Reptilienfraß

„Wie viel Zeit ist vergangen?"

„Jahre."

„Welche Zeit ist es jetzt?"

„Winter."

„Welcher Tag ist heute?"

„Heiligabend."

Sasuke drehte sich in seinem Bett herum, sodass er die Wand ansehen konnte. Seit er bei Orochimaru war, hatte er sein Zeitgefühl vollkommen verloren. Stets wurde er beobachtet, beim Training, beim Essen und während des Schlafens.

Meistens von Orochimaru selbst. Er wollte seinen Handlangern keine so wichtige „Sache", wie es Sasuke nun einmal war, überlassen und Gefahr laufen, er könnte ihm entwischen. Dabei hatte Sasuke das nie vorgehabt. Es war seine freie Entscheidung gewesen, zu diesem Mischwesen aus Schlange und Mensch zu gehen.

„Aber es wird nicht deine freie Entscheidung sein, wann du zu gehen hast."

Sasuke wandte den Kopf zu Orochimaru um und sah ihn kalt an. Doch um eine großartige Unterhaltung zu führen, war er heute zu müde. War er zu müde, seit er hier angekommen war. Das Training stand er ohne Probleme durch, er war schon viel stärker geworden. Doch innerlich war er stets erschöpft. Er wollte mit niemandem reden, von niemandem angefasst werden. Am liebsten lag er in diesem Bett und starrte die Decke an, wobei er von Orochimaru beobachtet wurde.

Anfangs hatte er sich noch oft mit ihm gestritten, hatte ihm an den Kopf geworfen, er sei ein Perverser, wenn er ihn immer so anstarrte. Inzwischen war Sasuke es egal, wer ihn wann und wo anstarrte.

„Heute wird es einen Festschmaus geben, Sasuke."

„Ich habe keinen Hunger."

„Das brauchst du auch nicht."

Orochimaru setzte sich auf die Bettkante und berührte Sasukes Haar, das in den Jahren, in denen er nun schon hier war, kräftig gewachsen war. Er strich es glatt und betrachtete seinen „Schatz".

Sasuke wehrte sich nicht. Er kannte diese verträumte Art Orochimarus, die manchmal zu Tage trat. Selten kam er ihm aber näher und deswegen hatte er aufgegeben, sich dagegen zu wehren. Es war ja nie etwas passiert. Er war Orochimarus wichtigster Lebensinhalt gewesen in den letzten Jahren. Daran würde sich so plötzlich nichts ändern können.

„Du schmeckst sicher gut."

Sasuke bewegte sich noch immer nicht. Er beobachte ruhig, wie Orochimarus schlangenhafte, lange Zunge sich seinem Gesicht näherte und am Hals die Aorta nachfuhr.

Er hatte keine Angst. Er dachte nicht an die Rache, an Itachi. Er dachte nicht daran, dass etwas passieren könnte.

Orochimaru beugte sich vor, näher zu ihm, und sah ihn mit liebevollen, versteckt gierigen, Augen an. Sasuke zuckte nun doch ein wenig zusammen. Als er den stärker werdenden Biss an seiner Schulter spürte, war er schon in einer Starre gefangen, aus der er sich nicht befreien konnte.

„Schlangen sind giftig.", zischte es nah an seinem Ohr.

Am nächsten Tag bat Orochimaru, das Zimmer, in dem Sasuke gewohnt hatte, aufzuräumen. Seine Untergebenen ahnten, was in der Nacht geschehen war und überlegten sich, ob sie sich weigern sollten. Sie kamen aber zu dem Schluss, dass so ein Verhalten zu fatale Nachfolgen haben konnte. Sie wollten schließlich nicht auch über Nacht nur noch ein Klümpchen Fleisch sein, ein wenig Blut an den Wänden und nicht zuletzt auch ein Teil des Körpers ihres Herrn Orochimaru.