Ein Verlust der schmerzt

Fuuma ließ sich neben Subaru sinken, der schon seit Stunden auf dem taunassen Gras vor einem alten Kirschbaum saß. Er starrte ihn unentwegt an, als ob er erwarten würde, das er gleich knospte. Doch es war tiefster Winter und der Himmel war schneegrau. Spätestens in der Nacht würde es anfangen zu schneien.

Fuuma war sich sicher, dass Subaru dennoch hier sitzen bleiben würde, wenn er ihn nicht mit Gewalt dazu brachte, sich in eine wärmere Umgebung zu begeben. Allerdings hatte er keinen Grund das zu tun. Es konnte ihm ja egal sein, ob er sich eine Grippe einfing oder nicht. Vielleicht wollte Subaru das ja sogar. Möglicherweise würde er hier vor diesem Baum sterben, weil er so hohes Fieber bekommen würde, dass sein Körper es nicht mehr länger mitmachte.

Fuuma betrachtete Subaru lächelnd. Er wusste, was sein Wunsch gewesen war und er wusste es noch immer. Groß geändert hatte er sich ja nicht. Manchmal fragte er sich, ob er ihm nicht einfach bei diesem Wunsch behilflich sein sollte.

Er hatte momentan nichts zutun und das Spiel mit Kamui wurde ihm langsam langweilig. Das ewige Warten darauf, dass Kamui endlich erkannte, was sein wahrer Wunsch war, dauerte ihm inzwischen ein wenig zu lange, als dass es noch hätte lustig sein können, den verwirrten Himmelsdrachen zu beobachten.

Da war Subaru schon interessanter. Dieser wusste wenigstens, was er wollte. Nur war er ein wenig zu versessen darauf. Wenn Fuuma hörte, wie Subaru in seinen Gedanken immer wieder flehte, dass ihm sein Wunsch erfüllt werden sollte, dann war das mindestens so amüsant, wie Kamui zu zeigen, wie man richtig mit einem Schwert umging. Wäre Kamui so wie Subaru, das wäre ein Spaß, dachte sich Fuuma und ein Grinsten stahl sich auf sein Gesicht.

„Was ist? Wieso bist du hier?"

„Ein Bannkreis war in der Nähe.", sagte Fuuma besonnen lächelnd. Schwer zu erraten war nicht, was er bis eben noch getan hatte. An seinen Händen klebte Blut vermischt mit Staub und Asche.

„Bald sind alle zerstört."

Subaru hatte sich tatsächlich dazu aufgerappelt, Fuuma direkt in die Augen zu sehen. Man sah ihm an, wie erschöpft er war und verzweifelt, aber auch, dass er um keinen Preis aufgeben würde hier zu bleiben um zu sterben. Fuuma seufzte und schloss die Augen. Er wusste, welche Frage nun kommen würde.

„Was machst du dann mit Kamui? Wenn sie alle zerstört sind...?"

„Das wird sich zeigen."

Subarus Stirn legte sich in Falten und eine seiner Augenbrauen wanderte skeptisch in die Höhe. Hinoto hatte deutlich gesagt, was passieren würde. Warum ausgerechnet Fuuma, der noch Kakyou als zusätzlichen Beweis hatte, jetzt eine so schwammige Antwort gab, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.

„Wer weiß... wie mein Schwesterherz sagte: Die Zeit wird es zeigen."

Subaru lehnte sich an den Stamm des Kirschbaums und sah Fuuma lange an, ohne nur ein einziges Wort von sich zu geben.

„Du meinst also, dass noch nichts entschieden ist?"

„Tja, wer weiß. Vielleicht hat Kamui doch noch einen Geistesblitz?"

Subaru schüttelte den Kopf. Das konnte er sich nicht vorstellen. Sicherlich würde Kamui bis zu seinem Tod, wann auch immer der sein würde, nicht herausfinden, was er sich wünschte. Subaru wusste aber auch, dass es nicht unbedingt besser sein musste, seinen innigsten Wunsch zu kennen. Oft brachte es nichts – oder es endete genau so, wie man nicht wollte, dass es endet.

Dass ihm eine Träne über die Wangen rann spürte Subaru erst, als Fuuma sie ihm wegstrich. Er rührte sich nicht, sondern blieb starr sitzen. Auch als er den Kuss auf seinen Lippen spürte, bewegte er sich noch nicht.

Subaru spürte das seine Hände an den Stellen, an denen einst die Zeichen Seishirous gewesen waren, anfingen zu brennen, als hätte man heiße Asche auf sie geschüttet.

Fuuma löste sich von ihm. Er lächelte nicht, er grinste auch nicht. Sein Blick war kalt und er schien enttäuscht. Subaru dachte das erste Mal in seinem Leben, dass er froh sein konnte, dass Seishirou ihn wenigstens nie so angesehen hatte, wie Fuuma es in diesem Augenblick tat.

Subarus Blick wanderte nach unten, zu Boden. Er wunderte sich nicht darüber, dass einige Wurzeln des Kirschbaums aus der Erde geschossen waren und sich um seine Arme geschlängelt hatten. Er gehörte Seishirou, genau wie es die Kirschbäume taten. Subaru presste sich fest gegen den Stamm des Baumes und biss sich auf die Unterlippe.

„Der nächste Bannkreis wartet. Und dann werden wir endlich sehen, was Zeit bringt."

Subaru sah ihm nach, als sich Fuuma aufmachte um den nächsten und letzten Bannkreis zu zerstören. Er fragte sich, ob Fuuma Kamui wirklich töten würde, oder ob er nur etwas ähnliches vorhatte wie das, was er gerade mit ihm getan hatte.

Subaru lehnte den Kopf gegen den Baumstamm und kniff die Augen zusammen. Er weinte, wie er das letzte Mal geweint hatte, als Hokuto getötet worden war. Er küsste die Rinde und murmelte immer wieder Entschuldigungen.

Die Äste legten sich um seinen Körper. Er dachte, er könne den Puls des Baumes unter seinen Händen spüren. Wenn er jetzt sterben könnte, wäre das ein wunderschönes Geschenk, dachte er sich. Heute, wo Weihnachten war, heute wäre ein schöner Tag um den geliebten Menschen wiederzusehen.

Vielleicht war es ein Abschiedskuss gewesen. Vielleicht hatte Fuuma gewusst, wie der Baum reagiert hätte, wäre Subaru an Unterkühlung gestorben. Dass alle Kirschbäume der Welt vor Trauer verwelkt wären. Der Ast, der sich durch Subarus Brust bohrte war warm gewesen und kaum ließ er den leblosen Körper zu Boden sinken, ergraute der Baum und starb.