Reviewantworten:
Tanja
Hi Tanja, ich danke dir gleich mal überschwänglich für deine abermals erfolgte Nachfrage wo das nächste Kapitel denn nur bliebe? Du weißt ja mittlerweile - das spornt beim Schreiben an! Es freut mich sehr, dass dir das romantisch angehauchte Kapitel gefiel und viele deiner Fragen werden auch schon in diesem vorliegendem beantwortet. Dein Lob über meine Naturbeschreibungen... ich bin schön langsam echt aus dem Häuschen, dass du und die anderen die so mögen, ich glaub' ich ringe bei den Reviewantworten schön langsam um Worte :-) Mein 'Elb' hier? Also - er hat keine blonden Haare, sondern fast schwarze, aber der Charakter der kommt schon ganz schön dicht an Ryan rann :-)
Darklaya
Auch dir will ich jetzt mal ganz, ganz lieb für deine lobenden Worte und die 'Treue' danken, dass du mich schon bei so vielen Kapiteln begleitest. Traurig gehts aber leider weiter und ich hab' mir diesmal wieder den geplanten Cliffi verkniffen, denn anscheinend ist der nicht so beliebt. Wobei man durch Cliffis ja auch immer ein wenig sieht, wie es weitergeht :-) Da aber noch zwei geplante Kapitel folgen werden, ist hier noch nicht Schluss. Das kann ich Alena nicht antun, dass danach keine Hilfe kommt.
Wegen der Elben: Steltael schüttelte entnervt den Kopf. „Die Touristen wollen immer nur Elben sehen ." :-) Okay, Scherz beiseite – es kommen noch Elben, ein ganzer Haufen sogar und ich freue mich deshalb auch schon auf's Scheiben. Bleib' bitte noch lange dabei, denn in K7 wird sich einiges ereignen. (händereib :-)
Enessa
Dir danke ich für die längste Review die ich je bekommen habe! Freut mich natürlich sehr, dass auch dir meine Naturbeschreibungen gefallen und du dich durch den Hauch von Magie verzaubern lässt. Diesmal ist viel von den irischen Sagen abgeleitet. Bin gespannt, wie dir das gefallen wird. Bei den Schreibfehlern sage ich nur: mea culpa! Du hast Recht und ich bemühe mich auch sehr und will das alles auch nochmals durcharbeiten. Reiterei: Huch - da wollte ich auf keinen Fall eine Reiterzunft angreifen! Ich habe das bereits leicht abgeändert. Wobei Alena natürlich auch weit entfernt von dem Ausbildungsgrad einer Dressurreiterin ist und mein Vorbild für sie (und viele andere "nur" Wald- u. Wiesenreiter, die ich kenne) würde sich unter keinen Umständen ohne Sattel und schon gar nicht ohne Zaumzeug (!) auf ihr Pferd setzen. Ich steige gerade auf Westernreiterei um, sitze auf einem Champion und empfand diesen nun professionellen Unterricht wirklich so, wie ich es bei Alena beschrieb - ich konnte alles vorher Gelernte einfach vergessen, wobei es eben "nur" 'Reitstall-Gruppenlernen' war und die Pferde die wir ritten, nur "zügelgesteuert" waren. Und... einige Biologen kenne ich, die fürchten sich sogar vor einem normalen Haushund, weil ihre Arbeit teilweise nur im Zoo oder mit respektablem Abstand in der Natur geschieht. Ist also auch nur ein Klischee, dass sie automatisch ein gutes Gespür für Tiere haben. Danke dir auch sehr für das Lob wegen des Bogenschießens. An Anschauungsmaterial hat es mir nicht gemangelt, denn es gibt hier nette Herren vom Bogenschießverein die mir das sehr gerne professionell erklärt haben. Hatte ich schon erwähnt, dass ich wahnsinnig gerne auf Recherche gehe? ;-) Nun hoffe ich inständig, dass du trotz der Fehler mein neues Kapitel lesen und mögen wirst. (wegen Beta folgt eine E-Mail)
Sundayshine
Toll finde ich, dass meine Geschichte auch jetzt noch entdeckt wird und du so begeistert bist. Du willst nach Irland reisen? Dann schreib' mir mal bei Gelegenheit eine E-Mail, ich sag' dir dann wo du unbedingt hin musst. Den Ausgang werde ich noch nicht verraten, wenn ich ihn auch schon lange weiß, aber es folgen diesem hier noch zwei Kapitel - noch viel Zeit, die beiden einiges erleben zu lassen :-)
Nyella
Hi, meine bogenschießwütige Nyella! Du bringst es mal wieder auf den Punkt und ich find' es echt schon auffallend, dass wir immer die gleichen Lieblingsszenen haben. Die 'Bogenschießstunde' war von Anfang an geplant und ich hab' da wirklich fleißig recherchiert, denn selbst kann ich es leider noch viel zu wenig. Natürlich kann ich keine Garantie abgeben ob man sich von meinen Schilderungen es dann selbst beibringen kann, aber für den Anfang ist die Haltung schon ein wenig erklärt :-) Hach ja... danke für dein abermaliges Lob meiner Naturbeschreibungen, ich denke, man spürt meine Liebe zu dieser darin... und ich find's so super, dass du das gerne liest. (und ich höre es gerne nochmals, wenn du es wieder so empfindest ;-)
„Doch... sie war sterblich und er wurde nicht geboren, um zu sterben..."
:-D Irgendwie habe ich es geahnt, dass du die Schlussworte erkennen wirst. Sie sind vom Meister, irgendwie, wobei eigentlich aus dem Song "The Prophecy" von der CD zum 1.Teil. "Listen – it speaks to those who where not born to die"... selbst die Stelle ‚... out of the Black Years come the words...' ist bei Elronds Rat im Originalbuch nachzulesen. Die Lyrics sind somit fast von Tolkien selbst :-)
Lady Dragonfire
Mae govannen, meine Drachenverwandte. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht mit einer Review von dir gerechnet, weil du ja meine Beta warst, freue mich aber jetzt noch mehr, dass du deine ersten Eindrücke hier hineinschreibst. Es heißt ja nicht automatisch, dass eine Beta immer mit allem einverstanden ist, was ihr "Schützling" schreibt :-) Vielleicht regt dich das vorliegende Kapitel noch mehr zum Nachdenken an, denn ich habe sehr viele Gedanken über die Unsterblichkeit hineingeschrieben. Ich danke dir nochmals für die geopferte Zeit und für die aufbauenden Worte hier.
Erklärung zu Kapitel 6:
Diesmal ist es etwas ‚spirituell' angehaucht, eher von den irischen Sagen inspiriert, aber mit Tolkiens Ansichten gewürzt und meiner Fantasie vermengt... lasst euch abermals verzaubern, wenn es diesmal auch etwas trauriger wird...
Ryan geht es immer schlechter und verzweifelt versucht Alena Hilfe zu finden. Sie kehrt nochmals zur vermeintlichen ‚Hexe' zurück und nimmt ihn diesmal mit... doch scheint sich alles gegen sie zu richten. Alena ist mit ihren Gefühlen immer mehr hin und her gerissen und eine immer stärker werdende Traurigkeit überschattet die weiteren Sonnentage in dem wunderbaren Wald...
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NUR EIN TRAUM
Kapitel 6: So darf es nicht enden
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Beide waren in ihrer eigenen Gedankenwelt verloren, wollten diesen wunderbaren Augenblick für immer festhalten und für kurze Zeit schien es ihnen zu gelingen. Spürbar war es rund um sie nun ruhiger geworden und der aufkommende, warme Nachtwind umschlich sie sanft schmeichelnd und ließ sie noch näher aneinander rücken.
Alena spürte wie sich Ryan plötzlich leicht anspannte und sich von ihr löste. Sorgenvoll drehte sie sich zu ihm und wusste sogleich was los war. Er hatte die Augen geschlossen und hielt die Hände krampfhaft an der Bank fest.
Als es vorüber zu sein schien, wirkte er sehr müde und Alena fragte zaghaft: „Du hast auch Schmerzen, stimmt's?"
Ein kaum vernehmbares Nicken reichte Alena zur Bestätigung und sie blickte auf ihre Uhr. Mit dem Auto würden sie mindestens zwei Stunden benötigen, weil sie über den von hier weit abseits liegenden Parkeingang fahren müssten. Es war bereits nach zehn, aber wenn sie jetzt gleich gemeinsam mit Dheas losritten, würden sie es noch rechtzeitig zu ihren Öffnungszeiten schaffen. Sie wollte lieber eine weitere Unverschämtheit dieser Person riskieren, als hier tatenlos neben ihm zu verweilen, denn es war nun sicher, dass es ihm immer schlechter ging.
Seinen eindeutig ablehnenden Blick erkennend, als sie ihm dies erzählte, meinte sie nur aufmunternd: „Wie hätte sie mir auch glauben sollen? Sie hat sehr viele Bücher über Elben dort und vielleicht finden wir zumindest einen kleinen Hinweis, wo wir die Suche nach deinen Leuten weiterführen können."
Beide gingen zu Dheas, der ihnen bereits etwas verschlafen im Stall entgegenblickte. Schnell war er aufgezäumt und, anstatt des Sattels, bekam er eine weiche Decke angegurtet um beiden Reitern mehr Platz zu bieten. Draußen strich ihnen der weiter auffrischende Nachtwind entgegen, fühlte sich nach diesem heißen Sommertag angenehm kühl an und belebte ein wenig die vorhin bedrückende Stimmung.
Alena dachte an die dem Haus der Hexe naheliegende Ortschaft und wenn es auch sehr unwahrscheinlich war zu dieser Tageszeit jemanden noch zu treffen, machte sie Ryan auf etwas aufmerksam.
„Würdest du deine Haare offen tragen?"
Er sah sie fragend an und mit einem leichten Lächeln erklärte sie: „So kannst du deine Ohren abdecken, falls wir jemanden treffen sollten."
Meist hatte er ohnedies nur ein wenig vom Seitenhaar nach hinten gebunden, doch heute Abend war ein dicker Zopf in sein Haar geflochten und gaben die eindeutig, wenn auch nur leicht spitzen Ohren nur allzu sichtbar preis.
„Findest du diesen Unterschied so auffallend?", fragte er Alena und sie musste abermals lächeln, während er sich an seinem Haarband zu schaffen machte.
„Ich glaube nicht, dass hier alle Leute so blind sind, wie ich es war. Ich will vermeiden, dass dich jemand als das erkennt, was du bist."
„Ich verstehe", antwortete und schüttelte den Kopf um den geflochtenen Zopf entgültig zu entwirren.
Prüfend sah Alena ihn an, ob er nun als ‚Mensch' bestehen würde.
„Perfekt", sagte sie und trotz des fahlen Lichtes, dass die hier herrschende Dunkelheit durchdrang, prägte sich dieses leicht strahlende Bild von ihm in ihr ein. Sein glattes, goldblondes Haar fiel nun offen neben seinem eleganten Gesicht herab und sie dachte plötzlich, dass sie diesen Abend wohl nie vergessen werde, egal was auch noch kommen mag.
Es ist sonderbar, wie einem oft unwichtig erscheinende Momente im Gedächtnis bleiben, dachte sie noch während sie auf Dheas stieg und Ryan sich gleich hinter ihr auf dem breiten Rücken des Rappen setzte.
Seine Hände fest um ihren Körper haltend bat er Dheas los zu gehen und fragte sie nochmals neugierig, noch immer nicht gänzlich von ihrem Vorhaben überzeugt.
„Was genau erwartest du dir von diesem abermaligen Besuch?"
Alena, noch etwas unsicher auf ihrem sattellosen Sitz, rutschte ein paar Mal hin und her, lenkte Dheas dann in Richtung Waldrand nach Osten und antwortete nachdenklich: „Ich erwarte mir im Grunde nicht viel, denn sie war schrecklich unfreundlich, aber ich weiß mir derzeit sonst keine Hilfe. Vielleicht habe ich diesmal so eine Art von ‚Gefühl', es unbedingt nicht unversucht zu lassen."
„Ich verstehe."
Ihre Erklärungen damit akzeptierend spähte er über ihre Schulter auf den nur schemenhaft erkennbaren Weg. Auch am bald erreichten Waldrand spendete der nur mehr als schmale Sichel herabscheinende Mond fast kein Licht auf die, zu dieser Stunde, vereinsamte Strecke. Dheas schritt trotz allem sicher auf dem ihm zum Teil bekannten Weg entlang, den sie bald darauf in Richtung Süden einschlugen.
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Im Schatten der Nacht wirkten jetzt die hohen Tannen, die das kleine Holzhaus im Hintergrund umragten, wie drohende Wächter die keinen ungebetenen Gast unbedacht zu ihrer Herrin vorbeilassen würden. Irgendwie hatte Alena abermals das Gefühl hier von einer Art Zauber ergriffen zu werden, der sich diesmal anscheinend heimlich in ihre Gedanken einschlich, denn sie wusste, dass Bäume nichts Bedrohliches darstellten und schimpfte sich leise dafür. Dheas, nun von seinem Zaumzeug befreit, stürzte sich freudig auf die saftige Wiese und Alena deutete Ryan noch etwas in der Dunkelheit der Baumschatten zu warten, bis die Hausherrin sich zeigen würde und sie ihm ein Zeichen gab.
Diesmal stand ein Auto vor dem Eingang und sich diesem nähernd vernahm sie laute Stimmen, die ihr nur allzu deutlich aus dem Haus entgegen drangen. Neugierig lugte sie durch die leicht angelehnte Türe und wurde jäh zur Seite gedrängt. Eine massige Frau quetschte sich laut schimpfend durch den schmalen Türrahmen und es schien so, als wäre sie mit der ihr eben dargebotenen Leistung nicht zufrieden zu sein.
„Dann hättest du ihn eben nicht so oft alleine gelassen, dann wäre er sicher nicht fremdgegangen!", schrie ihr Steltael nach, die der Frau bis dahin auf dem Fuße folgte.
Sich danach zu Alena umdrehend sagte sie in ihrem gewohnt bissigen Ton: „Was willst du denn schon wieder da? Was ist das heute nur für ein Tag!"
Händeringend drehte sie sich im Türrahmen um, ging wieder in den Raum zurück und fügte noch murmelnd hinzu: „Du bist sowieso an allem Schuld. Du hast mich heute so früh geweckt und jetzt krieg' ich nichts zustande."
Alena reagierte gar nicht darauf, denn sie durchschaute die Hexe schön langsam.
Steltael blieb mitten im Raum stehen, drehte sich nochmals zu Alena um und fragte: „Hast du deinen Elb immer noch nicht losbekommen, oder was willst du schon wieder hier?"
Diese Frage ließ Alena innerlich lächeln, weil es die Alte wohl doch zu interessieren schien und das würde sie jetzt ausnützen.
„Ja, er ist immer noch bei mir", sagte sie, „und kann ich jetzt den vorhin anscheinend geplatzten Termin haben?"
Einen gewissen spitzfindigen Ton konnte sie sich nun nicht mehr verkneifen, doch schien die Hexe darauf nicht zu reagieren und überlegte nur kurz.
„Hast du Geld mit?"
Als Alena dies bejahte, deutete sie ihr mit einem freundlich aufgesetzten Grinsen auf den bequemen Sessel neben dem Tisch Platz zu nehmen.
Als sie dann selbst hinter dem großen Eichentisch saß, war sie wie verwandelt, wirkte jetzt wie eine liebe, nette Tante, der man jedes nur erdenkliche Geheimnis anvertrauen würde und Alena überlegte gar nicht mehr lange, wie sie nun beginnen sollte.
„Vor nun genau vierzehn Tagen habe ich bei mir im Wald einen verletzten Mann gefunden..."
Sie brach an dieser Stelle bereits ab, denn Steltaels jetzt falsch mitfühlender Blick raubte ihr doch nun den letzten Nerv und sie wollte einfach keine Zeit mehr verlieren, stand auf und ging hinaus um Ryan das vereinbarte Zeichen zu geben.
Die Alte war über diese Unterbrechung etwas verdutzt, zeigte aber keine Ambitionen auch nur irgendwie zu reagieren. Sie blieb in ihrem Sessel sitzen, die Hände auf den Tisch gelehnt und seufzte eher gelangweilt, während sie Alena dabei beobachtete, wie sie wieder zur Türe hereintrat, gefolgt von einem großen, blonden Mann. Dieser betrachtete sogleich den gesamten Raum, wirkte etwas irritiert, blickte ihr jedoch festen Blickes entgegen, als sie sich ihr näherten.
Zur Seite weichend fragte Alena sie mit leicht überheblichen Ton: „Glaubst du mir jetzt, dass ich dringend Hilfe brauche?"
Nur allzu genussvoll betrachtete sie die darauf folgende Reaktion der Alten, wie sich ihre Augen weiteten, sie den Atem anhielt und langsam aufstand um dann einige Schritte vor Ryan zurückzuweichen.
Alena beobachtete auch seinen Blick, der sich zusehends verfinsterte und schon damals gegenüber Peter hatte sie ihn so reagieren sehen.
„Bei allen Göttern... das ist tatsächlich ein Elb!", stotterte Steltael und streckte zögernd eine Hand nach ihm aus, doch er wich fast unmerklich zur Seite, sah sie nur weiter argwöhnisch an.
Steltael fiel vor ihm auf die Knie, stotterte dabei fast ohne Kontrolle weiter: „Du... du bist ein Elb, ich dachte nicht, es jemals wieder erleben zu dürfen... ich dachte selbst schon, ich hätte mir damals alles nur eingebildet."
Immer noch misstrauisch, jedoch mit der sich jetzt entwickelten Situation absolut nicht einverstanden, half Ryan der Frau auf. Sie zuckte vor seiner Berührung im ersten Moment zurück, ließ sich jedoch danach helfen, wagte es dann auch in seine Augen zu blicken, die jetzt zusehends mit weniger Argwohn behaftet waren.
Alena verhielt sich derweilen passiv, denn sie wollte bei dem Geschehen heute Nacht nicht störend eingreifen, nur helfend und Ryan wirkte der Frau gegenüber sehr selbstsicher. Sie hatte auch nichts anderes erwartet, war jedoch sehr überrascht, dass Steltael ihn sofort als das erkannte, was er war.
War sie etwa doch eine Art von ‚Hexe'?, spielte es in ihren Gedanken.
Abermals trat Steltael einen Schritt vor ihm zurück und beide ließen nicht die Augen von einander ab.
„Wie... wie kommt das, was bringt einen Elb so nah und offen in die Welt der Menschen?"
Langsam fasste sie sich wieder, doch Ryan blieb immer noch schweigend vor ihr stehen. Steltael wartete keine Antwort ab, setzte sich wieder in ihren großen Sessel und begann zu erzählen.
„Ich fiel als kleines Kind in einen Fluss, konnte mich selbst nicht retten und die Dämmerung war bereits eingebrochen. Kurz, bevor mir bewusst wurde, dass mein junges Leben nun zu Ende war, sah ich ein Licht, ein helles Licht und warme zarte Hände griffen nach mir, hoben mich empor und ich war in Sicherheit. Kurz vernahm ich einen Blick auf meinen Retter, es war eine Frau in wallendes silbriges Gewand gekleidet, mit ebenholzfarbenen langem Haar. Sie sprach beruhigende Worte zu mir, in einer Sprache die ich nicht verstand und sie umgab immer noch ein zartes Licht, als ich sie dann plötzlich in der Dunkelheit verschwinden sah. Es war eine Elbe, eine der ‚Sidhe' hier aus Irland."
Ihr Blick war wie in weite Ferne geschweift und ruckartig wurde sie wieder der Gegenwart gewahr.
„Aber Elben zeigen sich doch nie den Menschen", warf Alena darauf ein, denn dies war es doch, dass sie in letzter Zeit des öfteren gelesen hatte.
Steltael, die sich anscheinend immer mehr fasste, sprach nun richtig aufgewühlt.
„Ja, das stimmt, aber sie würden wohl auch kein unschuldiges Kind ertrinken lassen", und blickte nun immer interessierter zu Ryan, der jedoch bis jetzt kein Wort gesagt hatte. „Kannst du nicht sprechen?"
Alena musste fast schon grinsen, denn Steltael fiel wieder in ihre gewohnte Art zurück.
„Ich kann sprechen, doch bis jetzt hielt ich es noch nicht für notwendig", kam seine Antwort rasch und direkt zurück.
„Ah, ich bin überrascht wie gut du unsere Sprache sprichst. Der starke Akzent deutet wohl auch darauf hin, dass du sie nicht wirklich oft anwendest."
„Bis auf die letzten Tage hier, nein, ich sprach mit euresgleichen zuvor noch nie. Wir hören euch nur zu, was ihr aus unserer Welt macht."
Zum ersten Mal vernahm Alena dies von Ryan, dass sein Volk tatsächlich die Menschen beobachtete, wie es in den Büchern stand.
„Mein Name ist Steltael und es ist mir eine unsagbar große Ehre, dich hier willkommen zu heißen", sagte sie freundlich, deutete Ryan, sich auf einen weiteren, der großen, gepolsterten Sesseln zu setzen und Alena nahm neben ihm Platz.
„Ich bin so aufgeregt, ich kann's euch gar nicht sagen. Ich habe tausend Fragen an dich", platzte es nervös aus Steltael heraus.
„Wer gab dir den Namen ‚Geschichtsgeberin'?", fragte Ryan, noch immer mit distanziertem Ton in seiner Stimme.
Überrascht sah die so Genannte ihn wieder mit großen Augen an.
„Du verstehst somit auch Gälisch, wobei, es sollte mich nicht verwundern, denn ihr wart immer schon ein sehr gebildetes Volk wie ich gelesen habe", und deutete auf die vielen Bücher, welche sich in den vollgestopften Regalen an der Wand stapelten und erklärte weiter: „Ich gab ihn mir selbst, denn ich bin die Hüterin der Geschichten und Sagen Irlands. Ich war lange Zeit im Ausland, kam dann in meine Heimat zurück, um mich voll und ganz den Elben zu widmen, denn seit dem Erlebnis in meiner Kindheit ließen sie mich nie mehr los und keiner glaubte mir. Es prägte vollkommen mein bisheriges Leben und ich bin mir sicher, ich habe inzwischen alles Wissen, dass sich je in Menschenhand über Elben befand hier zusammengetragen."
Ryans Blick strich unbewusst über die Fülle der Bücher und Schriften und Alena unterbrach fast schon ungewollt die weitere Erzählung.
„Dann sind wir hier genau richtig, denn Ryan, der sich an nichts mehr erinnert, braucht dringend Hilfe. Er findet nicht mehr zu seinem Volk zurück. Weißt du wo die Elben hier leben?"
Sorgenvollen Blickes wandte sich Steltael zu Ryan.
„Ich fragte mich schon die ganze Zeit, was es wohl ist, dass dich hier bei uns noch hält. Aber, was ist geschehen?"
Ryan erzählte ihr daraufhin einen Überblick der Ereignisse der letzten vierzehn Tage und das er sich nur an unwichtige Dinge erinnerte, nicht an seinen Namen, nicht an den seiner Familie oder Freunden und auch nicht an den Aufenthaltsort seines Volkes.
Fast schon sorgenvoll blickte sie beide an, schlug danach eine Seite in einem Buch auf und hielt sie vor sie hin. Alena sog hart die Luft ein.
„Ja, die haben uns angegriffen."
Die Bilder in ihrem Inneren wurden ihr wieder klar vor Augen geführt und kurz dachte sie voller wieder aufkommender Trauer an Peter.
„Es sind Yrch, die ihr Orks nennt", sagte Ryan trocken, „und schon lange herrscht ein Friedenspakt zwischen unseren Völkern. Ich weiß leider nicht, wie es zu diesem Bruch kam."
Steltael klappte das Buch geräuschvoll zu und blickte sie beide mit ernster Miene an.
„Nun, leider kann ich euch auch nicht sagen, wo die Elben leben. Würde ich über dieses Wissen verfügen, so hätte ich nicht fast vierzig Jahre darauf warten müssen um dich heute hier zu treffen."
Enttäuschte Blicke kamen ihr entgegen.
„Es gibt jedoch so viele Hinweise, die ich über die Jahre gelesen habe und wir müssen sie einfach gemeinsam durchgehen. Sicher ist etwas dabei, dass dir weiterhilft und mir nicht."
Fragenden Blickes wandte sie sich an Ryan, doch dieser erwiderte nur: „Ja, das können wir tun. Nur vermute ich, dass es ziemlich lange dauern wird bei der Fülle deiner Bücher."
Ihre Miene leuchtete voller Vorfreude auf.
„Ja! Und glaube mir, ich werde viele Fragen an dich haben. Ich halte mich jetzt nur zurück."
Alena mischte sich entgegen ihres vorhin beschlossenen Vorhabens nun doch nochmals ein.
„Es ist nur so, dass wir keine Zeit mehr haben."
Sie warf einen unsichern Blick auf Ryan, aber er machte keine Anstalten Weiteres zu erklären.
„Ryan geht es seit einigen Tagen ziemlich schlecht, wirkt fast wie krank auf mich und das bereitet mir schreckliche Sorgen. Wir müssen so schnell wie möglich seine Leute finden. Ich kann ihn hier unmöglich zu einem Arzt bringen."
Steltael wandte sich erschrocken von Alena zu Ryan.
„Wie macht sich das bemerkbar?", fragte sie aufgeregt, sprang sogleich auf, ging zu einem ihrer Regale und kramte eine dicke schwere Mappe hervor, woraus sogleich ein Stapel Pergament herausrutschte und auf den Boden fiel.
Diesen aufhebend setzte sie sich danach wieder den beiden gegenüber. Alena blickte auf Ryan, aber er zeigte weiterhin keine Bereitschaft es näher zu erklären, so nahm sie das abermals in die Hand.
„Er verlor bereits einmal das Bewusstsein, stürzte dabei vom Pferd und es wird von einem Zittern und kalten Händen begleitet."
„Ich empfinde eine mir unerklärbare Art von Schwäche, die immer mehr meinen ganzen Körper einnimmt", bekundete Ryan sich doch noch zu diesem Thema.
Steltael nickte immer nur, suchte weiter in den Schriften und murmelte: „Vierzehn Tage sagtet ihr bist du bei uns? Das ist noch nicht allzu lange, aber wer weiß, wie sich das wirklich auswirkt. Ich habe da schon einmal etwas über Elben gelesen die sich zu lange alleine in der Menschenwelt aufhielten."
Die Seiten flogen nur so in alle Richtungen von ihrem Schreibtisch weg und aufgeregt klopfte sie mit einem Finger auf ein nun vor ihr liegendes, vergilbtes Schriftstück.
„Da ist es! Es wird hier von einer Elbe erzählt, die bei einer Frau in ihrem Schlosspark lebte, da allzu großer Kummer und Trauer sie ihrem Reich fern bleiben ließen. Hier steht, dass sie alsbald der Tod ereilte, weil sie sich dem spirituellen Geiste ihres Volkes entwendet hatte, den diese Lichterwesen so dringend bräuchten, wie die Luft, die sie atmeten. Die Frau berichtete, dass sie von Tag zu Tag schwächer wurde und dann einfach nicht mehr erwachte."
Alena und Ryan blickten sich fast gleichzeitig an und in beiden Gesichtern standen Sorge und Verwirrung. Steltael erklärte weiter.
„Dies ist nur allzu logisch, denn Elben leben nie alleine, immer in einer Sippe, von einer Königin angeführt und diese umgibt sie mit ihrem spirituellen Einfluss oder man könnte es auch Zauber nennen. Möglich, dass sich dies erst hier in Irland so ausgeprägt hat, aber du musst so schnell wie möglich wieder zurück zu deinen Leuten."
„Meine Erinnerungen sind so wage, kommen nur bruchstückhaft zurück und ich fand bis jetzt keinen genauen Hinweis. Nur beim großen See, aber dort waren wir bereits ein zweites Mal", sagte Ryan leise, fast schon resignierend.
Steltael blickte ihn verzweifelt an. Sie konnte es nicht glauben, dass der erste Elb, den sie wieder treffen sollte ein solch unausweichliches Schicksal widerfahren würde.
„Suchen sie denn nicht nach dir?"
Alena kam diese Frage auch eben in den Sinn.
„Sie müssen sich doch denken können, dass du verletzt bist, wenn du nicht zurückkehrst."
Ryan blickte kurz durch den Raum zum Fenster hinaus, wo ihm die Dunkelheit entgegenblickte.
„Sie denken sicher, ich sei tot und Orks lassen nie jemanden zurück. Es wäre sinnlos, mich zu suchen und wer weiß, was sonst noch alles passierte?"
Steltael unterbrach sie jäh.
„Du sagst, du erinnerst dich an manche Dinge bereits schon klarer? Dann ist es kein Zauber, der dich blockiert, sondern wohl doch nur eine normale Amnesie und dann ist nichts verloren, denn ein schlafendes Gedächtnis kann man durch verschiedenste Mittel wieder wecken. Eines ist die Zeit, aber die haben wir nicht."
Mit einem hoffnungsspendenden Lächeln auf dem Gesicht sprang sie rasch auf.
„Wartet, mir kommt da eine Möglichkeit in den Sinn", und verschwand in dem angrenzenden Raum.
Alena wandte sich wieder an Ryan.
„Was hältst du davon? Kann es stimmen? Was fühlst du dabei?"
Mit einer ziemlich ausdruckslosen Miene sagte er: „Ich möchte es versuchen, ich glaube, sie weiß wirklich sehr viel und meint es ehrlich."
Trotz dieser Worte fühlte sich Alena nicht sehr wohl bei der ganzen Sache. Durch das vorhin Vernommene übernahm eine schleichende Angst ihr Innerstes, sich stetig mehr ausbreitend und ließ sie fast schon in Panik verfallen, die sie jetzt aber gut vor ihm versteckte.
Im Nebenraum hörte man Geräusche wie aus einer Küche stammend und Steltael kam nach einigen Minuten mit einem Silberbecher in der Hand zurück, stellte ihn vor Ryan auf den Tisch. Dieser blickte auf den Inhalt und dann direkt in der Hexe Augen.
„Was ist das?", fragte er mit äußerst skeptischem Ton.
Mit der Hand auf den Becher deutend erklärte sie: „Das ist der Weg, der zu deinem Gedächtnis führt."
„Moment! Was ist da drinnen?"
Alena hatte alle nur möglichen Zweifel, wenn es um Hexenzeugs ging. Auch jetzt noch immer, wollte sie an so etwas nicht glauben und hielt die Nase etwas näher über den Trinkbecher.
„Was ist in diesem Gebräu? Es riecht ja fürchterlich!"
„Das ist eine Mischung aus Alraune und Traumkraut. Es wirkt garantiert und hat schon vielen die Tore zu ihrem verborgenen Innersten geöffnet."
Alena stand auf, stemmte die Hände auf den Tisch und beugte sich fast schon drohend zu Steltael hinüber.
„Was genau IST Traumkraut?"
Sie deutete Ryan mit einer Hand von dem Silberbecher abzulassen.
„Mein Gott, willst du aber alles genau wissen. Es ist Calea zacatechichi, eine alte Zauberpflanze aus den Bergregionen Mexikos und glaube mir, so einfach kommt man an diese Dinger nicht heran. Ich verwende es nur in besonderen Fällen und, bevor du fragst, der Trank ist nicht giftig und ich weiß nicht, ob er bei Elben überhaupt etwas bewirkt."
„Lasst es mich versuchen", meldete sich Ryan.
Alena setzte sich wieder hin und Steltael deutete auf den Becher.
„Sei aber gewarnt, es schmeckt äußerst bitter."
Mit einem nochmaligen Blick auf Alena nahm er den Becher, roch kurz daran und rückte ihn angewidert weg.
„Das ist der einzige Weg, den ich dir in so kurzer Zeit bieten kann."
Sie blickte ihn nochmals an und Ryan las die Ehrlichkeit in ihren Augen, schloss danach seine und trank den Becher in einem Zug leer. Als er ihn wieder abstellte, schüttelte er sich vor Ekel.
Beide Frauen blickten gebannt auf ihn und nach einer Weile fragte Alena: „Wie lange wird es dauern bis eine Wirkung einsetzt?"
Auf eine Antwort brauchte sie nicht lange warten, denn Ryan setzte sich neben ihr plötzlich ziemlich gerade auf und meinte: „Ich glaube, mir wird schlecht", und ohne weiteres Zögern ging er rasch nach draußen.
Alena sah Steltael mit einem finsteren Blick an und wollte ihm nachlaufen, doch die Alte hielt sie am Arm fest.
„Nein, da muss er jetzt alleine durch. Vertraue mir."
Widerwillig blieb Alena bei ihr.
„Was geschieht mit ihm? Wie kann es nach so kurzer Zeit schon wirken?"
„Das Traumkraut wirkt sehr stark und es reicht bei Menschen schon aus, es nur in Kontakt mit den Schleimhäuten zu bringen um eine rasche Wirkung zu erzielen."
Alena riss die Augen auf.
„Wie hoch war es dosiert? Bist du wahnsinnig? Du weißt ja nicht, wie es bei Elben wirkt!"
„Ich bin mir sicher, er ist es in der Zwischenzeit bereits wieder los", erklärte sie in ihrer gewohnt rüden Art.
Wütend ließ Alena sich nun nicht mehr aufhalten und lief zu ihm in die Dunkelheit hinaus.
Ryan stand an der nördlichen Hauswand angelehnt, die Hände an den Kopf haltend glitt er langsam zu Boden. Sich ihm nähernd vernahm sie sein leichtes Stöhnen und wollte ihm sogleich helfen.
Keuchend flüsterte er: „Nein, lass mich alleine, bitte!", und hob abwehrend die Hand in ihre Richtung.
Verwirrt hielt sie inne, sah jedoch genau, dass er Schmerzen hatte und hörte Steltael rufen, die am Hauseck in der Nähe der Türe stand.
Alena ging zu ihr zurück und merkte, dass ihr beinahe Tränen in die Augen stiegen. Es war einfach alles zu viel. Zuerst die Sorge um ihn in den letzten Tagen, dann wurde er hier jetzt fast vergiftet und keiner wusste wirklich Bescheid.
„Komm, er muss da jetzt alleine durch."
Der beruhigende Ton von Steltaels Stimme tat seine Wirkung und um Alena abzulenken begann sie zu erzählen.
„Weißt du überhaupt was man sich über Elben erzählt? Die meisten hier trauen sich nicht einmal ihren Namen auszusprechen, vor lauter Angst, sie zu erzürnen und nennen sie nur das ‚gute oder stille Volk', wobei einige heute noch sagen, dass sie zwar in Vergessenheit geraten wären, sich aber sehr wohl auch jetzt noch bemerkbar machen können. Manchmal las ich auch, sie seien unsere alten Götter und standen bereits Islands Odin zur Seite und werden auch deshalb noch immer gefürchtet. Sie sprechen mit den Bäumen, mit dem Land, mit allem das lebt und ihre mentalen Kräfte sind unvorstellbar größer als die der darin befähigtesten Menschen. Sie können die Pflanzen nach ihrem Gutdünken formen lassen und verschwinden so auch plötzlich spurlos im Wald und manche sagen, dass die Mächtigsten unter Ihnen sogar die Zeit beeinflussen können. Man nennt sie hier noch ‚Shefro' oder ‚Sidhe', früher ‚Tuatha Dé Dannan', andere wieder ‚Elben', sie selbst nennen sich ‚Eldar' welches ‚Volk der Sterne' bedeutet und sie leben schon sehr, sehr lange und sind aber meiner Meinung nach mit Sicherheit keine alten Götter. In anderen Mythen liest man, sie seien gefallene Engel, die damals, als die großen Mächte im Kampf lagen, sich weder für Gut, noch Böse entschieden und nun auf ewig dazu verdammt seien, hier auf Erden unter den Menschen zu wandeln. Es gibt so viele Geschichten von der Altvorderenzeit, lange bevor wir die von König Arthur und Avalon niedergeschrieben haben. Ich könnte euch so vieles noch erzählen, zumal ich Schriften aus diesen Zeiten habe, mit Geschichten, die sich jeder Vorstellungskraft von uns entziehen."
Trotz dieser, für sie sehr interessanten Dinge, stahl sich jetzt doch eine Träne aus Alenas Augen und zu Ryan blickend fragte sie leise: „Was macht er jetzt wohl durch? Wieso lässt er sich nicht von mir helfen?"
Steltael legte eine Hand auf ihren Arm.
„Es ist nicht leicht, denn eben stürzen die Erinnerungen eines sehr langen Lebens auf ihn ein."
„Woher willst du wissen wie alt er ist? Kann er denn nicht auch erst in unserer Zeit geboren worden sein? Ich mein', er sieht so jung aus."
„Glaube mir, ich fühle um einiges mehr, als die meisten Menschen und ich habe seine Aura gesehen, die so hell erstrahlte, dass es mich wirklich fast zu Boden brachte und er ist älter, als du dir vorstellen kannst. Es war ihm nur einfach nicht mehr bewusst."
„Darum hast du ihn gleich als Elb erkannt. Ich konnte das nicht verstehen, was ihn für dich so schnell verraten hatte."
„Ein so langes Leben ist kein Geschenk, es ist eine Bürde, mit der man erst einmal wieder leben lernen muss. Wir Menschen betrachten die Unsterblichkeit voller Faszination, weil sie für uns immer unerreichbar bleiben wird. Doch selbst kurz vor unserem Lebensende angelangt, fühlt sich unser Geist noch frei im Vergleich zu einem jahrtausende alten Unsterblichen, denn eines Tages blicken selbst sie nur mehr zurück, können nicht mehr vergessen und resignieren vor dem Leben, das noch so unendlich lange scheinend vor ihnen liegt. Ihr Geist vermag viel mehr zu ertragen und ist mit Sicherheit viel tiefgründiger als der von uns Menschen, doch eines Tages zermürbt auch ihn der Sog der Zeit. Mit alle dem muss er sich nun auseinandersetzen, denn ich bin mir sicher, trotz der Sehnsucht nach seinem Volke, fühlte er sich in den letzten Tagen so frei, wie schon lange nicht mehr. Und... ich spürte noch etwas, als er mich vorhin berührte. Er verbirgt eine Erinnerung tief in seinem Unterbewusstsein und blockt dadurch alles ab, aber ich weiß nicht was es ist."
Alena dachte voller Entsetzen über Steltaels Worte nach, konnte kaum fassen, welche Gedanken sie zu diesem Thema aufwarf doch fühlte sie in ihr drinnen, dass sie damit recht hatte. Der Glanz, den die Unsterblichkeit für sie bis jetzt ausstrahlte, verlor sich beinah vollkommen in diesen Schilderungen.
Sie ließ Steltael alleine stehen, ging nochmals zu Ryan, wollte ihm einfach nur helfen. Er kauerte am Boden, den Kopf auf seine Knie gelegt und die Arme schützend darüber haltend.
„Ryan", flüsterte sie leise.
Er reagierte nicht, sie vernahm nur seinen immer noch schnelleren Atem und legte ihre Arme um ihn. Er zuckte kurz zusammen, ließ jedoch ihre Nähe weiter zu. Sie fühlte sich so verwirrt, plötzlich wieder so hilflos und hatte Angst, er würde ihr nun völlig fremd begegnen, nun da er bald alles über sich und sein langes Leben wusste. Die Unterschiede zwischen Menschen und Elben formten sich zu einer unüberwindbaren Barriere, die sich kalt in ihr Innerstes schlich.
Er ist also doch ganz anders, dachte sie und schweigend hielt sie weiter ihre Arme um ihn gelegt.
Als sehr lange empfand sie die verstreichende Zeit die es dauerte, bis er sich bewegte, sich ihr wieder zuwandte und in die Augen blickte. Das an dieser Stelle nur matt scheinende Hauslicht ließ alles nur schwach erkennen, doch was sie sah erschreckte sie zutiefst. Sein Blick war voller Leid und Weisheit, sie an die Augen ihres Großvaters erinnernd, als sie ihn zum letzten Mal vor seinem Tode sah und er genau wusste, wohin sein nun folgender Weg ihn führen würde. Er schien diese Gefühle in ihren Augen zu lesen, denn er schloss die seinigen, wandte sich ab und blickte zu Boden um danach aufzustehen.
Seine Hand entglitt der ihrigen als er wegging und sie fühlte, dass sie ihn verloren hatte, ihren Ryan den sie bis jetzt kannte und liebte. Eine weitere, stille Träne schlich sich über Alenas Wangen und alles rund um sie schien plötzlich an Bedeutung zu verlieren. Steltael kam zu ihr, hielt sie kräftig an den Schultern und blickte ihr tief in die Augen.
„Mädchen, was machst du denn für ein Gesicht? Er braucht dich jetzt mehr denn je. Komm schon, geht nach Hause und frag ihn heute bloß nicht mehr zuviel aus. Es wird alles wieder gut, hörst du?"
Wie aus einem Traum herausgerissen vernahm sie ihre Worte. Worte, die mit Recht gesprochen wurden, denn was dachte sie denn hier an Dinge, die sich noch gar nicht bewahrheitet hatten. Sie versprach ihm zu helfen, egal, welches Opfer ihr dadurch abverlangt wurde.
„Danke", hauchte sie kaum vernehmbar zu Steltael.
„Der Dank, der geht an dich und an den Elb da drüben, der bereits beim Pferd auf dich wartet. Ihr habt die Bestimmung meines bisherigen Lebens erfüllt, wie könnt' ich euch das jemals ausreichend danken. Kopf hoch und kommt mich ja nochmals besuchen, bevor er zu den Seinigen geht!"
„Ja, werden wir machen", sagte Alena, noch immer wie abwesend.
Sie wischte sich eine weitere Träne aus dem Gesicht und ging wieder gefasst auf Ryan zu, der sie jedoch nicht anblickte, nur Dheas das Zaumzeug hinüberstreifte und sich dann in die Richtung von Steltael zuwandte. Er führte seine rechte Hand an sein Herz und nickte mit dem Kopf zu ihr. Steltael beantwortete diesen Gruß auf gleiche Weise. Danach half er Alena auf Dheas, sprang hinter ihr auf dessen Rücken und legte wieder seine Arme um sie.
Sie winkte nochmals der Alten zu und Ryan flüsterte, „Komm, Alena, lass' uns nach Hause reiten", und drückte sie fest an sich, als würde er sie vor allem nur Erdenklichen beschützen wollen.
„Ja, nach Hause", wiederholte Alena bedeutungsvoll.
°
Keine Worte hatten sie seit dem Abschied von Steltael gesprochen, keiner wagte es anscheinend ein Gespräch zu beginnen. Alena ging zum Haus und wollte sich eigentlich nur mehr Schlafen legen, denn es war bereits weit nach Mitternacht. Sie bemerkte Ryans Zögern, sah jedoch auch, wie derart müde er schon war und nahm ihn am Arm, zog ihn unbeirrbar zur Türe. Seinen missbilligenden Blick einfach ignorierend sagte sie nur knapp: „Du legst dich jetzt in mein Bett und ich lasse dich keinen Augenblick mehr alleine."
„Warum?"
„Das fragst du noch? Was du heute durchgemacht hast, dass will ich mir gar nicht ausmalen und ich werde dich jetzt nicht ausfragen, wie dein wahrer Name ist und ob du schon weißt wo du lebst."
Sich zu ihm drehend sah sie direkt in seine, im schmalen Mondlicht, nun dunkel wirkenden Augen. Doch er erwiderte nichts, kein Wort kam über seine Lippen, sah sie nur scheinbar regungslos an um dann nach kurzer Zeit ihrem Blick abermals auszuweichen und die Augen zu verschließen.
„Komm mit, dir wird ein wenig Schlaf jetzt gut tun."
Schweigend folgte er ihr ins Haus, in ihr Zimmer und Alena ging noch schnell zuvor ins Bad.
Als sie zurückkam lag er bereits in die Decke eingerollt, den Kopf seitlich auf die Hände gelegt und hatte die Augen geschlossen. Alena dachte an seine Worte über den elbischen Schlaf, dass sie normal mit offenen Augen ruhten.
Bald zerstreuten sich ihre letzten, aufwühlenden Gedanken an diese Nacht und schnell war auch sie in den Schlaf hinübergeglitten, wurde jedoch nach einiger Zeit wieder geweckt. Ryan drehte sich unruhig im Bett hin und her und murmelte unverständliche Worte, schien in einem schrecklichen Alptraum gefangen zu sein. Alena schaltete die Taschenlampe neben dem Bett an, um zumindest ein wenig Licht in den Raum zu bringen und zögerte keinen Moment ihn daraus zu erwecken. Es stellte sich als gar nicht so einfach dar, sosehr schien er in seiner leidvollen Traumwelt gefangen zu sein und als er endlich die Augen öffnete, fuhr er erschrocken in die Höhe, sah sich um und schwer atmend blickte er ihr danach mit angsterfüllten Augen entgegen.
„Es ist vorbei, Ryan, es war nur ein Alptraum. Es ist nur die Nacht, die dich alles so tief empfinden lässt."
Er schloss die Augen, schüttelte den Kopf und atmete immer noch schneller und Alena merkte, dass er wieder am ganzen Körper zu zittern begann. Stöhnend presste er die Arme an den Körper und Alena zog ihn wieder ganz nah an sich heran. Erschrocken über das heftige Zittern, dass seinen gesamten Körper durchdrang, versuchte sie ihm Halt zu geben und sprach beruhigend auf ihn ein. So verharrten sie eine Weile sitzend im Bett, während ihre Angst um ihn immer mehr zunahm. Mit geschlossenen Augen ließ er sich danach auf das Bett zurückfallen. Alena hoffte nur, dass er sich an alles wieder erinnerte und sie ihn vielleicht schon Morgen zu seinen Leuten bringen konnte. Alleine wollte sie ihn jetzt auf keinen Fall mehr ziehen lassen.
Wie betäubt legte sie sich neben ihn, hielt seine Hand noch eine Weile in der ihren, bis er wieder eingeschlafen war. Morgen würde sie ihn über sein Leben befragen und wollte noch so vieles wissen, bevor ihre allzu verschiedenen Wege sie unwiderruflich voneinander trennen würden.
°
Der nächste Morgen war bereits fortgeschritten, als Alena ins Freie trat. Feinste Sonnenstrahlen spiegelten sich glitzernd auf den Blättern, die im leichten Sommerwind verspielt hin und her wogen und zwischen ihnen, die Insekten wie kleine glitzernde Juwelen umher schwebten. Der fast vollständig verblichene Morgennebel verzauberte das Bild mit einigen darin sichtbar gewordenen Sonnenstrahlen und beinah vergaß Alena bei diesem Anblick ihren Kummer, der sie nur allzu schwer bedrückte.
Ryan, wo bist du nur?, fragte sie still in sich hinein, so wie dieser Morgen auf sie schien, in aller Stille und ohne auch nur ein wenig an ihrem Schicksal teilhaben zu wollen.
Die Natur ging ihren gewohnten Lauf, so wie der Morgen der Nacht folgte und den neuen Tag brachte, alles wirkte lebendig und neu.
Ja, ein neuer Tag hat begonnen, dachte Alena zu sich selbst und stellte sich aufrecht hin. „Ich werde dem ganzen nun gewappnet sein und das Kommende annehmen", sprach sie leise zu den alten Bäumen neben ihrem Haus.
„Und ich werde bei dir sein", sagte eine ebenso leise Stimme hinter ihr.
Zum ersten Mal erschrak sie nicht durch sein geräuschloses Herannahen. Sie hatte seine Gegenwart gefühlt, bevor er sie angesprochen hatte. Sanft legten sich seine Arme um ihren Körper, kaum vernehmbar und Alena wurde von ihren widersprüchlichen Gefühlen fast übermannt, kämpfte heimlich mit den aufkeimenden Tränen, verbarg es jedoch vor ihm.
„Sei nicht traurig, Alena."
Langsam drehte sie sich zu ihm um. Konnte er etwa ihre Gedanken erfühlen? Sein Blick war immer noch so verändert, als stünde hier nun wirklich ein anderer, ein Fremder. Fremd, aber doch so sehr vertraut. Alena konnte die leisen Tränen nicht mehr aufhalten und still schlich sich eine über ihre Wangen.
„He, meine kleine Irin. Was muss ich denn da sehen? Ist das eine Träne? Aber doch nicht meinetwegen?"
Ein kaum vernehmbares Nicken kam ihm entgegen.
„Dafür ist noch nicht die Zeit gekommen. Ich bin noch da", flüsterte er lächelnd, aber seine Augen sprachen etwas anderes. „Ich weiß so ziemlich alles wieder über mich und mein ganzes Leben liegt nun greifbar vor mir."
Alena ahnte schon, was jetzt folgen würde und sie freute sich auch sehr für ihn.
Sie jetzt wieder nah an sich haltend und dabei den Blick in den tiefen Wald gerichtet, erzählte er weiter.
„Doch kenne ich immer noch nicht meinen Namen und bin nicht imstande den Aufenthaltsort der anderen Elben zu finden."
Sie löste sich von ihm um ihn anzublicken.
„Ryan, nein! Warum?"
Er schüttelte langsam den Kopf.
„Es darf wohl nicht sein, ich weiß es nicht. Ich bleibe dir somit noch erhalten... und du mir..."
Sein Blick war voller Traurigkeit und wieder wich er ihrem nun forschenden aus, bewegte sich leicht weg von ihr. Doch in Alena kam wieder das vorhin gefundene starke Gefühl hoch, als sie sich innerlich versprach, ab jetzt zu kämpfen und alle Konsequenzen anzunehmen.
„Nein! Wir werden einen Weg finden. Sag' mir, an was du dich zuletzt erinnerst? Wenn dies auch nichts hilft, dann gehen wir heute gleich nochmals zu Steltael und suchen gemeinsam alle ihre Bücher durch."
Immer noch dem Wald zugewandt sagte er nach einer Weile: „Ich erinnere mich an einige Plätze, wo wir hier in deinen Wäldern waren. Doch ziehen wir oft durch die Gegend. Wir werden dort jetzt niemanden antreffen."
„Aber vielleicht findest du ein Zeichen oder andere Spuren. Lass uns nach dem Frühstück gleich aufbrechen. Komm! Lass uns keine Zeit mehr verlieren."
Sie bemerkte seine resignierende Stimmung, fast schon hatte sie das Gefühl, als würde er aufgeben.
„Ryan, komm! Lass den Kopf nicht hängen. Noch ist doch genug Zeit, oder nicht?"
Sie trat vor ihn, wollte seine Gedanken zu dem ganzen herausfinden, doch er sagte nur leise: „Ich weiß es nicht."
„Ryan, du machst mir Angst!"
Leise seufzte er.
„Nein, hab' keine Angst, dass wird schon alles wieder."
Irgendetwas sagte ihr jedoch, dass er selbst nicht an seine Worte glaubte.
°
Nach dem Frühstück brachen sie in den Wald auf. Dheas blieb zu Hause, denn sie gingen diesmal nicht allzu weit und in eher hügeliges und steileres Gelände, dass sich in westlicher Richtung erstreckte. Ein vielfältiger Mischwald war an dem farbigen Bild dieses Waldstücks stark beteiligt und nach einer halben Stunde kamen sie zu den ersten Steigungen. Der Waldboden wurde hier immer wieder durch feine Rinnsale des vom nahen Berg herführenden Quellwassers befeuchtet. Ein markanter, leicht modriger Geruch stieg aus dieser Mischung empor und die anhaftende Nässe ließ eine Fülle der verschiedensten Moosarten gedeihen, deren Anblick fast schon verspielt wirkte und für den Betrachter den Vergleich mit einer kleinen Zauberwelt entstehen ließ.
Ryan blieb bei dem ansteigenden Gelände immer wieder kurz stehen um durchzuatmen. Alena wollte ihn nicht darauf ansprechen, merkte jedoch, dass er sich nicht gut fühlte und immer schwächer wurde.
„Ich merke, ich bin doch schon sehr alt", meinte er, wohl um die Situation ins Lächerliche zu ziehen.
„Du warst vor kurzem immerhin noch schwer verletzt", sagte Alena, bei diesem Spiel mitmachend.
Daraufhin musste er leicht schmunzeln.
„Wie weit müssen wir noch gehen?", fragte sie nun ernsthaft, als sie weiter gingen.
„Es ist nicht mehr weit. Oben auf diesem Hügel muss es sein."
Alena ging weiter neben ihm und war bald in ihrer eigenen traurigen Gedankenwelt verloren, als er ihren Arm nahm und sie aufhielt.
„Hier ist es."
Der Platz auf diesem Hügel zeigte Alena im ersten Moment nichts Ungewöhnliches. Auf sie erschien es einfach nur wie eine kleine Waldlichtung auf einer Anhöhe. Ryan musterte den gesamten Ort und deutete schweigend zu den vereinzelt stehenden Birken. Darauf hingewiesen, bildete ihre Anordnung nun für Alena ein klares Muster und es schien ihr ein Blick in eine andere Welt gewährt zu sein, denn immer mehr wurde sie von Ryan auf für sie kaum Wahrnehmbares hingewiesen. Er blieb in der Mitte des freien Geländes stehen, sah zu den Baumwipfeln hoch und drehte sich danach langsam im Kreis, sprach dabei etwas in seiner Sprache. Wie eine kurze, wehmütige Geschichte klangen diese Worte für Alena und ihn aus leichter Entfernung beobachtend, schien es ihr, als läge darin die gesamte Sehnsucht, die er eben verspürte.
Ihr wieder zugewandt fragte er: „Spürst du es auch? Spürst du den Wald atmen, fühlst du seine Energie, die ihn durchfließt?"
Langsam kam Alena zu ihm, schloss die Augen um sich besser zu konzentrieren und lauschte weiter seinen leise vernehmbaren Worten.
„Sie durchfließt alles, jeden Baum, jedes Blatt und jeden Stein. In allem ruht eine Seele, die sie durchfließt. Du trägst sie ebenso in dir und wenn du es zulässt, dann spürst du ihre Kraft, die allem Leben schenkt."
Seine Worte drangen tief in ihr Innerstes und Alena spürte zum ersten Mal, dass hier etwas war, dass sie nicht wirklich zuordnen konnte. Wie ein kaum vernehmbarer Hauch aus weiter Ferne, der sie sanft streifte, dabei langsam an ihr vorbeizog und auf ihrer Haut zu tanzen schien. Zarte Muster tauchten wage vor ihren geschlossenen Augen auf, alsbald in allen Farben schwach erleuchtet, und eine spürbare Wärme ergriff ihren Körper. Eine Stimme... vernahm sie hier eine Stimme?
Alena riss die Augen auf und alle Empfindungen verschwanden wie von Zauberhand. Ryan stand vor ihr und sie erkannte wieder die alte wilde Klarheit in seinen unendlich blauen Augen. Wie hatte sie nur denken können, je imstande zu sein, ihn bei sich zu halten? Er gehörte hier her, in diese spirituelle, magische Welt, die keinen Platz für sie bot und sie die Fremde war.
Ryan setzte sich auf den grasbewachsenen Boden, fühlte schleichend diese Schwäche in sich aufsteigen und verspürte wieder leichte Schmerzen. Vergeblich hatte er sich an diesem Ort eine Art von Heilung erhofft, hier wo er seinem Ursprung etwas näher rückte. Er ließ sich zurück fallen, schloss die Augen und wollte es einfach ignorieren, aber dies gelang ihm nicht. Alena wusste bereits was los war, legte sich neben ihn, hielt ihn einfach fest und konnte nicht mehr tun als abzuwarten.
Als er ruhiger wurde, erzählte Alena ihm, dass sie vorhin etwas empfunden hatte, etwas in ihr fühlte, das sie nicht beschreiben konnte. Dies zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht und beide setzten sich wieder auf und blieben noch eine Weile an diesem, ihm vertrauten Ort. Milder Wind strich durch die magischen Bäume, strömte über die kleine Waldwiese zu den beiden hinüber, zupfte verspielt in ihren Haaren und schien leise lauernd zuzuhören, wie Ryan weiter über Dinge aus seinem vergangenen Leben sprach und Alena damit immer tiefer in die Welt der Elben eintauchen ließ. Fremd klingende Namen und Schilderungen erschraken sie nicht mehr und die Zeit strich fast unmerklich an ihnen vorbei.
„Die letzten vierzehn Tage waren etwas total Fremdartiges für mich", begann er nun mit leicht trauriger Stimme. „Es war, als wäre ich ein total anderer gewesen und bin jetzt wieder zurückgekehrt, in ein Leben von dem ich merke, es nicht so sehr zu vermissen, als ich anfangs dachte."
Alena sah ihn verwirrt an, doch er blickte nicht vom Boden auf.
„Solange ich nicht alles weiß, werde ich es wohl nicht erklären können. Alles, dass ich wirklich klar empfinde, sind diese letzten vierzehn Tage hier."
„Die waren für uns alles andere als normal. Ich hätte nie gedacht, dass in so kurzer Zeit, sich mein gesamtes Leben auf den Kopf stellen würde. Es ist so viel passiert und... Peter..."
Alena stockte und Ryan sah besorgt zu ihr auf.
„Nein, nicht Alena... lass uns nicht weiter an all die traurigen Dinge der letzten Tage denken."
„Aber manchmal braucht man das, um etwas verarbeiten zu können. Von was hast du heute Nacht geträumt?"
Alena wusste, dass es sicher nicht leicht war davon zu sprechen, wagte aber nun den Schritt in diese Richtung. Kurz blickte er zu ihr auf.
„Ich hatte diesen Traum nicht zum ersten Mal und ich sehe ihn immer deutlicher vor mir."
Alena wartete geduldig, bis er weitersprach.
„Da ist eine Elbe und ein kleines Kind und sie rufen mich immer wieder, doch ich erreiche sie nicht... komme nicht an sie heran."
Nachdem er eine Weile schwieg, fragte Alena vorsichtig: „Wie ging es weiter?"
Wie aus dem Traum aufgeweckt, schüttelte er kurz den Kopf, sah Alena dabei direkt an.
„Ich konnte sie nicht retten. Ich kann meine Gefühle zu diesem Traum nicht zuordnen, eigentlich viele andere auch noch nicht. Ich weiß, es gibt da noch etwas."
Er hob den Kopf und schloss nochmals die Augen. Der wispernde Wind brachte Worte an sein Ohr, wohl nur für ihn bestimmt und tief in ihm spürte er wieder diese unstillbare Sehnsucht, endlich die letzten Geheimnisse um ihn zu erfahren.
°
Gegen Nachmittag des nächsten Tages brach Alena zu Steltael auf, pochte wieder an ihrer Haustüre und hoffte, sie zu dieser Tageszeit anzutreffen. Die Türe schwang auf und Steltael sah ihr munter entgegen, hatte das lange, graumelierte Haar zu einem ordentlichen Zopf gebunden und begrüßte sie freundlich.
„Ah, Alena! Du bringst mir jetzt sicher gute Nachrichten!"
Sie deutete ihr mit einer Handbewegung einzutreten. Alena ging der Einladung schweigend nach, ließ sich jedoch von Steltaels guter Laune nur mäßig anstecken und war sehr über ihre Wandlung überrascht.
„Du wirkst so traurig? Was ist los?", fragte diese sie und Alena ließ sich erschöpft in einen der weichen Sessel fallen.
„Ryan kann sich nicht an alles erinnern."
Steltael setzte sich neben sie.
„Das habe ich befürchtet, aber da ihr euch nicht gleich wieder gemeldet habt, dachte ich, es sei alles in Ordnung."
Alena schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Nein, nichts ist in Ordnung und darum kam ich nochmals hier zu dir um die Bücher durchzusehen. Es geht ihm mittlerweile total schlecht und ich weiß nicht mehr was ich machen soll."
„Aber ohne ihn werden wir zwei nichts finden was ich nicht schon längst gefunden habe."
Mit nachdenklicher Miene fuhr sie fort.
„Es muss ein schwerwiegendes Ereignis in seinem Leben stattgefunden haben, dass er sich so sehr selbst blockiert und sein Unterbewusstsein die damit verbundenen Namen und Orte nicht mehr preisgibt. Meine Schwester litt seit dem tödlichen Unfall unserer Eltern an einer dissoziativen Amnesie. Es hieß damals, wer von dieser Art betroffen sei, wisse oft nicht einmal mehr von der Existenz des auslösenden Traumas und hätte kaum eine Chance, von alleine darauf zu kommen."
„Wie wurde sie geheilt?"
„Sie starb bald darauf."
„Das ist ja furchtbar!"
Resignierend senkte Alena den Kopf und dann brach langsam alles aus ihr heraus und die ersten Tränen glänzten in ihren Augen.
Steltael sah sie erschrocken an.
„Mädchen, du wirst doch nicht... jetzt wird mir einiges klar. Du hast dich in ihn verliebt!"
Alena blickte ihr in die Augen und die Hexe brauchte keine Antwort abzuwarten. Sie stand auf, hockte sich vor sie hin und nahm Alenas Hände in die ihrigen.
„Du wirst das gleich wieder vergessen."
„Aber... ich..."
„Elben sind nicht für uns bestimmt und du musst vorsichtig sein und tief in ihr Innerstes blicken, denn hinter all der Stärke und den uns fremd wirkenden Kräften, steckt eine sehr zerbrechliche Seele. Habe ich schon mal erwähnt, dass Elben auch an gebrochenem Herzen sterben können?"
Durchdringend sah sie Alena nun an und fragte leise: „Liebt er dich auch?"
Alena nickte.
„Das kannst du nicht länger zulassen! Sei vernünftig, er wusste ja nicht wer er ist!"
Alena konnte ihren Tränen nun keinen Einhalt mehr gebieten.
„Aber... gibt es denn gar keine Möglichkeit, dass er sich an ein Leben hier bei mir gewöhnt? Ich lebe doch im Wald, fern ab von allen anderen Menschen und anscheinend in der Nähe seiner Leute."
Steltael schüttelte den Kopf.
„Für euch gibt es keine Möglichkeit, nein, das kannst du dir nicht wünschen, ihn in solch' ein fremdes Leben zu ziehen."
„Aber... wenn er nicht bald zurück findet, was wird dann hier aus ihm?"
„Früher, als der Kontakt zwischen Menschen und Elben noch bestand, gab es einige ihrer Sippe, die anhand ihrer Abstammung frei wählen konnten und danach nicht mehr an den spirituellen Geist gebunden waren. Es hießt jedoch auch noch, dass sie dies mit ihrer Unsterblichkeit bezahlten. Jedoch ist die Quelle dieser alten Überlieferung mehr als unzuverlässig und wir wollen diesen Gedanken ohnedies nicht weiterspinnen."
„Er sagte mir, er würde sein altes Leben nicht sehr vermissen. Wie alt ist er wirklich, Steltael? Du hast es doch ‚gespürt'?"
„Wie alt ist jemand? Das ist eine Frage, deren darauf gelegte Wichtigkeit mir nie klar wurde. Ein menschlicher Körper wird alt, selbst sein Geist wird irgendwann von den verstrichenen Jahren geformt, wird weiser und kann aber sogar durch die Last der Lebensjahre brechen. Doch was für mich wirklich zählt, ist die Seele und Seelen haben kein Alter. Sie bleiben von Geburt an gleich bis zum Tode."
Alena konnte darauf nichts erwidern, verstand jedoch was sie damit ausdrücken wollte.
Steltaels nun sorgenvolles Gesicht legte sich in Falten. Sie blickte über die bücherbefüllten Regale, sprang auf und ging zu einem hohen Schrank, öffnete diesen und zu Alenas Überraschung wurde darin ein Computer und weitere moderne Geräte sichtbar. Verlegen sagte Steltael mit einem Grinsen: „Man muss ja den Schein waren."
Der PC war schnell hochgefahren und mit allerlei gemurmeltem Gerede deutete sie alsbald auf den Bildschirm.
„Da ist er ja!"
„Wer?"
Alena ging zu ihr und betrachtete den auf dem Monitor angezeigten Namen und eine Adresse.
„Das ist ein ‚Shefrofraigh'."
„Ein was?"
„Ein ‚Elbenfinder' aus Irland."
„So jemanden gibt es? Warum hast du uns das nicht gleich gesagt?", fragte Alena entsetzt.
„Weil er ein Irrer ist und dir wahrscheinlich nicht einmal zuhören wird. Er wird von Menschen gerufen, die Angst vor Elben haben und untersucht deren Grundstücke nach Spuren von dort lebenden Elben, die sich dann an den Besitzern wegen der Störung rächen würden. Leider ist auch dieser Mythos immer noch nicht begraben. Der Spinner spricht nicht einmal mit Leuten aus der Stadt, fühlt sich ständig bedroht und leidet unter Verfolgungswahn, denkt, die Elben kommen jeden Moment um ihn zu holen. Manchmal wünschte ich bereits, sie würden es endlich tun!"
Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, sie hatte anscheinend wirklich etwas gegen diesen Mann.
„Aber ich muss es versuchen!", sagte Alena aufgeregt.
„Darum gebe ich dir ja jetzt diese Adresse, als wirklich letzten Ausweg. Sei nur noch gewarnt. Nenne unter keinen Umständen meinen Namen. Er kennt unser Gebiet von früher her, bevor er wegzog. Er hasst mich mehr als alles andere auf der Welt und versuche, wie eine vom Land zu wirken."
„Aber ich bin aus der Stadt. Alleine schon meine Aussprache ist anders."
„Dann reiß dich eben zusammen, nichts ist einfach im Leben!"
Das war ja jetzt wieder notwendig, dachte Alena leicht verstimmt.
„Ich bin nur noch einige Tage hier, kann euch aber ohnedies nicht mehr weiterhelfen."
„Willst du verreisen?", fragte sie erstaunt und bemerkte erst jetzt die Koffer, die in der Ecke des Zimmers standen.
Freudestrahlend richtete sich Steltael vor ihr auf.
„Ja! Ich ziehe endlich weiter, aber keine Sorge, ich wäre schon noch vorher bei euch vorbeigekommen um mich zu verabschieden", sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen.
„Warum gehst du fort?"
„Na, weil sich meine Suche nach der Bestätigung von Elben nun erfüllt hat. Ich brauche hier nichts mehr tun, will eigentlich nur mehr einige Fragen beantwortet haben."
Steltael druckte Alena die Seite mit der Adresse aus.
„Nun komm, beeile dich, der Weg ist weit. Du musst gleich Morgen sehr früh losfahren und versuche nicht allzu freundlich zu ihm zu sein, denn da wird er erst recht misstrauisch."
Den Zettel nehmend fragte Alena noch: „Wo gehst du hin und von was willst du jetzt leben?"
„Du denkst, ich hätte kein Geld, stimmt's? Dann war meine Tarnung wohl perfekt. Mein wahrer Name ist Dr. Caren Uamh. Ich studierte Geschichte und Anglistik in Oxford und ich habe eine ziemlich fette Erbschaft gemacht und brauche mir keine Sorgen um meinen Lebensunterhalt zu machen."
„Du wirst deinen Kollegen somit nichts von Ryan verraten?"
„Wie kommst du auf diese Idee? Ach so, du denkst, weil mir die anderen nie glaubten? Das ist mir mittlerweile schon so was von egal geworden. Wenn ich eine Bestätigung der Fachwelt wollte, dann müsste Ryan mit zu ihnen kommen und ich will mir gar nicht ausmalen was danach mit ihm geschehen würde, oder mit den anderen Elben. Die Menschen würden alles zerstören. Ihr Mythos schützt sie und so soll es auch weiterhin bleiben."
„Das stimmt, die Legenden müssen erhalten bleiben und es ist weise, sich den Menschen nicht zu zeigen."
„Ich wollte immer schon nach Schottland um dort den Beweis zu finden, dass Gargoyles in der Nacht lebendig werden."
Ein energisches Leuchten befand sich jetzt in Steltaels Augen und Alena bewunderte die Beharrlichkeit der doch schon älteren Frau.
„Ich wünsche dir alles Gute", sagte sie, „und hab' Dank für alles, das du getan hast."
Sie faltete das Blatt Papier und steckte es in ihre Hosentasche.
„Der Dank gebührt nur dir und Ryan alleine. Das sagte ich bereits. Sobald ich einen festen Wohnsitz habe, melde ich mich bei dir. Ich nehme an, dass du Ryan danach auch noch manchmal treffen wirst. Es gab immer wieder Geschichten, wo sich Elben einem Menschen lange in Freundschaft verbunden fühlten und sie bis zur letzten Stunde besuchen kamen. Ach, Mädchen, du weißt gar nicht, was du für ein Glück hast. Kopf hoch, es wird alles wieder gut."
Alena war dankbar für diese tröstenden Worte, doch musste sie noch Hilfe für Ryan finden, bevor sie sich wieder freuen konnte.
°
Zum Glück war das Haus des ‚Shefrofraigh' nicht irgendwo im Wald versteckt, sondern stand im Zentrum des Dorfes. Einige Stufen führten zur Eingangstüre hinauf und Alena drückte die Klingel. Eigentlich hätte sie schon draußen viel mehr Hinweise auf etwas Elbisches erwartet, aber das Grundstück sah aus wie jedes andere. Bis auf die Blumen. Das war etwas ungewöhnlich, denn sie fehlten und nur schlichtes Gras zierte den kleinen Vorgarten.
Mochte er denn auch keine Pflanzen?, fragte sich Alena, als ihr jedoch schon die Türe geöffnet wurde.
Von Steltael gewarnt begrüßte sie ihn nicht sofort freundlich und schlug einen eher rüden Ton an den Tag.
„Hallo", sagte Alena und betrachtete ihn mit einem arroganten Blick.
„Ich kaufe nichts."
Die Türe flog zu und Alena holte tief Luft. Was war nur in letzter Zeit los mit ihr? Warum schlugen immer alle Menschen bei ihrem ersten Anblick die Türen wieder zu? Sie polterte kräftig auf die Türe.
„Ich verkaufe ja auch nichts!"
Quietschend ging sie nochmals einen Spalt auf, aber nur so weit um den Hausherren sich hinausquetschen zu lassen.
„Was willst du dann?"
„Ich brauche Hilfe. In einer bestimmten Sache."
Er wurde plötzlich nervös und blickte sich um, ob ihr ja niemand gefolgt war und dann bat er sie herein.
Drinnen war alles schlicht, sie hatte jedoch zuwenig Zeit um sich genauer umzusehen, denn er rückte nicht von ihr ab und fragte: „Wie viel brauchst du? Ich kann genug besorgen."
Den rüden und direkten Ton immer noch einhaltend schnauzte sie sogleich: „Nein danke, ich brauche nichts. Ich hab' ein Elbenproblem."
Er riss die Augen auf und schrie: „Sei still! Wie kannst du sie nur beim Namen nennen und was kommst du damit zu mir? Glaubst du denn, ich falle auf solche Tricks noch hinein! Hinaus mit dir!"
Im Nu flog die Türe wieder auf und er stand mit einer eindeutigen Geste vor ihr und Alena konnte nicht sagen, ob er verärgert oder verängstigt war. Jetzt ließ Alena ihre schlecht durchgeführte Tarnung fallen und erklärte schnell mit flehender Stimme.
„Ich brauche ihre Hilfe. Sie sind doch ein ‚Shefrofraigh' und ich habe einen kranken Elb zu Hause bei mir, der dringen wieder zu seinen Leuten finden muss, irgendwo im Oakwood-Nationalpark. Bitte!"
Nach diesen Worten schien er vollkommen auszurasten.
„Oakwood? Dich schickt sicher diese alte Hexe, dieses Monster! Scher dich hinaus! Ich habe mit so etwas nichts zu tun!"
Alena wurde einige Schritte weit von ihm geschubst, ehe sie sich zur Wehr setzte.
„Fass mich nicht an! Was bist du denn für ein grauenhafter Mensch. Ich bitte dich um Hilfe und du schmeißt mich hinaus!"
„Ja, das tue ich, denn es ist mein Haus!"
Beklemmend stieg die Verzweiflung in Alena hoch. Wenn er sie nun abweisen würde, dann würde damit der letzte Funken Hoffnung verloren gehen.
Er ging tobend nach draußen, schimpfte herum, während er auf die Straße lief um Hilfe zu holen. Schnell legte Alena noch eine ihrer Visitenkarten auf den Tisch und sputete sich, ihm nachzulaufen. Sie wollte noch nicht aufgeben.
„He... Du! Warte! Ich werde dich auch wirklich gut bezahlen. An Geld soll es nicht scheitern."
Sie wollte nun diese Taktik ausprobieren.
„Scher' dich zum Teufel und komme ja nie wieder!"
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging fluchend zu seinem Haus.
Alena bleibt wie erschlagen zurück. Das konnte doch nicht wahr sein. Nein! Er war ihre letzte Hoffnung gewesen und sie hatte dafür so viele kostbare Stunden geopfert. ‚Ryan', dachte sie sorgenvoll... sie müsse so schnell wie möglich wieder zu ihm.
Nach einer fast viereinhalbstündigen Rückfahrt war bereits der Abend angebrochen und Alena konnte Ryan nirgends finden. Nur Giant kam ihr mit eingeklemmter Rute winselnd entgegen.
Er spürt wohl auch die Traurigkeit, dachte sie.
Beklommen legte sie sich später ins Bett und verfiel in einen unruhigen Schlaf. Oftmals wurde sie von ihren sorgenvollen Gedanken an Ryan geweckt, immer mit der Hoffnung verbunden, dass er bereits zurückgekehrt wäre.
°
Die Dämmerung war fast vorüber und die ersten Sonnenstrahlen würden bald den Himmel zeichnen, als Alena auf die Suche nach Ryan ging und sich vor Sorge alles in ihr verkrampfte.
Nach einigen Schritten verharrte sie plötzlich, denn ein weißes Pferd stand über die Hängematte gebeugt. Einem übernatürlich strahlenden Leuchten gleich, hob sich seine Farbe von der sich zurückziehenden Dämmerung ab und sein zarter Körper ließ es eher an eine Hirschkuh, als an ein Pferd erinnern. Eben brach die Sonne entgültig mit ihren ersten, gelborangenen Strahlen durch den Waldrand und zartbunte Schmetterlinge erfüllten die Luft um die Hängematte und dem sonderbaren Tier. In großer Zahl schwebten sie umher und Alena hatte das Gefühl, als bliebe die Zeit in diesem Moment scheinbar stehen. Ihr Blick glitt über das fremdartige Pferd, sah danach, wie es seinen Kopf hob, den ein glänzendes Horn zierte.
Das Einhorn!
Keinen Schritt wagte Alena sich mehr zu bewegen und mit magisch großen Augen sah das Fabeltier zu ihr, schien dabei tief in sie hineinzublicken. Kurz glaubte Alena in seinem Blick einen Hauch von Traurigkeit zu erkennen, doch dann wandte es sich ab, stieg in die Höhe, dabei die Vorderhufe drohend in die Luft werfend und den hornbewehrten Kopf gegen sie richtend. Nochmals stieg es vor Alena und fast kam es ihr vor, als würde es sehr wütend sein. Wie angewurzelt stand sie da, sah ihm weiter zu, wie es sich entgültig abwandte und ohne ein Geräusch zu verursachen im Wald verschwand.
Immer noch schwebend blieben die zahlreichen Schmetterlinge zurück und begannen sich auf der Hängematte und dem darin schlafenden Ryan niederzulassen. Nur langsam erwachte sie aus ihrer Befangenheit, unfähig über dieses lang erträumte Ereignis Freude zu empfinden, sah sie nach Ryan, doch die Schmetterlinge schienen ihn zu beschützen und flogen immer wieder im wilden Durcheinander vor ihr Gesicht. Fast schon panisch begann sie die zerbrechlichen Wesen fortzujagen und erschrocken stoben diese in alle Richtungen davon. Nur vereinzelt zeigten sich noch einige in ihrer Nähe.
Was hat das zu bedeuten?
Unwillig, diesen Gedanken weiter in sie hineinzulassen, formten sich jedoch unvermeidbar schreckliche Erklärungen in ihr. Ryan sagte zu ihr, es würde selbst entscheiden zu wem es kommt. Was, wenn sich das Einhorn von ihm verabschieden kam? Vielleicht fühlte es den nahenden Tod eines unsterblichen Wesens? Vielleicht würde ein Teil der Natur mit einem Elben mitsterben? Beinah erstarrt blickte sie auf ihn. Er lag so friedlich da, doch wusste sie, dass dies nur ein scheinbarer Frieden war. Langsam legte sich ihre Hand auf ihn, wollte ihn damit sanft wecken, doch war er wach und lag mit geschlossenen Augen hier.
„Ryan, wie fühlst du dich?"
„Lúruven... ich bin müde."
Alena strich über sein jetzt offen getragenes Haar, als er zaghaft weitersprach.
„Weißt du, man sagt bei uns, es sterbe nur der Körper. Die Seele hingegen käme wieder zurück an den Ort zu dem man es sich am meisten wünschte... es ist somit nicht so schlimm..."
„Ryan, nein! Du musst dagegen ankämpfen! Das Einhorn war vorhin hier und ich glaube, es wollte dich mit seinem Horn berühren. Vielleicht wollte es dir helfen, aber ich habe es verschreckt."
Langsam öffnete er seine Augen und blinzelte gegen das blendende Licht.
„Das Einhorn war hier?"
Zaghaft lächelte er. „Du hast es also doch noch gesehen. Dein Wunsch ging in Erfüllung."
Er hatte es nicht gespürt, dachte Alena erschrocken.
„Aber... ich wollte es nicht unter diesen Umständen sehen! Ryan, bitte! Kämpfe weiter!"
Seine Augen waren bereits wieder geschlossen und nur noch leise vernahm Alena seine Stimme.
„Lúruven... gwannathon, goston ú-gûr." (Ich bin müde... ich werde sterben, aber ich fürchte mich nicht davor)
„Ryan! Ich verstehe deine Worte nicht. Aber wenn du auch nur einen Moment ans Sterben denkst, dann...!"
Tränen bahnten sich über Alenas Wangen, sie konnte sich kaum noch halten, schluchzend stand sie neben ihm. Unsicher fasste sie ihn an seinen Händen, versuchte ihm Kraft zu geben, doch waren diese kalt, fast wie ohne Leben wirkte er nun auf sie. Noch einmal öffnete er seine Augen, blickte unmittelbar in ihre und Alena erkannte voller Entsetzen wie sehr sein Blick sich verändert hatte. Es schien, als sei der Zauber aus ihm gewichen, dieses Licht, dass sie immer an sich darin reflektierende Sterne erinnerte und müde schlossen sich seine Lider abermals.
Alena stand neben ihm, verloren und hilflos wie noch nie in ihrem Leben und fühlte sich betäubt und unfähig noch weiter zu reagieren. Doch etwas in ihr wollte es immer noch nicht akzeptieren. Verzweifelt wandte sie sich von ihm ab, schritt zum Waldrand und schrie ihr ganzes Leid in diesen hinein.
„Warum helft ihr eurem Sohn nicht? Wo seid ihr, ihr stolzen Elben? So darf es nicht enden!"
Doch der Wald blieb stumm und hatte entgültig seinen Glanz für sie verloren. Völlig erschöpft ließ sie sich ins feuchte Moos sinken, dabei die Hände ans Gesicht gepresst, fühlte sie den Schrei aus den verborgenen Tiefen ihrer Seele empor steigen, um sie langsam vollkommen einzunehmen. Schluchzend und am ganzen Körper unkontrollierbar zitternd weinte sie weitere, unzählbare Tränen und ohne jedes Zeitgefühl glitt sie alsbald in einen traumlosen, einsamen Schlaf hinüber.
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Nach einiger Zeit begann ein leiser Regen und Alena wurde von den Tropfen sanft geweckt, welche sich zwischen das schützende Blätterdach über ihr hindurch verirrten. Aufgerüttelt von den Ereignissen zuvor, verschwanden die letzten schläfrigen Gedanken aus ihr und sie ging um Ryan zu wecken und ins Haus zu bringen.
Es brach ihr fast das Herz als sie ihn dabei beobachte wie er sich schwach und müde hinein schleppte und sofort auf die Couch begab. Sich zu ihm setzend, legte er seinen Kopf auf ihre Beine und schien sofort wieder einzuschlafen. Unfähig ihren Tränen Einhalt zu gebieten, strich sie sanft mit der Hand über sein goldenes Haar und begann ihm mit beruhigender Stimme eine Geschichte zu erzählen, die sie als Kind schon so sehr liebte.
„Erzähle weiter", flüsterte er, als sie der Worte unfähig von der Traurigkeit des Moments übermannt wurde.
Leise fuhr sie mit der Geschichte fort, über ‚Das Mädchen im Mond', einem Südsee-Märchen aus längst vergangen Zeiten, als die Geister den Menschen noch nahe standen und ein kleines Mädchen auszog, um nach den Sternen und dem Mond zu greifen.
