15. Dezember


Tonight's the night

von Nici

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Er stand nun schon seit einer ganzen Weile im Schatten der großen, stählernen Rüstung im Gang vor der Bibliothek und wartete wie jeden Abend darauf, dass der letzte Schüler in seinen Gemeinschaftsraum zurückkehrte und er einen Blick auf seine Traumfrau erhaschen konnte.

Wie immer war sie die letzte, die die Bibliothek am Abend verließ, wie immer war er es, der sie stumm und aus der Ferne beobachtete, ihren Anblick ganz tief ins Gedächtnis brannte und mit ihrer Schönheit vor Augen einschlief.

Niemals hatte er es gewagt, sie anzusprechen. Nicht nur, weil er es sich nicht getraut hätte, nein, weil sie einfach unnahbar war – gerade für jemanden wie ihn.

Er wusste, er war kein Traummann, dem die Frauen hinterher liefen. Mit seinen langen schwarzen Haaren, die immer den Eindruck erweckten fettig und ungepflegt zu sein (was sie aber keineswegs waren), mit der für seinen Geschmack viel zu großen und viel zu schiefen Nase … nein, eine Schönheit, ein Adonis war er bei weitem nicht …

Und dennoch, er war nicht nur dieser Ekel, dieser furchterregende Mann, vor dem man Angst haben musste; tief in ihm, sorgsam von der Außenwelt verborgen, steckte ein weicher, verletzlicher Kern. Er hatte ein Herz, Gefühle, konnte lieben.

Einmal zuvor hatte er sich in ein Mädchen verliebt, damals in seinem siebten Schuljahr. Er hatte sie angebetet – wie jetzt auch meist aus der Ferne – hatte nie den Mut gehabt, sie anzusprechen, gezögert, Briefe geschrieben, die er niemals abgeschickt hatte und darauf gewartet, dass sie es wagte, dass sie den ersten Schritt tat und ihn ansprach …

Es war nie geschehen. Bis heute machte er sich schwere Vorwürfe, es nicht gewagt zu haben, die Chance vertan zu haben, sein Glück zu finden.

Er hatte aus seinen Fehler gelernt. Es war nicht einfach gewesen und hatte ihn viel Überwindung gekostet, aber er war fest entschlossen, es dieses Mal anders zu machen. Dieses Mal würde er sie ansprechen, auf sich aufmerksam machen, ihr zeigen, dass er da war, dass er sie mochte, dass er es wert war, geliebt zu werden.

Als der letzte Schüler die Bibliothek verlassen hatte, verließ er sein Versteck und ging langsam auf die Tür zu. Unterwegs straffte er die Schultern, machte sich leise Mut, atmete tief durch und wappnete sich für das, was auch immer gleich geschehen würde. Er hatte keine Angst davor, dass sie ihn abwies, dass sie ihn vielleicht auslachte. Nein, er konnte nur gewinnen. Würde sie ihm einen Korb geben, würde sich nichts ändern – er würde weiterhin jeden Abend hinter der alten Rüstung im Schatten stehen und sie aus der Ferne beobachten. Es machte ihm nichts aus und würde ihm auch in Zukunft nichts ausmachen.

Als er die Tür erreichte, atmete er ein letztes Mal kräftig durch, schloss einen Moment die Augen und streckte dann die Hand aus, um die Tür aufzustoßen.

Er trat ein.

Der Raum war fast dunkel, nur einige wenige Kerzen brannten noch und tauchten den Raum in ein diffuses, ja fast romantisches Licht.

„Wir haben geschlossen! Die Sperrstunde fängt gleich an. Marsch, marsch zurück in den Gemeinschaftsraum!" Ihre Stimme, barsch und lieblich zugleich drang wie eine leise Melodie an sein Ohr und sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Er sah sich suchend im Raum um und entdeckte sie, als sie hinter einem Regal hervortrat.

„Ach, Sie sind das. Entschuldigen Sie, ich dachte, es wäre ein Schüler."

„Macht nichts", entgegnete er und senkte schnell den Blick, als ihm bewusst wurde, dass er sie mit offenem Mund angestarrt hatte.

„Was kann ich für Sie tun?" Sie kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen – nah, fast zu nah für seinen Geschmack. Er glaubte, die Wärme zu spüren, die ihr Körper ausstrahlte, roch ihr Parfüm und spürte, wie ihn der Mut verließ und seine Knie weich worden.

„Ich … also …"

Mensch, reiß dich zusammen, Junge, schimpfte er sich leise.

„Ach, Sie wollten ein Buch zurückbringen." Sie zeigte auf das Buch in seinen Hand. „100 magische Pflanzen und Heilkräuter. Hat es Ihnen gefallen?"

Er konnte nur stumm nicken, schaffte es aber, den Blick wieder auf sie zu richten.

„Ja", sagte er leise, vollkommen in ihren braunen Augen gefangen.

„Na, dann geben Sie mal her", sagte sie und streckte die Hand aus, wie sie es schon so oft getan hatte. Und als es schon fast zu spät war, als er das Buch schon fast losgelassen hatte und seine Chance ins unendliche Nirwana verschwinden sah, festigte er den Griff um das Buch wieder und sah ihr fest in die Augen.

„Ich wollte den zweiten Band davon ausleihen", erklärte er und ignorierte dabei, dass sie ihm in diesem Moment näher war als je zuvor. Er konnte ihren warmen Atem auf seiner Haut spüren und schluckte schwer.

„Dann kommen Sie bitte mit." Sie lächelte ihn an und deutete mit dem Kopf auf das Regal ganz am Ende des Raumes. „Ich zeige es Ihnen."

Er folgte ihr stumm, tief in Gedanken versunken und von dem wehenden braunen Lockenhaar gefangen genommen.

Als sie das Regal erreichten und sie stehen blieb, wäre er fast mit ihr zusammengestoßen. Er konnte gerade noch anhalten, strauchelte aber ein wenig und taumelte gegen das Regal.

„Oh, Vorsicht!", rief sie und griff nach einem Buch über seiner linken Schulter, das drohte aus dem Regal zu kippen. Dabei streifte sie seine Wange und ihr Körper drückte gegen den seinen.

„Tut mir Leid!", murmelte er und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass er seinen Kopf nur Millimeter nach vorne bewegen müsste, um sie zu küssen und …

Noch ehe er es realisieren konnte, ehe er bemerkte, was da gerade passierte, hatte sie die Lücke zwischen ihnen geschlossen und ihre Lippen auf seine gelegt.

Sie fühlten sich so sanft und zart an, wie er es sich in seinen Träumen ausgemalt hatte. Sie schmeckte nach Zimt und Vanille und raubte ihm den Verstand. Er hatte es nie gewagt, zu hoffen, dass seine Träume wahr werden würden, dass er tatsächlich eines Tages hier stehen und sie küssen würde. Aber es war geschehen, es war wahr geworden …

Er schloss die Augen und lehnte sich ihr instinktiv entgegen. Er schloss sie in seine Arme und zog sie enger an sich heran, während ihre Hände sich in seinen Haaren vergruben. Er fühlte sich, als würde er schweben …

Viel zu schnell und viel zu plötzlich war der Moment wieder vorbei. Erst spürte er nur, dass ihre Hände nicht mehr in seinem Haar waren, dann war die Wärme ihre Lippen verschwunden und er fühlte sich auf seltsame Weise kalt und verlassen.

Ganz langsam und vorsichtig als hätte er Angst, dass dies gerade nur ein Traum gewesen war, öffnete er die Augen. Er kniff sie direkt wieder feste zusammen, blinzelte … und … sie war immer noch da. Sie stand immer noch vor ihm und lächelte ihn liebevoll, fast zärtlich an.

„Ich … also … was …?" Er kam sich vor wie ein Idiot und verstummte. Bevor er beschämt den Blick senken konnte, hatte sie eine Hand unter sein Kinn gelegt und zwang ihn so, sie weiter anzusehen.

„Hat es dir gefallen?", fragte sie leise und mit einem leichten Grinsen.

Er nickte. „Ja … aber warum?"

Ihr Grinsen wurde breiter und sie deutete nach oben. Sein Herz rutschte ihm in die Hose, als er ihrem Blick folgte.

Das war also der Grund gewesen, eine dämliche Weihnachtstradition. Sie hatte ihn gar nicht küssen wollen, sie hatte es nur getan, weil die Tradition es so wollte. Er hätte es wissen sollen …

Niemand würde ihm freiwillig nahe kommen und – Doch halt! Warum war sie nicht schreiend weggelaufen? Warum hatte sie ihm nicht nur einen kurzen Kuss auf die Wange gegeben, um der Tradition gerecht zu werden? Warum stand sie immer noch hier und lächelte ihn an.

„Viel zu lange habe ich schon auf diese Chance gewartet", erklärte sie auf seinen fragenden Blick hin. „Und als du dich heute endlich aus deinem Versteck getraut und die Bibliothek betreten hast, da … also, ich wollte sie nutzen – die Chance, meine ich und … Es tut mir Leid", fügte sie leise hinzu.

Jetzt war sie es, die betroffen den Blick senkte.

Er wollte etwas erwidern, suchte noch nach den richtigen Worten, als er hörte, wie die Tür der Bibliothek aufgestoßen wurde und jemand eintrat.

„Madam Pince? Sind Sie noch hier? Ich habe vergessen ein Buch abzugeben und -"

„Legen Sie es einfach vorne auf die Theke, Professor. Ich räume es später weg."

Er hörte, wie jemand durch den Raum ging und etwas Schweres auf die hölzerne Platte der Theke legte. Dann entfernten sich die Schritte wieder und die Tür fiel ins Schloss.

Er hatte die ganze Zeit mit angehaltenem Atem dagestanden und kam sich vor wie ein verliebter Teenager, den man beim Knutschen erwischt hatte. Wenn man es genau nahm, stimmte es ja auch, dachte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Sie sah ihn fragend an, erriet dann aber scheinbar seine Gedanken und grinste.

„Wir sollten vielleicht die Örtlichkeiten wechseln", sagte sie leise. „Lust auf ein Glas Weihnachtspunsch?", fragte sie.

Er nickte.

„Dann komm mit." Sie nahm seine Hand und führte ihn zu einer Tür, die zu ihren privaten Räumen führte. „Ich glaube, ich habe auch noch ein paar von deinen Lieblingsplätzchen. Du magst doch Zimtsterne, oder, Argus?"

ENDE

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Ich wollte schon seit längerem eine Geschichte über Filch und Madam Pince schreiben. Bis zum HBP konnte ich sie mir überhaupt nicht als Paar vorstellen, aber irgendwie … also, das Plotbunny hat mich einfach so überfallen und mich nicht mehr in Ruhe gelassen. ;-)
Für Kira Gmorg, weil sie a) so schön fleißig in den letzten Tagen war und diesen Kalender gepflegt hat, und b) weil ich ein furchtbar schlechtes Gewissen ihr gegenüber wegen diesem Hausmeister habe (ich glaube, sie weiß schon, warum...)