Reviewantworten:
Nyella
Es freut mich sehr, dass dir gerade die Szene, wo Ryan Dheas reitet, so gut gefällt. Ist auch eine meiner Lieblingsszenen des 2. Kapitels. Danke wieder für deine aufbauenden Worte! Ich hoffe, dass auch dieser Stil deinen Gefallen finden wird. Ich bin jedoch immer noch in der Entwicklung, der du den Anstoß gegeben hast.
brennil
Dir ebenso ein Danke, deiner lobenden Worte. So etwas ja so gut!
Zu deinen Fragen:
Das Pferd ist Ryans und daher, ebenso wie andere persönliche ‚Dinge' zur Zeit nicht mehr in seinem Gedächtnis.
Irlands Elben leben sehr tief in den Wäldern verborgen. Dort kommt auch Ryan her und leider musst du dich noch etwas gedulden, denn er beginnt erst langsam sich zu erinnern. Alena ihrerseits, ist zwar fasziniert von den Sagen und Legenden Irlands, aber ihr faktenbasierendes Denken als Biologin lässt da einfach keinen Gedanken aufkommen, dass er ein Elb wäre. Trotz der spitzen Ohren ;-) Aber... im nächsten Kapitel fällt ihr es dann wie Schuppen von den Augen, also auch bitte ich noch um ein bisschen Geduld.
Tanja
Mein erster „Fan"... lass' dich knuddeln, ich freu' mich total! Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, dass Kapitel 3 so lange auf sich warten ließ.
Lady Dragonfire
Es freut mich, dass dir die Wahl meiner Namen gefällt. Ich mag' Namen mit Bedeutung. Und da du Beschreibungen zu mögen scheinst, gibt es in Kapitel 3 jetzt gleich mal einige mehr. Danke auch dir für deine lobenden Worte.
Erklärung zu Kapitel 3:
Dieses Mal erhoffe ich eure Geduld, weil sich mein Schreibstil da irgendwie von Kapitel zu Kapitel entwickelt und ich fast schon in eine ‚mystische' Richtung gehe. Mal sehen, wie euch das gefällt, ich bin zur Zeit da ganz spitz darauf :-)
Diesmal geht es noch weiter in der Naturwelt des Nationalparks und Ryan spürt schön langsam, dass er kein „normaler" Mensch ist. Alena kommen noch keine Zweifel, aber sie merkt auch schon einige auffällige Eigenheiten an ihm. Am Ende gibt's auch etwas Action, aber zuvor natürlich noch schöne Tage in Natur mit einem Hauch von Romantik versehen... lasst' euch einfach verzaubern...
Ich vertrage auch weiterhin eine Menge ehrlicher Kritik – also keine Scheu – Reviews sind immer willkommen.
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NUR EIN TRAUM
Kapitel 3: Du bist so anders
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„Seine Leukozytenwerte sind einfach nicht mehr messbar, so hoch waren sie. Und Globuline ebenso, wobei dies von der leichten Entzündung herrühren könnte, aber nie so extrem hoch! So etwas kann es nicht geben."
„Peter, ich verstehe das leider alles nicht so gut. Was sind Globuline?"
„Diese zeigen den Aktivitätsgrad des Immunsystems an und Leukozyten sind auch ein Teil davon. Weiße Blutkörperchen, hast du sicher schon davon gehört. He, als Biologin solltest du das aber noch wissen."
„Ja, aber du weißt, der Medizinkrams war nie so meine Sache."
„Ich will nochmals eine Probe und am besten gibst du mir auch den Umhang, wenn du ihn noch hast. Das Blut darauf sah mir irgendwie komisch aus."
„Wenn du meinst, dass das etwas bringt."
Alena verstand seine Aufregung nicht so ganz, denn ihr saß doch ein ganz normaler Mann gegenüber. Sie akzeptierte jedoch Peters Wünsche, der immerhin Mediziner war, Human oder Veterinär spielten da keine Rolle.
„Gut, dann komme ich so bald wie möglich vorbei. Du weißt doch noch... sei vorsichtig."
„Ja, bin ich immer."
Peter legte auf. Sie wollte ihm noch erzählen, dass Ryan doch ihre Sprache konnte und er auch so viel anderes wusste.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
Alena zuckte leicht zusammen. Sie hatte ihn wieder nicht gehört, als er plötzlich hinter ihr stand.
„Machst du das absichtlich?", frage sie ihn, jedoch mit einem Lächeln.
„Was?"
„Na, dieses ‚Anschleichen'."
Sein unverständlicher Blickt genügte ihr als Antwort.
„Dein Haar. Wir wollten es doch etwas herrichten", begann sie, um vorsorglich vom Thema abzulenken.
Schnell war sie aufgesprungen und ins Bad verschwunden. Vor dem Spiegel stehend atmete sie ein paar Mal tief durch.
„Was geschieht hier und warum zieht er dich so in seinen Bann? Du weißt ja nicht einmal wer er ist!"
Ihr Ebenbild schwieg, zeigte ihr nur, dass sie selbst auch ein Bad benötigte. Spontan entschloss sie sich dazu und merkte, dass sie die kleine Ruhepause dringen nötig hatte.
Die Haare mit dem Handtuch rubbelnd und Kamm und Bürste in der Hand, betrat sie wieder das Wohnzimmer. Die Eingangstüre stand offen und Ryan befand sich etwas weiter entfernt in der Auffahrt, den Blick nach oben gerichtet. Hoch zu den Sternen blickend, welche ihn so in ihren Bann zu ziehen schienen, näherte sie sich ihm. Unbeirrt hielt er an den strahlenden Himmelslichtern fest, während nächtliche Stimmen des Waldes auf sie eindrangen, fremde Laute und doch so vertraut. Heute war eine dieser lauen Sommernächte, wo die warme Nachtluft die Haut zart zu streicheln schien und die schweren Düfte des jungen Sommers einem die Sinne berauschten.
Der Mond hatte fast sein volles Antlitz erreicht und sandte sein silbriges Licht mit schwellender Stärke auf die Erde hernieder. Bläulich schimmernd wirkten die umgebenden Bäume, wie Gefährten, welche hier wohl seit Jahrhunderten als Wächter der Zeit Mensch und Tier vorbei ziehen sahen. Ein Hauch von Mystik stieg aus ihnen empor und zu bedauern war es, dass sie nicht sprechen konnten. Es wären Legenden gewesen, welche sich von uns keiner hätte vorzustellen gewagt.
Ihre Finger strichen fast unbeabsichtigt über die seinen und seine unerwartete Reaktion ließ sie sogleich erschaudern. Er nahm ihre Hand, ohne den Blick vom leuchtenden Firmament abzuwenden. Alena lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Dies gewährend hielt er weiter zärtlich ihre Hand in der seinigen. Zu ihm blickend suchte sie seine Augen, um aus ihnen zu lesen.
Den Blick wandte er nicht von den Sternen, doch ihren bemerkend, sagte er mit leiser, fast fremd wirkender Stimme: „Es sind meine Sterne, die ich da oben erblicke. Eärendil und Ithil (Mond), der heute allzu hell mir die Sicht auf die vielen anderen verwährt."
Alena wusste darauf nichts zu erwidern, konnte die tiefere Bedeutung seiner Aussage nicht erahnen.
„Doch kenne ich hier sonst nichts. Nichts scheint mich an meine Welt zu erinnern, an mich, an mein Leben, meine Geschichte... die ‚Meinen'..."
Sein Blick wanderte suchend zu ihrem. Traurigkeit und fast schon Schmerz konnte sie darin lesen und das Gefühl ihm helfen wollen, wurde dadurch nur noch unerschütterlicher. Wie verloren stand er hier unter dem Sternenhimmel und Alena nahm ihn in ihre Arme, versuchte ihn leise zu trösten, mit sanften Worten, deren Bedeutung in diesem Moment nicht wichtig war.
Zögernd, doch zärtlich und sie kaum berührend erwiderte er ihre Umarmung. So standen sie still, zwei Seelen, die begannen sich zu finden und nur der Wind umspielte lauernd ihre beiden blonden Haare, während die Sterne weiter ihre strahlenden Lichter hernieder sandten.
Alena vermochte es nicht ihm wieder diesen aufregenden, stolzen Blick in seine Augen zu zaubern.
„Wir werden das schon schaffen. Das verspreche ich dir. Ich werde dir mit allen Mitteln helfen. Wir werden die Polizei einschalten, vielleicht gibt es schon längst eine Vermisstenanzeige und die ‚Deinen' suchen dich schon."
Erschaudernd über die tiefere Bedeutung ihrer eigenen Worte, senkte sie den Kopf.
Die ‚Seinen'.
Wollte sie das denn? Würde dies nicht bedeuten, dass sie ihn wieder verlieren würde?
Sie löste sich aus der Umarmung und erschrocken über ihre eigenen Gedankengänge, sich aber nichts anmerken lassend, strich sie zärtlich über sein Haar und lächelte ihn an.
„Komm mit, Ryan. Wir werden Morgen damit beginnen. Jetzt lass' uns endlich deine Haare machen."
Er nickte. Der Zauber dieses Moments schied dahin, doch blieb er fest in beiden Herzen.
°
„Dort oben ist Nummer siebzehn."
Stolz lächelnd und mit einem leichten Anflug von Schadenfreude deutete Ryan auf die Astgabel einer alten Eiche. Er hatte wieder einen Nightjar vor ihr entdeckt.
„Und du bist dir sicher, kein Biologe zu sein?", fragte Alena fast schon etwas zynisch, nachdem sie eigentlich heute mit ihrem legendären Gespür für versteckte Vögel auftrumpfen wollte.
„Ja", versicherte er ihr kurz, „wobei... wer weiß?", fügte er grinsend hinzu, während er am Boden einige Haselbuschzweige zur Seite drängte.
Sie suchten bereits den ganzen Vormittag in dem am Waldrand gelegenem Brutgebiet der Nachtschwalben, hier besser bekannt als ‚Nightjars'. Schlicht in den Sand fertigten diese kuckucksgroßen, braunen Vögel ihre Muldennester und die gerade nicht Brütenden, hielten sich tagsüber schlafend auf den starken Ästen hoher Bäume auf. Zu dieser Jahreszeit konnte man mit Sicherheit in der Nähe von Altvögeln Gelege entdecken.
Heute Morgen war Alena mit Dheas zur dringend notwendigen Zählung aufgebrochen und keine, ihrer sonst so erfolgreichen Überredungskünste konnten Ryan abhalten, sie zu begleiten. Er fühlte sich gut und es zog ihn hinaus in die Natur, in den Wald, unfähig, dieses zerrende Gefühl in ihm zu erklären.
Einen lauten Warnschrei ausrufend flog der aufgeschreckte Nightjar hoch. Dheas' Ohren peilten in Richtung des Störenfriedes, aber er kam dadurch nicht aus seiner Ruhe. Es bedurfte dazu mehr, um den mächtigen Hengst zu erschrecken.
„Fünf", schallte es dumpf aus dem Gebüsch.
Alena, neben Dheas stehend, notierte die Eieranzahl in ihr mitgebrachtes Formular.
„Lässt du mir dann auch noch einige übrig?", rief sie in die dichten Büsche zurück.
Sein Kopf tauchte mit einem fragenden Blick aus dem Unterholz auf. Alena ignorierte diesen, beobachtete ihn jedoch neugierig, als er sich zum nächsten in Frage kommenden Busch bewegte. Es war eindeutig sein Element, der Wald, die Tiere und die Natur. In seinem langen, jetzt zurückgebundenem Haar hatten sich einige Blätter verfangen und die ersten feinen Strähnen begannen sich zu lösen. Alena gefiel diese kleine Unordentlichkeit in seinem sonst so ebenmäßigen, fast perfekten Gesicht.
Ungewöhnlich warm war es heute Morgen am südlich gelegenen Waldrand. Gnadenlos sandte die Sonne ihre kräftigen Strahlen nieder und alle waren froh, teilweise in den schützenden Schatten vordringen zu können.
„Dort, wieder!", rief er aus.
„Wo?"
„Dort drüben", deutete er zu den entfernten, dunklen und mächtigen Tannen.
„Nein, ich sehe nichts. Du musst dich täuschen."
„Siehst du ihn nicht? Dort sitzt ein Falke, genau auf der Spitze des Nadelbaumes."
Alena kniff ihre Augen zusammen, konnte weiter jedoch nichts entdecken.
Ryan nahm sie bei der Hand, zog sie zu sich. Das Gesicht dem ihren ganz nahe, versuchte er ihr die Richtung zu weisen.
„Ganz oben, auf der Spitze... ein herrliches Tier!"
Seine Stimme klang fast aufgeregt.
Nichts dort oben erkennend wurde sich Alena jedoch seiner verführerischen Nähe bewusst, welche von Anbeginn unerklärlich auf sie einwirkte. Seine Haare strichen unbeabsichtigt sanft über ihre Wange und Alena blickte nicht, wie ihr geheißen, auf das vermeintliche Ziel, sondern schielte nur verstohlen auf sein Gesicht. Merkte er es nicht, dass kaum sie berührend, er sie so verzauberte?
„Noch immer nicht?"
Ungläubig, fast schon enttäuscht, blickte er sie an. „Siehst du ihn nicht?"
„Äh... nein, das ist doch viel zu weit weg um da noch etwas erkennen zu können", sagte sie schnell verlegen und gedachte, dies sei eine ausreichend wissenschaftliche Antwort ihrerseits.
Im nächsten Moment hob der Falke seine leichten Flügel und mit den Aufwinden spielend, schwebte er scheinbar ohne Anstrengung über die grünen Dächer des Waldes davon.
„Da war etwas, ja", brach es jetzt aus ihr heraus, „aber welcher Vogel es war konnte man doch niemals erkennen, bei der Entfernung."
„Das hat man doch eindeutig gesehen! Die schmalen Flügelspitzen waren dunkelbraun und seine Brust braun-weiß mit Unterbrechungen der Länge nach gestreift..."
Alena runzelte die sonst faltenlose Stirn, überlegte noch kurz, um dann in ein schallendes Gelächter zu fallen. Sie schupste ihn leicht mit der Hand weg.
„Jetzt ist mir alles klar. Du willst mich hier nur aufziehen, weil ich den ganzen Tag nur ein paar Nightjars finden konnte und du hier anscheinend noch die Ameisen aus hundert Meter zählen kannst."
Kichernd drehte sie sich zu Dheas und verstaute die Formulare in den Satteltaschen. Sie konnte, ohne sich zu ihm wendend, seinen unverständlichen Blick sehen. Doch kannte sie bereits auch seine zeitweise spärlichen Antworten und warum sollte er denn diesmal eine Diskussion beginnen?
„Komm, wir müssen noch weiter."
Trotzdem, irgendwie enttäuscht von seiner fehlenden Reaktion über ihre Klarstellung, schnappte sie Dheas' Zügel und stapfte neben diesem weiter, immer dem Waldrand folgend. Minutenlang war es still hinter ihr. Alena war es bereits gewohnt, seine Schritte nicht vernehmen zu können. Aus diesem Grund merkte sie erst spät, dass er ihr gar nicht mehr folgte. Ihr Blick glitt ins Leere, als sie sich nach ihm umdrehte.
„Ryan?", fragte sie verwundert, um gleich darauf herumblickend die ungewöhnliche Stille festzustellen, die scheinbar eben aufgekommen war.
„Ryan!" rief sie etwas lauter den schmalen Weg am Waldrand zurück, der sie bis hier hergeführt hatte.
Kühler, fast schon als kalt empfundener Wind umspielte ihre blonden, schweißnassen Haare die am Gesicht klebend, die Anstrengung der letzten Stunden zeigten. Leise schnaubend begann Dheas zu tänzeln, nur ganz leicht, doch ungewöhnlich für den mächtigen Rapphengst. Routiniert legte sich Alenas Hand auf seinen nassgeschwitzten, gebogenen Hals, doch scheinbar ohne die sonst eintretende beruhigende Wirkung.
In letzter Zeit wurde er oft nervös, dachte Alena, noch sicher, alles unter Kontrolle zu bekommen.
Im nächsten Moment riss er ihr die Zügel beinah aus der Hand, so heftig stieg er, unkontrolliert und schrill wiehernd, mit voller Panik geweiteten Augen. Er wich zurück, wollte keinen Schritt mehr weitergehen, nahm keine Hilfe mehr von ihr entgegen, wollte nur weg.
„Dheas! Beruhige dich... ho... ruhig... bleib!"
Alle diese Worte halfen nichts, fast wie ein Kampf erschien es ihr und diese ungewöhnliche Stille der Natur kroch beinahe schon als Angst verwandelt in ihr hoch. Plötzlich wurde sie einem Schatten gewahr, wurde jäh im nächsten Moment seitlich gepackt und auf Dheas hochgezerrt. Einen Schrei erstickend erkannte sie Ryan, der mit leiser, aber bestimmter Stimme zu ihr sprach.
„Schnell weg hier. Sie kommen."
„Was, wer?"
„Sei still!"
Sie vor sich auf dem Sattel festhaltend befahl er Dheas loszulaufen, wie auch immer dieser die Worte in seiner Panik verstand – er preschte los.
„Duck' dich!", flüsterte er, den tiefhängenden Ästen ausweichend.
Alena wollte protestieren, was sollte auch das Ganze hier? War er verrückt, hier so einen Wirbel zu machen? Doch irgendetwas sagte ihr, auf seine Worte zu hören. Dheas' unerklärbare Reaktion vorhin, konnte von ihr auch kaum ignoriert werden. Sie würde ihn dann schon noch zur Rede stellen.
Der Hengst wurde aus dem Wald gelenkt, so schnell seine Draughthorsebeine ihn tragen konnten.
„Noro lim!"
Er spornte ihn abermals an, die Zügel dabei nicht verwendend, welche nun nutzlos an dem Pferdehals herumbaumelten. Alena nahm sie auf, ohne jedoch störende Befehle damit zu erteilen. Ryan umgriff sie mit festem Halt, bedacht darauf, sie nicht in Gefahr zu bringen.
Sie überquerten den breiten Wiesenabschnitt und im nächsten, etwas weniger dichtbewachsenem Waldteil, ließ er Dheas in den Schritt auslaufen, bis er zwischen den ersten Bäumen zum Halten kam und sofort von ihm absprang. Heftig und rot aufblitzend schnaubten Dheas' Nüstern, nach dieser ungewohnten, doppelten Last bei hoher Geschwindigkeit. Tropfender Schweiß bahnte sich den Weg durch das schwarzschimmernde Fell des edlen Hengstes.
„So! Kannst du mir jetzt..."
„Nicht so laut!"
Eine Handbewegung bekräftigte seine Aussage. Er sah gebannt auf den hinter ihnen gelassenen Waldrand gegenüber.
„Es reicht jetzt, was ist hier los?", fragte sie mit etwas gedämpfter Stimme und trat hinter ihn.
„Ich hatte so ein Gefühl", murmelte er, ohne sich zu ihr umzudrehen.
Alena schluckte und fühlte, wie sie sich mächtig aufplusterte.
„Ein... Gefühl?"
Sollte sie nun lachen oder eher verärgert reagieren?
„Ein Gefühl... also", sagte sie mit feststellendem Ton in seine Richtung.
Wieder reagierte er nicht und diesmal darüber verärgert, stampfte sie demonstrativ vor ihn, ihm damit absichtlich die Sicht versperrend. Nur kurz sah er sie direkt an, wich seitlich aus um weiter gezielt den Waldrand abzusuchen.
Sie standen nur einige Baumreihen tief im neuen Waldabschnitt, gut geschützt vor jeglichen anderen Blicken von außen. Seine Augen waren dunkel, konzentriert und sein Blick bestand aus einer klaren Härte, die sie noch nie an ihm erlebt hatte. Mit dieser Erkenntnis daraus, dass es für ihn kein Scherz war, wich sie zurück.
„Ich kann nichts entdecken."
Er wandte sich ab und zu Dheas gehend, dessen Atmung beinahe wieder normal war, fügte er noch hinzu: „Komm, gehen wir weiter, oder haben wir schon alle Eier gezählt?"
Alena stand fassungslos da. Zuerst machte er hier eine Szene, als wäre ihr Leben in Gefahr, dann sah er sich nicht dazu verpflichtet, ihr auch nur ein Wort zu erklären, ihr, die ja irgendwie hier im Wald das Sagen hatte und jetzt tat er so, als wenn nie etwas gewesen wäre.
Sie holte tief Luft, wollte gerade all' das Gedachte los werden, als er zu Dheas etwas sprach und beide einfach, wie alte Bekannte, nebeneinander losmarschierten.
„Kommst du mit?", rief er über seine Schulter zurück und Alena war darauf so schnell keine Reaktion in den Sinn gekommen.
Was bildet er sich denn eigentlich ein?, schoss es durch ihre Gedanken.
Na warte!
Sogleich loslaufend holte sie beide rasch ein, stupste ihn leicht von Dheas Seite weg. Die Zügel aufnehmend schwang sie sich auf den Rücken ihres Pferdes um dann stolz und mit etwas Trotz behaftet, auf ihn herunter zu blicken. Wieder wurde sie keiner Reaktion gewahr, denn sein Ausdruck blieb angespannt und sein Blick ging stetig zu dem sich entfernenden Waldrand zurück.
Ohne weiter auf das Thema eingehend korrigierte sie Dheas und sagte: „Ich muss heute noch zum alten See, um die dort aufgestellte Probe abzuholen."
„Wo liegt dieser See?", begann er mit einem neugierigen Ausdruck auf dem ebenen Gesicht.
„Dazu müssen wir noch tiefer in nördliche Richtung. Aber... was hältst du von einer Pause? Nach dieser Aktion habe ich mächtig Hunger bekommen."
Dheas schnaubte und Ryan fand ihre Idee gerade richtig.
°
Fein glitzernd erhob sich der See zwischen den hohen, alten Baumstämmen empor. Einem Meer aus Silber gleich, tänzelten die spielenden Sonnenstrahlen auf der gleitenden Wasseroberfläche entlang, dabei die mächtigen Stämme der gegenüberliegenden Bäume dunkel in sich reflektierend. Goldschimmernd gebar sich der gräserne Uferrand und verzauberte jeden Betrachters Seele, die sich hier her verirrte. Schräg einfallendes Sonnenlicht brachte eine unzählbare Fülle von verschiedensten Insekten hervor, die über der spiegelnden Oberfläche schwebend zur, mit anmutigem Geschick, erjagten Beute der hier heimischen Fische wurden.
„Wunderschön, nicht wahr?", flüsterte Alena dem gebannt auf das Wasser blickenden Ryan zu. „Ich liebe diesen Ort, es gibt keinen schöneren hier."
Noch immer bekam sie keine Antwort, so vom See ergriffen, wirkte er auf sie.
„Ich war noch nie auf der anderen Seite, denn er ist groß und drüben ist es sehr steil und dicht bewachsen und mein mir anvertrautes Gebiet endet hier am See."
Ryans Reaktion belief sich auf ein langsames Nicken, während sie durch die letzten Reihen der hochragenden Schwarzerlen zum Seeufer hinaus traten. Nicht die kleinste Bewegung des Uferwassers war zu erkennen und selbst die Vögel schienen an diesem Ort respektvoll ihre wohlklingenden Stimmen zu senken.
Am Ufer angekommen, tauchten beide die Hände ins kühle Nass und Dheas begann neben ihnen das saftige grüne Gras zu äsen. Alena, von Ryans sicherem Umgang mit dem Hengst inspiriert, befreite ihn vom störenden, ledernen Zaumzeug.
„Das hätte ich mich früher nie getraut, aber du zeigst mir einen neuen Umgang mit diesem störrischen Hengst, wobei ich mir unsicher bin das auch zu schaffen."
„Er bedankt sich bei dir", sagte Ryan sanft und diesmal war es an Alena ihn verwirrt anzublicken. „Schau ihn an", ihren Blick richtig deutend zeigte Ryan auf Dheas, der ihr mit großen, weichen Augen nachblickte und leicht mit den Nüstern bebte.
Jedoch musste sie enttäuschend erkennen, dass sie nicht wie er etwas aus Dheas Stimmung lesen konnte, außer, dass er wieder zufrieden das Gras in sich aufnahm.
Sie setzten sich nebeneinander ans Ufer, die nackten Füße spielerisch ins kühle Nass haltend sprachen sie über die herrliche Natur, die sich vor ihnen ausbreitete und Alena fand nun ihrer Gedanken Worte.
„Du bist so anders, wie kommt das?"
In seiner eben genossenen Stimmung unterbrochen, hob er eine Augenbraue und meinte schlicht, mit ein wenig Sarkasmus behaftet: „Du fragst hierüber wohl zur Zeit den Falschen."
Alena täuschte sich nicht, als sie eine kurz heruntergespielte Traurigkeit in seinem Blick erkannte. Noch einmal wollte sie es versuchen.
„Wie ist das, wie kann ich mir das vorstellen, nichts mehr über sich zu... wissen?"
Er blickte nach unten und spielte scheinbar abwesend mit den kleinen Kieselsteinen, die das Ufer an dieser Stelle säumten. Nach einer Weile begann er leise: „Es ist... wie... wenn du ständig in die Dunkelheit blickst, des nachts, aber ohne einen Stern oder den Mond zu erkennen... Du weißt, es gibt da etwas, du spürst es förmlich... kannst es beinahe angreifen, aber nichts davon... verstehen."
Unaufhaltsam spielte er weiter mit seinen Fingern in den Steinen und Alena wollte eben etwas darauf erwidern, als er mit leiser, fast hauchender Stimme weitersprach.
„Das alles scheint mir so unwirklich, wie wenn ich gar nicht hier wäre und mich weit entfernt selbst aus dieser Dunkelheit heraus beobachten würde... Manchmal erscheint es mir wie eine Eingebung, wie eine Vision und ich erinnere mich an... etwas."
Er blickte zu ihr und Alena verspürte einen Stich in ihrem Herzen, so verloren war sein Ausdruck.
„Aber es sind nur so Gefühle... nichts weiter... nichts ‚Greifbares'."
Ihren ohnedies bereits geringen Abstand noch verkleinernd rückte Alena ganz nah an ihn heran und legte ihre Hand hinter seinen Kopf.
„Ich wünschte, ich könnte dir eine bessere Hilfe bei alle dem sein, aber bis jetzt habe ich dich im Grunde eher aufgehalten."
Fast schon verzweifelnd fügte sie rasch hinzu: „Der Besuch beim Arzt hätte dir jetzt vielleicht schon etwas geholfen..."
Sie zögerte.
„Verzeih... ich...", stammelte sie reuevoll weiter.
Ein Finger legte sich hauchzart auf Alenas Lippen.
„Nein, sag' so etwas nicht. Du hilfst mir doch schon vom ersten Moment an. Es gibt nichts, dass zu verzeihen wäre."
Zärtlich langsam strich er ein paar goldene Strähnen aus ihrem traurigen Gesicht und war ihr nun ganz nah. Sanft fühlte Alena seinen warmen Atem über ihre Wangen streifen und abermals umspielte sie ein leichter Duft, wie von wildem Honigklee. Diese tiefblauen Augen zogen sie unaufhaltsam an, kaum fähig, seinem forschenden Blick so nahe standzuhalten, kam der Vergleich mit Sternen und dem Meer in ihre Gedanken. Sie strahlten wie gefangene Sterne in den unendlichblauen Weiten des tiefen Meeres und sie fühlte, dass sie wie diese in ihnen zu ertrinken drohte. Seine zärtlich leise Stimme ließ sie aus diesem Zauber kaum erwachen.
„Bei dir, Alena, habe ich manchmal das Gefühl dich bereits von früher her zu kennen... wobei... ich mir meiner Gefühle derzeit wahrlich nicht sicher sein kann."
Ohne weiter nachzudenken verband sie seine Worte fälschlich mit dem Vorfall von heute Morgen.
„War dies heute auch, als du vorhin so... ‚überreagiert' hast?"
Sie bereute ihre direkte Frage sogleich, denn sie fühlte wie er sich anspannte und fast unmerklich leicht von ihr abrückte. Sie hatte damit diesen wunderbaren Moment zerstört.
„Ich glaube dir, dass du etwas... gefühlt hast, aber das Gefährlichste in diesen Wäldern sind höchstens die Wildschweine und vor Dheas hatten sie bis jetzt immer Respekt", sagte sie schnell, um ihn nicht eventuell auch noch zu verärgern.
„Es waren keine Tiere...", kam es ausdruckslos von ihm zurück.
„Was war es dann?"
Wieder den Blick auf den See gerichtet setzte er fort: „Ich konnte sie nicht sehen."
„Sie? Waren es mehrere?", bohrte Alena nun mit wissenschaftlicher Neugierde umfangen weiter.
„Ich weiß es nicht."
„Aber... wenn es keine Tiere waren? Was dann? Besucher, die einen auf ‚Einsam durch den Wald' machten?"
Alena war es nun, die ein wenig mit dem Sarkasmus spielte, um im nächsten Moment mit geweiteten Augen fragend hinzuzufügen: „Oder die, die dich angeschossen haben?"
„Ich weiß es nicht", wiederholte er mit nun festerer Stimme und machte Anstalten aufzustehen.
„Nein, warte... es tut mir ja leid. Vergiss meine Frage von vorhin, aber versuche mich zu verstehen, dass ich dein Verhalten als etwas... ‚ungewöhnlich' empfunden habe."
Er nickte, stand aber trotzdem auf und ging ein Stück alleine den Seeuferweg hinauf.
Mit aufgewühlten Gefühlen ging Alena zu ihrem Hengst und legte ihm wieder das Zaumzeug an. Einmal fest schnaubend bereitete sich dieser auf den Rückmarsch vor. Sie folgte mit ihm dem baumgesäumten Uferweg, wo Ryan etwas weiter vorne sich jetzt an einem Baumstamm anlehnte und mit der Hand auf den Kopf griff. Alena ließ Dheas' Zügel los und lief schnell das kurze Stück zu ihm.
„Was ist los?", frage sie besorgt.
Den Kopf schüttelnd und die Augen leicht zusammengekniffen brachte er stockend hervor: „Ich glaube... ich war schon einmal hier."
Alenas Augen weiteten sich.
„Du... kannst dich erinnern?"
Noch einmal schüttelte er den Kopf um seine Gedanken frei zu bekommen und scheinbar, wieder alles vorbei, versuchte er es in Worte zu fassen.
„Ich... ich habe deutlich diese Stelle am See erkannt und... ich war nicht alleine."
„Was hast du gesehen? Kanntest du jemanden?"
Total aufgeregt redete sie auf ihn ein, jedoch war dies schon alles, dass seine Erinnerung preiszugeben vermochte.
°
Den zauberhaften See und die erlebten Momente hinter sich lassend kamen sie kurz danach an Alenas Unfallstelle von vor ein paar Tagen vorbei. Sie berichtete ihm von dem unschönen Vorfall und wurde sogleich mit sorgenvoller Aufmerksamkeit belohnt. Die Wanderung ging langsamer als üblich voran, denn sie hatten ja nur Dheas und auch auf ihr abermaliges Drängen, dass der Hengst sie sicher beide tragen würde, reagierte er abermals verneinend.
„Ich bewege mich gerne."
Wobei er ziemlich schnell unterwegs war, wie sie von Anfang an bemerkte.
Nach einer Weile kamen sie in einen Abschnitt, wo es dominierend hohe Kieferbäume gab. Wie mächtige Soldaten standen sie gen Himmel gerichtet und wegen des zu gering auftreffenden Lichts, befand sich hier kein dichtes Untergestrüpp auf dem Boden. Fast schon zu trocken war die nadelbedeckte Erde, aber dadurch so federnd weich, dass selbst die schweren Hufe Dheas' kein Geräusch in die Stille verbreiteten. Sie hatten schon minutenlang nichts mehr gesprochen, lauschten nur der Stimme der Natur, welche gelegentlich durch das derbe Klopfen eines fleißigen Buntspechts unterbrochen wurde.
„Vielleicht kennen die Bäume meine Geschichte...", stellte er etwas müde fest und unterbrach damit die einschmeichelnd sanfte Ruhe, die Alena umfangen hatte. Lächelnd sah sie zu ihm hinunter.
„Ich glaube kaum, dass sie dir das erzählen können."
„Warum nicht? Sie sind sehr weise und diese Bäume hier scheinen sehr alt und gut auf uns zu sprechen sein."
Alena musste nun kichern, angesichts des total ernsten Ausdrucks in seinem Gesicht. Immer noch lächelnd, aber mit gespielt ernster Miene sprach sie: „Ryan, ich weiß jetzt was du bist. Ich meine, deinen Beruf. Du bist ganz sicher Schauspieler, denn du hast ein Talent die unmöglichsten Dinge todernst vorzubringen. Das würde auch dein Gewand erklären. Sieht aus wie ein Kostüm aus dem Mittelalter."
Ihr Kichern ging weiter, wobei er darauf nur leicht reagierte.
Eher ungläubig, frage er dann doch: „Hörst du den nie den Bäumen zu, wenn sie von längst vergangenen Zeiten berichten? Spürst du denn nicht ihre Gefühle, die sie dir vermitteln? Ich dachte, du bist so etwas wie eine ‚Baumkundlerin' und spürst was sie empfinden..."
„Ryan, was redest du da für wirres Zeugs?"
Beinahe wäre Alena abgestiegen um seine Stirn zu fühlen. Hatte er etwa Fieber? Doch standhaft redete er weiter.
„Du sagtest, du untersuchst wie es den Bäumen geht."
Jetzt sah er sie wirklich trotzig an und Alena verging das Lachen, aber sie fing sich sogleich, denn das alles war einfach zu unrealistisch für ihren wissenschaftlichen Geist als Biologin.
Keck richtete sie sich im Sattel auf, deutete beidhändig auf die Bäume um sie und sprach mit geschwollener Stimme.
„Oh Bäume ihr, sprecht zu mir und sagt mir wie es euch denn heut' erging. Ward der Regen eine Wonne für euch?"
Er drehte sich abrupt um und ging schnelleren Schrittes dem Weg folgend weiter.
Autsch, das war wohl etwas zu viel, dachte Alena, aber diesmal wollte sie nicht klein beigeben und versammelte Dheas zu einem leichten Trab um ihm folgen zu können.
Sie lächelte immer noch in sich hinein. Irgendwie fand sie diese Abnormalitäten an ihm ziemlich süß. Irgendwie fand sie schön langsam alles an ihm süß, fügte sie gedanklich noch hinzu. Noch immer ging er eiligen Schrittes vor ihr, ohne auch nur leicht auf die Seite zu blicken.
Huch, er kann ganz schön stur sein, spielte sie noch mit ihren Gedanken, wobei sie sich eingestand, ihn vielleicht doch nicht so veräppeln hätte sollen, zumal seine Situation nicht gerade einfach war.
Da ihr Begleiter aber auch auf spätere Versuche ein Gespräch zu beginnen nicht reagierte, schwebten ihre Gedanken zu den heute noch abzuschließenden Statistiken und ihr graute schon vor einer langen Nachtarbeit.
Im Osten richteten sich bereits erste Abendwolken auf und der wenige Lichtschein, der hier in den Wald drang, schien bereits im langen Winkel durch das Blätterdach. Der Weg nach Hause war jedoch nicht mehr weit und Dheas fand ihn von hier aus ohne Probleme auch im Dunkeln.
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Endlich hatte Alena die letzte Meldung an die Nationalparkverwaltung abgeschickt. Es war bereits halb zwei am frühen Morgen, als Alena den prächtigen, fast vollen Mond bemerkte. Ryan war immer noch nicht zurück und sie machte sich schön langsam Sorgen, hatte aber auch ein leicht schlechtes Gewissen wegen ihrer Bemerkung über das angebliche Sprechen der Bäume. Aber, es war einfach zu absurd, verteidigte sie sich selbst nochmals gedanklich.
Morgen würde es Vollmond geben, dachte sie verträumt romantisch. Mit einem letzten Blick auf diesen schlief sie schnell ein.
Nachdem Alena einige Male in der Nacht zur Couch gegangen war und deren Leere erblickt hatte, war sie letztendlich auf ihr eingeschlafen. Es war erst fünf Uhr morgens und trotz des kurzen Schlafes war Alena schon total fit und schubste Joy ein wenig zur Seite, die sich zu einem Katzenfellknäuel bei ihr zusammengerollt hatte.
Alena ging gleich ins Freie, denn sie liebte frühe Sommermorgen. Erste, warme Sonnenstrahlen trafen auf ihre Haut, weckten ihre Lebensgeister und überwältigt vernahm sie das frühmorgendliche Bild, worin der böige Sommerwind mit Kaskaden von schwebenden Blütensamen spielte und deren unbekannte Reise zu fruchtbarem Boden ermöglichte.
Dheas war nicht zu sehen, Ryan natürlich auch nicht, dachte sie enttäuscht.
Dann fiel ihr Blick auf die Hängematte unter den großen Bäumen. Schelmisch grinsend schlich sie sich an und plante bereits eine kleine Überraschung, weil er ihr heute Nacht so viele Sorgen bereitet hatte. Ohne Schuhe konnte sie beinahe lautlos gehen und jeden Fuß bedachtsam und langsam auf das taunasse Gras vor den anderen setzend, schaffte sie es unbemerkt zu ihm. Unter der Hängematte lagen, im schattigen Moos verstreut, einige Werkzeuge aus ihrem Schuppen, ein paar stärkere Zweige und ein roh bearbeitetes Holzstück samt der angefallenen Späne. Alena griff ganz vorsichtig nach dem Teil um ja kein Geräusch zu erzeugen. Ihre Neugierde hatte wieder einmal gesiegt und sie verschob den listigen Racheplan. Das Holzstück wirkte wie aus einem breiten, großen Teil herausgearbeitet und schließlich, den Zweck erkennend, ließ sie es beinahe polternd fallen.
Ein Bogen! Er macht sich einen Bogen?, schoss es erschrocken durch ihre Gedanken.
Schön langsam wurde ihr das alles doch leicht unheimlich. Das rohe Werkstück wieder vorsichtig hinlegend lugte sie über den Rand der tiefen Hängematte und erschrak kurz nochmals, denn er hatte bereits die Augen geöffnet. Sogleich wollte sie mit einer frechen Formulierung ihr Anschleichen gekonnt rechtfertigen, als sie bemerkte, dass er anscheinend gar nicht wach war, sondern mit halbgeöffneten Augen schlief.
„Ryan?", fragte sie entgültig verwirrt um dann jäh einen Schreckensschrei auszustoßen, denn seine heftige Reaktion schmiss ihn förmlich aus der Matte und fiel dabei fast auf sie darauf.
„Au!", sagte er am Boden sitzend, während er seinen Rücken massierte. „Weckst du deine Mitmenschen immer so... brutal?"
„Schläfst du immer mit offenen Augen in der Hängematte und erschreckst damit unschuldige Leute?", konterte sie sogleich, um dann vor Lachen loszuprusten, weil die Szene einfach zu köstlich war.
„Mein Bett war ja von jemand anderem besetzt."
Er saß noch immer im taunassen Moos und spielte zwischen einem trotzigen und lachenden Gesichtsausdruck. Es gelang ihm nur kurz sich das Lachen zu verhalten und Alena kicherte immer noch weiter, als sie ihm hilfreich eine Hand reichte.
Beim Frühstück dachte sie an die geplante Stadttour um ihre längst verbrauchten Vorräte aufzufüllen und Ryan zu einem Arzt und dann zur Polizei zu geleiten. Es half nichts, einmal musste dieser Traum wohl ein Ende haben. Ihn ansehend fiel ihr heute etwas auf.
„Sag' mal, musst du dich denn nie rasieren?"
„Rasieren?"
„Na... wächst dir denn kein Bart? Also wie ein kleiner Junge siehst du mir aber nicht mehr aus. Ich würde dich so auf Mitte zwanzig schätzen."
Er akzeptierte ihre Feststellung, wie so oft, wortlos. Ihm am Tisch gegenüber sitzend, betrachtete sie ihn genauer. Er hatte heute Morgen sein eigenes Gewand angezogen, nachdem Alena es gereinigt und ausgebessert hatte. Der taillierte Schnitt betonte seine große, schlanke Figur noch stärker und sie kam wie schon so oft in den letzten Tagen leicht ins Schwärmen. Jegliche Müdigkeit war aus seinem Gesicht verschwunden, die sich an den ersten Tagen nach der Verletzung noch zeigte. So erschienen seine Züge heute noch edler als zuvor. Sein wohlgeformter Mund, das stolze Kinn und die sich scheinbar reflektierende Sonne in seinem goldenen Haar, ließen dieses Gesamtbild schon fast unwirklich erscheinen. Wieder waren es seine strahlend tiefblauen Augen in denen sich ihr Blick hoffnungslos verfing. Alena zögerte kurz. Erkannte sie da etwa so etwas wie ‚Wissen' in seinem Blick? Ein feines Lächeln umspielte ihn, als er sie anblickte.
Na klar!
Wie naiv war sie denn zu glauben, dass er sich seiner Ausstrahlung und der damit verbundenen Auswirkung auf Frauen nicht bewusst war.
Er weiß die ganze Zeit schon, was ich denke..., stellte Alena daraus fest.
„Hatte ich eigentlich gar nichts bei mir?", unterbrach Ryan ihre wandernden Gedanken.
„Was?"
„Ich meine, irgendetwas außer meiner Kleidung? Ein Schmuckstück... oder etwas, dass mich vielleicht an... mich erinnert?"
„Nein", sagte Alena kopfschüttelnd.
°
Sie konnte ihn einfach nicht zum Mitkommen überreden, versuchte alle nur möglichen Argumente vorzubringen, aber nichts half und wurde immer nur mit einem „nein" oder „später" abgetan.
Sie fuhr mit ihrem ‚Land Rover' alleine in die Stadt und eigentlich war sie über seine Entscheidung gar nicht böse. Vernunft und Egoismus kämpften in ihr, denn so unlogisch hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie benommen. Noch dazu wurde sie als Biologin sehr wohl auch in rationales Denken eingewiesen und eine Wissenschaftlerin war sie durch und durch. Was nicht beweisbar war, konnte es auch nicht geben. Und Fakt war, das Ryan längst schon bei der Polizei gemeldet hätte werden müssen. Diese ganzen wirren Gedanken verschwanden schnell wieder, als sie sich in das Getümmel der Stadt stürzte und stundenlang herumtrödelte.
Nach zwei Stunden Rückfahrt war sie endlich wieder in ihrem Paradies, doch war es bereits später Abend geworden. Dheas wieherte ihr laut entgegen, Giant stürmte heran und alles war so friedlich wie immer. Nur Ryan, der war natürlich wieder nicht anzutreffen. In der Küche hatte es einen eigenartigen Geruch. Es roch für sie fast wie Hundefutter und sie verzichtete darauf in den Topf zu gucken. Ryan dürfte hier wohl etwas gekocht haben, wunderte sie sich noch. Giant lief wieder an ihr vorbei und sich niederlegend begann er an etwas zu kauen.
„Äh! Igitt! Wo hast du denn das her?", rief sie entsetzt, den Fuß eines jungen Sikahirsches in den Händen haltend.
Sie schmiss ihn sofort von sich und Giant stürmte hintennach. Alena war total traurig, dass Giant nun erfolgreich jagte. Jetzt waren seine freien Zeiten entgültig vorbei. Sie hoffte, dass niemand von der Verwaltung sein Jagdglück beobachtet hatte, denn man hatte sie von Anfang an davor gewarnt, hier so einen Hund frei herumlaufen zu lassen.
Sie ging zu dem offenstehenden Schuppen und wegen der dort herrschenden Dunkelheit konnte sie nicht gleich alles erkennen.
„Um Himmels Willen! Was ist hier geschehen?"
Ryan stand plötzlich neben ihr und jetzt war es ihr einfach zuviel.
„Was hat denn Giant sich dabei nur gedacht?"
Alena betrachtete den Haufen voller Fell, Fleisch und Blut.
„Er hat wirklich ein Sikahirschkalb gerissen! Das arme Tier."
„Das war doch nicht Giant", erklärte ihr Ryan. „Du hattest kein Fleisch mehr und ich brauchte unbedingt Sehnen für meinen Bogen und..."
„Das warst DU?"
„Ähm... ja... ja?"
Alena fühlte, dass ihr der Atem wegblieb.
„Du hast einen Hirsch getötet? Bist du von Sinnen?"
Mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet und wich ein wenig erschrocken vor Alena zurück.
„Ich habe bereits Nächte damit verbracht um sie zu beobachten und du gehst mal eben in den Wald und... bringst einen davon um?"
Ihre Stimme wurde immer schriller. „Wie hast du es denn gemacht?"
„Aber... du hast doch gesagt, wir haben nichts mehr zu essen... und..."
„Und da gehst du einfach los und... ich fass' es nicht! Ich sagte doch, ich fahre einkaufen!"
„Wenn ich wüsste, was ‚einkaufen' bedeutet", sagte er, der Schreierei von ihr schön langsam überdrüssig werdend.
Alena ging nicht darauf ein, zügelte ihren Ton wieder auf normal und deutete auf die Reste des Tieres.
„Kannst du das alles bitte entsorgen?"
Sich kurz umblickend und seine Arbeiten an den zusammengefügten Sehnen betrachtend, sagte sie noch trocken: „Das ist doch nicht mehr normal. Du kannst hier nicht im Nationalpark mit einem Bogen herumlaufen und welcher normale, erwachsene Mensch macht das denn überhaupt?"
Jetzt wurde sie doch noch einmal wütend.
„Das alles ist doch nicht wahr. Du kannst mir nicht erklären, dass du irgendwo im 21. Jahrhundert lebst und noch mit Pfeil und Bogen herumläufst."
Verärgert sah sie in sein ausdruckloses Gesicht, welches sie nur noch rasender machte, denn dieses Schweigen brachte sie bald zur Weißglut. Bevor sie jetzt noch irgend etwas Verletzendes sagte, dass sie später sicher bereuen würde, wandte sie sich zum Gehen. Es hatte anscheinend ohnedies keinen Sinn mit ihm zu diskutieren.
„Vielleicht bin ich kein normaler... Mensch", bemerkte er noch tonlos, während sie aus der Türe schritt.
Sie zögerte kurz, überlegte etwas darauf zu erwidern, entschloss sich aber, es vorerst dabei bleiben zu lassen. Ein entfernt hallendes Wiehern riss sie aus den Gedanken.
„Peter!"
Sie lief ihm entgegen, während Dheas mit hochgerecktem Schweif aufgeregt am Koppelzaun entlang trabte.
Peter war mit seiner traumhaften Irish Draughthorsestute ‚Madainn' angekommen. Ihr Name war die gälische Bedeutung für ‚Morgen' und er ritt mit ihr so oft wie möglich zu diversen Hausbesuchen. Dheas präsentierte sich der Schimmelstute sogleich von seiner prächtigsten Hengstseite. Alena bemerkte jetzt erst die dunklen Wolken, die sich im Westen zu einer bedrohlich näherkommenden Gewitterfront aufbauten. Die ersten noch entfernten Blitze zuckten zum sommerwarmen Boden hernieder. Peter kannte Alena sehr gut, merkte bei der Begrüßung sofort ihre veränderte Stimmung und blickte, den Grund erahnend, feindselig zu Ryan hinüber. Alena warf diesem einen bösen Blick zu.
„Hast du dein ‚Verbrechen' schon weggeräumt?", fragte sie bissig zu ihm.
Peter reichte dieser kurze Wortwechsel um sich schützend vor Alena zu drängen.
„Was hat er getan?"
Obwohl er jetzt neben ihm stand, sprach er ihn nicht direkt an.
„Das... kann er dir selbst zeigen", schnauzte Alena und wollte sich eben abwenden.
Im Grunde war für sie die Diskussion damit beendet. Peter jedoch fing an, seinen aufgestauten Argwohn gegen den Fremden zu entfesseln und ging bedrohlich auf Ryan zu.
„Was hast du ihr angetan?"
Dieser fühlte sich absolut nicht verpflichtet Peter etwas zu erklären. Fast schon arrogant blickte er ihn an, verärgerte diesen natürlich erst recht und ehe Alena auch nur etwas dagegen erwidern konnte, hatte Peter Ryan schon an seiner Kleidung gepackt und sprach bedrohlich zu dem fast gleich großen Mann.
„Lass' mir ja Alena in Ruhe, sonst bekommst du es mit mir zu tun."
Der erste kalte, böige Gewitterwind brach eben in ihre Lichtung ein und ließ Staub und Erde in kleinen Säulen in die Luft steigen. Einen kurzen Moment später lag Peter am Boden und Ryan drückte ihm seinen Arm auf den Rücken.
„Greife mich nicht an", knurrte dieser nur und seine Bewegungen waren wahrhaft raubtierartig.
Peter schluckte über seine unnatürlich schnelle Reaktion und Stärke, die er bei ihm nicht vermutet hatte. Kaum jedoch losgelassen holte er aus, denn so etwas ließ er sich ebenso wenig gefallen.
„Seid ihr verrückt geworden? Hört auf!", schrie Alena und wollte sich zwischen die beiden drängen.
Peter schlug auf Ryan ein, der dem Schlag jedoch spielend auswich, sogleich den nächsten parierte und Peters Hand nochmals schmerzhaft hoch auf den Rücken verdrehte.
„Wie weit willst du das noch treiben – greife mich nicht an!", warnte ihn dieser mit bedrohlich leiser Stimme.
Alena gab Ryan einen kräftigen Stoß, zumindest wollte sie dies, aber er wich nicht ein Stückchen weg.
„Hör' jetzt endlich auf, auf Peter loszugehen!"
„Misch' dich nicht ein, Alena", knurrte Peter.
Der Gewittersturm wurde immer heftiger, die ersten, kalten Tropfen vielen vom abendlichen Himmel und rund um sie wurde alles in dunkles und gespenstisch gelbes Licht getaucht. Ryan ließ Peter abrupt los, drehte sich zum Wald und ignorierte, dass er nun gegen jeden Angriff von ihm ungeschützt da stand. Alena hielt Peter jedoch zurück und vernahm im tosenden Wind nur mehr leicht Ryans warnende Worte.
„Sie kommen! Versteckt euch! Geht ins Haus, sofort!"
Im nächsten Moment rannte er zur Koppel, sprang mit einer außerordentlichen Leichtigkeit über den Zaun und sogleich hinauf auf den vom Gewitter nervösen Dheas. Einigen Anlauf nehmend sprang dieser über den Koppelzaun um im rasenden Galopp in den Wald zu stürmen. Grelle Blitze jagten einander, gefolgt von grollendem Donner und der kalte Regen wurde heftiger, zwang sie ihre Köpfe einzuziehen.
Peter erwachte aus seiner Erstarrung, schwang sich auf Madainn und sagte nur: „Na warte, den Burschen hole ich mir", und galoppierte den Weg hinter Ryan nach.
„Ryan!", schrie Alena verzweifelt, hier im totalen Chaos zurückgelassen.
Sie konnte noch gar nicht recht begreifen was hier alles so schnell passiert war. Ein gellender Blitz schlug in ihrer Nähe ein und bei dem starken Regen konnte sie kaum noch etwas erkennen.
Die Situation war vollständig außer Kontrolle geraten. Alena lief den beiden Männern nach, hoffend, noch etwas Schreckliches verhindern zu können. Das Gewitter tobte weiter, unaufhaltbar schossen grelle Blitze in den verdorrten Boden, begleitet von tosenden Donnern, welche die friedliche Ruhe dieses gedachten Paradieses teilten. Alenas Herz raste, als sie immer tiefer in den Wald eindringend dem breiten Weg folgte. Regen prasselte hart auf sie herab und die bereits durchtränkte Kleidung klebte kalt auf ihrem Körper. Ständig musste sie ihre Haare aus dem Gesicht streifen, kämpfte gegen die schlechte Sicht und die aufgeweichte Erde. Feine Rinnsale bildeten sich bereits auf dem kargen Boden des Weges, so stark war der Regen und konnte nicht mehr von der Erde aufgenommen werden. Dies brachte jedoch den Vorteil, dass sie die frischen Pferdespuren für kurze Zeit gut erkennen konnte.
Endlich nahm die Anzahl der Blitze ab und der Donner gebar sich nur mehr in einem dumpfen Grollen. Langsam wurde auch der Regen leichter und verlor sich in einem gleichbleibenden Rhythmus auf sie heruntertropfend. Es war inzwischen bereits stark abgedunkelt, fast schon Nacht, als Alena ein lautes, schrilles Wiehern vor ihr vernahm. Weitere unbekannte Geräusche, einem furchtbar lauten Grölen gleich, drangen aus der selben Richtung. Entsetzt beschleunigte sie ihre Schritte. Alsbald kam sie an die Stelle, wo sich die Hufspuren mit anderen, ihr unbekannten Spuren mischten. In einen abzweigenden Weg blickend sah sie zwei Gestalten, die eine über die anderen gebeugt. Sich nähernd erkannte sie bald ihn ihnen Ryan und Peter.
Wie erstarrt, mit vor Entsetzten weit aufgerissenen Augen, blieb sie stehen. Peter lag bewegungslos am Boden und Ryan kniete neben ihm. Rasend überschlugen sich ihre Gedanken und dann stürzte sie zu ihnen.
„Was machst du da?"
Ihre Stimme überschlug sich fast. Barsch drängte sie ihn auf die Seite und stockte, als sie Peters starre, weit geöffnete Augen und das viele Blut auf seiner Kleidung sah. Geschockt von dem Bild das sich ihr bot, blickte sie erstarrt und schier atemlos auf Ryans blutige Hände.
„Du... hast Peter umgebracht?"
Ryan blickte mit schreckensgeweiteten Augen zu ihr auf.
„Nein, ich nicht", flüsterte er, aber der eben fern grollende Donner überdeckte seine Worte.
