Reviewantworten:

Tanja
Danke dir für die FanFlagge Freut mich natürlich sehr, dass du meinen Stil und die Beschreibungen magst. Das spornt unheimlich an, dort weiter anzusetzen!

rhabarber
Das Irische, dass hat schon was an sich, finde ich auch, wenn ich auch nicht sehr intensiv darauf eingehe. Sorry, für den Cliffhanger, aber ich befürchte, dass ich das gerne mache – hoffe, du verzeihst das auch diesmal. Zu deiner 2. Frage: in den Sagen Irlands leben die Elben immer noch direkt mitten unter uns tief in den Wälder bzw. der Natur versteckt. So habe ich auch das hier übernommen. Freut mich sehr, dass du zu meiner Story als Leserin gestoßen bist!

Nyella
Ich grinse hier natürlich über dein Lob, zumal du mir ja den Ansporn gegeben hast, meinen Stil mal kräftigst zu ändern. Die Actionszenen gefallen dir? Das find ich schön, zumal ich da ehrlich gesagt beim Schreiben auch immer mitzittere, aber ich wusste nicht, ob sie auch was taugen. Ich glaub' ich werde meine nächste FF mit viel mehr Action voll packen :-) Danke dir nochmals für diese schöne Review!

brennil
Auch an dich ein Dank, dass du wieder vorbeigekommen bist. Im Grunde sind alle Fragen bereits beantwortet bzw. bringen das nun vorliegende Kapitel 4. Hoffe, du hast auch wieder soviel Spaß daran! Ich würd' mich natürlich sehr darüber freuen.

Lady Dragonfire
Hallo Drachenverwandte :-) Sorry für den Cliffhanger, aber ich sag's auch hier gleich nochmals, ich liebe diese Enden einfach so sehr! „Sie" wollte ich ehrlich nie so hochspielen und im Grunde kann er sich eben noch nicht auf deren Namen erinnern... Ich bin überwältigt von deiner Beurteilung, dass meine Story zu eine der schönsten gehört, die du je gelesen hast. Warten wir mal, wie die Story weitergeht, obwohl ich sie ja bereits komplett im Kopf habe, schreibe ich noch jedes Kapitel vor dem Veröffentlichen. Darum dauert es halt auch immer ein wenig und ich hoffe weiter auf Verständnis von euch allen.

niah luna
Ganz besonders freute ich mich darüber, dass du meine Naturbeschreibungen magst. Ich liebe die Natur natürlich auch, darum fließt sie mir anscheinend immer über die Tasten :-) Du hast Recht „sie" sind schlicht nur unsere altbekannten „Orks" und wegen der Elben in meiner Story und woher sie kommen, habe ich unterhalb eine Erklärung geschrieben, weil dies vielleicht andere auch interessiert. Danke für deine sehr ausführliche und schöne Review!

darklayka
Ich bin total gerührt, dass du soviel der lobenden Worte für meine Story findest. Danke! Ich hoffe, dass auch jetzt wieder mit weniger Action dir das Lesen weiter Spaß macht. Im Grunde bleibt es weiterhin eine „Romance/Drama" Story, aus der Sicht von Alena.


Wo leben die Elben in meiner Geschichte?
Ich habe die irische Version der überlieferten Sagen gewählt, wo die Elben, oder dort besser gesagt Elfen, noch direkt in unserer Welt leben und ihnen viele Dinge darum bekannt sind. Sie hausen u.a. tief in den Wäldern versteckt, wo sie prächtige Feste feiern und uns jedoch oft heimlich beobachten kommen. Es gibt in Irland tatsächlich heute noch Menschen, die gerufen werden, wenn ein neues Grundstück in einem vermeintlichen Elfengebiet bebaut werden soll. Sie untersuchen dieses auf Spuren von Elfen, um sie ja nicht zu erzürnen, wenn sich dort Menschen ansiedeln wollen. Ihr Name wird aus Respekt fast nie direkt genannt, sondern eher „das stille oder gute Volk".
Die Version mit der ‚anderen Welt', die niha luna ansprichst, die neben unserer besteht, mag ich sehr, und sie ließe auch viel mehr Möglichkeiten offen, hoffe jedoch, ihr seid nicht enttäuscht, dass ich den weniger mystischen, aber eben irischen Weg gewählt habe, wobei der gewählte Mittsommer bei mir auch bewusst war und noch erklärt wird.

Elben und Elfen
... weil wir bei diesem Thema sind. Das deutsche Wort „Elben" wurde nicht, wie schon so oft wo gelesen, extra für die Übersetzung von Tolkiens Bücher gewählt. Es war bereits im Mittelhochdeutschen bekannt, als „Elb" und „Alp", wobei zweiteres eher für die Bösen galt. (siehe Alptraum) Ich finde diese Wahl jedoch gut, denn unterscheiden sich die Elben und Elfen in Aussehen und vor allem im Charakter. Ich wählte hier die Lebensumstände von Irland, Aussehen und Charakteristik bekamen sie von Tolkien und alles dann mit meiner Fantasie vermengt – das Ergebnis wird sich weiter zeigen... Wie bei Tolkien, gibt es auch in den irischen Sagen zwei Versionen. Die einen Guten, die mit ihrer Spiritualität die Natur beeinflussen und das sich ausgleichende Böse, ständig mit ihnen im Kampf.
Aber... ich will euch doch nicht jetzt schon alles verraten... steht alles in den nächsten Kapiteln... wobei mein Hauptaugenmerk weiter auf Alenas Sicht gerichtet bleibt (Romance/Drama) und es keine direkt ausgeprägte Elbengeschichte ist.


Erklärung zu Kapitel 4:
Dieses Mal ist die Geschichte überschattet von den tragischen Ereignissen der letzten Nacht und nur langsam scheinen sich die Dinge wieder zu erhellen. Alena und Ryan, durch das gemeinsam Durchlebte noch mehr an sich gebunden, erkennen endlich Ryans wahre Herkunft, doch kann er sich immer noch nicht an alles erinnern.

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NUR EIN TRAUM

Kapitel 4: Du bist ein Elb
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Alena griff auf Peters blutende Brust, schüttelte ihn leicht, doch er reagierte nicht, seine Augen blieben starr in den Himmel gerichtet.

„Peter!", flüsterte sie und bemerkte wie aus weiter Ferne, dass Ryan sich rasch in Richtung des weiteren Weges drehte, dort scheinbar etwas erkannte und sie augenblicklich hochgezogen wurde.

„Nein, fass' mich nicht an!", schrie sie schrill und entriss ihm ihre Hand. „Fass' mich nicht an, du hast ihn umgebracht!"

Ihre bohrenden Blicke verrieten, wie ernst sie es meinte, doch hatte er jetzt keine Zeit mehr für Erklärungen, packte sie kräftiger am Arm und zog sie unbarmherzig tiefer in den Wald, dem einzig begehbaren Weg folgend. Er riss sie rasch mit sich und Alena begann laut schreiend um sich zu schlagen.

„Sei still", sagte er leise, schon fast flehend, „oder willst du sterben?"

Doch Alena reagierte nicht, konnte nicht. Er legte seine Hand über ihren Mund und Alena, vor Todesangst nun kräftiger, trat ihn hart gegen sein Schienbein. Sie loslassend, stieß er sie barsch in die niedrigen Büsche.

„Sei still und leg dich auf den Boden, egal was jetzt passiert – sei still!"

Leichtes Mondlicht traf auf die Waldstelle, der Schein immer wieder von Wolken unterbrochen, tauchte alles in ein gespenstisches Wechselspiel von Licht und Schatten.

Jetzt ruhig, am ganzen Körper schmerzlich zitternd, stand Alena da und blickte in seine Richtung, wusste nicht wie ihr geschah.

Im nächsten Moment wurde sie von ihm grob auf den Boden gedrückt. Feine Äste zerkratzten ihr Gesicht, aber Alena schien dies alles nicht zu spüren.

„Liegen bleiben!", flüsterte er befehlend.

Ryan brach einen stärkeren Ast vom nächstgelegenen Baum, bedacht darauf, dass er am Ende schräg zu einer Spitze absplitterte. Gespenstisch still war es mittlerweile, nur das letzte Tropfen und leichtes Scheuern der nassen Blätter im Wind war zu vernehmen.

Wie in einem fernen Traum nahm Alena das surrende Zischen eines Pfeils wahr, der knapp über ihr den Stamm des Baums durchbohrte. Weitere folgten und ein dunkler Schatten tauchte neben Ryan auf. Hinter den Buschzweigen konnte sie die unwirkliche Szene, die sich ihr bot, nur schwach verfolgen. Die schwarze Gestalt schlug schwer auf Ryan ein, der jedoch gewandt zur Seite auswich und mit seinem provisorischen Speer den gefolgten Schlag parierte. Schwungholend, sich einmal um sich selbst drehend, schlug er den starken Ast kräftig in die Seite des todbringenden Gegners. Dieser brüllte auf, stieß sein dunkles Schwert abermals auf Ryan nieder, doch hielt er ihm bereits den Speer an die Brust gerichtet. Mit einem lauten, fast tierähnlichen Brüllen, sank er nieder und Ryan stieß ihn von sich, sogleich sein Schwert an sich nehmend.

Alena blieb, wie ihr geheißen, in den Büschen liegen, denn nichts auf der Welt brachte sie jetzt da noch hervor, wenn auch nichts von dem begreifend, das sich vor ihren Augen abspielte.

Leicht geduckt, kampfbereit wie ein lauerndes Raubtier, stellte sich Ryan abermals auf den Weg und nun mit dem Schwert bewaffnet, blickte er unentwegt in die Richtung aus der, der letzte Gegner kam.

Wie auf ein unsichtbares Zeichen lief er los, kurz danach auf den nächsten grausigen Gegner prallend. In der daraus entstandenen Entfernung war es Alena nicht möglich Einzelheiten zu erkennen. Zu dunkel war die Nacht und zu schrecklich die Eindrücke zwischen den sonst so geliebten Eichenbäumen.

Durchdringendes Kampfgeschrei dröhnte an ihre Ohren und langsam erwachte sie aus ihrer angsterfüllten Erstarrung. Mit zittrigen Händen schob sie die dünnen Zweige leicht zur Seite, um die Geschehnisse etwas besser zu verfolgen.

Keiner Reaktion fähig, starrte sie im nächsten Moment in kalte, gelbe Augen. Sein spuckend brüllender Atem nahm ihr die Luft, als grausame starke Arme nach ihr griffen. Sie wurde gepackt, schmerzhaft hochgezerrt und brutal an ihn gedrückt. Grauenhafter Gestank drang sich ihr übelwerdend auf. Unfähig zu denken und zu handeln, schrie Alena instinktiv auf um im nächsten Moment an seinem langsam erschlaffenden Körper abzurutschen. Ihr dunkler Feind sank in die Knie, von dem Schwert direkt in den Rücken getroffen, wurde sie von Ryans Armen aufgefangen.

Sanft ließ er sie auf den Boden ab, doch ihre Beine gaben sogleich nach. Sein Atem ging schneller und Alena meinte ein leichtes Zittern seines Körpers zu verspüren, als er sie beschützend an sich drückte. Fest in seinen Armen haltend, wortlos, standen sie für eine Weile hier, er gab ihr Zeit sich etwas zu fangen.

Das wieder eintreffende Vollmondlicht tauchte die unwirkliche Szene in ein allzu realistisches Bild des Schreckens und Alena, dies alles langsam begreifend, begann leise zu schluchzen. Ryan löste die Umarmung, gewarnt von seinem Instinkt diesen Ort zu verlassen, drängte er sie von diesem Grauen davon.

Wie in Trance folgte Alena, den Arm nicht von ihm nehmend begann sie noch mehr zu zittern, schier ohne Kontrolle über sich selbst, stolperte sie neben ihm weiter. Eher langsam gehend kamen sie an die Stelle, wo sie Peter zurückgelassen hatten.

„Peter", flüsterte Alena, fast schon erschrocken über ihre eigene Stimme. „Wo ist er?", hörte sie sich selbst, wie von weiter Ferne fragen.

„Komm weiter", flüsterte Ryan nah an ihr, sie immer noch beschützend an sich gedrückt.

„Wo ist Peter?", drang es abermals aus ihr und sie spürte die letzte Kraft aus ihrem Körper weichen.

Stolpernd ließ sie sich auf den Boden sinken, Ryan half ihr jedoch sofort wieder auf.

„Alena... bitte!"

Sein Blick war flehend und voller Verständnis.

Sie konnte jedoch nicht darauf reagieren.

„Wo ist er hin? Er kann nicht weit gekommen sein mit seinen starken Verletzungen!"

Ihre Stimme wurde panisch fester und als Ryan keine Anstalten machte, etwas zu unternehmen, riss sie sich aus seinem Griff und starrte ihn ungläubig an.

Noch immer konnte sie das Geschehene nicht akzeptieren.

„Alena...", er kam auf sie zu, wollte sie wieder in die Arme nehmen, doch sie wich zurück.

„Warum tust du nichts?"

Fassungslos blickte sie ihn an und ihre rasenden Gedanken schienen sie zu erdrücken.

„Er war bereits tot, Alena. Ich konnte ihm nicht mehr helfen."

Sie starrte ihn weiter nur fassungslos an.

„Wo ist er aber dann?"

„Sie lassen niemanden zurück, nicht ihresgleichen und auch die anderen nicht", sagte er kalt.

Gedrängt von seiner inneren Stimme weiterzugehen, nahm er vorsichtig ihren Arm und zog sie sanft, doch bestimmt den Weg weiter.

Alenas Augen waren vor Entsetzen geweitet und sie schien das eben Gehörte nicht wirklich zu verstehen, folgte ihm wie ferngesteuert an seiner Seite. Große Wolken hatten sich wieder vor den Mond geschoben und frische Regentropfen fielen aus ihnen herab. Ein stiller, beständiger Regen begann, gewillt, all das Grauen dieser Nacht wegzuwaschen, als sie sich dem heimbringenden Pfad zum Haus näherten.

°

Behutsam lenkte er Alena zur Couch im Wohnzimmer und brachte ihr ein Glas Wasser. Immer noch fern wirkte ihr Blick, als sie dies von ihm entgegen nahm. Er strich ihr die nassen Haare aus dem Gesicht und sie wurde dabei seines vor sich gewahr. Dunkle Blutspritzer waren darauf verteilt, im Gesicht wie auf dem samtgrünen Stoff seines Übergewandes. Dieses fast schwarze, übelriechende Blut erblickend und an das von seinem Umhang damals erinnernd, brach plötzlich alles auf Alena ein und sie sprang schnell auf und stellte sich, mit etwas Abstand, vor ihm hin.

„Wer waren die? Was haben sie von uns gewollt? Warum haben sie...?" Peter umgebracht, wollte sie noch sagen, unfähig es in Worte zu fassen.

Derart verzweifelt hatte sie sich noch nie in ihrem Leben gefühlt und jetzt stand sie hier, mit einem ihr doch irgendwie fremden Mann, der ihr nur spärlich Antworten lieferte. Ryan stand auf und kam zu ihr, sie wohlweislich nicht anfassend.

„Es sind... dunkle Geschöpfe... unsere Feinde..."

Leise sprach er, sich jedoch sicher, dass sie es nicht verstehen würde.

„Eure Feinde?"

Alena schnappte nach Luft. Endlich wieder einer Regung fähig, fiel nun alles von ihr ab.

„Warum dann Peter? Und warum hier in meinem Wald?", flüsterte sie erschrocken.

Er rang nach Worten, blickte kurz auf den Boden und begann: „Ich wollte sie von euch wegführen, wollte all' dies verhindern, aber..."

Er schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Warum seid ihr mir nachgelaufen? Ich habe euch gewarnt und sie wären nie in euer Haus gegangen..."

„Wer sind sie?", schrie Alena nun fast vor Verzweiflung.

Ein ohnmächtiges Gefühl stieg in ihr hoch und schien jeden ihrer Gedanken einzunehmen.

„Sie hätten gar nicht hier sein sollen... sie haben nur mich gesucht... es tut mir... so leid."

Verzweifelt blickte er zu Alena, ihren Schmerz mitfühlend und selbst mit der ganzen Situation einfach überfordert.

„Du hast sie hier... hergeführt? Peter musste... sterben, weil du hier warst?"

Alena schluchzte. Tränen schossen ihr in die Augen und er stand noch immer regungslos vor ihr. Der gesamten Bitterkeit über die Geschehnisse bewusst werdend, war er der Grund für all dieses Leid.

„Du... du hast sie hier hergebracht..."

Er kam näher zu ihr, nahm sie in die Arme, doch sie reagierte nicht, murmelte weiter: „Du hast sie hergeführt...", und jäh übermannten sie ihre aufgewühlten, schier unkontrollierbaren Gefühle und sie wehrte sich gegen seine Hände und schlug verzweifelt auf ihn ein.

„Du hast ihn umgebracht... du hast dieses Böse hier hergeführt..."

Er ließ sie gewähren, wich nur leicht zurück, als sie schmerzlich seine alte Wunde traf, nahm sie dann, fast selbst den Tränen nahe, fest in seine Arme. Endlich konnte Alena weinen, verzweifelte Tränen nahmen ihren Lauf, tief schluchzend hing sie an ihm und spürte, dass die letzte Kraft sie entgültig verließ und zu Boden brachte. Er gab ihr nach und beide, fest einander haltend, saßen am Boden um dem erlebten Schmerz der Nacht gemeinsam entgegenzutreten.

Bald war Alena vor Erschöpfung eingeschlafen und Ryan trug sie behutsam in ihr Bett, blieb noch eine Weile um ihren Schlaf zu beschützen. Schreiend wurde sie desbald daraus erweckt, immer diese grauenhaften Bilder im Traum vor ihr, welche beim Erwachen nicht verschwanden und Ryan war sofort an ihrer Seite, zärtlich tröstend und beschützend. Sie ließ ihn nicht mehr von sich, hatte zu sehr Angst alleine zu sein, so blieb er bei ihr, die ganze Nacht, eng aneinander liegend, fest umarmend und Alena klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Er tröstete sie mit Worten seiner Sprache, deren Klang so viel einfühlsamer waren, wenn auch ohne die Bedeutung verstehend drangen sie ein in ihre verletzte Seele und vermochten diese entsetzliche Pein für heute Nacht ein wenig zu lindern.

°

Lange blieb es diesen Morgen dunkel, keine freundlichen Sonnenstrahlen erweckten das verlorene Paradies im stillen Wald. Leiser Regen fiel beständig aus dem dichten Wolkendach über dem grünen Park und es schien, als würden alle Seelen der Natur rundum trauern. Leichtes Brummeln, gefolgt von einem leisen, heiseren Wiehern ließ Ryan aus seinem traumlosen Schlaf erwachen.

Vorsichtig löste er sich aus Alenas Umarmung, vergewisserte sich nochmals, dass sie ruhig weiterschlief und trat vor die Tür, um dort Dheas zu erblicken. Warm wurde ihm ums Herz, als er seinen, erst kürzlich liebgewonnen Freund empfing.

Man mathach?" (Wie fühlst du dich?) Mit leisem Brummeln kam ihm dieser entgegen, die weichen Nüstern an sein Gesicht drückend schien er ihm das Erlebte der letzten Nacht zu klagen.

Im gelir ceni ad lín" (Ich freue mich, dich wieder zu sehen), flüstere Ryan, während er über sein dunkles Fellkleid strich, bedacht darauf jede Verwundung zu erkennen und verhielt bald bei ein paar leichten Schnittwunden. Er reinigte sie mit Wasser, suchte heilbringende Kräuter und strich die daraus vermengte Paste direkt auf. Still stehend, den Kopf tief gesenkt und die Prozedur, wie auch den unaufhörlich feinen Regen über sich ergehen lassend, ließ Dheas sich danach in den heimatlichen Stall führen, wo Maggy und die anderen ihn freundlich, auf ihre Art, begrüßten. Ryan gab ihm Futter und Dheas begann sofort begierig zu fressen. Seine Ausstrahlung wandelte sich bald in eine Bessere und Ryan umspielte ein erstes, leichtes Lächeln an diesem trauerumwobenen Tag.

No ce ammaer ab lû thent, meldir nîn." (Möge es dir bald besser gehen, mein Freund.)

°

Alena vernahm als erstes den friedlichen Gesang der Amseln, der durch ihr geöffnetes Fenster drang, den Duft des leichten Sommerregens, der die Luft feuchtschwer umfing und die noch immer wohlige Wärme ihres Bettes. Der nächste Gedanke traf sie wie ein Schlag der bitteren Wahrheit. Die Realität küsste letztendlich den letzten Schlaf aus ihren Gliedern und alles fuhr wieder schrecklich nah in ihre Gedanken.

„Peter...", flüsterte sie verzweifelt. Es durfte einfach nicht wahr sein, was sie in der letzten Nacht erlebt hatte. Schwer kroch sie aus ihrem Bett, draußen nur leise Geräusche vernehmend schleppte sie sich ins Bad und begann, ihr Spiegelbild betrachtend, leicht zu zittern. Wie sollte sie mit solchen Geschehnissen fertig werden? Sie wusch die sichtbaren Erinnerungen aus ihrem Gesicht, der Hoffnung hingebend, dass dies etwas Linderung verschaffen würde.

Am Frühstückstisch fand sie eine Schale voll frisch gepflückter süßer Walderdbeeren, auch sonst war bereits alles hergerichtet und ihr Blick fiel auf ein paar am Tisch vereinzelt verstreute, weiße Waldhyazinthen.

Bedacht darauf sie nicht zu erschrecken, fragte Ryan leise hinter ihr: „Konntest du ein bisschen besser schlafen?"

Ihre Augen mussten immer noch das Erlebte der letzen Nacht widerspiegeln, denn als sie sich zu ihm drehte, wurde sein Blick zusehends sorgenvoller. Alena war es diesmal, die sich nur spärlich in das Gespräch einband, immer noch steckte die Angst in ihren Gliedern. Rücksichtnehmend stellte er keine weiteren Fragen, begann von etwas Positivem zu berichten, dass dieser Tag bereits gebracht hatte.

„Dheas ist wieder hier."

Durch das Fenster auf die Koppel deutend bemerkte er die aufhellende Reaktion in ihrem traurigen Gesicht.

„Dheas", flüsterte Alena. „Ich dachte schon... er wurde auch..."

Selbst jetzt, konnte sie den Satz nicht beenden, zu frisch waren die Geschehnisse der Nacht.

„Er ist wohlauf, nur ein paar leichte Schnitte, die ich schon versorgt habe."

„Danke", antwortete sie leise, sah dabei in seine Augen.

Voller Sorge war sein sonst so stolzer Blick und doch fühlte sie sich bei ihm unerklärbar sicher. Nichts war von all den Vorwürfen in ihr geblieben, welche sie ihm gestern an den Kopf geworfen hatte. Hoffend, er würde ihr das nie nachtragen, griff sie nach seinem Arm und rückte näher zu ihm. Den seinen sogleich um sie legend zog er sie sanft zu sich heran. Still saßen sie abermals beisammen und Alena fühlte immer stärker die tröstende Wirkung seiner Nähe. Worte wären hier nur falsch gewesen, es brauchte alles seine Zeit. Zeit um zu verstehen, um zu akzeptieren und dann, irgendwann einmal, kam die Zeit um zu vergessen.

°

Den weiteren Tag verbrachten beide ohne große Ereignisse. Jeder Moment, der sie nicht an die Geschehnisse erinnerte, war fast wie ein Geschenk, welches jedoch nicht lange Wirkung zeigte. Alena strich wie ein Geist durchs Haus, begann dies und das, nichts wirklich vollendend versuchte sie sich zumindest in alltäglichen Arbeiten zu beschäftigen und wusch ihre Kleidungsstücke, samt Ryans dunklen Umhang, den er bei ihrer ersten Begegnung trug, wollte damit den letzten Rest von erinnerungsträchtigem Blut vernichten.

Der andauernde Regen und etwas auffrischender Wind brachten eine unangenehme Kälte ins Haus, wobei Alena nicht zu sagen vermochte, ob diese nicht eher von ihrem Inneren entsprang.

Später am Abend saßen beide neben dem entzündeten Kaminfeuer, damit versuchend diese eigenartige Kälte zu zerteilen. Still war es, nur wohltuendes Knistern und gelegentliches Knacken des Feuerholzes waren zu hören. Flackerndes, gelborangenes Licht tauchte das Zimmer in ein tänzelndes Schattenspiel, ein damit fälschlich friedliches Bild vorgaukelnd, aber doch ein wenig der beruhigenden Wirkung an die Lebenden dieses Hauses abgebend. Selbst Giant zügelte heute sein Temperament, dass normal den noch jungen Hund begleitete. Die Stimmung seiner Leute spürend schlich er nur gelegentlich zu ihnen um seinen mächtigen Kopf auf deren Beine zu legen und mit treuen Hundeblicken zu ihnen aufzusehen.

Alena nahm das Handy zur Hand und wählte die Nummer ihrer Mutter. Selten dachte sie an solch ein Gespräch von sich aus, doch die Umstände erklärten ihr diese Handlung wie von selbst. Nachdem auch nach mehrmaligen Versuchen keiner abhob, schlussfolgerte sie daraus, dass ihre Eltern wohl doch früher als geplant in den Urlaub aufgebrochen waren. Ein enttäuschtes, unbefriedigendes Gefühl blieb in Alena und sogleich suchte sie Ryans Nähe, der sie ihr bereitwillig entgegenbrachte.

°

Auch die nächsten beiden Tage waren überschattet von den Ereignissen im tiefen Wald. Alena vollbrachte zumindest einige ihrer Aufgaben für die Nationalparkverwaltung, doch in den erinnerungsbeladenen Wald wollte sie sich noch nicht vorwagen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst dieses sicher erscheinende Grundstück zu verlassen. Seltsam fühlte sie sich, wenn sie auch den Grund kannte, so trauerte sie nicht nur um Peter, sondern auch um ihre alte, unbefangene Haltung dieser herrlichen Gegend gegenüber. Die schrecklichen, teilweise nur schemenhaft erkannten Bilder der Mörder von Peter begannen sich in ihr zu verändern. Ihr Innerstes suchte stets nach einer logischen Erklärung und je weiter das Ereignis in die Ferne rückte, desto mehr dachte sie, es müsste für alles eine realistische Erklärung geben. Ryan gab weiter nur knappe Auskünfte, schien selbst nicht genau zu wissen, wer sie waren, oder wollte sie nur vor der Wahrheit beschützen. Alena verdrängte die schmerzhaften Gedanken an die Umstände von Peters Tod nur allzu gerne, bis sie wieder diese aufdrängende Stimme in ihren Kopf hörte, dass man ihn bald vermissen würde und ihre spärlichen, unrealistischen Angaben der Polizei kaum ausreichen würden. Quälend oft dachte sie daran, dass sie Peters Verschwinden schon längst hätte melden müssen. Er erwähnte ihr noch gegenüber, nie ein Wort über Ryan verloren zu haben, nicht einmal seine letzten Besuche hatte er verzeichnet. Aber eines Tages würde sie das alles einholen, sie spürte es genau, ignorierte diese Tatsache, so wie vieles andere mit Ryan zusammenhängend, noch standhaft weiter.

°

Fahle Dämmerung war bereits zu erkennen, als Alena von einem weiteren, schrecklichen Alptraum quälend hochgerissen wurde. Seit der damaligen Nacht hielt Ryan regelmäßig Wache über ihren Schlaf, war immer zur Stelle, wenn sie seinen Trost dringend brauchte. Beschützend nahm er sie in die Arme, küsste sie zärtlich auf die Stirn und hielt sie fest, bis ihr Zittern und die Angst verschwanden und sie regelmäßig atmend, sicher fühlend eng an ihn geschmiegt, wieder eingeschlafen war.

Ryan kam wie immer ohne viel Schlaf aus, schlich danach ins Freie und versuchte seiner eigenen inneren Unruhe etwas Befriedigung zu verschaffen. Wärmende Sonnenstrahlen brachen soeben am Morgenhimmel durch und kitzelten seine Lebensgeister, während der auffrischende Wind mit seinen feinen Haaren spielte. Tief einatmend spürte er die wohltuende Wirkung der noch lauen Wärme auf seiner Haut und damit die trauernden Regentage aus seinem Inneren verscheuchend. Inspiriert von diesem belebenden Empfinden, nahm er sich fest vor, Alena wieder zu ihrem fröhlichen Lachen zu verhelfen und die morgendliche Sonne brachte ihn auf eine ihr sicher gut gefallende Idee, die er gleich morgen Früh in die Tat umsetzen wollte. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen lief er zielstrebig in den nun wieder hell erleuchteten, sich wieder voller Leben zeigenden Wald.

°

Vom aufgeregten Schnattern der Gänse aus dem Haus getrieben, erblickte Alena diese, erbost zu einem Haufen zusammengedrängt, in die Koppel laufen und Ryan mit einigen erbeuteten Schwungfedern zielstrebig in Richtung Schuppen wandern. Sie wollte eben protestieren, lies es aber dann doch bleiben, denn etwas sagte in ihr, sie solle diesmal seinem Gefühl bei der Sache einfach vertrauen.

Trübe war der Himmel wieder an dem Abend geworden, als Alena hinaufblickte und es schien, als wäre die Sonne seit der schicksalhaften Nacht nur heute Morgen kurz anteilnehmend zum Vorschein gekommen.

Zumindest hat der Regen aufgehört, dachte Alena, Joy neben sich auf der Terrassenbank streichelnd, wo sie vorhin Platz genommen hatte und Dheas in der Koppel das noch regennasse Gras fressend beobachtete.

Zu Ryan blickend, der die zurechtgeschnittenen Gänsefedern eben sorgfältig an die Pfeilenden band, seufzte sie schwer. Wo waren die schönen und unbeschwerten Tage geblieben, die sie hier so oft erlebt hatte? Er beschäftigte sich derweil intensiv mit seinem fast fertigen Bogen. Im Schuppen hinterm Haus fand er allerlei brauchbare Dinge und die damals ausgekochten, nun vollendens verbundenen Sehnen, bestrich er zwecks Zusammenhalt mit einer Schicht Leim. Das fertig bearbeitete Bogenholz musste oftmals in die gewünschte Richtung gedehnt werden, bevor es zum ersten Mal mit vollem Zug der Sehne gespannt werden durfte. Holz müsse lernen, was man von ihm wolle, erklärte er der neugierig beobachtenden Alena. Kunstvoll schnitzte er geschwungene Symbole an die Enden und Alena staunte nicht schlecht, als er gewandt und schnell einen speziellen Sehnenknoten für die Befestigung einarbeitete.

Der folgende Abend verging ebenso in ehrfürchtiger Ruhe, nur manchmal blätterte Ryan interessiert in weiteren Büchern und riss sie mit teilweise neugierigen Fragen aus den immer noch düsteren Gedanken.

°

Am nächsten Morgen schlich er zielstrebig in Alenas Zimmer. Friedlich, wie ein kleines Kind, lag sie in ihrem hell überzogenen Bett und Ryan zögerte kurz in seinem Vorhaben, sie einfach nur für einige Zeit still betrachtend. Sein Blick glitt zu dem langen goldenen Haar, ihr zarthelles Gesicht sanft umschmeichelnd, die großen, immer neugierig nach ihm blickenden Augen, jetzt schlafend geschlossen, ihre verführerisch zarten Lippen und die kleine, freche Stupsnase, die ihn auf eine gewisse Weise unerklärlich anzog. Mit einem leicht umspielten Lächeln berührte er diese hauchzart mit seinem Finger, fuhr an ihr entlang und Alena fing, kaum wahrnehmbar, leicht an zu zucken. Ihm dadurch ein stärkeres, schon fast schelmisches Grinsen entlockend kitzelte er sie noch an ihrer Wange weiter, denn sie sollte doch endlich aufwachen. Mit einer Hand versuchte Alena die vermeintlich lästige Fliege zu verjagen, die unerwünscht ihren wohlverdienten Schlaf raubte. Unverständliches murmelnd schlug sie erfolglos die Augen auf, um sogleich in der noch herrschenden Dunkelheit Ryans Silhouette zu erkennen. Tief über sie gebeugt, grinste er sie an und im schalen Licht war ein aufregendes Funkeln in seinen Augen erkennbar.

„Aufwachen", wisperte er leise über ihrem Gesicht. „Wir gehen fort."

„Was machen wir?", murmelte sie, noch immer blinzelnd gegen den Schlaf ankämpfend.

„Komm, ich will dir etwas zeigen."

Er hielt seine Hand hilfegebend zu ihr.

„Aber... es ist doch noch dunkel, noch mitten in der Nacht. Ich will noch schlafen."

Langsam brachte Alena vernünftige Laute aus sich heraus. Geduldig, jedoch mit etwas fordernderem Ton, versuchte es Ryan nochmals.

„Hoch mit dir, du Schlafmütze, du versäumst sonst das Schönste vom ganzen Tag."

„Wenn's denn sein muss", murmelte sie resignierend. So früh konnte man sie anscheinend vor lauter Müdigkeit zu allem Blödsinn überreden, dachte sie noch, als er sie hochzog.

Nur kurze Zeit ließ er ihr für die Morgentoilette, irgendetwas drängte ihn, wollte es jedoch nicht verraten. Wie immer in seinen Augen lesend, fand Alena dort jedoch nur weiter diesen wunderschönen aufregenden Blick, den sie so sehr an ihm liebte.

„Frühstück?", meinte Alena protestierend, als sie durch die Haustüre gezogen wurde.

„Ist für alles gesorgt."

Draußen empfing sie bereits Dheas, gesattelt, fertig aufgezäumt, mit vollbepackten Taschen und glänzend gestriegeltem Fell. Feinste Zopfmuster waren verspielt in seine Mähne geflochten. Darüber beeindruckt und noch viel mehr, als er sie galant in den Sattel hob und ihr dabei einen gehauchten Kuss auf die Lippen schenkte. Schön langsam übernahm sie dieser Zauber, der ihn heute zu umspielen schien und zum ersten Mal seit längerem genoss Alena einfach wieder ihr Zusammensein.

Diesmal war Ryan der Führer durch den dunklen, alten, vom vergangenen Regen noch modrigfeucht riechenden Wald und Alena folgte ihm vertrauensvoll mit Dheas, auf dessen Sattel auch sein fertiger Bogen samt einiger Pfeile befestigt war. Dies still akzeptierend beobachtete sie, wie er sie gewannt und sicher den schmalen Pfad in Richtung Waldrand führte und trotz anhaftender Dunkelheit keine Probleme hatte, unübersichtliche Weggabelungen zu passieren. Zu solcher Stunde bestritt Alena diesen Bereich noch nie, aber mit Ryan an ihrer Seite überkam sie keine Angst und allmählich fand sie wieder ihr unerschrockenes Wesen, zurück in den vertrauten Alltag, der vorher auch immer ihr Bestreben war. Aufregende Tage benötigte sie keine, der hier vorzufindende Wald und die noch teilweise unberührte Natur waren die Quelle ihres zufriedenen Seins geworden und... Ryan, ja... sie gestand es sich nun ein, sie konnte sich nichts mehr ohne ihn vorstellen, vergaß sogar, wie das Leben vorher war.

Wie konnte das nur geschehen, fragte sie sich gedankenverloren, Ryan vor ihr betrachtend, der im Schein der ihr mitgeführten leichten Taschenlampe nur schemenhaft erkennbar war.

Sein blondes Haupt kontrastierte stark zum dunklen Umhang und diesmal war sein Seitenhaar nach hinten zu einem Mittelzopf geflochten. Es verlieh ihm schon fast eine ungewöhnlich kühle Strenge, doch blickte Alena schon längst weiter in sein Inneres, dass sie ein wenig zu kennen gedachte. Manchmal, zur Seite blickend, schien er klar den Weg vor sich zu erkennen, den tieferhängenden Ästen rechtzeitig auszuweichend und sie, in Anbetracht der respektvollen nächtlichen Stille, wortlos davor zu warnen.

Bald brachen sie durch den alten Waldrand und in einem breiteren Pfad, durch frisch gepflanzte Baumreihen einmündend, ging er nun an ihrer Seite, den Kopf immer wieder zu ihr hebend und ein feines Lächeln zeigend.

Was hat er nur vor?, schoss es Alenas dabei durch den Kopf.

Ihn zu fragen wäre sinnlos gewesen, soweit kannte sie ihn bereits.

Wie man solch eine Beständigkeit nur schaffte, dachte sie, oder sollte sie es doch Sturheit nennen?

Voller Neugierde und Vorfreude spannen sich Alenas Gedanken weiter, aber sie blieb diesmal brav und folgte ihm wortlos.

Plötzlich hielt er Dheas zurück und mit einem Finger auf den Lippen gezeigte er ihr ganz still zu sein. Mit dem Umhang verdeckte er Alenas Taschenlampe, die sie sogleich abdrehte und ihn aufgeregt ansah. Zum letzten Waldrand zurück deutend, wo sich zwischen den jungen Baumreihen auch schon Wiesenflächen mischten, schien er aufgeregt etwas entdeckt zu haben. Seinen fragenden Blick konnte Alena leider nur verneinen, denn sie sah nichts für sie Ungewöhnliches in dem dunklen Waldstück. Im Grunde sah sie so gut wie gar nichts, wobei, wenn sie sich anstrengte, fiel ihr auf, dass eine Stelle dort etwas heller erschien. Flehenden Blickes drängte er sie, es noch weiter zu versuchen, doch es führte zu keinem Erfolg.

Tief seufzend flüsterte er zu ihr: „Es ist schon weg, aber vielleicht haben wir ein anderes Mal das Glück."

„Was war es?", fragte Alena neugierig und auch enttäuscht, eine anscheinend einmalige Gelegenheit verpasst zu haben.

„Wir werden es sicher wieder einmal sehen und nicht aus diesem Grund führe ich dich hier heraus", lächelte er tröstend.

„Komm, bitte. Sag' es mir", flehte sie schmeichelnd.

„Nein, du würdest es mir doch nicht glauben."

„Wieso? Bin ich denn so... ‚ungläubig'?", fragte sie, eher scherzhaft meinend.

„Ja", kam es von ihm schlicht zurück, als er sich bereits wieder in Bewegung setzte.

Leicht schmollend wusste Alena nichts darauf zu erwidern. Wortlos bogen sie ein weiteres Mal vom gewählten Weg ab und nach Richtung Osten zu den großen Eichen am entgültigen Nationalparkrand drehend, gediehen dort nur mehr die buntblühenden Wiesen und weiten Felder der angrenzenden Bauern. Kein trennender Zaun zog hier eine Flucht zwischen Park und dem umliegenden Land, denn die hier ansässigen Menschen achteten die zu schützende Natur, lebten mit ihr, wenn auch die Zeit hier herum etwas still zu stehen schien.

Fern glitzernd zeigten sich tausende Sterne am Himmel, als sie ins Freie traten und Alena überrascht aufblickte, von der dargebotenen Fülle des nächtlichen Firmaments schier überwältigt. Beim Haus war ihr Anblick dieser ergreifenden Pracht immer von Bäumen umringt und eher klein. Schwächeres, weit weniger störendes Licht sandte der abnehmende Mond auf seine Himmelsgenossen und ließ deren unendliche Fülle viel stärker zur Geltung kommen. Millionen funkelnder Lichter, unerklärbar alt und schier ewig auf die Welt hernieder blickend, brachten Alena in ein kindähnliches Staunen, welches sie bereits als vergessen gedachte. Scheinbar noch nie zuvor erfasste sie eine unerklärbare Faszination dieses uralten Schauspiels und merkte erst spät, dass sie unbeabsichtigt Dheas angehalten hatte und Ryan sie seit einiger Zeit leicht lächelnd beobachtete.

„Sie lassen einem kaum mehr los, nicht wahr?", flüsterte er, sich ganz nah an sie und Dheas drückend. „Wenn ich sie erblicke, dann fühle ich mich... daheim, ohne es erklären zu können. Kannst du das verstehen?"

Von alle dem ergriffen, senkte auch Alena ehrfürchtig ihre Stimme.

„Ja, ich glaube, ich kann dich verstehen. Wir betrachten sie einfach zu wenig und vielleicht ist in dir, da vorübergehend heimatlos, so eine Art Urgefühl wieder aufgekommen. Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch es braucht, sich etwas Bestimmtem verbunden zu fühlen. Man muss sich nicht wirklich dort aufhalten, aber man muss nur daran denken können, es in sich tragen und ich vermute, dass dies dir wohl derzeit am meisten fehlt."

Ganz sanft war der Blick, den er ihr nun zuwarf.

„Du vermagst es gut in Worte zu fassen, Alena."

Er griff nach ihrer Hand und Alena vernahm kurz das Glitzern in seinen Augen, aus Reflexionen der Lichter des Himmels geschaffen und ihn dadurch für einen Moment wirklich zu ihnen verbunden empfindend.

„Lass' uns weitergehen, die Dämmerung bricht bereits durch", meinte er leise und marschierte sogleich los.

Am östlichen Horizont zeigte sich ein zartbläulicher Streifen und einige Wolkenfetzen kamen dort nun sichtbarer zum Vorschein.

„Wir haben nicht mehr weit, kommt ihr zwei", winkte Ryan zu ihnen zurück.

Weiterfolgend und nun entgültig den dunklen Wald hinter sich lassend vernahm Alena das zarte rhythmische Zirpen der Wiesengrillen, die nach vergangenem Regen und vielzähligen Wildblumen duftende Nachtluft, und fern, jedoch eindeutig erkennend sang eine Nachtigal ihr leicht melancholisches Lied. Gedacht, nicht noch mehr nach diesem Moment von vorhin ergriffen zu werden, jagte ihr diese Szene nun entgültig einen Schauer über den Rücken. Unbeschreiblich ruhig war der Rest der noch schlafenden Welt und Ryan deutete ihr von weiter vorne, deren Ziel erreicht zu haben.

Aufkeimende Dämmerung verstärkte die noch verschwommenen Strukturen am Horizont und immer mehr wurde das dunkle Blauschwarz der Nacht von einem schwellenden Hellblau verdrängt. An den zarten Wolkenbändern des östlichen Himmels bildete sich ein Schauspiel aus gelbbläulichem Licht und alsbald konnte man erste Konturen erkennen. Langsame, in der fast windlosen Morgenluft dahinstreifende Dunstschwaden zogen zart über die Grashalme der vor ihnen liegenden Wiesen, während sich die weit entfernte Grenze zwischen Himmel und Erde langsam ins Rötliche färbte. Einzelne Silhouetten entfernter Bäume hoben sich einsam gegen die stärker werdende Farbenpracht empor, scheinbar wie ewige Monumente und die ersten leisen Stimmen der Natur begrüßten den eben geborenen Morgen. Hoch hinauf flog die Feldlerche, ihr melodiöses Lied schmetternd, um im gekonnt spielerisch stehenden Rüttelflug für einen Moment das Schauspiel in luftiger Höhe zu verstärken.

Immer noch ihr markantes Lied von sich gebend, welches dem Gesang der Nachtigal nur gering nachstand, fiel sie im waghalsigen Sturzflug zum Boden ihres bescheidenen Reviers, während die ersten durchbrechenden orangefarbenen Sonnenstrahlen den Hintergrund bemalten und die Wolken in ein traumhaft berauschendes Bild für die Sinne der Betrachter tauchten. Sich grell orangefärbender Bodendunst überflutete die wilde Grasebene wie feine Wogen des Meeres, umflossen dabei sanft Dheas Beine, in der Ferne der üppigen Wiese stehend und zauberten einen paradiesischen Eindruck von in sich spielenden Farben des Morgens.

Erster, hauchzarter Wind, gespeist von den jungen wärmenden Strahlen der Sonne, umstrich die zarten Haare Alenas, die den nun leise fließenden Morgendunst langsam ins scheinbare Nichts auflösen sah. Letzte Sterne waren im westlichen Teil des Firmaments sichtbar und Ryan bekundete den verblassenden Morgenstern mit einem andächtigen Nicken.

Gegen die Morgenfeuchte auf einer kuscheligen Decke sitzend und das mitgebrachte Frühstück genießend vergaßen sie fast alles rund um sich herum, alle Sorgen und Gedanken der letzten Tage und ganz langsam umfassten Ryans Hände zärtlich Alenas Gesicht. Orangerötlich färbten die zartwärmenden Sonnenstrahlen ihre Haut, spiegelten sich in den sanftblauen Augen, die ihn jetzt so liebevoll und groß entgegenblickten. Alenas Herz pochte wild, als sie seiner nun tief dunkelblauen Augen nah vor ihr gewahr wurde und die ihren danach schloss. Langsam und hauchzart vernahm Alena seine Lippen auf den ihren, ein unbeschreibliches Gefühl auslösend, das ihr Innerstes vollkommen durchströmte und ihre Arme ohne Zutun um ihn schlangen ließen. Dieser Kuss war einfach unvergleichlich magisch, ihre ohnedies betörten Gedanken schwebten weit entfernt und die letzte Realität entglitt in dieser sie umgebenden, verzauberten Himmelspracht. Sich kurz voneinander trennend ohne jegliches Zeitgefühl über diesen Moment empfindend und die überwältigt liebevolle Reaktion in seinen Augen vernehmend, übernahm sie die Entscheidung des nächsten Kusses. Fordernder, doch mit nun noch größerer leidenschaftlicher Hingabe schmiegte sie sich an ihn, der dem nur allzu gerne nachgab und sie damit entgültig mit seiner betörenden Nähe und Zärtlichkeit hoffnungslos in ihn verlieren ließ.

°

Lange nachdem die Sonne zu ihrem höheren Platz am Himmel rückte, verließen Alena und Ryan diesen magischen Ort. Bereichert mit ihren neuen und aufgewühlten Gefühlen füreinander, streiften sie über einen Umweg nach Hause. Dheas wurde nur mit den Resten des Frühstücks und dem Bogen bepackt und Ryan und Alena gingen Hand in Hand auf den Wegen der den Nationalpark umgebenden Kornfelder entlang.

„He... wo bist du nur vorher gewesen, mein edler Herr?", fragte Alena verspielt in seine Richtung.

Ryan lächelte diesmal auf diese Frage, wusste genau auf was sie anspielte.

„Es scheint so, als hätten wir uns wohl erst über Umwege finden müssen. Den Weg, den ich dazu nehmen musste, ist wohl ein währendes Rätsel, dass es noch zu lösen gilt."

„Wie wird der weitere Weg wohl aussehen?", fragte Alena mit einem eher belustigenden, als ernsthaftem Blick zu ihm.

„Mal sehen. Was muss man können um Biologe zu sein?"

Alena horchte interessiert auf.

„Du brauchst ein Studium der Biologie, immens viel Geduld, die Bereitschaft auch mit wenig Verdienst auszukommen, hast meist keine geregelte Arbeitszeit und wenn du auf Forschung aus bist, kannst du ein normales Familienleben gleich vergessen."

„Ich sollte mir in nächster Zeit auch eine sinnvolle Beschäftigung suchen. Ich merke immer mehr, dass dieses ‚in den Tag hineinleben' wohl nicht das meine ist", meinte er lächelnd zu diesem Thema.

Alena sah ihn schelmisch an.

„Bist wohl kein Urlaubsmensch, stimmt's?"

„Urlaub?"

Sie blieb plötzlich stehen.

„An das dachte ich noch gar nicht, du bist eventuell ein Urlauber, ein Reittourist und irgendwo wartet eine Gruppe auf dich, oder es gibt ein gebuchtes, unverbrauchtes Flugticket. Wir sollten uns ein paar Zeitungen besorgen, oder wenigsten Radio hören."

„Radio?"

„Erzähl mir jetzt nicht, dass du kein Radio kennst. Du willst mich schon wieder aufziehen."

„Nein, will ich nicht, machte ich noch nie."

Grinsend trat sie vor ihm und gab ihm einen Kuss.

In seinem Blick war wirklich keine Spielerei zu erkennen und es ließ Alena etwas stutzig werden, als er weiter bemerkte: „Du glaubst mir ja ohnedies nicht und ich kann es dir immer so schlecht beweisen, weil ich ja selbst nicht sicher sein kann."

Fast schon resignierend ließ er seinen Blick über die beinahe reifen Gerstenfelder streifen. Goldgelb erhob sich dieses Meer aus Halmen und Ryan strich spielerisch mit der flachen Hand über die langen Grannen der sonnenglänzenden Ähren, während er langsam weiterging.

„Spürst du auch deren Energie, jetzt, wo sie beinahe ausgereift sind, ihren Zweck erfüllend stahlen sie diese jetzt am stärksten aus."

Alena, von dem vorher Vernommenem vorsichtiger geworden, tat es, kurz vor ihm gehend gleich und versuchte etwas zu empfinden. Er machte sie unaufhörlich auf Dinge aufmerksam, welche sie langsam in sich aufzunehmen schien. Der süßliche Duft des Getreides stieg ihr schmeichelnd in die Nase und die feinen Grannenspitzen kitzelten leicht auf ihrer Haut, erregten ein kribbelndes Gefühl in ihrer Hand. War es dies, was er meinte? Alena war sich nicht sicher, schloss die Augen um es intensiver zu erfühlen.

„Kannst du mir das noch näher erklären?"

Sie blickte sich um.

„Ryan!"

Er hockte am Wegrand neben dem Kornfeld, die Hände übers Gesicht haltend und die Augen geschlossen.

„Was ist los?", fragte sie sorgenvoll. „Erinnerungen?"

Ein Nicken kam als Antwort, gefolgt von einem leisen Stöhnen. Diesmal wollte sie ihn nicht ausfragen, er würde es ihr schon erzählen, wenn er dafür bereit war.

„Sind die Kopfschmerzen schlimm?"

„Ja, aber... ich werd's überleben", meinte er mit einem erzwungenen Lächeln hinter den Händen.

Alena setzte sich neben ihn an den Feldrand.

„Wenn wir zu Hause sind, bekommst du gleich etwas dagegen."

„Hm."

Sie legte ihren Arm um ihn, aber er wich ein kleines Stück weg und Alena verstand, dass er jetzt keine Nähe brauchte, sondern nur ihr Verständnis. Dheas kam zu ihm heran und stupste ihn energisch mit der weichen Pferdenase.

Gwanno ereb nin! Im lhaew, meldir nîn."(Lass mich alleine! Ich bin krank, mein Freund.)

Dheas blieb ruhig neben ihm stehen.

Die Hände vom Gesicht nehmend schüttelte er langsam den Kopf. Scheinbar half ihm dies etwas, die Gedanken zu sortieren.

„Geht's dir besser?", fragte sie besorgt.

Sein Blick verriet eher das Gegenteil.

„Es ist alles so verwirrend und eben ist soviel auf mich eingestürzt... ich vermag noch nichts darüber zu erzählen."

„Das verstehe ich. Lass' dir Zeit. Wenn du es später erzählen willst, dann höre ich dir zu."

In ihren verständnisvollen Worten Trost findend stand er bald darauf auf und reichte ihr die Hand.

„Lass' uns weitergehen und mich auf andere Gedanken bringen."

Sein Lächeln kam auch wieder zurück, wenn er auch sicher noch schlimme Kopfschmerzen hatte. Alena schmiegte ihren Arm um seine Taille, er legte seinen auf ihre Schultern und so schlugen sie in der nun endlich wieder sommerlich strahlenden Sonne, den nächsten Weg in westlicher Richtung zu ihrem Haus ein, während Dheas, fast schon wie ein Hund, friedlich hinter ihnen hertrottete.

°

Beinah immer noch den umspielenden Zauber dieses Tages vernehmend legte Alena abends leise Musik auf. Im Schein der Dutzend Kerzen verstärkte sich dieses Gefühl noch mehr und der modernen Musik manchmal überdrüssig, lauschte Alena nur zu gerne den alten keltisch-irischen Klängen, wenn auch für die heutige Zeit aufbereitet, aber immer noch des gewillten Zuhörers Seele berührend.

Überrascht von seiner tiefen Reaktion über diese Art von Musik, vermutete sie daraus eine Verbindung seiner immer noch im Dunklen liegenden Herkunft. Lieder und Interpreten waren ihm nicht bekannt, doch schien er die teils melancholischen Melodien sehr zu genießen und wirkte bald abwesend in eigenen Gedanken versunken.

Wieder war es der Kerzenschein, der ihn für Alena noch anziehender erscheinen ließ und sein helles, leichtwallendes Hemd verstärkte den Ausdruck des umspielenden Zaubers wie an diesem Morgen. Gedanken rund um seine Herkunft woben sich in ihr und sofort wollte sie ihm diese hilfreich mitteilen.

„Vielleicht bist du ja doch ein Ire, vielleicht hier geboren und dann mit deinen Eltern früh ins Ausland gezogen? Das ist heute hier weiterhin keine Seltenheit und würde deinen Akzent erklären sowie deine Verbundenheit zu diesem Land. Immerhin sprichst du auch Gälisch."

„Ich würde es eher als ‚verstehen' bezeichnen", räumte er dazu ein.

„Aber ich denke, dass dies gar keine so schlechte Theorie ist. Immerhin erkanntest du doch auch den großen See."

Ryan blickte kurz von seinem Buch auf.

„Ja, dabei bin ich mir sicher."

„Aber wie kommst du dort in ein für die Öffentlichkeit abgesperrtes Gebiet?", fragte Alena, mehr zu sich selbst, „wobei der Nationalpark noch nicht so alt ist und du vorher hier vielleicht gelebt hast?"

Ryan blickte nochmals zu ihr, schüttelte aber nur langsam den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass ich ein Ire bin."

Von einer Idee getrieben, sprang sie zum Bücherregal und überreichte ihm ‚Länder Europas' mit den Worten: „Dann gehen wir doch einfach alle in Frage kommende Länder durch. Falls Europa nicht ausreichen sollte, habe ich hier noch weitere Informationen."

Etwas zögernd nahm Ryan das Buch und begann lustlos darin zu blättern, während Alena derweilen eines ihrer Sagenbücher aus dem am Tisch liegendem Stapel vorzog. Irgendwie stand ihr heute endlich wieder der Sinn nach einer weiteren fantastischen Gesichte, wobei sie nicht zu lesen gedachte, sondern ihn viel lieber bei seinem Tun blätternd nebenbei beobachtete. Sich endlich wieder besser fühlend, fast schon befreit in ihrem normalen Gedankengang unter tags, zehrte sie auch noch von den unvergesslichen Augenblicken, die ihr Ryan heute schenkte.

Beide blätterten für einige Zeit in den vor ihnen liegenden Büchern, anscheinend in die jeweilige Sache vertieft, als Alena zur Erklärung über Einhörner gelangte.

„Dein Pferd hatte auch so ein herrlich weißes Fell, nur noch mehr metallisch schimmernd, als dieses hier."

Ihm das Buch darbietend sah Ryan, der eben ‚England' aufgeschlagen hatte, das Bild kurz studierend an und bemerkte fast schon gelangweilt: „Die Hufe sind falsch dargestellt. Sie sind wie die von Hirschen, nur größer, nicht wie hier, denen von Pferden gleich."

Wie wenn diese Feststellung die natürlichste Sache der Welt wäre, blätterte er weiter nach ‚Scottland'.

„Irgendwie scheinst du heute schon ziemlich müde zu sein", bemerkte Alena, die seine veränderte Stimmung nicht so richtig deuten konnte.

Es lag wohl an dem Vorfall von Vormittag bei den Feldern.

Ein Zucken seiner Schultern war die Antwort. Sie ließ nicht locker und ging auf seine Antwort über das Einhorn diesmal näher ein.

„Hast du dich mit so etwas schon einmal beschäftigt? Liebst du etwa auch solche Sagen und Legenden wie ich?"

Leicht seufzend schlug er das Lexikon zu und meinte: "Ich finde nichts, dass mich auch nur an irgendetwas erinnert."

Nicht diese Antwort hatte sie sich erwünscht, aber sie war mittlerweile schon daran gewohnt, nur gewollte Antworten zu bekommen und blickte ihm leicht sorgenvoll in die Küche nach, wo er sich ein Glas für Wasser aus dem Regal nahm.

„Ich habe gelesen, dass man jemanden mit Amnesie vor sein eigenes Haus stellen könne und er würde es nicht erkennen, sowie auch seine Eltern, Geschwister und Verwandten nicht", sagte sie in seine Richtung. „Vielleicht sagen dir die Angaben der Länder deshalb noch nichts."

Klirrend fiel das Glas zu Boden und zerschellte in glitzernd verstreute Scherben.

Alena sprang auf, wollte nachsehen was geschehen war und vernahm Ryan, der nur regungslos dastand, auf seine rechte Hand starrte und sie langsam zu einer Faust ballte. Sich ihm nähernd blickte er sie etwas irritiert an.

„Hattest du wieder eine Erinnerung?", frage sie besorgt und ganz leise antwortete er. „Nein... aber es... tut mir leid, es fiel mir aus der Hand."

Der lächerliche Vorfall schien ihm irgendwie nahe zu gehen, deutete Alena und sprach beruhigend auf ihn ein.

„He... das kann doch passieren. Ist ja nur ein Glas."

Sie spürte, dass er irgendwie verändert war.

„Ryan, was ist heute Abend los mit dir? Der Tag war so wunderschön, ich kann dank dir endlich wieder lachen und du bist heute so... traurig?"

Alena griff nach seinen Händen.

„Du hast ja ganz kalte Hände."

Besorgt vernahm sie auch ein scheinbar leichtes Zittern, als er in ihre Augen blickte und leise sagte: „Ich habe heute am Waldrand ein Einhorn gesehen."

Er sah ihr weiter fest in die Augen, welche von dem sorgenvollen Blick zu einem stark verwirrenden wechselten.

Ryan wartete auf eine Reaktion von ihr, denn für gewöhnlich würde sie ihn jetzt auslachen oder es mit etwas Lustigem herunterspielen. Weiterhin sah sie ihn nur verwirrt fragend an.

Sich von ihr lösend ging er zurück an den Tisch und strich mit der Hand und leicht besorgter Miene über das noch aufgeschlagene Bild des Einhorns.

Ohne den Blick abzuwenden, sprach er weiter.

„Und wenn ich dir jetzt sage, dass ich auch den Zauber spüre, mit dem es seinen Wald verwandelt und es ein sehr altes und scheues Geschöpf ist?"

Sich sichtlich nicht wohl bei dem Gehörten fühlend blieb Alena noch weiter stumm, in ihr überstürzten sich jedoch verwirrende Gedanken und kurz noch zögernd ging sie danach zu ihm hinaus. Ihre allzu logische Natur absichtlich niederzwingend hörte sie ihm weiter wortlos zu.

„Glaubst du mir auch, dass ich wirklich das leise Flüstern der Bäume vernehme und sehe was des Falken Auge sieht, höre was die Eule nicht mehr zu vernehmen vermag und... dass ich mich meinen Feinden auf eine gewisse Art verbundener fühle, als irgend etwas, was ich in den letzten Tagen hier entdecken konnte?"

Alena ließ sich langsam auf den Sessel nieder, während er vom Einhornbild aufblickte und ihr das Buch etwas näher zuschob.

„Ich bin nicht wie du, Alena."

Sie sah gebannt auf das Bild des Fabelwesens, wusste einfach nicht, wie sie auf das alles reagieren sollte, doch zögernd blickte sie ihn an und sah abwartend in seine betont ernsthaften Augen.

„Ich bin...", er drehte sich abrupt von ihr weg, sprach jedoch weiter, „... ich bin etwas ‚anderes', so wie die, die uns angegriffen haben", sagte er kaum vernehmend.

Alena fühlte sich so hilflos, sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte, was sie davon halten sollte. Diese, seine Worte waren ehrlich gesagt, er sprach sie so derart überzeugend, aber was meinte er denn damit genau? Er sei kein Mensch? Das war doch absurd, drang es durch Alenas Gedanken. Noch immer hatte er ihr den Rücken zugekehrt und Alena nahm das Sagenbuch zur Hand, blätterte die eben noch betrachtete Einhornseite weiter. Der schön illustrierte Band zeigte abermals ein weißes Pferdegeschöpf, diesmal kein Einhorn, aber das Fell seines zarten Körpers hatte einen metallisch schimmernden Glanz. Nebenstehend war ein großer, schlanker Mann abgebildet, mit blondem Haar, in grünes Gewand und dunklem Umhang gekleidet und seine Ohren... sie waren spitz. Seine Hand hielt einen Bogen und als Erklärung las Alena daneben.

Elben, Wesen des Lichts und der Sterne, auch das ‚stille Volk' genannt, leben noch heute tief in den Wäldern Irlands versteckt, im Einklang mit der Natur und können die Pflanzen nach ihrem Belieben formen. Keinem Menschen gönnen sie einen Blick auf sich, doch manch einer berichtet von den wundervollen Klängen ihrer Musik, welche sie bei den zahlreichen Festen vorbringen, aber gesehen haben sie nur wenige.

„Ryan...", sagte sie mit nun zittriger Stimme, die Augen weit aufgerissen.

Sich zu ihr umdrehend hielt sie ihm die aufgeschlagene Seite entgegen.

„Du... du bist ein Elb!"