Biss-Fest

Etwas schmales, kaltes wand sich um Toms Bein, er spürte scharfe Zähne an seinen Fesseln. Es war mitten in der Nacht und er war erst vor wenigen Minuten eingeschlafen, jetzt wurde er schon wieder geweckt.

Genervt setzte er sich auf, zog die Decke zurück und sah die kleine Schlange wütend an. Morgen hatte er noch ein Treffen mit Slughorn und in weniger als einer Woche hätte er die Abschlussprüfung Hogwarts zu erwarten. Was er jetzt brauchte, war Schlaf und keine Reptilien und deren Artgenossen, die ihn zur Geisterstunde aus dem Bett warfen, nur weil sie sich allein fühlten... obwohl es meist nur war, weil sie Hunger hatten.

Da das Schlangenkind partout nicht von ihm weichen wollte und gerade vorhatte, sein Hosenbein hinaufzuschlängeln, entschied er sich dazu, doch schnell bei seiner lieben Nagini vorbeizusehen. Immerhin war ja heute Nacht Heiligabend.

Er packte also Naginis frischgeborenes Töchterchen – oder vielleicht war es auch ein Söhnchen, so genau kannte er sich (noch) nicht mit Schlangen und Basilisken aus – und machte sich auf den Weg zur Kammer des Schreckens.

Er hatte Glück, der sonst so aufmerksame Hausmeister und Staatsoberhaut der Aufpasser dieser Schule schien heute auch zu feiern. Oder hatte sich wahlweise aus Frust, dass er niemanden hatte, betrunken.

Tom schien diese Möglichkeit wahrscheinlicher, als dass er mit irgendjemandem zusammensaß, ausgenommen seiner Katze Mrs. Norris. Die beiden passten herrlich zusammen, sie sahen alle beide nicht besonders hübsch aus und waren nicht die Hellsten.

Er öffnete die Kammer, ging hinunter und wartete darauf, dass sich Nagini von ihren Eiern losreißen konnte. Vor wenigen Tagen hatte Sie sie gelegt. Woher diese plötzliche Schwangerschaft gekommen war, das wusste Tom nicht. Er wollte es auch gar nicht wissen. Wenn hier ein weiterer Basilisk im Schloss wäre, das wäre für seine Zwecke zwar hilfreich, würde aber noch mehr anhängliche Tierchen bedeuten.

Die meisten Menschen wussten es nicht, wie auch, sie konnten ja nicht mit Schlangen sprechen, aber diese Tiere konnten äußerst anhänglich werden. Dafür waren sie aber auch sehr liebe Tiere. Auch das wussten die meisten Menschen nicht.

Er verneigte sich vor Nagini. Tom wusste zwar, dass er nichts vor ihr zu befürchten hatte, aber dieser Basilisk war einer der größten Sorte und ein wenig Respekt schien ihm angemessen.

Nagini rollte sich um Tom herum zusammen und lächelte ihn an, insofern man sagen konnte, dass Schlangen lächeln können. Er lächelte zurück und streichelte ihre frische Oberfläche. Sie hatte sich anscheinend erst gestern noch gehäutet. Vielleicht weil sie schön aussehen wollte für Weihnachten?

Die paar Eier, die noch nicht geschlüpft waren, lagen in einem der Steinaushöhlungen, die ebenfalls wie Schlangen geformt waren. Salazar Slytherin hatte nun einmal einen guten Geschmack gehabt. Tom bezweifelte auch, dass es irgendjemanden gab, der mit Schlangen sprechen konnte und keinen Blick für die Schönheit haben konnte. Diese Tiere waren der Inbegriff von Ästhetik und ihr Geist war reiner, als es jede Jungfrauenblut sein konnte – was übrigens Naginis Leibspeise war.

„Du hast sicher Hunger, hm?", sprach er in Parsel zu ihr, der Sprache der Schlangen. Sie nickte und sah gierig in Richtung seiner Tasche. Er lachte leise und öffnete die Tasche, kramte in ihr herum und holte dann die Ampulle mit Blut heraus.

Nagini gab ihm einen Kuss, der ihn beinahe umfallen ließ und schnappte sich dann das Gefäß. Die Splitter, die sie mitschluckte, machten ihr nichts. Solange es nur hochwertiges Glas war, gehörte es sogar zu den Dingen, die sie gerne aß.

Tom sah ihr zu, wie sie ihr Festtagsessen verschlang und tätschelte ihren langen Körper. Er lehnte sich gegen sie und betrachtete den Basilisken eine Weile stumm, ehe er wieder das Wort ergriff.

„Heute ist Weihnachten, weißt du? Da treffen sich bei uns Menschen Leute, die sich lieben, oder so ähnlich. Man soll immer lieb und nett und höflich sein. Aber an diesem Tag ganz besonders."

Nagini sah ihn interessiert an, schüttelte den Kopf und meinte: „Witssssig."

„Ja, da hast du Recht." Er lächelte kalt. „Aber das hat auch Vorteile. Wenn an solchen Tagen jemand stirbt, so sind sie alle noch viel wütender und trauriger."

Sein Lächeln wich einem verzerrten Grinsen. Nagini wusste, worauf er hinauswollte. Das Blut, dass er ihr gegeben hatte, kam von jemandem, den er heute getötet hatte. Spätestens am nächsten Tag würde die ganze Schule trauern, alle würden sagen, dass das ein scheußliches Weihnachten sei.

Tom gefiel der Gedanke von Aberhunderten Schülern, die sich die nächsten Tage, Wochen und vielleicht sogar Monate nur noch ängstlich durch die Gänge schlichen. Aber das würde ihnen nichts bringen. Nicht den Schlammblütern, denn die konnte man riechen.

Nagini stupste ihn an die Brust, er hielt sich an ihrem Schwanzende fest und sah sie verwirrt an.

„Weisssst du, Tom... du brauchsssst gar niemanden. Du hasssssst ja mich."

Für einen kurzen Moment spürte er einen Kloß im Hals, der er aber erfolgreich herunterschlucken konnte. Dabei hatte es doch heute gar keine Klöße gegeben, nur eine merkwürdige Weihnachtssuppe. Er verwarf die Gedanken, die sich ihm gerade aufgedrängt hatten und nickte Nagini bestimmend zu.

„Ja, ich habe dich. Mit dir werde ich es schaffen. Ich werde alle Schlammblüter töten können und dann..."

„Sssso meinte ich dasssss nicht.", stoppte sie seine Rede. Tom wusste nicht, auf was sie hinauswollte. Es interessierte nicht einmal, er wollte lieber wieder von seinen Plänen reden. Doch die Schlange wollte ihm nicht zuhören.

„Ich weissssss ja, wassss du vorhasssst. Aber heute isssst Weihnachten."

Es herrschte einige bedrückende Minuten lang Stille, dann lachte Tom höhnisch auf. Er dachte, dass er jetzt wusste, was Nagini meinte.

„Du willst mich aufziehen, ja?"

Die Schlange schüttelte den Kopf. Sie war ja nur ein Tier, wie sollte sie da jemanden aufziehen wollen. Sie wusste ja nicht einmal, was das war...

„Vergissss essss, Tom."

Nagini wandte sich von ihm ab und schlängelte sich zurück zu ihren Eiern. Ein paar hatten nun Risse bekommen, sie würden mit Sicherheit noch heute schlüpfen, spätestens aber am nächsten Morgen. Tom ging ihr hinterher und betrachtete die Eier. Man konnte sehen, wie die Kleinen sich bewegten und er musste unwillkürlich lächeln.

Er strich über das rissigste der Eier und das noch ungeborene Wesen stieß mit dem Kopf dagegen, er konnte den Puls spüren, der von dem Lebewesen ausging.

„Sie sind wunderschön, deine Kinder." Nagini nickte zufrieden und stolz. Sie würde sicher eine gute Mutter sein.

Tom blieb noch eine Weile, sah fünf der Schlangen aus ihren Eiern schlüpfen und ging dann wieder zu seinem Schlafsaal und inzwischen abgekühltem Bett zurück. Es waren mehrere Stunden vergangen und er hatte nur nicht mehr viel Zeit, um zu schlafen.

Doch er konnte nicht einschlafen, was unüblich für ihn war. Ansonsten konnte er stets sofort einschlafen und ihn konnte nichts wecken, außer er wollte geweckt werden.

Naginis Worte schwirrten ihm unaufhörlich im Kopf herum. Es war heute Weihnachten, ja... aber was fand sie daran so besonders? Sie war nur eine Schlange, ein Basilisk. Ein grausames, verhasstes Wesen. Zu Unrecht, aber das wusste außer Tom ja niemand. Geschweige denn, dass Nagini überhaupt existierte.

„Heute ist Weihnachten.", murmelte er im Halbschlaf. Er überlegte sich Vieles, aber nur an einer Sache kam er immer wieder an. Dass Nagini, dieser wunderschöne Basilisk, die frischgebackene Mutter von einem Dutzend Kindern, glücklich war, dass sie Heiligabend mit ihm verbringen hatte können. Und er musste sich eingestehen, dass er mit keinem anderen Wesen hätte Weihnachten verbringen wollen. Wenn Nagini es genau so ging?

Sie war zwar „nur" eine Schlange, aber Gefühle hatte sie. Nur war er sich unsicher, ob er selbst so etwas überhaupt hatte.

„Weihnachten... das ist bestimmt irgendein starker Zauber."

Jahre später lernte Tom, der nun Lord Voldemort genannt wurde, dieses Gefühl noch einmal kennen. Er verlor durch es seinen Körper.

Vielleicht wollte es sich dafür rächen, dass er es damals nicht wahrgenommen und in Worte gefasst hatte?

Er verfluchte die Liebe innerlich, denn obwohl er durch sie beinahe zerstört worden war, so empfand er sie selbst jedes Jahr aufs Neue wieder, wenn die Schlangen, Kinder von Nagini, die damals geschlüpft waren, ihm Gesellschaft leisteten.