Tür 22
Emily umklammerte Angelinas Hand als sie sich dem Waisenhaus näherten. Es war als wären sie zum Tode Verurteilte, die auf dem Weg zum Scharfrichter waren.
Automatisch wurden ihre Schritte langsamer, als versuchten sie das Unvermeidliche zu vermeiden. Überall um sie herum hasteten Menschen vorbei. Erledigten einige letzte Festtagseinkäufe oder wollten einfach nur schnell nach Hause zu ihren Liebsten um die Feiertage mit ihnen zu verbringen.
Als sie das Waisenhaus betraten konnte Angelina das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Etwas, das schlimmer wäre als das einfache Zurücklassen der Kinder in diesem Haus.
Sie gingen zum Büro von Miss Robert und klopften auf die Tür.
"Herein." Rief Miss Robert. Montague öffnete die Tür und die vier betraten den Raum. Als sie eingetreten waren blickte Angelina sich stirnrunzelnd um.
Auf einem der Stühle vor Miss Roberts Schreibtisch saß die Frau, die Angelina in der Winkelgasse getroffen hatte. Die Frau, die sie wegen Emily angesprochen hatte. Neben ihr saß ein Mann, von dem Angelina annahm, dass er ihr Ehemann war. Und da saß noch ein anderes Paar auf den anderen Stühlen.
"Ah, ich habe schon auf Sie gewartet." Begrüßte Miss Robert sie und nun hielt auch Samuel Angelinas Hand fest umklammert.
"Ich möchte Ihnen Mr. und Mrs. Summer und Mr. und Mrs. Hart vorstellen. Sie sind hier um Emily und Samuel zu adoptieren."
"Siehst du Stan, ich habe dir doch gesagt, dass das Mädchen das süßeste Dingelchen ist, das ich je gesehen habe!" sagte Mrs. Summer ihrem Mann und lächelte Emily an.
"Aber… Sie wollen die beiden trennen?" fragte Angelina entsetzt.
"Nun, ja, wieso nicht. Wir haben bereits über alles geredet."
"Machen sie sich keine Sorgen, Miss, wir wissen, wie man die Kinder behandeln muss. Miss Robert hat uns bereits ihre spezielle… nun, sie hat uns von ihnen erzählt." Sagte Mr. Hart.
"Was soll das heißen?" fragte Angelina und spürte, wie sie selbst die Hände der Kinder fester griff.
"Uns wurde gesagt, dass der Junge zuviel träumt. Er braucht eine starke Hand um ihn an die wichtigen Dinge im Leben zu erinnern."
Mrs. Summer kniete sich neben Emily.
"Ich habe ein wunderschönes rosa Kleid gekauft, das traumhaft an dir aussehen wird."
"Nun, dann können wir ja jetzt…"
"Nein!"
Miss Robert drehte sich zu Angelina um und zog die Augenbrauen hoch.
"Entschuldigen Sie?"
"Ich lasse das auf keinen Fall zu!"
Miss Robert lachte trocken auf und sah Angelina an als sei sie verrückt.
"Und sie glauben, Sie haben irgendein Mitspracherecht!"
"Sie können sie nicht trennen! Und keiner von ihnen verdient Sam und Emmy!" Sie zog Emily von Mrs. Summer weg.
"Emily ist keine Puppe, die man schön anziehen kann und dann irgendwo hinsetzt, damit sie süß aussieht! Sie braucht jemand, der mit ihr redet und ihr zuhört und niemanden, der sie ausstellen will!" Mrs. Summer erhob sich und trat einen Schritt zurück als sie Angelina entsetzt ansah.
"Und Sam," wandte sich Angelina an Mr. Hart, "träumt überhaupt nicht zu viel! Und das Letzte, was er braucht ist eine ‚starke Hand'! Er ist genau richtig, so wie er ist. Er soll seine Träume haben und ich bin froh, dass er kein herzloser Rüpel ist."
"Nun, solange sie nicht selbst planen, die beiden zu adoptieren gibt es nichts, das sie…"
"Dann adoptiere ich sie!" unterbrach Angelina Miss Robert. Sie kniete sich vor die Kinder und sah die Geschwister an.
"Das heißt, wenn ihr bei mir bleiben wollt."
Emily und Samuel mussten nicht darüber nachdenken. Sie warfen ihre Arme um Angelinas Hals und sagten so laut, dass es jeder hören konnte, dass sie bei ihr bleiben wollten.
