Hallo, meine lieben Leser!
Ihr habt mich abermals tief beeindruckt, so viele und vor allem auch so lange Reviews – ihr seid wirklich der Wahnsinn! (lasst euch fest knuddeln)
Diesmal bin ich hier mit einem ziemlich langen Kapitel gelandet und das wahrlich ‚am letzten Drücker', denn Morgen gehe ich an Bord und ‚segle in den Westen' (grins). To the Sea, to the Sea! The white gulls are crying, the wind is blowing, and the white foam is flying. West, west away, the round sun is falling... Nein, der Westen ist es leider nicht, aber immerhin ein Segelboot in der Adria.
Reviewantworten:
Nyella
Liebe Nyella, weißt du, deine letzte Review sprühte nicht nur von wundervoller Begeisterung, sondern trug auch ein Wahnsinnslob mit sich. Du beschreibst es so schön, wie dir meine „elbische Stimmung" bei Alenas Ankunft gefallen hat. Ich hatte bei K7 wirklich anfangs meine Zweifel, aber die haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Wow... die spannende Szene scheint bei dir wirklich so angekommen zu sein, wie ich das wollte – schon wieder schwebe ich bei soviel Lob im 7. Autorenhimmel! Schön, dass dir Ryans elbischer Name gefällt. Ich denke, es wäre auch in Celebrimbor Einverständnis. Ja, das Schmuckstück war aus Peter Jacksons „Zauberkiste" ;-) Danke nochmals für deine wunderbaren, aufbauenden Worte.
Enessa
Mae govannen, Enessa! Es freut mich, dass du zu meinen Stammleserinnen geworden bist und mich somit mit deinem ‚Feedback' ‚fütterst'. Das halte ich auf keinen Fall für selbstverständlich – hannon le dafür. Bei deinen Worten ersehe ich wieder, wie sehr du in der Geschichte versunken bist du bringst Alenas Gefühle wieder einmal perfekt auf den Punkt! Tinnu, der kleine Prinz, spielt nur eine kleine Nebenrolle, aber diesmal kommt Éleg hinzu. Der Zusammenhang mit der Klippe wird, wie vieles andere, wird diesmal aufgeklärt. Der Kettenanhänger – ja... ich konnte einfach nicht an so einer wundervollen Geste vorbei :-) Es freut mich sehr, dass du bis zum Ende dabei sein wirst!
sundayshine
Hallo sundayshine, auch dich heiße ich nun herzlich als Stammleserin willkommen. Mich ehrt das von allen wirklich sehr! Oh nein, ich werde die Geschichte sicher vollenden, denn sie war schon vor Vollendung des ersten Kapitels fix in meinem Kopf. Ich hätte sonst gar nicht zu schreiben begonnen und die vielen Erfahrungen, die ich seither gemacht habe, möchte ich nie mehr missen. Dein Lob über meine Sindarinworte ehren mich sehr, wobei ich immer noch am Lernen bin und sicher Fehler mache. Ich gestehe, dass in diesem vorliegenden Kapitel das Ende wieder nicht klar zum Vorschein kommt, aber das ist natürlich volle Absicht von mir :-) Ich hoffe, du bist auch diesmal wieder dabei!
Tanja
Hallo Tanja, ja, ja... so ein Drache kann schon lästig sein, wenn er merkt, dass eine seiner ersten Leserinnen da plötzlich nichts mehr von sich hören lässt :-) Das soll deine Review hier jetzt nicht als ‚Selbstverständlichkeit' darstellen – im Gegenteil – ich warte ja schon richtig darauf, denn du warst bis jetzt ja immer meist die erste Leserin. Danke für deine lobenden Worte und es freut mich, einige deiner Fragen beantwortet zu haben und ich bin mir sicher, dass diesmal noch mehr Antworten folgen werden. Ich bin schon so gespannt, wie dir dieses Kapitel gefallen wird. Hannon le nochmals dafür.
darklayka
Hallo layka, huch – ich wollte dich natürlich nicht drängen, aber ich habe mir natürlich Sorgen gemacht, weil du mich, so wie viele andere, immer mit deinen Reviews total ‚verwöhnt' hast. Deine Review ist ja wirklich sehr ausführlich, wofür ich dir für diese Tatsache da gleich auch mal herzlich danke! Das find' ich aber jetzt lustig, dass du meine Geschichte in der Schule liest, alle Achtung – lass dich ja nicht erwischen, sonst bekomme ich ein schlechtes Gewissen! Es freut mich, dass dir ‚meine' irischen Elben gefallen und auch die kleine Szene im laisgar :-) OH... danke, dass dir meine langen Kapiteln gefallen, ich habe eher immer Bedenken, dass die Leser so lange Teile nervig finden, aber vielleicht taucht man so auch besser in die Geschichte ein und ... ich schreibe immer soviel :-) Danke für das Lob der Kampfszene und lass' dich einfach überraschen, wie es weitergeht. Es ist jedenfalls schön zu lesen, dass du dir so viele Gedanken über meine Geschichte machst. Nein... lass' mich nicht lange warten, wobei ich ja jetzt eh eine Woche weg sein werde.
Anor
Deine Review liest sich ja selbst schon wie eine Stelle aus einer Geschichte und deine Worte schmeicheln meiner Schreiberseele, wie schön du deine Stimmung, in die du durch das Lesen meines Kapitels eingetaucht bist, beschreibst. Huch... noch länger? Ich bin mir sicher, wenn man „Nur ein Traum" in Buchform druckt, wird es 300 Seiten füllen, aber ich hoffe, die hier vorliegende ‚Überlänge' von K8 trifft deine Zustimmung. Es freut mich sehr, dass du immer noch so begeistert dabei bist... wirklich – ich finde das toll!
Lady Dragonfire
Hallo, Herrin des Drachenfeuers... habe ich schon erwähnt, dass ich ein sehr friedlicher Drache bin, der nie Feuer spuckt :-) Oh ja, das Sindarin macht mächtig Arbeit, aber es ist eine wirklich tolle Herausforderung, der ich mich nur zu gerne stelle und diesmal musste ich bei etwas sogar 'reimen'! (uff) Es macht einfach Spaß, ich glaube, sonst würde ich mir das nicht antun. Der Name ‚Sternenmond' gefiel mir schon von Anfang an und ich finde, er passt einfach perfekt für Ryan. Hey – schön, dass dir meine klitzekleine romantische Szene gefiel, es sollte ja auch nur ein wenig ‚Knistern' in die Sache bringen und dein Zitat daraus ehrt mich nun sehr! Diesmal wurde es ein langes Kapitel, aber leider ist es wirklich das Vorletzte... leider, denn glaube mir, die Beiden bald ‚loszulassen' wird mir sehr, sehr schwer fallen.
seniwallenstein
Liebe Seni, es ist für mich ergreifend, wie du meine Kapitel reviewst und wegen der vielen Fragen, wo eventuell die Antworten auch den anderen interessiert, habe ich dich hier an die letzte Stelle gereiht. Deine Schilderung, wie du meine Geschichte empfindest, dringt auch diesmal wieder tief in mich hinein und es freut mich irre, dass du dich so darin sehnsüchtig fallen lässt. Es ist schön zu lesen, dass du ein hoffnungsloser Romantiker und Optimist bist – du wirst es bei diesem Kapitel noch brauchen und deine Fragen zeigen mir, dass du dich mit meiner Geschichte auseinandersetzt und ... ach was – es ist einfach nur toll, dass sie dir so gut gefällt!
Antworten zu Senis Fragen, die vielleicht auch andere interessieren
Elfen vs. Menschen: In den Sagen der Elfen werden die wenigen Menschen die zu ihnen kommen stets freundschaftlich behandelt. Ithildins Vertrauen zu Alena ist dafür für die anderen ausreichend. Auf Dauer, wäre das sicher anders.
'meine' irischen Elben: Ich habe lange überlegt, wie ich 'meine' irischen Elben darstellen soll. Wenn man tiefer in anderen von Tolkiens Geschichten eintaucht, erkennt man immer mehr, dass sie auch einige „normale" Probleme haben und unter der Annahme, dass „ein Rest" nun in Irland weilt, ist eine weitere Entwicklung und Veränderung sogar zwingend für mich. Wenn man "HdR" liest, erkennt man, dass Legolas zB. teilweise schon richtig 'lustig' unterwegs ist und redet sehr viel. Am Ende des III.ZA ist die Stimmung der Elben, wie im Film, sehr melancholisch, weil sie Mittelerde nach und nach verlassen. 'HdR' alleine zeigt meiner Meinung nach zuwenig von den doch komplexen Elben. Mehr erfährt man in den Geschichten des I. II. und früheren III. Zeitalters. Liest man diese, bemerkt man große Leidenschaften und ebenso Abneigungen, jetzt mal abseits der großen Kriege. Es heißt auch, dass gerade Elben die größte Freude und die größte Traurigkeit empfinden können und das sind sehr tiefe Gefühle und somit nicht nur menschlich, sondern auch 'elbisch' und das habe ich so übernommen. Ryan konnte ich ohnedies 'menschlicher' darstellen, denn er wusste ja lange Zeit nicht, dass er ein Elb ist und hat sich sicher dadurch auch geändert.
Zölibat und peredhel Ein Zölibat gibt es keines, aber Verbindungen zwischen Elben und Menschen werden lt. Tolkien von den Elben zwar akzeptiert, aber als eher "unnatürlich" angesehen. Die Geschichte um Beren und Lúthien zeigt dies deutlich. Deren weitere Erben sind es (u.a. Elrond) die danach als peredhel, als 'Halbelben' gelten und wählen dürfen. Bei den irischen Sagen, wo die Elfen ja auch teilweise in menschengroßen Gestalten auftreten (und nicht alle die Flatterflügel besitzen ;-) haben sich einige Menschenmänner in Elbenfrauen ‚verloren' und dann bei ihnen in der Elfenwelt weitergelebt. Steltael, die Hexe, hat Alena in K6 bereits eine Andeutung gemacht, dass manche Elben, anhand ihrer Abstammung wählen könnten und sich von dem 'spirituellen Einfluss' ihres Volkes absagen könnten. Ja, es stimmt traurig, wenn man an die sicher ewig andauernde Trauer von Elrond, Celebrian und den anderen Elben denkt... aber manche Lebensumstände lassen manch' eine Entscheidung doch verstehen.
Der 'Sternenmond': Das Schmuckstück, es erklärt den schönen Namen 'Sternenmond' und die Metalllegierung kam von Meister Celebrimbor selbst, der diese auch am Tor von Moria verwendete. Im Film ist es ein Symbol auf Arwens Verzicht, wobei den echten Schritt macht sie erst später und bei mir liegt die Gewichtigkeit mehr auf dem des Geschenkes und einer weiteren 'Funktion', als auf der Symbolik, wobei ich nichts ausschließe ;-)
Das Märchen gibt es wirklich (Das Mädchen im Mond), aber der Ausgang ist nicht maßgebend für die Geschichte, eben nur die Tatsache.
Bedeutung von 'Ryan': Ryan bedeutet 'junger Königlicher' und den Namen gab ihm Alena gegen Ende von K2, weil er sie durch sein Benehmen und seine Bewegungen an so jemanden erinnerte. Sonst gibt es keine Bedeutung, denn er ist wirklich "nur" der Hauptmann dieser elbischen Sippe.
Erklärung zu Kapitel 8:
Die schönen Momente im Elbenlager lassen Ryan und Alena noch für eine Weile alles rundum vergessen, doch ohne es verhindern zu können holt sie die Wirklichkeit wieder ein. Ryan sieht sich daraus unausweichlich vor eine Entscheidung gestellt, doch auch andere ziehen derweilen an den Fäden ihres Schicksals...
Steltaels Worte über die irischen Elben...
... Sie sprechen mit den Bäumen, mit dem Land, mit allem das lebt und ihre mentalen Kräfte sind unvorstellbar größer, als die der darin befähigtesten Menschen. Sie können die Pflanzen nach ihrem Gutdünken formen lassen und verschwinden so auch plötzlich spurlos im Wald und manche sagen, dass die Mächtigsten unter Ihnen sogar die Zeit beeinflussen können...
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NUR EIN TRAUM
Kapitel 8: Nur ein Traum
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Alena verdrängte den Gedanken an das Märchen und wandte sich den Pferden zu.
„Welches ist nun deines?"
Zu ihnen gehend hoben diese die Köpfe, als wollten sie vor ihr zurückweichen. Ryan trat neben ein weißes Pferd und flüsterte ihm leise Worte zu und im nächsten Moment erkannte Alena, dass es genau dieses Pferd war, welches damals, an dem schicksalhaften Tag vor ihrer Koppel stand und sie danach Ryan verletzt im Gras liegend fand. Der leicht silbrigmetallische Schimmer ließ sein Fell fast schon unwirklich glänzen.
"Das ist Ellesûl und ich glaube du kennst ihn bereits", sagte Ryan mit einem andächtigen Tonfall in seiner Stimme.
Sich ihm nähernd wollte Alena das herrliche Tier sogleich streicheln, zögerte jedoch kurz, denn es hieß, sie ließen sich von Menschen nicht gerne berühren. Ryan erklärte jedoch: „Du kannst ihn gerne streicheln, ich habe es ihm erklärt."
Ungläubig blickte Alena ihn an, denn eine derart tiefe Verbindung werde sie wohl zu ihrem Pferd nie erreichen können. Mit dunklen großen Augen blickte ihr Ellesûl entgegen und schnaubte nur kurz, als ihre Hand sein Fell berührte. Es fühlte sich ungemein zart und warm an, fast wie aus feinster Seide und war von sehr kurzhaariger und dichter Struktur. Sein Körperbau war trocken und starke Sehnen umspannten die Beine des zarten, jedoch groß gebauten Pferdes.
„Ellesûl. Was bedeutet sein Name?"
„Sternenwind."
Alena grinste.
„Eure Namen sind total schön, aber kommt eigentlich überall das Wort ‚Sterne' vor?"
Schulterzuckend antwortete er ihr: „Nein, so ist es auch wieder nicht, aber wie du weißt, fühlen wir uns den Sternen verbunden und das prägt wohl auch die Namensgebung. Er heißt eigentlich ‚Ellesûl cuino-anann', das ‚Lebe-lang Sternenwind' bedeutet. Er erinnerte mich an eines meiner früheren Pferde, mit dem ich ein wichtiges Rennen gewann und er war schnell wie der Wind und in seinem Fell wurde das Leuchten der Sterne eingefangen."
Interessiert blickte sie zu ihm, während sie weiter die weichen Nüstern des Schimmels massierte und dieser dabei genüsslich die Augen schloss.
„Ein Rennen? Wie geht das? Ihr lebt doch mitten im Wald?"
„Wir haben nicht immer nur im Wald gelebt. Vor langer Zeit, als die Menschen noch ihre frühesten Ursprünge kannten und die Natur als ihre Schwester betrachteten, lebten wir zusammen, trafen ungezwungen aufeinander und unsere Schicksale waren eng miteinander verflochten. Damals war das Land zwischen unseren Gebieten noch frei und ungebunden und wir widmeten uns mehr den je den Festen und den Künsten."
Er zupfte eine weiße Blüte einer Waldhyazinthe ab, spielte damit zwischen seinen Fingern und fuhr fort.
„Du solltest unsere Heimatstätte sehen. Sie ist so prunkvoll wie eure vor einigen Jahrhunderten entstandenen Bauwerke und zugleich so fein und zart wie die von der Natur erschaffenen Werke. Doch Menschen ist es nicht gestattet sie zu betreten, schon seit langen Zeiten nicht mehr."
Alena ließ von Ellesûl ab, betrachtete die zarte Blume in seinen Fingern und dann wieder ihn.
„Wie lange lebst du schon?"
Er schien etwas über diese Frage überrascht zu sein, grinste dann jedoch schelmisch über das ganze Gesicht.
„Ich glaube du willst gar nicht wirklich wissen, wie viele Menschenjahre ich hier schon verweile."
„Oh doch, dass würde mich wirklich interessieren. Hast du schon viele Menschengenerationen mitverfolgt? Allein schon das Wissen, dass dein Volk von all diesen Zeiten haben muss."
„Das Wissen über euch liegt mit Sicherheit eher auf den der alten Tage. In letzter Zeit halten wir uns nur mehr im Verborgenen, treffen selten auf Menschen die unser Vertrauen gewinnen und kümmern uns immer weniger um euch. Eines Tages wird ohnedies kein Platz mehr für uns sein und wir werden Irland verlassen müssen, doch wohin? Das Zeitalter der Elben ist lange vorbei und eines Tages werden wir von dieser Welt entschwinden, so wie alles andere einen Anfang und ein Ende hat. Selbst wir unsterblichen Wesen leben nur so lange, wie unsere Welt existiert."
Diese düsteren Zukunftsgedanken holten Alena wieder auf den Boden der Realität zurück, doch schon sagte Ryan: „Komm, Alena, jetzt zeige ich dir einen meiner Lieblingsplätze in dieser Gegend."
°
Ryan ritt neben Alena auf dem schmalen Pfad der nach Westen führte. Aufgeregt lief Giant vor ihnen entlang und beide Pferde schnaubten genüsslich, genossen die bereits sehnsüchtig erwartete Bewegung. Alena blickte auf Ryan, der mit Ellesûl ein Bild wie eine harmonische Einheit darstellte. Aufmerksam blickten die Augen des Schimmels über den Weg und Dheas stand ihm darin um nichts nach. Ganz in elbischer Manier ließ auch sie diesmal Zaumzeug und Sattel weg und fühlte sich dabei immer wohler. Alena lächelte. Die nun lichter stehenden Bäume ließen viel Platz für eine üppige Flora am Boden und Alenas Blick schweifte verzückt umher. Langsam wurde der Wald immer freier und in der Ferne schimmerte das grelle Tageslicht.
Führt er uns etwa aus dem Wald hinaus?
Eben diese Worte gedacht, spornte er Ellesûl zu einem leichten Galopp an und Alena folgte dicht mit Dheas und beide Pferde genossen die raumgreifende Bewegung mehr denn je. Vor den letzten Baumreihen beugte sich Ryan nach vorne, blickte zu Alena und sie erkannte wieder das Leuchten in seinen Augen und mit einem Grinsen rief er: „Noro lim, Ellesûl!"
Wie eine entfesselte, geballte Energie sprengte der Schimmel aus dem Wald und vor ihnen eröffnete sich eine sanfthügelige, weite Ebene. Alena, die mit dem schwergewichtigen Dheas nicht lange die Schnelligkeit seines Pferdes halten konnte, blinzelte in dem sich ihr nun entgegenschlagenden grellen Sonnenlicht, um im nächsten Moment einfach nur zu jauchzen, sosehr hatte sie solche Augenblicke vermisst.
„Schneller, Dheas, lauf!"
Für einen Moment wirkte es, als würde der Rappe über sich hinauswachsen, so schnell flogen seine Beine über den grasbewachsenen Boden. Ryan ließ sie zu sich aufkommen, um das letzte Stück bis zur Anhöhe nebeneinander zu galoppieren. Wild schnaubend bremsten sich ihre Pferde ein und Ryan sprang ab, streckte die Hände nach ihr aus und Alena glitt langsam in seine Arme. Er wandte sich sofort der großartigen Landschaft zu, die vor ihnen ausgebreitet lag.
„Diese Weite ist einfach herrlich. Ich genieße jeden Moment, indem ich den Wald verlasse."
Vor ihnen zeigte sich eine ebene Landschaft, die in der Ferne bläulich mit dem Horizont verschmolz. Der Westwind strich ihnen warm ins Gesicht und Alena blickte auf die weißen Wolken, die sich hoch am Himmel aufbauten.
„Ein wenig weiter und wir könnten das Meer sehen."
Eine stille Sehnsucht lag in seiner Stimme.
„Ich möchte es endlich wieder sehen. Es ist so lange her, dass ich das letzte Mal am Strand war, die salzige Luft mich umspielte und die Möwen im Wind über mir tanzten."
Bei der Hand nehmend führte er sie einige Schritte weiter und ließ sich in die sommerwarme, duftende Wiese fallen. Alena tat es ihm gleich und gemeinsam lagen sie am Rücken, umringt von in allen Farben leuchtenden Blumen.
„Da oben! Sieh! Das ist doch Ellesûl!", deutete Alena belustigt in die Wolken.
„Nein, er ist doch kein ‚Wolkenwind'."
„Ach ja, ich vergaß die ‚Sterne'."
Ein leicht böser Blick streifte sie, doch sie sah sofort wieder in den Himmel.
„Du findest uns ziemlich lustig, stimmt's?"
„Nein. Ich finde nur eure Namenswahl teilweise lustig."
Er stupste sie leicht in die Seite.
„He! Frauen schlägt man nicht!"
Mehr als ein schiefes Grinsen bekam sie nicht zur Antwort.
Sie deutete wieder auf die Wolken.
„Da! Jetzt wird er immer dicker. Schön langsam wird es eher Dheas", kicherte sie weiter.
Der Schrei eines Zwergadlers ertönte hoch über ihnen am Himmel und Alena zeigte voller Aufregung auf ihn.
„Schau! Ist er nicht herrlich!"
„Ja, ein edles Tier und gar selten hier zu sehen. Ich beneide die Adler, sie können überall dorthin, wo ihre Sehnsucht sie leitet. Es muss ein herrlich freies Leben sein."
Seine Worte überraschten sie ein wenig, denn sollte sie gar darin den leisen Wunsch nach einem anderen Leben erkennen? Steltaels Erklärungen über das unsterbliche Leben und der dabei empfundene Bürde kamen ihr wieder in den Sinn.
Ihre beiden Pferde kamen immer näher zu ihnen, als würden genau hier die besseren Kräuter wachsen. Alena vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, ob sich Giant in der Nähe aufhielt und sah ihn nicht weitab gemütlich im Gras liegend.
Ryan lehnte sich seitlich und stützte seinen Kopf in die Hand. Immer noch fasziniert versuchte Alena alles Mögliche in den Wolkenformationen zu entdecken, als sie sein Blick nun doch etwas nervös machte und sie sich zu ihm drehte. Fragend sah sie ihn an. Diese stete Neugierde war eine der Eigenschaften, die er an ihr so faszinierend fand. Sie zeigte in solchen Dingen keine hemmende Zurückhaltung und vielleicht würde es in einem oder anderen Moment auch unpassend erscheinen, doch machte für ihn diese Neugierde einen großen Teil ihres lieblichen Charakter aus. Sie neigte leicht den Kopf und Ryan begann, fast auch für ihn unerwartet: „Ich glaube, ich bin in dich verliebt."
Es war so süß zu betrachten, wie sich ihre Augen weiteten.
„Glaubst du, oder weißt du es?", fragte sie leise.
„Ich weiß es."
Weiter den Kopf auf die Hand gestützt, beobachtete er ihre Reaktion.
„Ich weiß es, seit dem Augenblick, wo ich dich zum ersten Mal geküsst habe."
Ein feines Lächeln bildete sich um ihre Lippen.
„Was sollen wir jetzt machen?"
Kurz blinzelte er wegen ihrer sehr sachlichen Entgegnung.
„Ich... möchte weiter mit dir zusammen sein."
Alenas Lächeln erstarb.
„Aber... du kannst doch nicht bei mir leben und was ist mit deinem Volk... sie brauchen dich doch...?"
Genau da wollte er sie jetzt haben.
„Nicht so sehr wie ich dich brauche, Alena."
Er zog sie in seine Arme. Voller Leidenschaft war der folgende Kuss und für die nächsten Momente alles um sie herum vergessend, verbündete sich ihre fühlbare Liebe so fest, wie der in der Ferne blau schimmernde Horizont mit dem unendlich weiten Himmel.
°
Der süßliche, von Waldhyazinthen verströmte Duft, berauschte abermals ihre Empfindungen, als sie von den Pferden wieder in Richtung Lager gingen. Unzählige Bienen und Hummeln versammelten sich eifrig auf den glockenförmigen Blüten und ihre pelzigen Körper schimmerten im weichen Licht der Sonne, deren Strahlen nun bereits großzügig in die Lichtung einfielen.
Rückkehrend, betrachtete Alena zum ersten Mal bewusst das Lager, welches ihr bereits als reine Durchzugsstätte erklärt wurde. Zur Zeit trafen sie nur auf wenige Elben und Alena konnte immer noch nicht abschätzen, wie viele sich hier aufhielten. Vereinzelt huschten diesmal auch ein paar Elbenfrauen geschäftig an ihnen vorbei und deren bodenlange, mit weiten Ärmeln angefertigten Kleider, bestachten in sanften Naturfarben von Braun bis Rot. Die sehr eleganten und scheinbar durchdachten Bewegungen wirkten nun fast leicht hastig und die feinen, langen Haare, die teilweise kunstvoll verflochten waren, wehten spielerisch wie vom Sommerwind umfangen. Fasziniert blickte ihnen Alena nach und bereits sehr an Ryans elegante Art gewöhnt, bildeten Elbenfrauen die Versinnbildlichung von Grazie und Anmut für sie.
In der Mitte der Lichtung wuchs eine mächtige alte Föhre, scheinbar kurz vor dem Fall, so stark war sie nach Osten geneigt. Die Bäume ringsum strebten unversehrt gegen den Himmel und somit konnte die Ursache dieser unnatürlichen Krümmung nicht bei Wind oder Wetter gefunden werden. Wie Lianen fielen die biegsamen, belaubten Zweige der Waldreben von ihr hinab und bildeten dadurch einen schützenden Vorhang, jedoch viel lockerer als bei einem laisgar und auch verspielter wirkend. Zwischen den ringsum hohen Bäumen, die großteils auch aus Föhren bestanden, wuchsen dichte Hecken und Stauden auf deren obereben Rändern die Sonne ihre Blätter glitzernd hervorhob und diese durch die Bewegung im leichten Wind zeitweise aufblitzen ließ. Das Sonnenlicht zauberte die verschiedensten Grünschattierungen in die Lichtung und der Duft, den die Föhren hier ausströmten, erinnerte an den harzigwürzigen Geruch von Pinien am Mittelmeer. Alena blieb stehen, nahm bewusst diese herrliche, nach Urlaub riechende Luft in sich auf und schloss genüsslich die Augen. Ryan beobachtete sie berührt an seiner Seite, ließ sie sich doch immer noch von scheinbaren Nebensächlichkeiten der Natur stark beeindrucken. Ihre Seele liebte die Natur, tief verwurzelt war diese Zuneigung in ihr und mit ein Grund warum er diese Menschenfrau so sehr in sein Herz geschlossen hatte.
„Jetzt habe ich aber auch schon Hunger. Komm, wir schauen, ob wir noch etwas bekommen, denn für Frühstück ist es eigentlich schon viel zu spät."
Lächelnd zog er sie von der Mitte der Lichtung zum Rand, wo einige Wege zu kleinen Plätzen führten.
Giliath stand neben einer Elbe, die vor einem großen Haufen gepflückter Heilkräuter auf einer ausgebreiteten Decke saß und sie zu kleinen Sträußchen zusammenfügte. Giliath begrüßte sie freundlich und die Elbe hob ihren Kopf, strahle über das ganze Gesicht und ließ die Kräuter sofort fallen um ihm entgegen zu kommen.
„Ithildin!"
Alena betrachtete fasziniert die freudige Begrüßung und fühlte sich immer mehr als neugierige Beobachterin.
Elben schienen teilweise gar nicht so unterschiedlich zu Menschen zu sein, erkannte sie bei Ryans herzlicher Reaktion.
Giliath trat nun vor sie und legte seinen Arm um die schöne, dunkelhaarige Elbe an seiner Seite.
„Alena, darf ich dir meine Frau Tawariel vorstellen."
„Mae govannen, Alena", sagte die Elbe freundlich.
Wunderbar zart und weich klang ihre Stimme und Alena starrte sie total befangen an.
„Es... freut mich sehr dich kennen zu lernen, Tawariel", stotterte sie hervor.
Das dichte, wallende Haar der Elbe glänzte tiefschwarz, wie reinstes Ebenholz im Sonnenlicht und kontrastiere stark zu ihrem silbrigglänzenden Kleid.
„Und ihr habt jetzt ganz sicher Hunger", fügte Tawariel noch lächelnd hinzu.
Mehr als ein Nicken bekam Alena immer noch nicht zustande, so faszinierte sie diese Elbe.
Giliath und seine Frau brachten ihnen reichlich zu Essen und Ryan meinte belustigt zu Alena: „Kaffee gibt es hier bei uns aber keinen."
Kopfschüttelnd antwortete sie: „Ich werde nie verstehen, wie einem Kaffee nicht schmecken kann."
„Und ich werde nie verstehen, was man an Kaffee mögen kann", murmelte Ryan verächtlich als Antwort.
Die Speisen wurden wie bei einem Picknick auf einer dunklen, fein bestickten Decke ausgebreitet und die Fülle der verschiedenst gefüllten Schüsseln schienen kein Ende zu nehmen. Ryan überreichte Alena eine Art Fladenbrot, bot ihr Honig an und das verkostete Getränk stellte sich als wohlschmeckender Minzesaft heraus.
„Hm! Dieses Brot schmeckt sehr gut."
Ryan streckte sich eben genüsslich nach der Schüssel mit Walderdbeeren.
„Das wird Tawariel freuen, denn normal sind wir Männer für die Zubereitung von Speisen zuständig, nur das Brot backen die Frauen und Tawariel ist darin unschlagbar."
Ellas bog eben durch den Waldpfad herein und stürzte sich sogleich über Ryans Schüssel.
„Mm! Ich liebe Erdbeeren. Darf ich?", fragte er höflich und Ryan nickte.
„Es ist ja nett, dass du zumindest ‚danach' fragst."
Während Ellas eine nach der anderen in sich hineinstopfte, konterte er seinem Freund.
„Da redet gerade der Richtige. Wer hat denn früher immer ungefragt die Vorratskammer meiner Eltern geplündert?"
„Das war aber doch nur, weil die Lektionen deines Vaters immer so anstrengend waren und ich eben immer schon kräftiger war als du und somit mehr Hunger hatte", verteidigte sich Ryan.
„Ha! Du hast ja auch doppelt so viele Stunden gebraucht als ich."
Ryan holte tief Luft.
„Doppelt? Ich glaub' du hörst dich selbst nicht reden! Ich habe dich schon um Länge und Breite beim Bogenschießen geschlagen... da... konntest du noch nicht einmal auf ein Pferd hinauf reichen."
„Nachdem du meinen Vater ein paar Mal mit dem Ziel verwechselt hast, musstest du extra Stunden nehmen und zwar doppelt so viele als ich, kein Wunder dass du danach besser warst!"
„Ja, ja... diese Geschichte kennen wir ja alle, denn du lässt keine Gelegenheit aus, sie mir wieder ins Gedächtnis zu rufen."
Wenn Alena nicht gewusst hätte, dass es sich hier um zwei sehr gute Freunde handelte, würde sie es schön langsam mit der Angst zu tun bekommen, sosehr waren sie in ihre Diskussion vertieft.
Männer, dachte Alena, sind wohl bei allen Völkern gleich.
Sie grinste übers ganze Gesicht. Es war so süß, wie sich die beiden alten Freunde gegenseitig neckten.
Diese fröhliche Szene wurde von der Ankunft des großen Elbes von gestern jäh unterbrochen. Aeldirdhron steuerte genau auf Ryan zu und baute sich mit voller Größe vor ihm auf.
„Ithildin, i heryn a cen pedithas." (Ithildin, die Herrin will mit dir sprechen.)
Etwas überrascht blickte dieser fragend in die Runde. Keiner sagte ein Wort und er erklärte Alena die Nachricht und stand auf, um mit dem dunkelhaarigen Elb mitzugehen. Alena hatte bei seiner Reaktion irgendwie kein gutes Gefühl und fragte Ellas, während Ryan mit Aeldirdhron durch den schmalen Waldpfad verschwand: „Ist das normal, dass man vom Essen weggeholt wird?"
„Nein, und ich finde sie hätte unabhängig davon noch warten sollen."
„Aber es geht nicht anders. Er muss es erfahren", meldete sich Giliath, dessen Ausdruck nun sehr gequält wirkte.
Ellas erwiderte kopfschüttelnd: „Ja, aber Sie hätte ihm noch etwas Zeit lassen können. Zumindest bis nach dem Fest."
Giliath verließ den Platz, wandte sich im Gehen nochmals um und erklärte: „Ich werde bei der Herrin auf ihn warten", und verschwand ebenso am schmalen Pfad zwischen den Bäumen.
Ohne Genaueres zu wissen ahnte Alena nun Schreckliches.
„Ellas! Was ist hier los? Was muss Ry... Ithildin noch erfahren und was hat die Herrin damit zu tun?"
Ellas machte einen ziemlich unglücklichen Eindruck.
„Du musst wissen, dass bei dem Überfall der Orks nicht nur Ithildin verletzt wurde."
Immer besorgter sah Alena nun Ryans Freund an.
„Ich habe mir schon gedacht, dass es etwas mit diesem Tag zu tun hat."
Leise kroch ein schrecklicher Verdacht in ihr hoch. Ryan schien immer noch etwas zu verdrängen.
„Was genau ist damals passiert?", fragte Alena leise.
Ellas deutete ihr sich nochmals zu setzen und tat es ihr danach gleich.
„Die Orks wollten Tinnu, den Sohn der Königin entführen. Während wir alle das Lager vor den Angreifern beschützten und die Herrin mit ihrem Sohn in Sicherheit glaubten, wurde jedoch Aeldirdhron, der mit Tinnu unterwegs war, von einem weiteren Teil der Abtrünnigen überwältigt. Sie bekamen den Prinzen in ihre Gewalt und Ithildin kehrte eben mit seiner Familie von einem Rundgang zurück als er auf sie traf."
Alena sog hart die Luft ein und erstarrte.
‚Seine Familie...'
Ihre erschütterte Reaktion bemerkend stoppte Ellas kurz mit seiner Erzählung. Das in ihr beklemmende Gefühl ignorierend, welches ihr jetzt fast die Luft abschnürte, forderte sie ihn zum Weitersprechen auf.
„Er erkannte sofort die Situation und stellte sich den Orks entgegen. Soweit konnten wir es rekonstruieren, denn, wie alles geschah, wissen wir nicht genau und ich wollte ihn erst später darauf ansprechen. Wir haben nur die kurze Schilderung von Aeldirdhron, der bald darauf wieder zu sich kam und zu der Stelle lief. Ithildin beschütze Tinnu in dem er ihn bei der Klippe für die Orks unerreichbar versteckte, wurde dann selbst verletzt, wahrscheinlich, als er seine Familie retten wollte und als wir vor Ort zur Klippe kamen...", nach Worten ringend blickte er kurz zu den Baumspitzen hoch um danach mit einem wehmütigen Ausdruck den weiteren Ablauf zu schildern, „... fanden wir Lothreniël und die kleine Menelren tot am Boden des Abgrunds liegen und keine weitere Spur von Ithildin. Nur Aeldirdhron sah ihn kurz zuvor mit den Orks verschwinden und fand an dieser Stelle seinen ‚Sternenmond'. Wir alle wussten, dass Orks niemanden am Leben ließen..."
Wie erstarrt vernahm Alena die Worte dieser tragischen Ereignisse. Es war so furchtbar, dies mit anzuhören und sie dachte nur an Ryan, der dies alles nun erfahren würde. Der für sie zuvor schockierenden Nachricht über seine Frau und Kind, wich ein betäubendes Gefühl der Ohnmacht, ihm bei diesem schrecklichen Leid kaum helfen zu können. Sie atmete schnell, blickte in die traurigen blauen Augen von Ellas und stotterte: „Aber... aber er weiß es bereits... er hat davon geträumt. Er erzählte mir von einer Frau und einem Kind, die nach ihm riefen und er konnte sie nicht erreichen... das... das ist so schrecklich!"
Ihr Gesicht in den Händen verbergend kämpfte sie gegen die ohnmächtige Panik ihrer Gefühle. Jäh stand sie auf und sagte mit fester Stimme: „Ellas, ich will zu ihm. Ich will zumindest für ihn da sein, wenn er mich braucht."
Er nickte und aufstehend fügte er hinzu: „Komm, wir warten bei der Herrin auf ihn und ich erzähle dir später weiter."
°
Ryan betrat das laisgar seiner Elbenherrin und setzte sich auf ihr Zeichen auf eine der erhöht eingerichteten Sitzgelegenheiten aus fellüberlegtem Holz. Aeldirdhron verließ nach einem weiteren Wink der Königin das laisgar. Ryan wartete, bis Aeleniëll zu sprechen begann, blickte sich derweilen in dem Raum um.
Wegen der Reise waren hier nur spärlich einige Gegenstände mitgebracht worden, doch sah er bekannte Dinge von denen er wusste, dass sie seine Herrin liebte. Neben prunkvollen Stoffen, die auch die Wände ihres laisgar zierten, stand eine kleine, kostbar erscheinende Pferdefigur neben dem Wasserkrug auf einer reich verzierten Truhe. Diese betrachtend huschte ein leises Lächeln über Ryans Lippen und schon vernahm er, wie erwartet, die Worte der Königin.
„Du bist immer noch stolz darauf, stimmt's?"
Fragend blickte er zu ihr und sie erwiderte: „Tu nicht so unschuldig. Ich hatte bis dahin noch nie ein Rennen verloren und dann kamst du und nun steht hier eine graue Mearh-Statue und die einzige weiße, die ich jemals nicht gewann, schmückt dein Haus, Ithildin."
„Mein erster Ellesûl konnte nicht geschlagen werden. Es war nicht deine Unfähigkeit gegen ein Pferd mit Mearas-Blut zu verlieren."
„Ich betrachte es aber auch weiterhin als mein persönliches Versagen und ich hätte dir so gerne Ellesûl als Preis abgenommen", sagte sie nun mit fast schon strengem Ton.
Ryan ging darauf jedoch nicht ein.
„Wenn ich damals schon deine heryn gewesen wäre, hättest du ihn beim Rennen gezügelt?"
Ein kurzes Schweigen folgte und mit einem weiteren leichten Schmunzeln erwiderte er schlicht: „Nein."
„Ich wusste es! Habe ich es endlich aus dir herausbekommen", stürmte es fast schon überschwänglich aus ihr heraus.
„Aber nun zu etwas anderen, Ithildin."
Ihr Blick änderte sich abrupt zu einem sorgevollen und Ryan fühlte sich etwas unbehaglich und blickte unwillkürlich zum Ausgang, wo das Sonnenlicht nun in feinen sichtbar gewordenen Strahlen in den Raum drang.
„Ithildin", ihre Stimme war nun sanft, „ich muss mit dir über den Tag des Orküberfalls sprechen. Es gibt da noch etwas, dass du nicht mehr zu wissen scheinst."
Er blickte abermals zum Ausgang, sprach dann in gewählt ruhigen Worten zu ihr.
„Ich weiß wieder alles über diesen Tag. Man braucht mir nichts mehr zu erzählen."
Forschend blickte sie nun in seine Augen.
„Das glaube ich dir nicht, Ithildin und darum werde ich dir helfen."
Sein Blick wurde hart.
„Nein, tue es nicht", sagte er mit einer Strenge in seinem Tonfall, der die Königin aufhorchen ließ.
„Willst du mir befehlen?", fragte sie nun mit königlicher Stimme.
Ryan senkte leicht den Kopf.
„Nein, Aeleniëll. Ich bitte dich darum es nicht zu tun."
Der herrschende Ausdruck der Königin glitt in einen verständnisvollen, fast traurigen hinüber.
„Ich kann dieser Bitte nicht nachkommen, denn es wäre falsch, die Dinge, die geschehen sind vor dir zu verbergen."
„Wer sagt, dass ich es nicht schon längst weiß und es obliegt mir, wie ich damit umgehe."
„Mir ist bewusst, dass du es weißt, doch wehrt sich dein Innerstes noch mit aller Kraft dagegen und das kann ich nicht zulassen. Ich will meinen alten hanan zurück! Ich erkenne dich nicht wieder! Den anderen ergeht es ebenso."
Ryan wandte seinen Kopf ab, schloss die Augen.
„Aber ich will das nicht..."
Aeleniëll schritt vor ihn und mit einem tiefen Verständnis in ihrer Stimme nahm sie seine Hand.
„Es ist nicht immer gut nur das zu tun, das sein Herz einem zuflüstert. Die Akzeptanz der Wahrheit weist dir erst den Weg für einen klaren Blick zu deinem Herzen. Erst danach kannst du deine Wahl treffen, wie auch immer diese aussehen mag."
°
Aeldirdhron und Giliath standen vor dem Eingang des königlichen laisgar, als sich Ellas mit Alena in deren Nähe aufstellten um gemeinsam zu warten. Keiner sprach ein Wort und sie musste ihre Ungeduld sehr stark im Zaum halten. Nur spärlich gelang ihr dies, blickte nervös von einem zum anderen, verstand deren Ruhe absolut nicht und konnte nur an Ryan denken und was er jetzt wohl durchmachte. Ellas bedachte Aeldirdhron mit einem strengen Blick, den dieser gekonnt ignorierte. Fast ausdruckslos zeigten sich die Gesichtszüge des großen Elbes, bis er und Giliath schnell zur Seite sprangen, um den aus dem laisgar herausstürmenden Ryan auszuweichen. Sie alle erblickend ging er kurz zu Giliath, der näher stand und sagte ihm, er solle auf Alena achten, er komme bald wieder zurück. Giliath blickte zu ihr und sie wollte eben auf Ryan zugehen, als dieser mit schnellen Schritten und wehendem Umhang davoneilte.
„Ryan...!"
Alena lief im nach, doch Ellas hielt sie schnell auf.
„Warte! Lass ihn gehen!"
Erschrocken über seinen festen Griff drehte sie sich zu ihm um.
„Lass mich los! Ich will zu ihm!"
Alena befreite sich und lief Ryan nach, der den Weg zur großen Lichtung einschlug.
„Nein!", rief Ellas mit strengem Tonfall, der Alena erschreckte und er packte sie nochmals am Arm.
Sie vergaß wie schnell Elben sein konnten.
„Bleib hier. Er wollte es so", sagte er nun leiser und verständnisvoll.
Alena sah Ryan nun entgültig zwischen den Bäumen verschwinden.
„Ellas!", flehte sie mit nun tränenerstickter Stimme.
„Wir müssen ihm helfen! Da kann er doch nicht alleine durch!"
„Er wird bald wieder kommen und ich will noch einiges über seine Rettung von dir wissen, bitte!"
Alena blickte in seine Augen und schluckte.
„Gut, ich bleibe."
Sein Griff lockerte sich und ließ sie damit frei.
„Komm, gehen wir ein Stück am Weg entlang. Weiter westlich wird der Wald immer lichter und zeigt eine große Fülle von Blüten um diese Jahreszeit."
Diese interessierten Alena zur Zeit gar nicht und bei Ellas' weiteren Worten, wurde ihr schwer ums Herz.
„Er hat schon soviel durchgemacht. Seine Eltern starben viel zu früh, gerade als Giliath einen Sommer alt war und Ithildin wurde für ihn dadurch fast mehr ein Vater als ein Bruder und leider kamen noch weitere Schicksalsschläge, die, wie wir alle hofften, sich nie mehr wiederholen würden. Du musst verstehen, dass für uns Elben der Tod nur eine ferne Möglichkeit bleibt. Er ist nicht so fest in unseren Gedanken verankert wie bei euch Menschen, wo er unabdingbar, ja fast zum Greifen nahe ist und ihr euch ein Leben lang darauf vorbereitet. Für uns ist er keine Gewissheit und er trifft so selten ein und wenn, dann kommt es vor, dass er viele Leben voller Verzweiflung mit sich reißt."
Nach einer kleinen Pause fuhr er weiter fort.
„Ich kenne Ithildin schon lange und er ist stark, aber jeder hat seine Grenzen und es würde mich nicht verwundern, wenn er seine nun erreicht hat, für eine Weile zumindest. Er wird bald wieder kommen. Lass ihm etwas Zeit."
Aber gerade die habe ich doch nicht, dachte Alena verzweifelt.
„Ihr zieht doch bald wieder weiter und ich werde ihn nie wieder sehen, ich... ich wollte ihm doch noch helfen. Er sollte jetzt nicht alleine sein."
Resigniert blickte sie über die dichtstehenden Waldmeisterblüten, die den Boden hier überfüllend mit ihren gelben Blüten bedeckten. Ellas hatte nicht übertrieben und die Vielfalt an blühenden Arten war selbst für sie als Biologin überraschend. Trotzdem war sie mit Ellas Worten nicht ganz einverstanden.
„Bei uns Menschen möge der Tod vorbestimmt sein, aber glaube mir, wenn er jemanden trifft den du kennst, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sich unser Leiden auch nur im Geringsten von eurem unterscheidet."
Erstaunt blickte er sie an.
„Ich kann mich wohl nicht so gut in Menschen hineinversetzen, verzeih, wenn ich meine Worte ohne Bedacht wählte. Aber ihr seid so verschieden, jeder so tiefgründig und anders, dass man euch selbst nach tausenden von Jahren immer noch nicht zu kennen scheint."
Sein überraschtes Gesicht lenkte Alena ein wenig aus ihren Gedanken.
„Das mag sein, wobei wir uns doch alle nur das eine wünschen... glücklich zu sein. Dies ist sicher eine feste Gemeinsamkeit unserer beiden Völker."
„Es überrascht mich auch, dass Ithildin sich so sehr verändert hat. Was habt ihr Menschen nur an euch, dass das geschehen konnte? Ich kenne ihn schon so lange."
„Ich kann dir diese Frage nicht beantworten, außer, dass ich alles tun würde um ihm zu helfen. Aber... du wolltest doch etwas von dem Tag wissen, als ich Ryan fand. Es war genau in der Mittsommernacht, als Ellesûl bei mir auftauchte und Ryan verletzt von seinem Rücken glitt."
Ellas nickte.
„Erst zur Mittsommernacht. Dann wird mir einiges klar. Wir bemerkten zu spät, dass Ellesûl weg war. Zuerst dachten wir, die Orks hätten ihn mitgenommen, wegen seiner legendären Abstammung, doch in Wahrheit wollte er seinen Freund retten. Im Innersten meines Herzens hoffte ich auf dieses Wunder und wir suchten ein großes Gebiet ab, wo wir die Orks vermuteten. Doch drei Tage später fanden wir Ithildins Pferd und er sah nicht gut aus. Die Orks hatten Ellesûl verletzt und das gab uns eine arge Gewissheit. Wir hätten auch nie vermutet, dass er ihn ausgerechnet zu Menschen bringen würde, wenn du verstehst, wie ich das meine. Er ließ sich zeitlebens von keinem berühren."
Nachdenklich fuhr er fort: „Ithildin musste es irgendwie mit Ellesûls Mithilfe geschafft haben den Orks zu entkommen. Das kann auch nur er schaffen", fügte er fast schon mit einem leichten Lächeln hinzu.
„Er war in keiner guten Verfassung, als ich ihn fand. Vielleicht war Ellesûl damals jede Hilfe recht und brachte ihn darum zu mir... zu einem Menschen?", meinte Alena.
„Ganz sicher werden wir uns über all das nie sein können. Der Frieden mit den Orks wurde wieder hergestellt und wir hoffen, so einen Vorfall nie wieder erleben zu müssen."
Alena erzählte Ellas noch von ihren weiteren Erlebnissen mit Ryan und auch von Steltael, die bereits als Kind einmal einer Elbe begegnete und ihnen sehr geholfen hatte. Nachdenklich traten beide wieder den Rückweg an.
°
Hoffnungsvoll blickte Alena über die große Lichtung, als sie und Ellas wieder zum Hauptplatz des Lagers zurückkehrten. Giliath stand neben Elmaethor und Tawariel und alle redeten konzentriert auf ein kleines Mädchen ein, die etwas in ihren Händen hielt. Elmaethor begrüßte die Herannahenden freundlich und das Mädchen blickte ebenso hoch und mit leuchteten Augen plauderte sie sofort auf Ellas ein, bemerkte vorerst den fremden Gast noch nicht. Sich neben Giliath stellend beobachte Alena die Szene, betrachtete gerührt, wie aufmerksam alle dem kleinen Mädchen zuhörten, die jetzt ihre Hände öffnete und den Inhalt in Ellas Hände legte. Er wandte sich damit an Alena.
„Éleg hat einen jungen Vogel gefunden. Er ist leicht verletzt."
Alena betrachtet das kleine Vögelchen in seinen Händen.
„Oh! Das ist ein junger Waldlaubsänger! Aber er scheint schon alt genug zu sein um durchzukommen."
Er übergab ihn Elmaethor, der hier als der Tierexperte galt, wie er Alena erklärte. Neugierig musterte Éleg Alena nun von oben bis unten.
„Oman tolach?", fragte die Kleine.
„Sie fragt, woher du kommst", übersetzte Giliath.
„Ich wohne auch hier im Wald und passe auf die Tiere und Bäume auf."
Als Éleg die Übersetzung vernahm, nickte sie zustimmend mit dem Kopf.
„Dâf annan cen, dorthach go men sí." (Dann darfst du bei uns bleiben.)
Giliath sagte ihr den Satz auf Englisch und lächelnd erwiderte Alena: „Hannon le. Es ist sehr nett von dir. Ich freue mich auch sehr hier bei euch sein zu dürfen."
Giliath legte eine Hand auf Élegs Schulter.
„Und das hier, ist unsere kleine Elarinya. Wir nennen sie alle aber nur ‚Éleg'."
Die Genannte lächelte sie nochmals mit neugierigen Augen an. Bei dem Klang dieses Namens fand sie zu einem zaghaften Lächeln.
„Wartet. Lasst mich raten. Ihr Name hat etwas mit den Sternen zu tun?"
Alle blickten erstaunt auf sie und Ellas meinte: „Du beginnst anscheinend schon unsere Sprache zu verstehen, denn ihr Name bedeutet ‚Sternchen' und Elarinya ‚Morgenstern'."
Alena freute sich über diese Anerkennung und tastete heimlich nach dem, unter ihrem Pulli verborgenen, ‚Sternenmond'.
Tawariel nahm nun Alena völlig in Besitz und erklärte ihr, dass sie für das Fest heute noch einiges vorzubereiten hätten und wenn sie wollte, könnte sie etwas mithelfen. An das Fest hatte Alena gar nicht mehr gedacht und alles zog sich wieder in ihr zusammen, als ihr Blick hoffnungsvoll über die Lichtung zu dem Hauptpfad schweifte, dass Ryan jeden Moment dort auftauchen würde. Tawariel bemerkte dies und sagte: „Komm, wir fertigen jetzt den Blumenschmuck und du wirst sehen, wie schnell die Zeit vergehen wird."
Dankbar nahm Alena diese Ablenkung entgegen. Tawariel brachte einen großen Korb voller bunter Blüten und schüttete sie über einen provisorisch angelegten Tisch aus zusammengefügten dünneren Stämmen, die mit einer dicken Decke überlegt waren. Éleg saß die ganze Zeit neben ihnen und beobachte jede Bewegung von Alena. Fast kam es ihr so vor, als wäre sie ein Studienobjekt von ihr. Leise flüsterte sie zu Tawariel geneigt, die ihr eben das kunstvolle Zusammenflechten der Blüten beibrachte.
„Meinst du, sie mag' mich nicht?"
Tawariel reichte ihr ein paar blaue Flockenblumen. Noch immer beobachteten sie zwei große Kinderaugen.
„Wie kommst du auf das?"
„Sie beobachtet mich die ganze Zeit so ernst."
Überrascht blickte die Mutter zu ihrem Mädchen, meinte jedoch dann: „Sie war immer schon sehr neugierig und kann sich stundenlang auf eine Sache konzentrieren. Als sie noch ganz jung war, wollte sie schon immer alles wissen."
Zu ihr gewandt, flüsterte er mit gespielt panischer Miene: „Das ließ auch schon öfter Mal Onkel Ithildin zum Verzweifeln bringen."
Sogleich bereute sie ihre Bemerkung.
„Es tut mir leid, du hast es ja eben erst erfahren."
Alena schüttelte den Kopf.
„Es ist schon gut und um mich mache dir keine Sorgen. Ich kann nicht aufhören daran zu denken, wie es Ithildin jetzt geht."
„Er wird sicher mit Ellesûl unterwegs sein und spätestens zum Fest ist er zurück."
Noch weitere Blüten in den Kranz flechtend, fragte Alena: „Wie alt war seine Tochter?"
Tawariel stoppte mit dem farblichen Sortieren der Blüten und sah in Alenas sorgenvolles Gesicht.
„Wir legen nicht so eine hohe Bedeutung auf unser Alter, wie ihr es zu machen scheint und dies überrascht mich bei euch immer wieder. Aber... seine Tochter war um zwei Sommer jünger als Éleg und sie feiert ihren siebzehnten Zeugungstag in wenigen Monden, wenn man ihn nach menschlichen Maßstäben berechnet."
„Siebzehn? Das meinst du jetzt nicht ernst."
Alena schielte auf Éleg, die sich in der Zwischenzeit ebenso mit dem Flechten der Blumen beschäftigte und auf sie kaum älter als sechs Jahre wirkte. Tawariel lächelte.
„Du musst wissen, dass sich unsere Kinder anders als menschliche entwickeln. Geistig reifen sie schneller, aber körperlich brauchen sie rund fünfzig Jahre, wo ihr um die zwanzig benötigt."
Nun war es an Alena das vermeintliche ‚Kind' neugierig zu beobachten. Die Bewegungen ihrer kleinen Finger wirkten beim Zusammenfügen der Blütenstängel sehr routiniert und flink. Ihr viel jetzt auch die tiefe Konzentration auf, die sie in ihre Arbeit legte und dies waren nicht gerade die typischen Eigenschaften einer normalen Sechsjährigen, wenn es nicht ein Spiel betraf.
„Es gibt also doch einige greifbare Unterschiede zwischen uns."
Ellas näherte sich mit einigen Elbenfrauen und stellte einen weiteren, gefüllten Weidenkorb vor ihnen auf den Tisch und verabschiedete sich sogleich wieder freundlich. Überall im Lager begann nun eine stärkere Geschäftigkeit und die Elbenfrauen, die zu ihnen gekommen waren, begrüßten Alena mit neugierigen Blicken. Tawariel übersetzte fast alle Gespräche und einige sprachen auch Englisch und für einige Zeit, wurde dies zu einer wohltuenden Ablenkung für Alena.
°
Alena wurde erst spät bewusst, dass der Tag schon weit fortgeschritten war. Die nun auf die Lichtung bereits schräg einfallende Abendsonne zeigte ihr, dass sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte und erinnerte sie jäh an eine dazu geschriebene Stelle in ihrem Sagenbuch, wo es jeden Menschen so erging der sich eine Weile bei Elben aufhielt. Unwillkürlich griff sie wieder auf den ‚Sternenmond', den vorhin auch Tawariel an ihr entdeckte und sie überrascht darauf ansprach, ob Ithildin ihn ihr geschenkt hätte.
„Ja", hatte Alena darauf geantwortet und konnte ihre Reaktion nicht ganz verstehen.
Sie blickte wieder zum Ausgang.
„Er wird bald wieder kommen und darum werden wir dich jetzt wie eine von uns einkleiden und schmücken."
Erstaunt drehte sich Alena zu ihr und sah die grenzenlose Sanftmut in ihren herrlich grüngrauen Augen. Was sollte sie sonst machen so lange sie auf ihn wartete und nach einem weiteren Blick auf ihr wallendes, silberfarbenes Kleid, nickte sie als Zeichen ihres Einverständnisses.
Wie einer liebevollen Freundin wurde ihr ein zartweinrotes Kleid anprobiert, dessen Rock in traumhaften Wogen an ihr herabfiel. Die typischen, sich nach unten weitendenden Ärmel, fügten sich harmonisch in dieses für Alena traumhafte Gesamtbild ein. Der Stoff glitt samtigweich unter ihren Händen und umspielte schmeichelnd ihre schlanken Beine. Was würde sie jetzt für einen großen Spiegel geben, aber immerhin besaßen die Elbenfrauen einen kleinen für die Reise, der, so erklärten sie, einst ein Geschenk einer ihnen wohlgesonnenen Menschfrau war. In ihr Haar wurden Blüten mit gleicher Farbe geflochten und sie bekam nicht nur einmal ein Lob über ihre wallenden Locken zugesprochen.
Entzückt stand Tawariel jetzt vor ihr und meinte: „Alena... würden wir es nicht besser wissen, dann würde ein Fremder dich als Elbe verwechseln."
Ganz tief nahm sie dieses wundervolle Kompliment in sich auf und wären nicht die traurigen Gedanken an Ryan gewesen, wäre dies heute einer ihrer glücklichsten Tage.
„Wir müssen nur noch eine kleine Änderung in der Länge vornehmen, danach passt es perfekt", erklärte Tawariel fachmännisch und Alena musste zu ihrem Bedauern dieses wunderschöne Kleid nochmals ablegen.
°
Die Vorbereitungen für das Fest waren fast abgeschlossen und viele Elben befanden sich nun auf der Lichtung rund um die alte, schrägwachsende Föhre, die hier wie eine stille Königin thronte. Tawariel hatte ihr erklärt, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit alle zum See hinunter gingen, wo das eigentliche Fest stattfinden würde. Die beiden Frauen lehnten an dem Tisch und Tawariel versuchte abermals Alena aus ihren traurigen Gedanken an Ryan zu reißen.
„Giliath hat erwähnt, dass du zu den Naturschützerinnen gehörst? Das dies deine Berufung ist, die du in der Menschenwelt erfüllst?"
„Ja, ich bin eine Biologin und sehe mich damit auch in der Rolle einer Naturschützerin."
„Wir haben verwandte Herzen, du und wir Elben."
Fragend sah Alena sie an und lächelnd erklärte diese weiter.
„In den zuletzt vergangenen Zeiten haben wir unsere Kräfte immer mehr für die Natur verwendet. Wir versuchen zu heilen, was die Zeit zerstört und wo wir uns länger aufhalten wird es wieder so, wie es früher einmal war."
Betrübt senkte Alena den Kopf.
„Du meinst, ihr heilt, was wir Menschen zerstören."
„Es ist der Lauf der Zeit und ich bin eine von denen, die euch nicht alles vorwirft, was ihr in eurem kurzen Leben macht. Doch... ja, eine gewisse Schuld trägt ihr jetzt schon, denn es ist euch nun bewusst geworden, was ihr der Natur antut."
„Es gibt viele unter uns, die dies bereits bekämpfen und die Stimmen werden immer lauter. Nur leider ist es manchmal ein aussichtsloser Kampf."
Plötzlich stand die Königin vor ihnen und an Tawariels überraschten Ausdruck erkannte Alena, dass auch sie ihr rasches Kommen nicht bemerkt hatte. Die Elbenherrin wandte sich direkt an Alena, sprach etwas zu ihr und Tawariel übersetzte.
„Was macht ihr Menschen aus unserer Welt? Ihr seid so aus eurem Gleichgewicht und euer Lebensstandard ist so nahe an einem Alptraum, dass wir sicher sind, ihr alle müsstet schlafen. Die mystischen Dimensionen des Lebens scheinen im rationalen Denken der heutigen Menschen verloren gegangen zu sein. Ihr habt die Geister vergessen, die euch Respekt vor der Natur lehrten, denn diese Gesetze dürfen nicht verletzt werden. Ihr habt keine Empfindungen mehr für die Botschaften, die euch die Natur vermittelt und trotz eurer Moderne, seid ihr immer noch ein Teil dieser Welt und habt eure Aufgabe im Kreis des Lebens zu erfüllen."
Alena wusste nicht genau, was sie darauf erwidern sollte. Die Augen der Königin versprühten keinen Hass, im Gegenteil. Es kam ihr so vor, als läge darin Mitleid. Mitleid, über die Unfähigkeit der Menschen ihre eigene Welt zu beschützen. Wie erstarrt stand sie vor ihr und das Schweigen ringsum wurde ihr nun deutlich bewusst.
An Tawariel gewandt antwortete sie: „Sag' ihr bitte, dass ich ihre Worte verstehe und ihr recht gebe. Es gibt jedoch immer mehr Menschen, die eine Lösung für diese Dinge erarbeiten und ich selbst hoffe aus ganzem Herzen, dass es nicht bereits zu spät ist."
Nach der Übersetzung nickte die Königin und freundlich lächelnd fügte sie hinzu: „Dann besteht immer noch Hoffnung für uns alle."
Sie ging mit Tinnu weiter zu einem der angrenzenden Pfande.
Aeldirdhron trat nun vor Alena, blickte beinahe arrogant auf sie hinab und sagte in ihrer Sprache: „Ihr habt noch nie aus eurer Geschichte gelernt. Unser Volk hat dies seit tausenden eurer Generationen beobachtet und immer wieder wurden unsere Hoffnungen zerschlagen. Eines Tages trägt ihr die alleinige Schuld am Ende unserer Welt."
Fast schon bedrohlich schlugen seine Worte Alena entgegen. Er rückte noch etwas näher zu ihr und sie sah in seine dunklen, grauen Augen.
„Es gab Zeiten, da lebten wir mit euch zusammen, aber jetzt haben wir nichts mehr mit euch zu tun, seit ihr die Natur und damit uns alle zu zerstören begonnen habt..."
Plötzlich wurden Aeldirdhrons Anschuldigungen von einer bedrohlich klingenden Stimme unterbrochen.
„Wenn du es noch einmal wagst, sie für die Taten der Menschen verantwortlich zu machen, dann vergesse ich das leidige Versprechen, dass mir einst dein Vater abgerungen hat."
Der größere Elb zuckte leicht zusammen, als er danach in Ryans Gesicht blickte. Er wandte sich ab und schritt mit wallendem Gewand davon.
Alena schluckte.
Ryan war wieder hier und rundum begann ein bedrückendes Schweigen über diesen ausgearteten Vorfall. Kaum noch vernahm sie Tawariels Worte.
„Du musst Aeldirdhron verzeihen. Er hatte nie gute Erfahrungen mit Menschen gemacht."
Doch Alena hörte ihre weiteren Worte nicht mehr. Sie sah nur mehr Ryan, kämpfte gegen ihre im Inneren abermals schmerzhaft erwachenden Gefühle und trat auf ihn zu.
„Ithildin", flüsterte sie, sich schön langsam an seinen echten Namen gewöhnend, „es ist schön, dass du wieder zurück bist."
Sie wollte ihn in die Arme nehmen, hielt sich jedoch zurück, denn er wirkte, wie von ihr erwartet, sehr verändert. Kurz streifte sein Blick den ihrigen und sie las den darin zurückgehaltenen Schmerz. Giliath und die anderen unterbrachen diesen Moment und umringten ihren Freund, sprachen mit ihren Worten und Alena fühlte sich kurz wieder wie eine Fremde, wie jemand, der nicht hier her gehörte, der wohl nie völlig zu ihnen gehören konnte. Eine Hand legte sich tröstend auf ihre Schulter und als sie sich umdrehte, erblickte sie Tawariel, die sie mit ihren gutmütigen Augen ansah und sie sanft zum Rande der Lichtung führte.
„Komm, wir werden jetzt unsere Kleider anziehen, Lostithenniel wird deines sicher bereits fertig geändert haben, sie ist die Geschickteste mit Nadel und Faden bei uns."
Noch einmal blickte sie zu Ryan zurück, der sich ebenso, in diesem Moment zu ihr umdrehte.
°
Nachdem die beiden Frauen ihre Kleider angelegt hatten und Tawariel nochmals Alenas Haare kunstvoll verzierte, trafen sie sich mit den anderen auf der Lichtung. Die dort wartenden Elbenfrauen waren über Alenas verwandelnde Schönheit sehr verzückt und beschenkten sie mit reichlichen Komplimenten. Ihre großteils hellfarbigen Kleider wogen sanft bei jeder ihrer eleganten Bewegungen. Jede nahm eine der leuchtenden Elbenlampen und Tawariel erklärte ihr, die Männer würden bereits unten am See warteten.
Im Hintergrund hörte man leise, einschmeichelnde Gesänge und Alena begann wieder deren Zauber zu erliegen. An einigen Wachen am Weg zum See vorbeigekommen, lag dieser nun im nächtlichen Glanz vor ihnen. Alena hielt den Atem an. Fein verflochtene Blumengirlanden säumten den Weg und das Ufer, allesamt an in sich verschlungene, keltische Knoten erinnernd. Die Bäume um den See waren mit unzählbaren kleinen Bändchen geschmückt und reflektierten den zarten Lichtschein der angebrachten Lampen. Wie Sternenstaub funkelten sie über dem dunklen Wasser des großen, alten Sees und der abermalige Vergleich mit einer Zauberwelt drängte sich Alena auf. Ruhig erklangen weitere Lieder, teilweise von Einzelstimmen vorgetragen und von Harfenklängen begleitet. Der ihr nun entgegenströmende süßliche Duft vertrieb fast ihre, bis vorhin anhaftende, traurige Stimmung. Ohne es zu wollen, begannen Alenas Gedanken abzuschweifen und sie ließ sich einfach dahintreiben, wie die hunderten von Glühwürmchen, die neben ihnen das Seeufer durchstreiften.
Berauscht von diesen unwirklichen Eindrücken, kam sie mit den Frauen zum Festplatz und suchte unter den dort wartenden Männern nach Ryan. Deren Gewänder waren für diesen Anlass passend festlich reich verziert und viele trugen Roben mit auffallend silberfarbenen Mustern. Die langen Haare der Männer waren aufwendig verflochten, behielten jedoch eine gewisse Schlichtheit gegenüber den kunstvoll hergerichteten Haaren der Elbenfrauen.
Sie konnte Ryan nicht entdecken, doch schon begann die Herrin das Fest zu eröffnen und sprach mit ihrer schönen klaren Stimme zu den Elben. Alena ließ ihren Blick über die am Ufer versammelten Elben streifen. Sie kam zu einer Schätzung von rund sechzig Elben, war sich jedoch nicht sicher.
Zuerst unauffällig und dann immer schneller, erlosch eine Lampe nach der anderen und gab damit den Blick auf den Himmel frei, der sich ihnen hoch über dem See, in all seiner Sternenpracht eröffnete. Ein andächtiges Schweigen folgte dem leisen Gemurmel der Menge und nach einem scheinbar langen, ruhigen Moment, stimmte sich wieder gefühlvoller Gesang aus dem Hintergrund ein. Auf diesen Wogen der Empfindung schwebend blickte sie wie die Elben in das funkelnde Leuchten der Sterne und meinte deren ausströmende Kraft zu spüren.
Erst spät vernahm sie, dass sich jemand ihr genähert hatte. Sie wandte sich um und blickte in die dunklen Augen von Ryan. Er legte einen Arm um ihre Taille und drehte sie wieder vor sich, um noch für eine Weile das Himmelsschauspiel zu beobachten, denn die Klarheit der Sterne war heute umwerfender denn je.
Langsam begonnen die Lampen wieder den kleinen Platz am südlichen Uferrand des Sees zu erhellen und die Menge lockerte sich vereinzelt auf. Die Musik stimmte jetzt in weit fröhlichere, lebendigere Darbietungen ein.
Schweigend geleitete sie Ryan zu den reichlich dargebotenen Speisen und sie merkte die respektvollen Grüße an sie und Ryan. Sein Haar war wie das der anderen Elben mit mehreren Strähnen verflochten und seine dunkelsilbrig glänzende Robe zeigte sich edel, mit zahlreichen geschwungenen Mustern bestickt. Sein Blick glitt über Alena die in ihrem weinroten Kleid wie ein Traum zu sein schien.
„Du siehst wie eine wunderschöne Elbe aus", flüsterte er und Alena wusste, dass dieses Kompliment zur Zeit noch viel mehr aussagte, als es schien.
„Hannon le", antwortete sie leise und hätte ihm auch noch gerne gesagt, wie ungemein edel er heute auch auf sie wirkte.
Doch sie ließ es. Er nahm den um ihren Hals hängenden ‚Sternenmond' zwischen die Finger.
„Hast du es schon bemerkt? Das Sternenlicht bringt ihn ein wenig zum Leuchten. Bei Mondschein ist es intensiver."
Alena blickt auf das Schmuckstück. In der silbrigen Mondsichel glänzte ein kunstvoll verzierter Stern mit leichten bläulichweißen Strahlen.
„Wunderschön. Alles ist so wunderschön bei euch."
Lustiges Treiben begann unter den Elben und das eine oder andere schwungvolle Lachen mischte sich unter die schon fast aufregend klingenden Gespräche. Auf Tawariel und Giliath treffend erzählte Alena der, mittlerweile wie eine Freundin für sie gewordene Elbe, von den für sie berauschenden Eindrücken von diesem Fest. Éleg stieß zu ihnen und Ryan erblickend lief sie ungestüm auf ihn zu.
„Ithildin!"
Er fing sie vor sich haltend auf.
„Éleg", flüsterte er und jeder herum bemerkte die damit verbundene schmerzliche Erinnerung, welche die beste Freundin seiner Tochter hervorrief. Tawariel zog ihre Tochter zu sich. Die Trauer über deren Freundin war längst noch nicht überwunden, doch freute sich Éleg über die Rückkehr ihres Onkels in Übermaßen. Alena wollte ihn so gerne vor alle dem beschützen, seinen Schmerz teilen und ihre derzeitige Unfähigkeit dessen, schnürte in ihr alles zusammen.
Der Platz beim Ufer in der Mitte wurde frei gemacht und im nächsten Moment versammelte sich eine kleine Gruppe und stimmte in einen zauberhaft choreographierten Tanz ein. Fast schwebend folgte eine Bewegung der anderen und die weitsäumigen, leichten Kleider tanzten im wechselnden Rhythmus der leisen Musikklänge. Alena erkannte in der Choreografie eine Art von Erzählung, fast schon an menschliche Ballettaufführungen erinnernd, doch leider war es bereits wieder vorbei. Nun begann eine Art freier Tanz, bei dem sich fast alle hinzugesellten.
Alena blickte zu Ryan, denn sie ahnte, dass dies nun schmerzliche Erinnerungen in ihm hervorbringen würde. Er stand immer noch schweigend hinter ihr und sie suchte seinen Blick. Wie aus weiter Ferne sah er sie an und sagte leise: „Ich... möchte gehen, bitte verzeih mir!"
Alena wollte ihm noch sagen, dass sie ihm verstand und schon alleine zurecht kam, doch war er eilenden Schrittes schon in Richtung Lager unterwegs.
°
Alena erwachte am nächsten Morgen und ihre Hoffnung, heute Ryan auch wieder in ihrem laisgar zu entdecken, wurde nicht erfüllt. Die ganze Traurigkeit über die Erkenntnisse des letzten Tages überdeckten ihre frühmorgendlichen Empfindungen, wieder in diesem herrlich weichen Bett, umringt vom Duft des Honigklees aufzuwachen und diese unendliche Ruhe, die sich um sie ausbreitete, in sich aufzunehmen.
Draußen waren eben die ersten Momente der Morgendämmerung angebrochen und nur schemenhaft erkannte Alena die Umrisse des Lagers. Längst erloschen hingen einige Lampen am Hauptweg und Alena wollte mit Giant nach Dheas schauen. Einige Elben kamen ihr am Weg entgegen, begrüßten sie freundlich und deren frühe Aktivitäten wunderte sie schon längst nicht mehr. War doch Ryan schon immer vor dem Beginn der Dämmerung im Zwielicht des Morgens herumgewandert und wie von einer inneren Uhr getrieben, schienen die Elben diese Zeit des Erwachens zu lieben.
Kurz vor dem Pferdeplatz traf sie auf Ellas, der mit voll ausgerüsteten Waffen dem Ausgang zustrebte. Innehaltend blickte er in ihr Gesicht und konnte die unausgesprochene Frage darin lesen. Er legte eine Hand auf ihren Arm und sagte leise: „Er ist am Abgrund. Niemand von uns würde ihn dort jetzt stören, doch ich denke er braucht deshalb gerade dich jetzt am meisten. Geh zu ihm, Alena."
Ellas hinter sich lassend kam sie an den Pferden vorbei und Dheas hob freundlich seinen Kopf in ihre Richtung, brummelte leicht und widmete sich danach wieder genüsslich dem Fressen. Kurz streichelte sie über sein Fell, als wenn sie sich aus dieser Berührung eine Art von Kraft erhoffte, denn sie ahnte, dass die Begegnung mit Ryan am Abgrund alles andere als leicht werden würde. Alles krampfte sich in ihr zusammen, doch rasch unterbrach sie den kurzen Anflug von Wehmut. Über den Kopf des neben ihr stehenden, großen Windhundes streichelnd sagte sie zu ihm: „Giant, du bleibst jetzt hier bei Dheas. Pass schön auf ihn auf."
Gehorsam legte er sich neben den Pferden ins Gras. Nach dem Platz der Pferde drang sie zwischen dichteren Pflanzen hindurch. Der schmale Pfad war nicht so einfach im Gras zu erkennen, denn auch hier schienen die Füße der Elben fast keine Abdrücke zu hinterlassen. Bald danach standen die Bäume hoch und breiter auseinander, so konnte sich eine üppige Flora am Boden entwickeln.
Langsam brachen die ersten Sonnenstrahlen in der Dämmerung durch und Alena bedauerte, dass sie den Sonnenaufgang von hier aus nicht erblicken konnte. Die Luft war erfüllt von Insekten, welche die ersten Minuten des Tages noch nützten, um sich an den langsam schwindenden Tautropfen zu laben. Diese spiegelten sich wie funkelnde Diamanten auf den in der Sonne hell erstrahlten Blättern, um wie in einer wohl komponierten Symphonie der Natur, rhythmisch aufzublitzen und für Alena diese Welt hier, für einen kurzen Moment, in ein Märchen zu verzaubern.
Ein kurzer Windstoß überflog die Baumwipfel und brachte ein feines Rauschen in die friedliche Stille. Langsam erwachte die Natur und das erste zarte Zirpen eines Vogels wurde leise und bedächtig vernehmbar. Weitere Vogelstimmen drangen zu ihr durch, ganz leise, fast schon schüchtern, begrüßten die Tiere der Lüfte das Erwachen des Waldes. Das nun intensiver werdende gelbliche Morgenlicht spielte mit den Bäumen ein Wechselbad aus Licht und Schatten, erhellte die oberen Schichten und tauchte alles in ein romantisch schimmerndes Licht. Insekten aller Art und erste Schmetterlinge kamen aus den Schatten hervor, tanzten um die Blüten und mit der steigenden Intensität der Sonnenstrahlen mehrten sich die zartflügeligen Wesen, ließen sich auf Alena nieder, um danach im wilden Werbungsflug paarweise ungestüm in die Lüfte zu steigen.
Kunstvoll verwobene Spinnennetze, überfüllt mit feinsten Lichtperlen aus Tautropfen, wogen in der nun sanft wehenden Morgenluft hin und her. Die warmen Sonnenstrahlen würden diese Pracht bald in sich auflösen und für Alena schienen diese Momente des Friedens wie eine Ewigkeit. Der Wind frischte auf und folgte mit einem angenehmen, leichten Rauschen, vertrieb die letzte Stille von diesem Ort. Noch immer glänzte die Morgensonne in der Ferne auf die Blätter und Alena bewegte sich nur langsam in diesem Märchen weiter, wollte nicht störend eingreifen und ließ sie kurz alles ringsum vergessen... und dann sah sie ihn.
Am Rande des Abgrunds sitzend, den Kopf auf die Knie gelegt und die Augen geschlossen, erhellten die ersten weichen Sonnenstrahlen sein Gesicht und ließen die blonden Haare wie aus Gold gesponnen erscheinen. Gestern noch prachtvoll verflochten, hingen sie nun an den Seiten aufgelöst herab und dieses Bild von ihm, dort so verloren sitzend, traf sie schmerzlich in ihrem Herzen. Leise näherte sie sich ihm und nur kurz, ohne jegliche Regung in seinem Ausdruck, blickte er zu ihr auf. Alena zögerte, denn vielleicht wollte er weiter alleine mit seinen Gedanken bleiben und derzeit auch sie nicht in seiner Nähe wissen.
Unschlüssig über ihre weitere Handlung, blieb sie noch kurz stehen, beobachtete ihn und spürte beinah greifbar seinen empfundenen Schmerz, so dass sich alles in ihr zusammenzog. Kaum vernehmbar deutete er ihr, sich neben ihn zu setzen. Wortlos trat sie an seine Seite, setzte sich und sah ihn kurz an, um danach ebenso, in die von ihn betrachtete Richtung zu blicken.
Der Abgrund... gähnend hoch gebar er sich von hier oben und nochmals in sein ausdrucksloses Gesicht blickend formten sich leise Worte in ihr.
„Ithildin... soll ich... soll ich wieder nach Hause gehen?"
Es war so schwer diese Worte auszusprechen, aber sie musste ihn fragen, sie litt unbeschreiblich mit ihm mit und wollte ihn nicht noch länger mit ihrer Anwesenheit belasten, sofern er dies so empfand.
Abrupt drehte er seinen Kopf zu ihr, sah sie mit einem verwirrten Blick an und deutete ein eindeutiges ‚Nein', um sich danach wieder der weiten Leere des Abgrunds zuzuwenden. Wie abwesend begann er seine Haare zu entwirren, versuchte die herausragenden Strähnen wieder einzubinden um nach erfolglosem Bemühen ungewohnt hektisch, schon fast verzweifelt, daran herumzuziehen.
„Ich schaffe das nicht", flüsterte er, während er resignierend die Hände sinken ließ und Alena in seine, nun feuchtglänzenden Augen blickte.
Er wandte sich sofort wieder ab und sie wusste nur zu gut, was er mit diesen Worten aussagen wollte.
Leise fragte sie: „Soll ich dir helfen deine Haare zu machen?"
Er nickte, blickte jedoch weiter in die stille Leere, die sich drückend vor ihnen ausbreitete. Sie öffnete das feine Lederband, entflocht den mittleren Hauptzopf und glitt mit ihrer Hand durch sein goldschimmerndes Haar. Seidig weich fühlte es sich zwischen ihren Fingern an und die Sommersonne schien sich in den einzelnen Strähnen zu verfangen. Für die seitlichen Verflechtungen rückte sie etwas näher an ihn heran, bemerkte jetzt erst die stille Träne, die sich über sein Gesicht gestohlen hatte.
„Es tut mir...", begann sie, bevor sie allen Rückhalt ignorierend ihre Arme um ihn legte, ihn einfach nur festhielt und er sein Gesicht an ihrer Schulter vergrub.
Ohne weitere Worte blieben sie dort sitzen und Alena wollte ihn nie mehr loslassen, wollte ihm helfen, bis die letzte Träne getrocknet war. Doch wusste sie auch zugleich, dass dies nur die Zeit vollbringen konnte.
Lange blieben sie so beieinander und nur langsam löste er sich aus ihrer Umarmung, wischte mit einem Ärmel über seine Augen und flüsterte: „Hannon le, Alena. Dafür, dass du bei mir bist."
Schweigend band sie sein Seitenhaar zurück, einfach lose ohne Zopf, befestigte sie das Lederband darin.
Leise begann er: „Ich muss etwas mit Giliath besprechen. Danach werde ich wieder für dich da sein. Es tut mir leid, dass ich gestern beim Fest so wenig..."
Ihr Finger legte sich auf seine Lippen.
„Nein... sprich nicht weiter. Ich kann es doch verstehen, dass du alleine sein wolltest. Ich will dir nur helfen und wenn wir jetzt die letzten Stunden noch gemeinsam verbringen dürfen, dann kannst du mir kein schöneres Geschenk machen."
Sie griff an ihre Brust und nahm den ‚Sternenmond' in die Hand, worauf nichts mehr an den kunstvollen Stern erinnerte, der ihn am gestrigen Abend zierte.
„Außer diesem."
„Es soll dich an mich erinnern, an all die Zeit die wir miteinander verbrachten und es soll jedoch auch ein Symbol sein, für die Zeit, die wir noch miteinander verbringen werden."
Nach diesen Worten stand er auf und verließ rasch den Platz, ohne sich noch einmal umzudrehen.
An all die Zeit, die wir noch miteinander verbringen werden, hallte es in Alenas Gedanken.
Würde er denn mit seinen Leuten heute nicht wieder zurückkehren und sie alleine den Weg nach Hause antreten müssen?
°
Giliath sah überrascht in das Gesicht seinen Bruders, als dieser sich leise am laisgar seiner Familie bemerkbar machte.
„Verzeih, wenn ich euch gestört habe, aber ich muss mit dir sprechen."
Giliath nickte und flüsterte nur schnell zu Tawariel, dass er mit Ithildin fort gehen würde. Kurz vernahm Ryan die fröhliche Stimme von Éleg, als Giliath das laisgar verschloss.
Er führte seinen Bruder in den Wald, um ungestört sprechen zu können.
Nach einigen Schritten begann Ryan stockend: „Giliath... ich..."
Er unterbrach und nahm kurz die Hände vor sein Gesicht. Den Schmerz seines Bruders fühlend legte Giliath ihm eine Hand auf die Schulter.
„Ithildin, du weißt... wir werden immer für dich da sein."
Tief einatmend antwortete er: „Du und Tawariel ward immer eine Hilfe für mich, dass weiß, ich wie kein anderer."
Er blieb unter einer mächtigen Eiche stehen. Nicht leicht, vielen ihm die nun auszusprechenden Worte.
„Ich will dieses Leben nicht mehr und ich will auch diese schmerzlichen Erinnerungen nicht mehr."
Unverständlich blickte ihn Giliath entgegen und erschwerte ihm dadurch die weiteren Erklärungen.
„Du weißt... wir können wählen und auch ohne dem spirituellen Geist der Eldar, jenseits unserer Gebiete leben. Wir sind eine der wenigen übrigen peredhel."
Giliaths Augen weiteten sich und fast tonlos flüsterte er: „Nein..."
Den entschlossenen Blick seines älteren Bruders vernehmend sagte er weiter: „Das hat schon lange niemand mehr gemacht... niemand mehr gewagt. Nein! Das kannst du nicht machen!"
„Und warum nicht? Ist es nicht mein Leben über das nur ich alleine bestimmen kann?"
Verzweifelt packte ihn Giliath an seinen Schultern.
„Weil... weil... ich dich brauche... wir. Wir brauchen dich hier. Du bist unser hanan und... mein Bruder."
Danach wandte er sich ab, blickte in den tiefen Wald.
„Giliath", begann Ryan, „du bist der beste hanan, den sich alle hier wünschen können und ich will dieses Leben nicht mehr... ich habe schon zu viel erlebt und werde hier doch nur in allem was wir tun an das traurige Ende von Lothreniël und Menelren erinnert."
Fast schon verzweifelt brachte er diese Worte hervor und rasch drehte sich Giliath wieder zu ihm.
„Aber die Zeit wird auch diese Wunde heilen. Wir werden für dich da sein und alles wird wieder besser werden."
Keine Antwort folgte, nur ein Blick, den Giliath nur zu gut zu deuten wusste.
„Du willst es, du willst es tun. Aber du läuft damit vor allem davon."
Einige Gedanken weiter fügte er hinzu: „Ist es wegen Alena? Ist sie der Grund?"
Ryan blicke zum Himmel, der im sommerlichen Blau durch die Baumspitzen erstrahlte.
„Sie ist jemand, den ich noch nie getroffen hatte und irgendwie weiß ich tief in mir drinnen, dass unsere Begegnung kein Zufall war. Vielleicht fügt sich eines ins andere und in einer gewissen Weise laufe ich vor allem davon. Vor allem, vor dem, was mir bei dem Orküberfall genommen wurde und mir nie wieder gegeben werden kann. Doch will ich mir zumindest das eine bewahren, das mir geschenkt wurde und ich zu lieben gelernt habe."
„Alena...!", vollendete Giliath.
„Aber... um diesen Preis? Wie kannst du..."
„Giliath", unterbrach ihn Ryan. „Ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele, auch an die der Menschen und hier beginne ich nur mehr zurückzublicken, auf ein Leben, wie es war und nie wieder sein wird! Glaube mir, alles hat seinen tieferen Sinn und ich hätte bereits vor meiner Rückkehr Alena nie mehr aus meinem Leben ziehen lassen."
„Und wenn Lothreniël noch leben würde? Was wäre dann mit Alena?"
Unwillkürlich rückte Ryan etwas von seinem Bruder ab.
„Nein, stelle mir bitte nicht solche Fragen, denn du weißt das dem nicht so ist und es nur noch mehr Schmerz bedeuten würde, sich solchen Gedanken zu stellen. Ich lebe lange genug auf dieser Welt um erkannt zu haben, dass einem das wahre Glück oft nur wie ein zarter Windhauch streift und es gibt sich nicht immer erkennbar und wenn man es findet, muss man schnell sein, um es für sich zu bewahren. Mir wurde das Liebste genommen, das ich besaß und zugleich etwas gegeben und ich werde bewahren, was mir geschenkt wurde, mit all seinen Konsequenzen."
Giliath blickte zu Boden und erkannte eine gewisse Wahrheit in den Worten seines Bruders.
„Du musst tun, was für dich das Richtige ist und Alena sieht man ihre Liebe zu dir schon von weitem an. Ich will nicht, dass du bei uns bleibst um vor Unglück dann doch eines Tages von uns zu gehen, ohne diese Hoffnung, die du zur Zeit noch wage in deinen Händen hältst. Aber... du wirst doch noch etwas bei uns bleiben? Vielleicht kann sie ja auch für eine Zeit mit uns kommen?"
Leicht lächelnd erwiderte sein Bruder: „Vorerst werde ich sicher mit euch kommen und alles vorbereiten und Alena später, für einige Zeit zu uns holen
Erleichtert nahm Giliath diese Nachricht entgegen und gemeinsam traten sie den Rückweg ins Lager an.
Leicht raschelte es an der Stelle, wo sich die beiden Brüder vorhin noch unterhalten hatten. Ein auffallend großer, dunkelhaariger Elb stieß aus seinem Versteck auf den Weg hervor und ging mit schnellen Schritten in Richtung der kleinen Lichtung, wo sich das königliche laisgar befand.
°
Alena und Ryan waren noch einmal gemeinsam zu den westlichen Wiesen ausgeritten, verbrachten zu Beginn die meiste Zeit schweigend nebeneinander, zeigten sich gegenseitig die beobachteten Tiere und Alena erzählte ihm später von dem großen mächtigen Regenwald, der sich jenseits des weiten Meeres in Südamerika erstreckte und von ihrem lang gehegten Traum, dort eines Tages als Biologin eine Forschungsstation zu leiten.
Später gedachten sie der gemeinsam verbrachten Momente der letzten zwanzig Tage und zwischen den Schilderungen von glücklichen und tragischen Stunden, schlich sich wieder die Wehmut über Ryans schweren Verlust einher. Ungewollt sprach Alena dieses Thema an und es schien ihr, als hätte er fast darauf gewartet, denn nach einem schier langen Moment fing er leise darüber zu sprechen an.
„Ich werde sie immer vermissen. Es wird der schlimmste Schmerz für den Rest meines Lebens sein und es wird einige Zeit brauchen, bis ich damit leben kann... weiterleben kann. Doch es zeigt mir auch, dass ich an einem Punkt angelangt bin, wo ich mich entscheiden muss, welchen weiteren Weg ich wähle. Den des Schmerzes und der ewigen Erinnerung oder den neuen Weg, wo mich beides auch begleiten wird, jedoch mit einem Blick nach vorne, zu einem neuen Ziel. Ich habe mich durch die ganzen Geschehnisse der letzten Zeit verändert... alles hat sich für mich verändert."
Obwohl Alena nicht alles verstand, was er ihr damit sagen wollte, war sie sehr glücklich über seine gefühlvolle Aussprache und wollte ihn nicht weiter mit Fragen quälen. Jeder Moment war kostbar und zugleich eine Qual, denn die Gewissheit über, den nun bald näherrückenden Abschied, lähmte ihr Inneres auf schrecklichste Weise.
Am Weg zurück bedrückte die Traurigkeit ihre Gemüter und die Aufbruchsstimmung der anderen Elben im Lager schnürte Alena fast die Kehle zu.
Kurz, bevor sie auf Giliath und die anderen stießen, hielt Ryan sie nochmals auf und fragte: „Wirst du auf mich warten? Ich muss es wissen, sonst schaffe ich die nächsten Wochen nicht."
Alena starrte ihn an.
„Werden wir uns denn wieder sehen?"
Leicht lächelte er.
„Was denkst denn du, meine kleine Irin. Glaubst du, ich lasse dich jemals wieder freiwillig aus meinem Leben verschwinden?"
Alena hielt den Atem an und wenn er jetzt noch etwas weiter gesprochen hätte, dann wäre die ganze Welt um sie geschehen gewesen und sie hätte allen Anstand vor den nahen Elben verloren.
„Im meldin, mein hanan", flüsterte sie nahe an seinem Gesicht, „und ich werde auf dich warten, so wie ich bereits mein Leben lang auf dich gewartet habe..."
Sie blickte in seine Augen, in seine unendlich tiefenblauen Augen und erkannte wieder das Meer und die darin gefangenen Sterne... oh ja, sie liebte ihn und war es auch nur eine kurze Zeit, die sie bis jetzt gemeinsam verbrachten, so fühlte sie diese Tatsache so klar in ihrem Herzen, wie noch nie im Leben zuvor.
„Ich liebe dich, Ryan, mein elbischer Ritter."
Sein belustigtes Gesicht über diese Namenswahl zauberte ebenso ein Lächeln auf ihre Züge, doch schon kamen Giliath und die weiteren Elben auf sie zu. Sich nochmals gegenseitig anblickend traten sie ihnen gemeinsam entgegen.
„Ithildin", begann er, „es ist soweit."
Alena blicke über die versammelten Elben und trotz der vorhin gesprochenen Worte von Ryan, fühlte sie wieder diese entsetzliche Traurigkeit in ihr hochsteigen.
Tawariel war die erste, die sich von ihr verabschiedete und sie sogar in den Arm nahm.
„Ich wünsche dir alles Gute auf all deinen Wegen und ich spüre, dass wir uns bald wieder sehen werden."
Giliath war der nächste und blickte sie mit einer Art an, die sie vorerst nicht erklären konnte. Doch dann vernahm sie seine Worte.
„Nimm dieses Geschenk an, dass dir dargeboten wurde, mit all deiner Liebe, die du aufbringen kannst. Möge bis dahin Elbereth deine Wege beschützen."
Ryan wich nicht von ihrer Seite und nun kam auch die Herrin und lächelte Alena herzlich an.
„Gun till do cheum, as gach ceàrn, fo rionnag-iùil an dachaidh."
Alena bedankte sich für diese schöne, gälische Verabschiedung, die ‚Mögen deine Schritte von allen Enden der Welt unter Führung des Heimatsterns heimfinden' bedeutete.
Kurz streifte sie Ryans Blick, der sie stolz betrachtete. Nun war es an Ellas, sich von ihr zu verabschieden und sie entdeckte eine gewisse Traurigkeit in seinen Augen, wohl noch immer wegen der ganzen Geschehnisse des letzten Tages.
„Elin sílathar aen bo vethed men lîn... mögen die Sterne auf das Ende Deines Weges scheinen, Alena."
Ohne auf eine Etikette zu achten umarmte sie Ellas und flüsterte: „Hannon le für alles, du bist ein wahrer Freund."
Verstohlen wischte sie sich danach die erste Träne vom Gesicht und war froh, dass Ryan sie nun zu sich zog und sie gemeinsam zu den Pferden gingen, die anderen hinter sich lassend.
°
Unendlich schwer fiel es ihr Dheas aufzuzäumen und zu satteln. Ryan half ihr bei jedem Handgriff und vermied es, ihr in die Augen zu blicken. Giant spürte wie immer die drückende Stimmung und blieb freiwillig bei Dheas liegen, als Ryan sie ein wenig von dort weg führte. Sie nahm wieder den ‚Sternenmond' zwischen ihre Finger.
„Ich habe leider kein Geschenk für dich."
„Du schenkst mir bereits soviel und ihn zu tragen, bedeutet auch bei dir zu sein und man sagt ihm eine Art Schutz vor ungewolltem Zauber nach."
Als sie ihn bei diesen Worten anblickte, liefen weitere Tränen hemmungslos über ihr Gesicht.
„Bitte keine Tränen, nicht weinen... nein, Alena, melethril."
Er nahm sie fest in seine Arme und Alena konnte sich nicht halten, bittere Tränen fanden weiter ihren Weg und als er sie wieder anblickte, glänzten seine Augen ebenso.
„Ich muss hier noch etwas erledigen, es gibt einiges vorzubereiten und ich brauche dazu ein wenig Zeit."
Unaufhaltsam weinte sie und begann leise zu schluchzen. Nun war es so weit. Der scheinbar ewig hinausgezögerte Moment kam mit aller Bitterkeit auf sie zu, wo sie ihn verlassen musste und wohl lange nicht mehr oder gar nie wieder sehen würde.
„Ich muss mit meinen Leuten ziehen und du musst jetzt wieder zurück. Sobald ich kann, treffen wir uns wieder, vertraue mir."
„Aber du kannst doch bei mir nicht leben und ich weiß nicht, ob ich einen Besuch von dir verkraften würde, denn er würde nur wieder einen weiteren Abschied bedeuten."
„Alles ist möglich, wenn man nur fest daran glaubt. Höre in dein Herz und vertraue mir und komme hier her zurück, am Abend, wenn Tag und Nacht sich einen."
Fragend blickte ihn Alena an.
„Wann ist das genau...?"
Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich zwei Wachen auf, stellten sich direkt neben Ryan, der sie völlig überrascht anblickte.
„Was hat das zu bedeuten?"
„Ithildin!"
Die Königin trat zu ihnen und drängte sich zwischen Ryan und Alena.
„Heryn!"
Er senkte ehrfürchtig den Blick und seine Miene wurde ernst.
Sie sprach etwas zu ihm und dies alles geschah in solch kurzer Zeit, dass Alena kaum ein Wort zu fragen blieb.
Ryan blickte langsam von einem der Wachen zum anderen, doch sie sahen nur gerade in den Wald, wie gehorsame Soldaten, die einen Befehl abwarteten.
Alena verstand nichts von dem Gesprochenen, sah nur die aufkeimende Sorge in Ryans Blick, als dieser ihren kurz streifte, während die Königin beide umrundete, sich danach neben sie stellte und ausdruckslos in die Ferne blickte. Mit tiefer gleichmäßiger Stimme begann sie zu sprechen.
„Rodyn-e-lhû nallon lasto beth nîn... calad daurwain... tolo dad bo in edain... ar adtogo i Ithil berin." (Ich rufe die Mächte der Zeit, hörtet auf meine Worte... Mächtiges Licht... fahre hernieder auf die Menschen... und bringe die Zeit um einen halben Mond zurück.)
Als Ryan die Bedeutung dieser Worte erkannte, reagierte er um einen Augenblick zu spät, denn schon packten ihn die Wachen, hielten ihn unbarmherzig fest und Alena vernahm die Furcht in seinen Augen. Alles ging so schnell und spielte sich jedoch fast wie in Zeitlupe empfunden vor ihren Augen ab.
„NEIN! Alena, lauf!"
Sie vernahm Ryans Warnruf und die noch immer beschwörend gesprochenen Worte der Königin drangen stechend in ihr Ohr, doch das Bild, des vor ihr festgehaltenen Ryan übernahm nun völlig ihr Bewusstsein.
"Lauf weg, Alena!", schrie er nochmals, bevor er von den Wachen grob zu Boden gedrückt wurde.
Alena reagierte endlich und lief los.
Wie in Trance rannte sie zu Dheas, sprang auf ihn auf und galoppierte sofort los, so gut es dieser steile Weg zuließ. Nur weit fort, wie Ryan sagte, denn sie vertraute ihm blind, wollte jedoch nicht weg, denn was geschah mit ihm?
Giant folgte dicht neben ihnen und Dheas sprang über den Weg versperrende, umgefallene Baumstämme. Äste zerkratzten ihr Gesicht blutig, doch sie spürte es nicht, sah immer nur das Bild von Ryan vor ihr, hörte seine warnenden Rufe und verstand dies alles nicht.
°
Ryan sah Alena in der Ferne verschwinden, lag jetzt am Boden und wehrte sich verzweifelt mit aller Kraft. Die Hände seiner beiden Männer drückten ihn unausweichlich nieder und er vernahm nicht deren inneren Kampf, wie ungewollt sie diesem Befehl nachgingen, doch sie hatten keine andere Wahl.
Ein gellender Blitz schlug in der Nähe ein, scheinbar durchfuhr er auch Ryans Körper, sosehr ließ ihn dieser erschaudern. Danach gab er der Stärke seiner Männer nach, fügte sich dem Unausweichlichen was geschehen war, schloss die Augen und vernahm wie aus weiter Ferne die Worte der Königin.
„Es ist besser so, für uns alle, dass es für die Menschen nie geschah und sie keine Erinnerung davon behalten."
Tränen schlichen sich aus seinen geschlossenen Augen, denn nun hatte er auch Alena verloren.
°
Dheas schuppste den schlaffen Körper von Alena an, versuchte sie, so wieder zu wecken. Sie lag neben seinen Beinen im Gras. Als der Blitz einfuhr, war er vor Schreck so hoch gestiegen, dass sie abgeworfen wurde und hart am Boden landete. Blut floss aus einer Kopfwunde über ihr Gesicht und sickerte leise auf das junge Gras. Sie waren unmittelbar am Weg nach dem großen See, wo sie schon oft vorbei gekommen waren und Giant immer verspielt in die Büsche wedelte und jetzt winselnd neben ihr stand. Dheas schnaubte an ihrem Gesicht, doch Alena rührte sich nicht.
Still, mit gesenktem Kopf, blieb er neben ihr stehen, während auf den Hügeln über dem See der einfühlsam klingende Gesang langsam verblasste und wieder die Stimmen der Natur den Wald übernahmen und die späte Nachmittagssonne alles in ein friedliches Licht tauchte, als wäre nie etwas geschehen.
°
Das Bett war wunderbar weich, wie schon an den letzten beiden Tagen. Der Honigklee schien seinen Duft bereits verbraucht zu haben, denn irgendwie roch es heute seltsam und dann spürte Alena etwas, dass sie sogleich munter werden ließ. Schmerzen. Sie hatte ziemlich starke Schmerzen. Ihr Kopf dröhnte und ihr Rücken stach wie von hunderten Nadeln übersäht. Schwer schlug sie die Augen auf und blinzelte gegen die Sonne... nein, es war eine Leuchtstofflampe.
‚Wo bin ich?', dröhnte es schrill durch ihren Kopf.
„Ryan", murmelte sie, „was ist mit Ryan?"
„Alena! Alena! Du bist endlich wach. Wie fühlst du dich, mein Schatz?"
Mit dem Kopf der Stimme folgenden versuchte sie sich zu drehen und bereute sogleich diese Bewegung. Wie Feuer brannte es über ihren Rücken und unwillkürlich stöhnte Alena auf.
„Warte, ich hole gleich den Arzt. Bald wird es dir wieder besser gehen."
Sie erkannte die Stimme ihrer Mutter und wusste nun auch, wo sie war.
Ich bin in einem Spital.
Ein Arzt, ihre Mutter und Tanja, ihre beste Freundin, stellten sich um ihr Bett. Der Arzt sprach freundlich auf sie ein und eine Schwester überprüfte ihre Werte.
Er erklärte Alena, dass sie sich bei dem Sturz eine Luxation der Wirbelsäule zugezogen hatte und sich in nächster Zeit sehr schonen musste, aber alles wieder in Ordnung komme. Die Wunde am Kopf war nicht schlimm und die erlittene Gehirnerschütterung brachte laut Untersuchungen keine bleibenden Schäden hervor.
„... und wie geht es Ryan?"
Um sie wurde es ruhig. Alle blickten zuerst auf Alena und dann auf den Arzt, der jedoch noch zu anderen Patienten musste und sich freundlich verabschiedete.
Ihre Mutter begann: „Du bist vom Pferd gefallen und der Wärter hat dich gefunden. Er sagte, er käme dort sehr selten auf seiner Runde vorbei. Du hattest auch sehr viel Glück, dir nichts gebrochen zu haben."
Alena versuchte sich aufzusetzen, aber der Schmerz war so heftig, dass sie es bei diesem Versuch beließ.
„Was ist mit Ryan?"
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Wir kennen keinen Ryan und es war auch niemand bei dir, als du gefunden wurdest."
„Dheas ist wohlauf. Ich versorge deine Tiere seit dem ersten Tage deines Spitalaufenthaltes und Giant und Joy vermissen dich schon sehr", meldete sich nun Tanja mit einem Lächeln. „Ich freue mich, dich wieder munter zu sehen."
„Moment...", Alena machte eine Pause, denn das Sprechen fiel ihr noch sehr schwer, „was meinst du mit ‚seit dem ersten Tag'?"
„Du liegst bereits seit vier Tagen hier und wir haben uns schon große Sorgen gemacht", erklärte ihre Mutter.
Verzweifelt blickte Alena zwischen den beiden Frauen hin und her.
„Da ist noch etwas gestern geschehen, was du unbedingt erfahren musst, auch wenn es sehr traurig ist."
„Was ist passiert?"
„Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber da sein Pferd völlig verstört, alleine im Stall zurückkehrte, geht man von einem Unfall oder schlimmerem aus. Peter... Peters Pferd kam gestern alleine zurück."
„Madainn lebt noch? So viele Tage überlebte sie alleine? Ich dachte, sie hätten sie auch... getötet...", murmelte Alena.
Tanja mischte sich nun in das Gespräch ein.
„Nein, Alena, du verstehst nicht. Peter kam gestern von der Visite nicht mehr nach Hause, sondern nur Madainn alleine und es fehlt jede Spur von ihm."
„Was sagst du da? Gestern? Aber Peter ist doch schon seit zwei Wochen tot!"
„Alena! Was redest du für wirre Sachen, ich war doch erst vor einer Woche bei dir zu Besuch und da trafen wir ihn... und woher weißt du überhaupt von Peters Tod?"
Leise flüsterte sie: „Ich war dabei, ich habe die gesehen, die ihn umgebracht haben und du kannst nicht vor einer Woche bei mir gewesen sein. Ich war die ganze Zeit mit Ryan zusammen und wir haben... wir... "
Alena wurde bewusst, dass ihr niemand die Geschichte glauben würde und vor allem musste sie das Geheimnis um die Elben bewahren.
Sie griff langsam auf ihren Hals und tastete dort nach dem ‚Sternenmond'.
„Wo ist meine Kette und der ‚Sternenmond'? Ein halbmondförmiger Anhänger? Hat man ihn mir abgenommen?"
Ihre Mutter zog sich einen Stuhl herbei und atmete tief durch. Tanja versuchte Alena die Situation zu erklären.
„Du hattest nichts dergleichen bei dir. Du liegst seit vier Tagen bewusstlos hier im Krankenbett."
Sie spürte wie Panik in ihr hochstieg.
„Was... was soll das? Ich... was ist heute für ein Tag?"
„Heute ist der 25. Juni, vier Tage nach Mittsommer."
„D... das kann nicht sein. Es muss doch schon fast Mitte Juli sein", flüsterte Alena mit unsicherer Stimme.
Tanja betrachtete sie mit einem sorgenvollen Blick.
„Alena, ich glaube du bist ganz schön durcheinander gekommen, aber wen würde es nach diesem Sturz noch wundern?"
Sie nahm die Fernbedienung und schaltete, den im Zimmer aufgestellten, Fernseher ein.
Eben wurden die Nachrichten gesendet und am Rande groß das Datum eingeblendet... 25. Juni...
Entsetzt flüsterte Alen: „Nein... das kann nicht sein."
Der Sturz! Der Sturz den sie mit Dheas am Mittsommertag hatte! Am Tag als, sie Ryan traf... somit war etwa alles... nur ein Traum?
Namensbedeutungen
Ithildin – Sternenmond
Giliath – Sternenschar
Ellas – Sternenblatt
Elmaethor – Sternenkrieger
Ellesûl - Sternenwind
Aeleniëll – Tochter vom See
Aeldirdhron – Seenwächter
Tinnu – Sternendämmerung
Lostithenniel – Kleine Blume
Tawariel – Frau des Waldes
Elarinya „Éleg" – Morgenstern „Sternchen"
(wortwörtlich; nicht mit Eärendil zu verwechseln)
Lothreniël - blühende Tochter
Menelren - vom Himmel
im Text nicht übersetzt bzw. weitere Anmerkungen
Mearas, mearth– angelsächsisch für „Pferde, Pferd", Bezeichnung für die ‚Fürsten der Pferde' (siehe Schattenfell)
im meldin – ich liebe dich
melethril – geliebte Freundin
peredhel – Halbelbe
hannon le – danke
mae govannen – herzlich Willkommen
laisgar - Blätterhaus
hanan ist ‚Quenya' für Hauptmann
Luxation – Verdrehung, Verrenkung
Entwicklung elbischer Kinder – Quelle: HOME X
