Braten in der Röhre

Gutgelaunt schlenderte Yuuko durch den verschneiten Hintergarten ihres Geschäftes, das ihr auch als Wohnung diente. Hier und da blieb sie kurz stehen um wieder einen Schluck Sake zu sich zu nehmen, nur um dann weiter im Kreis zu laufen.

Doumeki beobachtete sie schon den ganzen Vormittag über, aber bis jetzt hatte er immer noch nicht verstanden, was seine Chefin da überhaupt machte. Es interessierte ihn eigentlich auch nicht, doch da Watanuki gerade drinnen am Kochen war, war es sicher, dass es draußen bei Yuuko nicht halb so gefährlich sein würde. Jedes Gespräch, dass sie hatte anfangen wollen, wurde allerdings von ihm abgeblockt, was Yuuko langsam schlechte Laune bekommen ließ. Inzwischen hatte sie ihm schon sieben Mal die Pfeife auf den Kopf geschlagen, wobei Doumeki die heiße Asche übers Gesicht gerutscht war.

„Sei doch nicht so verschwiegen! Trink ein Schlückchen mit mir."

„Nein. Ich bin minderjährig."

„Noch bist du das, aber das dauert doch alles nicht mehr lange... ihr werdet doch immer so schnell groß!"

Doumeki senkte den Blick wieder und betrachtete die vereisten Blumen, die noch übriggeblieben waren. Die meisten hatte Yuuko schon zertreten, mit ihren hochhackigen Winterstiefeln. Doumeki fragte sich, wie man auf solchen Schuhen überhaupt laufen konnte. Vielleicht konnte Yuuko das so gut, weil sie eine Hexe war? Aber dann war jedes Mädchen eine Hexe, denn die konnten es auch alle.

„Heeeey, Doumeki! Jetzt sag doch mal was! Oh... Moment, ich verstehe. Ich verstehe! Verstehst du?"

Doumeki schüttelte den Kopf und sah sie gelangweilt an. Anscheinend hatte ihr der Sake heute besonders ungut getan.

„Du vermisst Watanuki, ganz genau, so ist das! Los, geh schon rein und hilf deinem Liebsten beim Kochen!" Ihr schrilles Lachen war so laut, dass Doumeki fürchtete, sie würde die Nachbarn in der Umgebung dazu bringen die Polizei zu rufen.

Er antwortete ihr nicht, schüttelte abermals den Kopf, stand auf und ging nach drinnen. Ihr Lästern hörte er noch bis in den vorderen Hausflur, in der Küche hörte man aber nichts mehr. Fast nichts mehr, denn Watanuki schrie erbost auf, als er Doumeki sah. Die Küche war sein privates Reich hier und er mochte Eindringlinge nicht.

„Raus! Ich koche, siehst du schlecht?"

„Nein, ich sehe ganz gut." Doumeki schnappte sich einen der herumliegenden Kaffeelöffel und probierte von der Soße.

„Das ist unhygienisch! Mach sofort deine Griffel da weg!"

Doumeki ließ sich von den Kopfnüssen Watanukis nicht ablenken und probierte weiter alle Soßen, Suppen und anderen Speisen die auf dem Herd vor sich hinkochten. Dass Watanuki ihn darauf hinwies, er hätte den Löffel selbst schon im Mund gehabt, störte Doumeki nicht im Geringsten.

„Du bist ja nicht krank. Zumindest nicht körperlich. Obwohl das Gehirn schon zum Körper gehört. Das ist nicht ansteckend, denke ich..."

Watanuki zog eine Schnute und widmete sich wieder den Kartoffeln, die er gerade angefangen hatte zu schälen, als Doumeki so plötzlich hereingeplatzt war. Als Doumeki nach endloser Zeit (und ebenso endlosem Schweigen) endlich damit fertig war, alle Nahrungsmittel in der Küche höchstpersönlich anzutesten, wandte er sich wieder an Watanuki: „Soll ich dir helfen?"

Er sah kritisch auf den riesigen Berg an ungeschälten Kartoffeln, dann zu Watanuki, der sich schon mehrmals in die Finger geschnitten hatte.

„Ja, schon gut. Dann schäl sie halt."

Watanuki lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete, ob Doumeki seine Sache auch richtig machte. Als er sich nach elendig langen Minuten selbst davon überzeugen konnte, dass Doumeki alles im Griff hatte stand er auf und kümmerte sich wieder um die Suppen und Soßen und letztendlich auch um den riesigen Truthahn, der noch gestopft werden wollte.

Watanuki schnappte sich die verschiedenen Füllungen, zog sich die Handschuhe über und stopfte alles hinein, was hinein gehörte. Von Doumeki bekam er dafür nur einen verständnislosen Blick geschenkt. Das würde sich später aber sich ändern, wenn der erst mal von der Köstlichkeit probiert hatte. Falls Watanuki ihn lange genug davon abhalten konnte, sie nicht schon in der Küche aufzuessen.

„Fertig."

Nach einer Stunde war Doumeki fertig. Dafür, dass er alles alleine gemacht hatte, war das ziemlich schnell. Watanuki haderte mit sich. Eigentlich wollte er ihm kein Kompliment machen. Aber Doumeki verdiente eines, das war ihm bewusst. Er biss sich auf die Lippen, holte tief Luft und meinte dann zu ihm: „Danke. Hast du echt gut gemacht."

Doumekis Grinsen ging über sein ganzes Gesicht. Er schnappte Watanuki beim Kragen und zog ihn zu sich. Der wollte sich zwar befreien, aber es gelang ihm nicht.

Doumeki wuschelte ihm durchs Haar und sagte mit süßlicher Stimme zu seinem Gefangenen: „Dankeschön. Das ist aber lieb von dir."

„Nichts zu... danken... LASS MICH LOS!"

Watanukis Zappeln brachte ihm nichts. Doumekis Griff wurde nur immer fester und Watanuki bekam Atemnot davon. Also beschloss er, dass stillhalten wohl die bessere Wahl sein würde und rührte sich nicht mehr.

Doumeki fand das ganz praktisch. Einerseits war der Kraftaufwand geringer, andererseits konnte sich Watanuki auch sicher nicht mehr so schnell reagieren können. Er ließ sich also auf ein selbsterfundenes, äußerst gefährliches Experiment ein. Er musste einfach mal wissen, ob die Hexe der Dimensionen Recht mit dem hatte, was sie ständig sagte.

Also war er so frei und küsste Watanuki. Der riss die Augen so weit auf wie er nur konnte, wehrte sich aber erstaunlicherweise nicht.

Auch wenn er bei sich dachte, dass er Doumeki mit heißem Fett übergießen würde, wenn das erst mal vorbei war und er sich wieder gefasst hatte. Dazu kam es aber nicht, denn Doumeki hielt ihn auch nach dem Kuss noch fest.

„Wie war das?", fragte Doumeki im ruhigsten Ton, den er jemals gehabt hatte.

Watanuki derweil hatte schon wieder angefangen wild um sich zu schlagen und brachte Doumeki damit auch dazu, dass er ihn endlich wieder losließ.

„Wie war das?"

„Ich hab dich schon verstanden, keine Sorge!"

Watanuki führte den Arm zum Mund, um sich selbigen abzuwischen, stoppte dann aber in seiner Bewegung. Er sah Doumeki lange und eindringlich an. Dieser wiederholte seine Frage nochmals: „Wie war das?"

Watanuki atmete tief durch, sah abwechselnd an die Decke und zu Boden und entschied sich dann, dass er ihm antworten würde.

„Nass. Sonst war's... na ja... ausbaufähig."

Doumeki sah ihn schief an, fand sein Grinsen aber schnell wieder.

„Dann müssen wir wohl noch etwas üben?"

Watanuki hatte keine Zeit mehr ihm zu antworten, denn ihm kroch ein beißender Gestank in die Nase. Er drehte sich zum Backofen um und beobachtete perplex wie sich der Truthahn langsam vollständig schwarz färbte und ausdehnte. Dass er verbrannte, hätte Watanuki nicht großartig verwundert, aber gleich noch wachsen?

Doumeki schnappte sich das Nudelholz, öffnete den Backofen und schlug einmal heftig auf den sich ausdehnenden Truthahn. Dieser löste sich augenblicklich auf.

„Sogar an Weihnachten ein Geist?", stöhnte Watanuki und ließ sich zu Boden sinken. Er hatte sich solche Mühe mit dem Essen gemacht und nun war die Hauptspeise hinüber.

Doumeki beugte sich zu ihm hinab und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Watanuki sah ihn dankbar an, aber sein Frust war ihm anzumerken.

„Das ist alles nur, weil du mich küssen musstest. Warum hast du das überhaupt gemacht, hm?"

Watanuki hatte Doumeki als Opfer seines Zornes und seiner Frustration gewählt, aber da er so geschafft war von der ganzen Kocherei, hörte er sich nicht halb so bestimmt an wie sonst – er war es auch nicht. Er hatte jetzt keine Lust zum Streiten, nicht mal mit Doumeki.

„Ich wollte nur was testen."

„Soso... was hat dein toller Test denn ergeben?"

„Yuuko ist eine echte Hexe."

Watanuki erhob skeptisch eine Augenbraue, rollte dann mit den Augen und befand, dass Doumeki eben einfach nicht zu verstehen war. Was hatte auch Yuukos Dasein als Hexe mit einem Kuss zwischen ihnen beiden zu tun?

Traurig sah er zum Backofen, aus dem es noch immer dampfte. Es hätte so schön werden können. Sie hätten alle zusammensitzen können, Yuuko wäre schon lange vor dem Essen besoffen, die beiden Kleinen würden ihn ärgern, Doumeki schweigen... nun ja, vielleicht wäre es nicht perfekt geworden.

Doumeki setzte sich nun neben ihn und starrte ebenfalls den qualmenden Backofen an. Er mochte gar keinen Truthahn, also war ihm es eigentlich vollkommen egal. Nur hatte er gesehen, wie sehr sich Watanuki um das Essen bemüht hatte und nun fühlte er sich doch etwas schuldig. Immer wieder wanderte sein Blick kurz zu Watanuki, aber der sah nicht auf.

Langsam wurde Doumeki dadurch ungeduldig. Natürlich war es nicht schön, wenn Schwerstarbeit einfach so zerstört wurde, aber man lebte ja weiter, auch wenn der Hahn verkohlte.

Er schnappte sich Watanukis Kinn, zog ihn näher an sich heran und verpasste ihm den zweiten Kuss des Tages – vielleicht auch insgesamt erst den zweiten, aber so gut wusste er nicht über ihn bescheid.

Watanuki wollte zuerst protestieren. Er hatte gerade schlechte Laune und fand es nicht besonders nett einfach aus seinen Gedanken gerissen zu werden. Aber irgendwie gefiel es ihm auch, etwas Ablenkung zu haben. Er schloss die Augen und entspannte sich. Nicht lange, aber er überstand den Kuss.

„Hm... das war schon besser.", flüsterte er Doumeki zu. Diesem huschte ein sanftes Lächeln übers Gesicht, wie es Watanuki vorher bei ihm noch nie gesehen hatte. Sonst grinste Doumeki immer nur, oder hatte ein ausdrucksloses Gesicht. Dieses hier war ganz anders.

„Weißt du was? Wir bestellen uns einfach einen Truthahn."

Watanuki nickte benommen und lehnte sich an Doumeki. Es hatte etwas Beruhigendes an sich zu wissen, das jemand für einen da war, an dem man sich anlehnen konnte.

„Okay... ausnahmsweise."

Yuuko stürmte an der Küche vorbei an die Tür, die gerade geklingelt hatte, hielt aber noch kurz an um ihnen zubrüllen zu können: „Aber bei eurer Hochzeit, da kochst du selber, Watanuki!"

„Hat sie schon vorher gewusst, dass der Truthahn ein Geist ist?"

„Ja."

„Na danke auch."