5. Kapitel:Das Skript
Dienstag, 14.00 Uhr
Monk versuchte gerade die Bommeln der neuen Tischdecke auf dem Wohnzimmertisch symmetrisch exakt in eine Richtung auszurichten.
„Sharona, haben Sie mal einen Kamm? Ich will eben noch die Fransen ordnen. Nein! … Eher würden Sie die Tischdecke vor meinen Augen verbrennen! Ist ja Ihre Decke. Wenn Sie damit leben können. Aber Sie hättens mir gedankt."
„Erzählen Sie mir lieber, worum es in dem Skript geht. Können Sie mal für eine gestresste Assistentin, Krankenschwester, Betreuerin, Köchin und Mutter eine Zusammenfassung liefern? Oder wollen Sie mich lieber aufgrund meiner vielfältigen Tätigkeiten mehrfach bezahlen."
Monk schluckte die Bemerkung herunter, dass er sie bereits fürstlich entlohnte.
„Ich wollte ihnen doch nicht die Spannung nehmen, wenn Sie heute vor dem Einschlafen ein wenig Lektüre brauchen. Hiermit wären all ihre Schlafstörungen beseitigt. So ein langweiliges Drehbuch habe ich selten gelesen. Außerdem sind alle Personen verfälscht. Als ob ich immer rumnörgeln würde, wenn es nicht nach meiner Meinung geht."
„Das tun Sie!", schallte es aus der Küche zurück, wo Sharona schon mal den Tisch deckte.
„Nein, das tue ich nicht."
„Doch."
„Nein.
„Doch."
„Nein."
„Adrian, bitte! Sie sind unverbesserlich. Dann erzählen Sie mal."
„Der Fall ist ganz einfach. Miss Susan Devenport ist Sekretärin beim Manager der Electronic System Company, Mr. Steve Pollack. Die beiden hatten ein Verhältnis, obwohl beide anderweitig liiert waren. Miss Devenport setzte ihren Chef unter Druck, dass er sich von seiner Frau trennt oder ihr eine erhebliche Abfindung auszahlt. Sie drohte ihm damit, ansonsten alles seiner Frau auszuplaudern. Eines Abends, als beide mal wieder Überstunden gemacht hatten, wurde Miss Devenport an ihrem Auto auf dem Parkplatz hinter dem Bürogebäude mit einem Drahtseil erwürgt. Es gab drei Tatverdächtige: Mr. Pollack, seine Frau, Patricia Pollack, und der Freund des Opfers Terry Boots. Schwer belastet wurde Mr. Pollack durch die Aussage des Parkwächters, Mr. Peter Juggle. Dieser sagte aus, dass keiner den Parkplatz unbemerkt hätte betreten können, außer aus dem Gebäude selber, wo sich ein Hinterausgang befand. Vorne hätte er jedenfalls alles gesehen. Aber es hätte eventuell jemand ungesehen aus dem Gebäude schleichen können, Miss Devenport töten können und dann wieder rein schleichen können. Da bereits lange Feierabend für die Mitarbeiter im Bürogebäude gewesen war, blieb nur Mr. Pollack als Täter übrig."
„Sie hatten Recht. Das langweilt einen zu Tode. Wo ist denn da der Clou? Es muss doch irgendetwas Außergewöhnliches passieren. Das ist doch kein spektakulärer Fall. Den hätte ja sogar Randy lösen können."
Monk blickte triumphierend auf.
„Habe ich ihnen das nicht schon vorher gesagt! Hatte ich mal wieder Recht! Das ist ein ganz übles Skript."
„Aber irgendwas Seltsames muss doch enthalten sein, sonst könnte es ja in jeder Krimi-Serie verwendet werden."
„Das Ungewöhnliche ist, dass Mr. Pollack ein Alibi hatte, als der Mord geschah. Er telefonierte eine halbe Stunde lang mit seiner Frau, während Miss Devenport unten auf dem Parkplatz erwürgt wurde."
„Woher sind denn die Zeiten bekannt?"
„Miss Devenport hat um 20.43 Uhr ihre Steckkarte an der Stempeluhr am Ausgang gestempelt. Nach den Telefonaufzeichnungen hat Mr. Pollack von 20.38 Uhr bis 21.08 Uhr mit seinem Privatanschluss telefoniert. Es wäre danach unmöglich, dass er zur selben Zeit Miss Devenport ermordet hat."
„Wie hat denn Mr. Monk den Fall im Skript gelöst?"
Belustigt schaute Monk Sharona an.
„Da hat sich Carpenter was ganz Außergewöhnliches einfallen lassen. Er hat behauptet, dass er eine Komplizin gehabt hätte, die ihm ein Alibi verschafft hätte."
Monk zupfte wieder an der Tischdecke rum und brachte Sharona damit zur Weißglut.
„Spannen Sie mich nicht auf die Folter! Raus mit der Sprache!"
„Mein alter Ego meint, dass die Frau von Pollack ihm ein Alibi verschafft habe. Das hätten die beiden abgemacht, um die üble Erpresserin zu beseitigen."
Amüsiert von dieser Lösung zappelte Monk grinsend auf dem Sofa herum.
„Das ist so ein grober Unfug. Das ist absolut unlogisch. Mr. Pollack kann nicht der Mörder gewesen sein. Der Täter ist ein anderer."
„Wer denn? Wenn es ein authentischer Fall ist, müssen wir das Department informieren und sie vor einem Justizirrtum bewahren. Aber zuerst essen wir den Gemüsekuchen. Kommen Sie, Adrian. Benjy, komm essen!"
„Haben Sie nicht etwas ohne schiefe Möhrenstücke?"
„Nein! Essen Sie den Gemüsekuchen oder verhungern Sie!"
