leise und blickte ihr dabei sorgenvoll in die Augen. „Hast du noch nie etwas von Ansteckung gehört? Aids?"
Alena betrachtete ihre Hände.
„D... das habe ich ganz vergessen", brach sie leise hervor.
Der Tierarzt schüttelte den Kopf, richtete jedoch gleich wieder seine Aufmerksamkeit der Wunde zu.
„Nimm dir welche aus dem Koffer und hilf mir jetzt."
Er reichte ihr eine große Wundauflage und desinfizierte die Stelle rund um die Verletzung. Alena verfolgte die Szene total angespannt, als Peter begann, den Pfeil mit einem kleinen Skalpell vorsichtig herauszuschneiden. Frisches Blut floss sogleich aus der Wunde und der Verletzte stöhnte leicht und Peter hielt inne.
„Noch ein kleines Stück. Hoffentlich ist die Spitze nicht abgebrochen, denn sonst müssen wir sofort ins Spital, egal wie lange es dorthin dauert! Zum Glück gibt es hier fast nur Muskelgewebe und keine große Arterie."
Die metallene Pfeilspitze war unversehrt, hatte nur einen leichten Widerhaken und konnte deshalb ohne gröbere Probleme entfernt werden. Peter richtete sich Nadel, Faden und Pinzetten und gab ihr noch mehr Mulltupfer.
„Er braucht unbedingt Flüssigkeit. Sein Blut ist viel zu dick. Der Blutverlust und zusätzlich zuwenig Wasserzufuhr können in seinem Zustand zu Komplikationen führen."
„Was geschieht als nächstes?", fragte Alena Peter, der geschickt Knoten in die Fäden fertigte.
„Zuerst bekommt er eine Infusion. Er ist stark dehydriert und dann noch ein Antibiotikum gegen die Entzündung."
Er knüpfte eben die letzten Knoten, wischte die Wunde vom Blut sauber und Alena hielt ihm das Desinfektionsmittel hin. Dieses nehmend fügte er noch hinzu: „Wenn ich ihn fertig verbunden habe, werden wir ihn mal sauber einkleiden. Du kannst schon Passendes suchen, falls du überhaut etwas in seiner Größe da hast."
Zum ersten Mal lächelte er Alena heute an. Ihr Gesicht wirkte so verwirrt und unbeholfen, so hatte er sie noch nie gesehen und fand das richtig süß. Alena lächelte ein wenig zurück und ging in ihr Schlafzimmer, die Türe offen lassend.
„Weißt du eigentlich, warum ich dich noch so spät angerufen habe?", rief ihr Peter fragend nach.
Es war jetzt bereits zwei Uhr morgens.
„Nein, aber stimmt, es ist nicht gerade eine übliche Zeit jemanden anzurufen", drang Alenas Antwort aus dem Zimmer.
„Du bist den ganzen Tag nicht ans Telefon gegangen, du schlimmes Mädchen! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Immerhin streifst du hier alleine herum."
Da war es wieder, dachte Alena.
Jetzt war sie endlich selbstständig und aus dem Elternhaus heraußen und wurde jetzt auch hier weiter zu sehr umsorgt. Peter war ihr bester Freund hier heraußen geworden und man konnte mit ihm einfach über alles reden, aber manchmal dachte sie er sei ihr großer Bruder geworden.
„Ich bin schon ein großes Mädchen, lieber Peter", äffte sie zu ihm hinaus.
Wieder schenkte ihm das ein Lächeln auf sein Gesicht.
„Alena, hilfst du mir nochmals?"
Sie kam mit einem großen, dunkelblauen Bademantel am Arm und hielt ihm diesen fragend entgegen.
„Müsste passen", bemerkte er knapp. „Hilf mir ihn aufzurichten."
Peter hatte in der Zwischenzeit dessen Oberkörper frei gemacht. Alena richtete ihn auf und streifte die Kleidungsstücke an den Armen herunter. Das zweite schien wie aus heller Seide zu sein, so weich und leicht fühlte es sich in ihren Händen an.
Während Peter geschickt den Verband anbrachte, hielt Alena mit einer Hand den Kopf und mit der anderen den Oberkörper des Verletzten aufrecht. Seine Haut fühlte sich so überraschend zart und weich an und Alena umspielte kurz ein leichter Duft, der sie an wilden Honigklee erinnerte. Seine Schultern waren kräftig und sehnig gebaut, auch wenn er zart und schlank wirkte. Leichte Verwirrung stieg in ihr hoch.
„So. Wir sind fertig."
Peter kam ihr zu Hilfe und gemeinsam legten sie ihn vorsichtig zurück.
„Machst du mir bitte einen Kaffee?", fragte er sie.
„Oh... ja... entschuldige. Ich hatte einfach noch nicht an so etwas gedacht."
Alena ging wie ferngesteuert in die Küche.
Was war da jetzt vorhin mit mir los gewesen? Hatte sie noch nie einen Mann berührt?, fragte sie sich, aber da war etwas... sie vermochte es nicht zu beschreiben. Wobei... es war wohl die ganze Aufregung und die späte Stunde, bekräftigte sie sich.
Der Gedanke war schnell wieder verflogen und nach einigen Minuten kam sie mit zwei dampfenden Kaffeetassen wieder heraus. Peter durchsuchte gerade die fremden Kleidungsstücke. Er hatte ihm inzwischen den Bademantel übergestreift. Eine Infusion hing von der Stehlampe herunter, die als provisorisch erhöhte Halterung benützt wurde. Als Landtierarzt hatte er zu improvisieren gelernt.
„Nichts. Kein Ausweis, nicht einmal Etiketten finde ich in seiner Kleidung."
Er sah ihr nachdenklich in die Augen.
„Vielleicht hat er sie anfertigen lassen? Sie sehen mir ohnedies sehr außergewöhnlich aus", bemerkte Alena dazu, während sie die Tassen auf den Tisch stellte.
Dabei entdeckte sie das dort liegende Probenglas mit Blut.
„Ich habe ihm etwas abgenommen und lasse es testen", erklärte ihr Peter, der ihren Blick bemerkt hatte.
„Ah, ich verstehe, aber dein Labor wird dir wohl kein Tierblut auf Aids testen, oder?"
Jetzt hatte auch Alena wieder ihr schelmisches Grinsen gefunden.
„Lass das mal meine Sorge sein. Mir schuldet Will noch mehr als einen Gefallen", bemerkte Peter und packte seine Sachen in den Koffer.
„Den Umhang kannst du sicher wegschmeißen."
Peter deutete auf die Kleidung am Boden.
„Möchte wissen wo er damit hingekommen ist, denn das ist kein normaler Geruch von altem Blut."
Er setzte sich zu Alena.
„Aber jetzt zu etwas Anderem."
Seine Miene wurde ernst.
„Wir konnten ja leider keine Identität feststellen und du weißt, dass Schussverletzungen meldepflichtig sind. Ich gehe davon aus, dass dies auch bei einer Pfeilschusswunde zu geschehen hat."
Alena verdrehte die Augen. Immer diese Gesetze. Er ergriff ihre Hand.
„Nein, Alena. Wir können das nicht einfach so unter den Tisch kehren. Du weißt, dass ich es gar nicht hätte machen dürfen, aber woher kommt er wirklich? Denke doch einmal nach. Vielleicht ist er selbst ein Krimineller? Ein Obdachloser ist er gewiss nicht, wie du vermutet hattest. Dafür sieht er mir, abgesehen von seinem derzeitigen Zustand, viel zu vital aus. Sei vorsichtig, ich kann dich nicht immer retten."
Den letzten Satz hatte er wieder grinsend verstärkt und Alena plusterte sich auf.
„Spiele doch nicht immer auf diesen Vorfall an", maulte sie beleidigt.
„Komm schon, ich muss dich doch wieder etwas aufheitern. Es ist bereits halbdrei Uhr morgens und ich habe um fünf bei einer Fohlengeburt zu sein. Du bist mir etwas schuldig, kleine Baumzählerin."
Sie knuffte ihn in den Arm.
„Au! Das tat weh."
„Das sollte es auch."
Er zog sie immer auf, weil sie hier neben den Tieren auch den Baumbestand bestimmter Arten zu registrieren hatte. Wobei sie nicht jeden Stamm zählen musste, wie er vermutete. Jetzt entrang ihr ein Gähnen und sie merkte, wie müde sie bereits war.
„Die Anspannung fällt von dir ab. Das ist immer so", klärte er sie auf.
„Du machst ja so etwas öfters mit."
„Ja, aber nie bei Menschen."
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich werde dir Morgen ein paar Jeans und Hemden vorbei bringen. Deine Größe wird wohl nicht reichen."
Sein Blick strich über den Unbekannten, der noch ruhig zu schlafen schien. Er stellte seine Kaffeetasse ab und ging nochmals zu ihm und kontrollierte Puls und Atmung. Die Infusionsflasche war auch bereits leer.
„Wird er wieder gesund? Wann wird er aufwachen", fragte Alena.
„Den Verletzungen nach kommt er sicher durch. Du weißt, ich bin kein Humanmediziner, aber ich schätze, dass er Morgen schon wieder unter uns weilen wird. Ruf' mich an, sobald er aufwacht, okay?"
„Ja, werd' ich machen."
„Ich lasse dir hier noch einige Schmerzmittel da, wobei", er grinste, „die sind von meinem Arzt, also keine Tiermedizin."
Alena fiel ihm um den Hals und sagte noch ein müdes „Danke".
Ihn zur Türe begleitend, fügte sie noch hinzu: „Ich mache das alles wieder gut. Ich stehe mal wieder in deiner Schuld."
„Das sind wir doch gewohnt, oder?", grinste er sie müde an. „Ich lege mich jetzt nieder. Ich habe ja nicht den Luxus mir meine Zeit frei einteilen zu können", bemerkte er noch.
Alena winkte ihm, als er die Einfahrt hinaus fuhr. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und Giant schlief schon tief und fest auf seinem Platz. Sie schaute nochmals zur Couch, doch alles war unverändert. Dann ging sie ins Bett und schlief sofort ein.
°
„Hm... hör' auf, Giant", murmelte Alena. „Geh' raus aus meinem Bett."
Plonk!
Ein Kopfpolster flog genau an Giant vorbei, doch einen achtzig Zentimeter großen Irish Wolfhound brachte so etwas nicht so schnell aus der Ruhe. Er leckte weiter an ihrem Gesicht.
„Hör' auf! Ich mag das nicht."
Sie wischte sich mit der Hand das hundenasse Gesicht ab. Giant bellte undsie fuhr hoch.
Der Fremde, schoss es in ihre Gedanken.
Ihr Blick wanderte auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. Schnell schlüpfte sie in Jeans und Shirt, schlich dann langsam ins Wohnzimmer während Giant zur Haustür stürmte.
Die Couch war leer. Er war weg!
„Das gibt es doch nicht", murmelte sie.
Augenblicklich drehte sie sich in alle Richtungen um, doch war er nirgends zu finden. Peters warnende Worte fielen ihr plötzlich ein und sie schlich in die Küche, das Bad, aber er war nirgends zu finden und auch sonst waren keine Spuren auszumachen. Giant winselte und sprang auf die verschlossene Türe, was er auch noch nie gemacht hatte.
„Aus! Du zerkratzt ja alles."
Die Türe öffnend, lief Giant geradewegs an ihr vorbei und hielt auch nicht beim nahen Waldrand.
„GIANT!", rief sie ihm vergebens nach. „Das auch noch! Jetzt geht er wieder jagen", sagte sie verzweifelt.
Sie konnte es dem Windhund nicht abgewöhnen und eines Tages würde ihn ein Aufseher entdecken und dadurch ziemliche Probleme bereiten.
Ohne Schuhe folgte sie dem Weg, den Giant eingeschlagen hatte und dieser führte eine Weile an der Koppel vorbei. Dheas kam heran und brummelte in Hengstmanier zu ihr herüber.
„Guten Morgen, mein Lieber", brachte sie ihm entgegen, „du hast nicht zufällig unseren Patienten gesehen?"
Dheas scharrte nur mit den Vorderhufen.
Alena stapfte weiter durch das taunasse Gras. Der Morgen war wunderbar und am Boden neben dem Gebüsch entdeckte sie einige kreischende, junge Vogelkinder, die ihren Eltern nachdrängten und sie um weiteres Futter anbettelten. Das erinnerte sie an die fehlende Statistik über die Nachtschwalbenpopulation, die sie noch abzuliefern hatte.
Sie drängte die Haselnussstauden zur Seite, denn der Weg wuchs hier immer so schnell zu. Vorne schimmerte das noch leicht schräg einfallende Morgenlicht in einer Lichtung und zauberte wunderbare Strahlen in die Waldluft. Insekten aller Art schwirrten herum und reflektierten mit ihren Flügeln ein herrlich buntes Farbenspiel. Alena atmete tief ein. Es war, als würde man einen Vorhang hinter ihr herunterlassen und die Zeit schien einfach still zu stehen... und dann sah sie ihn.
Er stand gleich an der kleinen Lichtung, den Rücken zu ihr gekehrt, blickte er in den tiefen Wald. Giant lehnte an seiner Seite und wurde von ihm am Kopf gestreichelt. Sie hielt in ihrer Bewegung inne, doch hatte er sie bereits bemerkt, drehte sich in ihre Richtung und verharrte. Alena kam näher und lächelte, als sie ihn in ihrem dunkelblauen Bademantel sah. Es sah einfach lustig aus und mit diesem Lächeln ging sie weiter auf ihn zu. Große, tiefblaue Augen blickten ihr entgegen. Sie zögerte, denn es schien kurz, als wolle er weggehen.
„Guten Morgen", sagte sie.
Keine Reaktion folgte und in seinen Augen konnte sie so etwas wie Verwirrung lesen.
„Wie geht es ihnen? Sie haben uns ja mächtig erschreckt", fügte sie noch hinzu, als er keine Anstalten machte ihr etwas zu erwidern.
Etwas verunsichert griff sie auf Giants Rücken, der sich sogleich zu ihr umdrehte. Anscheinend hatte er sich mit ihm bereits angefreundet und das wollte sie ausnützen. Die Blicke des blonden Mannes verfolgten jede ihrer Bewegungen. Nach einer Weile legte sich seine Hand wieder auf Giants Kopf. Sie sah auf und blickte nochmals geradewegs in diese Augen, die ihr so verwirrt und verloren entgegenblickten. Ein starkes Gefühl machte sich in ihr breit, denn sie spürte, dass er ihre Hilfe auch jetzt noch brauchen würde. Er wankte leicht, griff nach dem jungen Baum neben ihm und verzog schmerzhaft sein Gesicht. Sein Atem ging schneller und auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen.
Alena sprang hoch, fasste ihm am Arm und sagte ruhig, jedoch bestimmt: „Jetzt bringen wir sie mal schnell wieder zurück. Sie können mir ja später alles noch erzählen."
Ohne jeglichen Zweifel aufkommen lassend zog sie ihn sanft auf den Weg zurück. Er ließ sie gewähren und ging ihr langsam nach. Giant sprang freudig am Weg voran.
„Haben Sie Hunger?"
Als er sie darauf nicht einmal mehr anblickte, schüttelte sie den Kopf. War er Ausländer? Verstand er ihre Sprache denn nicht? Aber er müsste doch zumindest irgendetwas sagen. Sie dachte an gestern, als er einige, ihr unverständliche Worte sprach. Schweigend geleitete sie ihn zum Haus und er schien immer schwächer zu werden. Es war ja auch verrückt heute schon aufzustehen, schimpfte sie ihn in Gedanken.
Im Haus angelangt, welches gleich ins Wohnzimmer führte, setzte sie ihn auf die Couch. Seine Kleidung räumte sie noch schnell weg und wieder zurück, hatte er sich bereits hingelegt und die Augen halb geschlossen. Es ging ihm gar nicht so gut.
„Das kommt davon, wenn man so früh aufsteht. Wie haben sie das überhaupt geschafft? Gestern noch halb tot und heute wollen sie schon wieder herumspringen?"
Vor ihm stehend machte sie eine Handbewegung, dass er wieder schlafen sollte. Er nickte und Alena strahlte freudig.
„He – sie verstehen mich ja! Und jetzt mache ich uns ein kräftiges Frühstück. Ich brauche wohl nicht zu fragen, was sie am liebsten essen?"
Alena begann die Situation zu gefallen. Alles, das seit gestern geschah, war irgendwie so unglaubwürdig. Was spielte es nun für eine Rolle, dass er sie nicht richtig verstand? Sie machte Kaffee, backte einige Brötchen auf und holte leckere Marmelade aus der Speisekammer.
Das Tablett randvoll befüllt, betrat sie das Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch. Er war wieder eingeschlafen und sie wollte ihn auf keinen Fall wecken. Der Bademantel war ihm eindeutig zu klein, denn seine Beine lugten halb hervor.Behutsam legte sie ihm eine neue Decke über. Irgendwie wirkte sein Gesicht heute jünger, von edler, feiner Struktur, fast schon zu zart für einen Mann. Die Kratzer schienen auch bereits teilweise verheilt zu sein. Er dürfte wirklich in einem gesunden Zustand sein, wie Peter bemerkt hatte.
Alena verspürte jetzt bereits großen Hunger. Während sie sich mit Marmeladenbrötchen voll stopfte, überlegte sie aus welchem Land er stammen könnte. Sie musterte ihn genauer. Blonde Haare, helle Haut, groß, schlank. Kam er aus dem höheren Norden? Oder aus einem skandinavischen Land? Bei einem weiteren Schluck Kaffee überlegte sie, welche Wörter sie von diesen Sprachen kannte und gab resignierend zu, dass sie, bis auf ein paar schwedische Wörter, keine kannte. Damals war sie in einen Austauschschüler von dort verknallt.
Er bewegte sich leicht im Schlaf, atmete unregelmäßig. Ihr fiel ein, dass sie die Neuigkeiten noch an Peter berichten musste und hob das Handy auf, welches sie gestern achtlos weggeschmissen hatte. Peter nahm die Nachricht freudig entgegen und war auch etwas über seine rasche Genesung verwundert. Er wollte gleich nach dem nächsten Patienten vorbeikommen.
Alles läuft wieder gut, dachte Alena zu sich und machte schnell ihre Tierrunde. Die Gänse schnatterten aufgeregt am Koppelrand herum, während Maggy spielerisch mit Dheas auf der Koppel bockte. Heute war der erste Sommertag dieses Jahres. Ein wunderbares Gefühl durchströmte Alena, denn sie hatte gestern einem Menschen das Leben gerettet. Wobei, eigentlich war es dann doch Peter.
Egal, dachte sie und summte ein fröhliches Lied.
Schon sah sie Peters Wagen in ihre Einfahrt einbiegen und Giant war sofort zur Stelle, wedelte mit seiner mächtigen Rute.
„Na, mein Guter? Hast du auf dein Frauchen aufgepasst?"
Peter streichelte ihn über seinen Kopf und Giant hechelte. In der Mittagssonne wurde es schon ziemlich warm und sein dunkles, zotteliges Fell verstärkte die Hitze noch mehr.
„Hallo, Peter", kam ihm Alena entgegen und sie gingen ins Haus.
„Hat er etwas getrunken?", frage er sie, während er alles herrichtete.
Alena verneinte.
„Dann sieh zu, dass du ihm das irgendwie beibringen kannst. Das ist sehr wichtig für ihn."
Alena wich nicht von seiner Seite und nahm behutsam die Decke von ihm. Dies weckte den Schlafenden und er schlug langsam die Augen auf. Peter erblickend, fuhr er in die Höhe um sogleich wieder vor Schmerzen in die Couch zu sinken.
„Keine Angst. Es ist nur Peter. Er hat ihnen geholfen", beruhigte Alena ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm.
Der Blick des Fremden war nun ganz und gar nicht verunsichert, eher schon fast bedrohlich blickte er Peter an, der sogleich beruhigend auf ihn einsprach. Als er sich mit der Injektion seinem Arm näherte, packte der Fremde unerwartet schnell seine Hand und hielt sie abwährend von sich.
„Das ist nur eine Spritze", sagte Peter, teils erschrocken aber auch fasziniert über dessen außergewöhnlich schnelle Reaktion.
„Das geht in Ordnung", mischte sich Alena ein und der Fremde blickte in ihre Augen.
Er schien sie zu verstehen und ließ Peter gewähren, bis ihm der als unnötig empfundene Schmerz zu viel wurde und er ihm seine Hand entzog. Er hatte jedoch bereits genug vom Antibiotikum abbekommen und Peter wollte ihn nicht weiter quälen. Vor allem der Blick des Fremden gefiel ihm jetzt ganz und gar nicht, der ihn fast schon an ein Raubtier erinnerte.
Bevor er sich verabschiedete, winkte er Alena noch kurz zu sich.
„Sei vorsichtig. Man hört des öfteren von illegalen Ausländern, die absichtlich ihre Identität nicht mehr preis geben."
„Aber man hat auf ihn geschossen", verteidigte ihn Alena.
„Ja, aber genau das finde ich komisch. Wer läuft bei uns denn noch mit Pfeil und Bogen herum? Kannst du mir das bitte erklären?" Seine Stimme wurde lauter. „Ich sage ja nur, sei vorsichtig, sonst nichts. Ich lasse dir heute weitere Tabletten hier. Dann brauchen wir ihm Morgen keine Injektion mehr geben. Sobald ich kann, komme ich wieder vorbei. Jeans und Hemden habe ich dir dagelassen und... sei vorsichtig!"
„Ja, Sir, werd' ich sein!"
„Du bist immer noch albern, wenn du ernst sein solltest, Alena."
Nachdem Peter das Haus verlassen hatte, ging Alena zu dem Fremden zurück, der noch immer ruhig und aufrecht da saß.
„Jetzt kriegst du mal ein Glas Wasser. Onkel Doc hat dir das verschrieben."
Da er sie ohnedies nicht verstand, sprach sie ihn nicht mehr so förmlich an.
Das Glas nahm er dankend an, neigte leicht den Kopf und sagte leise: „Hannon le".
Es musste wohl „danke" in seiner Sprache bedeuten.
„Kommst du aus Schweden? Das hat sich so angehört. Warte..."
Alena deutete aufgeregt mit den Händen auf sich.
„Min nam är Alena. Mein Name ist Alena. Verstehst du das?"
Er neigte etwas den Kopf und kniff die Augen leicht zusammen.
„Im..."
Verwirrt blickte er sich um und fuhr mit den Händen auf seinen Kopf.
Er hatte eindeutig Schmerzen.
„Ich... kenne Namen nicht", sagte er in gebrochenem Englisch.
Das leere Glas glitt ihr aus der Hand.
„Du verstehst mich?", fragte sie flüsternd.
„Ein wenig", sprach er weiter ohne die Hände vom Kopf nehmend.
Er massierte vorsichtig seine Schläfen. Seine Aussprache hatte einen ziemlich starken Akzent und es hörte sich für sie so an, als würde er tatsächlich aus Skandinavien kommen. Alena schluckte, fasste sich jedoch gleich wieder, brachte ein neues Glas mit Wasser und hielt ihm eine von Peters Schmerztabletten hin.
„Schlucke eine davon hinunter und es wird dir gleich besser gehen."
Er sah sie und dann die Tablette in ihrer Hand an.
„Kenne... das nicht", sagte er leise.
Verwirrt blickte Alena ihn an.
„Das ist Medizin. Wohl etwas Stärkeres als Aspirin, aber Peter weiß sicher was er tut."
Sie wunderte sich etwas über sein Zögern. Er schüttelte nochmals den Kopf.
„Du hast ganz schön arge Kopfschmerzen, stimmt's? Also, runter mit der Tablette und dir geht's gleich viel besser." Sie lächelte ihn dabei an.
Er nahm beides wieder dankend an.
„Noch etwas Wasser?", fragte Alena.
„Ja, danke", erwiderte er, sich wohl jetzt immer mehr der Sprache erinnernd.
Sah ich da etwa ein leichtes Lächeln?, bemerkte Alena zu sich selbst, als sie mit einem weiteren Glas Wasser aus der Küche kam. Joy war in der Zwischenzeit zu ihm gesprungen, schnurrte und kuschelte ihn so richtig kräftig ab. Ihn schien es zu gefallen, denn er widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit.
„Darf ich dich jetzt etwas fragen? Ich habe eigentlich noch hundert Fragen, aber wir haben ja noch Zeit."
Er nickte.
„Wie ist dein Name und woher kommst du und... wer um alles in der Welt hat dich angeschossen?"
Neugierig blickte sie ihm entgegen, als sie sich auf die Couch ihm gegenüber setzte. Er nahm das weitere Glas Wasser und es schien ihr, als würde er angestrengt nachdenken. Ungeduldig, wie Alena nun einmal war, sprach sie weiter auf ihn ein.
„Ich wüsste schon gerne etwas mehr über den Mann, den ich gerettet habe."
Auch darauf reagierte er nicht sonderlich. Alenas Ausdruck glitt in Enttäuschung hinüber.
Er griff mit seiner Hand auf den Verband.
„Ich erinnere mich nicht mehr an meinen Namen. Da ist... nichts."
„Ups", reagierte sie darauf. „Da hast du wohl doch einen etwas zu kräftigen Schlag abbekommen."
Er tat ihr nun erst recht leid, denn seine eigene Identität zu verlieren musste einfach furchtbar sein.
„Du weißt gar nichts mehr? Aber du kannst noch deine Sprache, oder?"
„Ja."
„Anhand dieser können wir doch zumindest deine Nationalität herausfinden", sagte Alena, stolz auf diesen Gedanken gekommen zu sein. „Schreibe mir etwas auf und wir geben dies dann in den Computer ein. Da finden wir im Internet sicher etwas."
Für ihre Ergebnisse musste sie hier auch immer über Handy eine Verbindung herstellen.
Sie brachte ihm Papier und einen Bleistift. Er begutachtete den Stift, als würde er so etwas zum ersten Mal sehen. Alena musste grinsen, denn irgendwie war alles so sonderbar an ihm. Wie er ihr Zimmer musterte und so ruhig da saß, als wäre er in einer total fremden Welt. Skandinavien und Irland konnten doch nicht so verschieden sein? Er hielt den Bleistift etwas komisch in der Hand, schaffte aber alsbald einige Striche auf das Papier.
Er schien darüber etwas überrascht zu sein, begann dann jedoch einige Wörter aufzuschreiben und Alena unterbrach ihn jäh.
„Halt! Das kann ich doch gar nicht lesen. Was sind das für Buchstaben?"
Sie setzte sich nun neben ihn.
„Das ist Tengwar. Schrift meiner Sprache."
„Das kann ich nicht eingeben. Kannst du ‚Tengwar' auch in normalen Schriftzeichen aufschreiben? So wie im Englischen?"
Er schrieb die Buchstaben auf, reichte ihr das Blatt und bemerkte, schon fast etwas verlegen: „Ich war nie ein fleißiger... Lernender."
„Ich war in Fremdsprachen auch keine fleißige Schülerin", gab sie lächelnd zurück.
Dann fiel ihr noch etwas ein.
„Du bist auf einem Pferd gesessen. Einem wunderschönen, weißen Pferd."
Doch sein noch mehr verwirrter Blick gab ihr bereits die Antwort.
„Nein", sagte er enttäuscht und schüttelte leicht den Kopf.
Alena wollte ihn nicht weiter drängen.
„Das beste ist, wenn du jetzt ein richtig schön warmes Bad nimmst. Du hast es wirklich dringend nötig."
Sie wollte in seine verfilzten Haarsträhnen greifen, doch er wich ihr aus.
„Du bist schnell", sagte sie überrascht. „Komm, ich zeige dir das Bad."
Ihr folgend fragte er: „Wo bin ich hier?"
„In einer Forschungsstation des Oakwood-Nationalparks. Ich arbeite hier."
„Welches Land?", fragte er leise.
Sie drehte sich zu ihm und sah ihn sorgenvoll an.
„In Irland. Das weißt du auch nicht mehr?"
Er verneinte.
Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm und lächelte ihn an.
„Das wird schon wieder. Wir werden heute gleich mit Peter reden. Der kennt sicher einen guten Arzt, der dir helfen kann."
Im Bad ließ sie warmes Wasser in die Wanne und hielt ihm ein großes Badetuch entgegen. Dieses nehmend blickte er sich danach jedoch wieder etwas unsicher um.
„Kannst du dich an so etwas auch nicht erinnern?"
Alena schwand nun jegliche Sicherheit. Wie konnte sie wissen, was er noch alles kannte und was nicht?
Dann viel ihr Blick auf die Toilette, drückte auf die Spülung und lächelte.
„Falls du das auch nicht mehr weißt, dass ist die Toilette und die Spülung danach."
Sein Blick war einfach zu süß. Eigentlich sollte sie in so einer Situation nicht lachen, aber alles war schon so verrückt genug.
„Ich lasse dich jetzt alleine und mache uns etwas Gutes zu Essen. Du hast sicher schon mächtig Hunger."
„Danke", sagte er nickend.
Alena sah sich in der Küche um. Die Vorräte müssten auch schon längst wieder aufgefüllt werden. Etwas Fleisch hatte sie noch und es gab nichts besseres, für einen Ausländer, als ein Nationalgericht kennen zu lernen. Somit gab es Irish Stew, etwas abgewandelt mit frischen Kräutern aus dem Garten.
Sie war endlich wieder gut drauf. Die letzte Nacht war ja wahrlich nichts Alltägliches. Eigentlich geschah hier nie etwas Vergleichbares zwischen den Eichen und dem Rotwild, wobei, einen leichten Hang zum Abenteuer hatte sie immer schon gehabt. Sie schnitt gerade die Kräuter zusammen, als er plötzlich in der Küche stand.
„Huch! Du hast mich erschreckt."
Sie hatte ihn nicht gehört.
„Tut mir leid", erwiderte er.
Sein Englisch klang noch immer sehr fremd, aber sie konnte ihn mittlerweile besser verstehen.
„Ich hoffe, du isst Fleisch?", fragte sie, ohne von ihrem Tun abzulassen.
„Ja, sehr gerne", kam es zurück.
Alena lächelte, denn sie hatte bis vorhin noch nie auf seine Stimme geachtet. Diese hatte einen sehr schönen Klang, sehr weich, aber trotzdem männlich.
„Draußen liegen ein paar Jeans und Hemden. Du kannst dir etwas davon aussuchen. Deine Kleidung muss ich erst reinigen."
Als keine Reaktion kam, blickte sie auf. Er war schon weg.
Wie macht er das nur?, fragte sie sich.
Nach ein paar weiteren Handgriffen war das Stew nun fertig. Den Tisch deckte sie im Freien, auf der Terrasse neben dem Eingang. Sie liebte es dort zu essen.
„Ich habe leider keinen Kamm", sagte er leise, als sie nochmals an ihm vorbei ging.
Jetzt betrachtete sie ihn genauer. Die Jeans waren ihm viel zu weit, doch zum Glück war ein Gürtel dabei. Das dunkelgrüne Hemd trug er außen über der Hose. Seine nassen Haare hatte er nach hinten gestrichen und er benötigte wirklich dringend einen Kamm. Sie lächelte abermals, denn er sah trotzdem gut aus.
Da hab' ich mir ja einen wirklich attraktiven Mann an Land gezogen, drang es in ihre Gedanken ohne es zu wollen.
Sie stellte das Tablett mit dem Stew auf den Tisch und er kam ihr nach.
„Ich bringe dir nachher einen Kamm", bemerkte sie und deute ihm sich zu setzen. „Darf ich mal?", fragte sie diesmal vorher.
Er nickte. Seine langen Haare anfassend, welche sich trotz ruppiger Behandlung sehr weich und fein anfühlten, traf ihr Blick auf seine Ohren. Sie waren nach oben hin spitz. Es gab ja alle möglichen Formen, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.
„Du hast ja spitze Ohren", brach sie heraus, schon wieder ein Lächeln dabei nur schwer unterdrückend.
Sie suchte nach seinen Augen, welche jetzt aber gar nicht mit ihr mitlachten.
„Das ist schon in Ordnung", bemerkte er knapp.
Alena gab nicht nach.
„Vielleicht ist das ein besonderes Kennzeichen für deine Familie? Das wäre doch ein Hinweis dem man eventuell nachgehen könnte?"
Jetzt blickte er sie ziemlich ausdruckslos an.
„Okay, schon verstanden."
Sie musste kurz wegblicken um nicht nochmals vor ihm zu grinsen.
Sich wieder fangend, hielt sie ihm einen Teller mit dem Stew hin.
„Ich hoffe, es schmeckt", bemerkte sie dazu.
Hier draußen war es herrlich, denn man saß im Schatten der alten Bäumen und hatte einen wunderbaren Blick auf Dheas Koppel, wo an einigen Plätzen die Sonne mit der Farbenpracht der Sommerblumen spielte. Dheas stand im hinteren Teil der Wiese und graste, während Giant in seiner Nähe wieder einmal Maggy reizte. Für ihn blieb die kleine Ziege immer noch eine potentielle Jagdbeute, wenn er sie auch nie verletzen würde.
Das Stew war im Nu verputzt und Alena schickte ihren Gast wieder auf die Couch, er sah schon sehr müde aus.
Nachdem sie alles sauber gemacht hatte, ging sie ihren Verpflichtungen nach. Die Zählung der Nachtschwalbennester musste in den nächsten Tagen unbedingt abgeliefert werden, aber das schaffte sie heute nicht mehr. Sie vollendete eine andere Schreibtischarbeit und sandte diese an ihr Zentrum. Im Internet stöberte sie noch schnell nach dem Begriff ‚Amnesie'. Mit seinen Symptomen würde es hauptsächlich das Langzeitgedächtnis betreffen und Gelerntes, wie Schreiben, Lesen, kreative Fähigkeiten und ähnliche Dinge, blieben erhalten. Alle Erinnerungen an die eigene Identität und persönlichen Bezugspunkten waren nicht abrufbar. Eine Amnesie konnte in der Regel eine Woche bis einige Monate dauern und ging immer in Schüben voran, begleitet mit starken, migräneähnlichen Kopfschmerzen.
Nicht gerade berauschend, dachte sie, als sie diese Zeilen las, aber es ginge vorüber.
Inzwischen war es später Nachmittag geworden und er schlief bereits seit drei Stunden. Mit einem Kaffeebecher in der Hand, schlich sie zu ihm. Die rechte Hand auf seiner verletzten Schulter ruhend, lag er total friedlich da.
„Was für ein Geheimnis verbirgst du in dir?", flüsterte sie.
Sie spürte den Drang ihn anzufassen, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten. Sie konnte es sich nicht erklären, er hatte etwas an sich, dass sie fast magisch anzog. Sicher war er äußerlich sehr attraktiv, aber da musste noch etwas anderes mitwirken.
Abrupt stand sie auf, ging hinters Haus und stellte endlich den Generator ab. Danach zielte sie auf die zwischen den nahen Bäumen befestigte Hängematte. Trotz Kaffee schlief sie bald darauf ein, denn die letzte Nacht war einfach zu kurz gewesen.
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Dheas wieherte laut und schreckte damit Alena aus ihren Träumen. Die Koppel war bereits in das gelbliche Abendlicht der Sonne getaucht, als sie ihn mit dem Fremden herumtollen sah.
Es geht ihm anscheinend schon wieder besser, dachte sie, sich ihnen langsam zum Koppelzaun nähernd.
Deren Treiben weiter beobachtend kam sie unweigerlich ins Schwärmen.
Der Fremde bewegte sich leicht und gewandt vor Dheas, neckte ihn, in dem er versuchte seinen Kopf zu fassen. Es war eindeutig ein Spiel und Dheas hob seinen mächtigen Kopf in die Höhe, rollte mit den Augen und stieg vor ihm. Unbeeindruckt dessen, blieb der Mann stehen und die Vorderhufe krachten knapp neben ihm auf den Boden. Alena hielt den Atem an.
Ist er verrückt?, durchfuhr es sie.
Dann bewegte er sich pfeilschnell unter Dheas Hals durch, tapste an der anderen Seite auf seine Mähne und lief ein Stück davon. Dheas galoppierte los, umrundete ihn und warf vor ihm den Kopf wild hin und her. Ganz in Hengstmanier brummelte er ihn lautstark an. Der Fremde sprach etwas in seiner Sprache.
„Lasto beth nîn. Im meldirech. Annach dâf nagen ennin'norch." (Höre auf meine Stimme. Ich bin dein Freund. Du gibst mir deine Erlaubnis dich zu reiten.)
Sie hatte nichts davon verstanden, aber seine Worte hörten sich ungemein einfühlsam an.
Dheas, direkt vor ihm stehend, senkte den Kopf auf seine Brust. Daraufhin streichelte er seinen Hals, fuhr sanft mit den Händen an seiner Schulter herunter und glitt danach weiter über seinen Rücken. Dheas tat keine Regung. In der nächsten Sekunde saß er auf ihm und Alena erstarrte.
Sie rang zwischen dem Ausruf einer Warnung vor den Launen des Hengstes und dem Drang, sie bei diesem Treiben unbemerkt weiter beobachten zu wollen.
„Noro lim!" (Laufe los!)
Dheas ging langsam los und sie bewegten sich von ihr fort. Die Worte des Reiters verstand sie nicht mehr, aber Dheas glitt in einen langsamen Trab hinüber. Der Sprung in leichten Galopp folgte und Alena erkannte ehrfürchtig, dass sie Dheas nie so fließend in die Gänge brachte und es wäre ihr ohne Zaumzeug und Sattel schier unmöglich gewesen. Bevor er das Ende der Koppel erreicht hatte, wendete er und ließ Dheas mit einem scharfen Galopp in ihre Richtung laufen.
„Daro!" (Halt!)
Dheas zog die Hinterhand vor und glitt in einen Stopp bis knapp vor den Zaun, der Alena zurückspringen ließ. Der Reiter sah sie mit strahlenden Augen an.
„Du hast ein gutes Pferd."
Mit diesen Worten sprang er ab, streichelte Dheas nochmals am Hals entlang und blieb bei seinem Kopf stehen.
„Na roch mae." (Du bist ist ein gutes Pferd.)
„Sein Name ist ‚Gaoth Dheas'. Ich nenne ihn aber nur Dheas."
„Das bedeutet ‚Südwind'", antwortete er zu ihrer Überraschung.
„Woher weißt du das? Das ist doch Gälisch", fragte sie mit großen Augen.
„Mir fallen immer mehr Dinge ein. Worte, Bezeichnungen, auch in verschiedenen Sprachen."
Er lächelte sie an. Seine Augen strahlten, wie die eines Kindes, das ein Geschenk bekommen hatte. Alena war nahe dran ihm um den Hals zu fallen, doch ließ es. Es wäre etwas unpassend gewesen, entschied sie für sich.
°
Am Abend war er wie ausgewechselt. Ständig fragte er sie neugierig nach Dingen, an die er sich anscheinend nicht mehr erinnern konnte. Alena dachte gar nicht mehr darüber nach, ob ihr dies nun komisch vorkommen sollte, oder ob dem einfach bei einer Amnesie so war. Sie genoss diesen Abend und erfreute sich an seiner wachsenden Aufmerksamkeit. Von seinem Akzent abgesehen, sprach er sehr gebildet, schon fast edel. Seine Bewegungen waren eindeutig sehr elegant, er stand und saß immer gerade, benahm sich ungemein rücksichtsvoll ihr gegenüber und versuchte bereits ihr bei den verschiedensten Arbeiten zu helfen. Dem namenlosen Dasein ihres Gegenübers überdrüssig geworden, suchte sie für ihn einen Namen. ‚Ryan' fand sie sehr passend, denn er wirkte wirklich, wie dessen Bedeutung, wie ein ‚junger Königlicher'.
Nach dem Abendbrot begutachtete Ryan einige ihrer wissenschaftlichen Bücher und erklärte ihr immer wieder, dass er diese Tiere alle kannte. Nur nannte er sie mit anderen Namen und wusste sehr viel über deren Lebensweise. Manche, so stellte Alena fest, waren nur in Wäldern beheimatet. Auch die Bäume waren ihm nicht unbekannt. Er musste aus dem ländlichen Raum stammen, schlussfolgerte sie.
Zwischen dem Kerzenlicht, welches sie nun im gesamten Haus aufgestellte hatte, wirkte er beinahe unwirklich schön auf sie. Sie wurde immer mehr in seinen Bann gezogen, sah sich ohnmächtig dagegen vorzugehen.
So in ihr gemeinsames Gespräch über ihre Welt versunken, überhörte sie fast das Läuten des Handys. Es war Peter und freudig begrüßte sie ihn.
„Na, dir scheint es gut zu gehen", reagierte er auf ihre Freude.
„Oh ja, uns geht es wunderbar. Er läuft herum, als wäre nie etwas geschehen", erklärte sie ihm die freudige Nachricht.
Peter blieb jedoch für einen Moment still.
„Was ist los, Peter?"
„Ich habe seine Blutwerte bekommen, oder das, was man davon auswerten konnte."
Alena setzte sich hin. Sie spürte, wie ihr von Peters ernster Stimme etwas schwindlig wurde.
„Ist er... ?"
Alena stockte, sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
„Nein, er ist nicht HIV-positiv. Da mach' dir mal keine Sorgen mehr. Aber da ich auch gleich ein gesamtes Blutbild für vernünftig hielt, hat mir Will auch diesen Gefallen getan. Er hat mir heute Abend die Auswertung hergeschmissen und mir unterstellt, dass ich ihn nur testen wollte, weil ich ihm irgend so ein Tierblut untergejubelt habe."
„Das verstehe ich jetzt nicht", antwortete Alena verwirrt, während ihre Augen zu Ryan wanderten.
Er sah sie geradewegs an. Anscheinend merkte er, dass es um ihn ging. Sie deutete ihm ein ‚nein' an. Er sollte bleiben, wo er gerade war.
