Was ist Weihnachten?
Raenef saß aufrecht und mit verschränkten Armen in seinem Bett. Er wartete darauf, dass Eclipse ihm endlich eine Antwort gab, doch der schien nicht gewillt, das zu tun.
„Nun steh schon auf, Raenef.", meinte er, mit einer schon reichlich genervten Stimme. Raenef hatte sich heute schon bockig genug verhalten, so bockig, wie andere es nicht in vierundzwanzig Stunden schaffen.
„Nein, erst, wenn du mir geantwortet hast. Das ist ein Befehl!" Doch leider wirkte es nicht wie einer, denn Raenef hatte eine weinerliche Stimmlage, als er das von sich gab.
„Gut, okay. Ich weiß nicht, was Weihnachten ist, zufrieden?"
Raenef sprang munter aus dem Bett, zog sich ganz ohne weiteres Zutun an und schleifte Eclipse dann mit sich nach draußen. Dort lag der Schnee schon mehrere Meter hoch und es schneite noch immer – seit ganzen fünf Tagen.
„Dann werde ich dir jetzt sagen, was man an Weihnachten macht und das machen wir heute Abend dann auch, ja, ja?"
Eclipse seufzte nur und lief Raenef hinterher, der ein ziemliches Tempo draufhatte. Er fragte sich, wo die Reise hingehen mochte.
„Also, erst mal schmückt man das ganze Haus! Also... hier ist es eher ein Palast, aber ich glaube, das macht nichts. Und wir brauchen einen Tannenbaum! Einen ganz großen, bitte!"
Eclipse hatte nicht mehr darauf zu sagen als: „Ein Dämonenlord bittet nicht."
Raenef schmollte zwar etwas, ließ sich seine überschäumend gute Laune aber nicht verderben. Jetzt, wo die beiden Menschen nicht mehr hier waren, war es ihm zu oft langweilig gewesen und jetzt endlich wäre wieder mal etwas los.
„Wozu soll dieses Weihnachten überhaupt da sein?"
Raenef blieb wie angewurzelt stehen, drehte sich zu ihm um und sah ihn erstaunt an. Das konnte sich Eclipse anscheinend wirklich nicht denken.
„Geschenke, man soll den Menschen... na ja, Wesen, die man am meisten liebt, etwas schenken. Das ist das Fest der Liebe!"
„Das ist ein Fest der Menschen..."
Raenef verzog das Gesicht und schien im Begriff gleich zu weinen, also korrigierte sich Eclipse schnell: „Das ganz dringend auch in der Dämonenwelt eingeführt werden sollte!" Daraufhin strahlte der junge Dämonenlord wieder.
Eclipse dagegen hatte das Problem, dass er nicht wusste, was er Raenef schenken sollte. Ihm fiel nämlich keine andere Person ein, die er mehr gern hätte... das Wort „lieben" ließ er in seinen Gedanken großzügig aus, auch wenn er es nicht schaffte, sein Unterbewusstsein davon loszureißen.
Er hatte keinerlei Ahnung, was Raenef sich wünschen könnte und einfach nachzufragen, das erschien ihm platt. Seine Gedanken wurden auch noch davon gestört, dass er sich fragte, ob Raenef ihm wohl etwas schenken würde. Natürlich war sonst kaum jemand in der Nähe, dem man etwas hätte schenken können, aber dennoch war Eclipse etwas nervös.
Unbegründet, wie sich am Abend zeigte. Raenef hängte gerade die letzte Kugel an den Baum, sprang dann von der Leiter und begrüßte Eclipse mit einer Umarmung, die beide umfallen ließ.
„Nicht so stürmisch."
Raenef interessierte die Maßregelung nicht. Er sprang wieder auf, ging zum Weihnachtsbaum zurück und deutete auf die Geschenke.
„Das da, das ist für dich!" Er hob ein mittelgroßes, rotes Päckchen hoch und überreichte es Eclipse, der gerade in seiner Seitentasche gewühlt hatte. Er stellte das Päckchen kurz ab, kramte noch einmal in seiner Tasche und fand dann, was er gesucht hatte. Er überreichte Raenef das kleine Schächtelchen und machte sich daran, sein Geschenk auszupacken. Er hätte es auch fast geschafft, wäre ihm Raenef nicht wieder um den Hals gefallen.
„Ist der für mich? Wirklich für mich!"
Er fuchtelte mit dem Kristallring herum, der in der kleinen Schachtel gewesen war. Eclipse verbarg sein rotes Gesicht hinter seinem eigenen Geschenk und nickte.
„Das ist für den größten Dämonenlord der Geschichte.", erwiderte er leise. Raenef beugte sich zu ihm herunter und gab ihm einen zarten, kurzen Kuss.
„Dankeschön, Eclipse... das ist das schönste Weihnachten, seit ich denken kann." Eclipse lächelte und zog Raenef in seine Arme.
„Ja, das denke ich auch." Als Eclipse Raenef küsste, schloss dieser die Augen und vergaß für einen Moment, dass er ein Dämon war. Er dachte nämlich, dass er heute der glücklichste Mensch der ganzen Welt war.
