Erst mal natürlich danke für euere Kommis!

So und Draconie

Aach, bei mir hat er eins! -g-

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Mandy wartete bereits auf ihn.
„Sag mal, wo hast du eigentlich gesteckt?" begrüßte sie ihn.
„Ich? Ich ... ich war ... ach, nirgendwo ... vergiss es" murmelte er.
„Das ist ja schön. Können wir dann endlich anfangen?"
„Oh, ja ... natürlich." Draco setzte sich.
Mandy musterte ihn mit in Falten gelegter Stirn.
Er sah irgendwie komisch aus.
Sie wusste nicht, woran es lag, aber es war nicht der Draco, den sie zuletzt in Kräuterkunde gesehen hatte.
„Du wolltest doch jetzt anfangen, oder Brocklehurst?"
„Ja, Malfoy!"
„Na also, worauf warten wir da noch?"
Schweigend stand er auf und begann, die Regale nach Büchern über Misteln zu durchforsten.
Mandy zeichnete währenddessen weiter.
Nach einer guten Viertelstunde kam Draco zurück an den Tisch, beladen mit sieben Büchern.
„Hier" er legte die Bücher auf den Tisch, „die hab ich gefunden."
„Schön." Mandy blickte nicht mal auf. „Ich bin auch mit der Zeichnung fertig. Schreiben wir dann den Aufsatz?"
Draco nickte leicht.
Mandy runzelte die Stirn.
Irgendetwas stimmte mit ihm nicht.
Sie nahm sich eins der Bücher, suchte im Inhaltsverzeichnis nach Misteln und schlug es dann auf.
Draco tat es ihr gleich.
Eine Weile arbeiteten sie schweigend.
Sie lasen alles, was es über Misteln zu wissen gab und machten sich hin und wieder einige Stichpunkte.
Draco bemerkte gar nicht, dass Mandy ihm ab und zu unauffällige Blicke zuwarf.
Sie wusste nicht genau, was anders war, aber irgendwas war anders. Und das würde sie schon noch herausfinden.
Sie würde schon noch herausfinden, was mit ihm eigentlich war.
Wieso er bei Padmas Worten so überreagiert hatte.
Wieso er zu spät gekommen war.
Aber wieso sie es herausfinden wollte, wusste sie auch nicht.
Hing es damit zusammen, dass sie immer nach dem wahren Charakter eines Menschen suchte?
Hing es damit zusammen, dass sie jedem Menschen helfen wollte, der in Schwierigkeiten steckte? Denn dieser Junge steckte gewaltig in Schwierigkeiten, das hatte sie schon im Zug bemerkt.
Oder womit hing es sonst zusammen?
Es gab noch eine dritte Möglichkeit, aber die fiel Mandy nicht ein, und wenn sie ihr eingefallen wäre, hätte sie sie verdrängt.
„He, Draco, was hast du denn rausgefunden?" wollte sie wissen.
Schließlich würden sie jetzt arbeiten müssen.
Sie begannen, den Aufsatz zu schreiben.
Es dauerte gar nicht so lange, wie Draco befürchtet hatte, bis sie fertig wurden.
Und zum Glück war ihm rein gar nichts in der Zeit rausgerutscht, das ihn in Schwierigkeiten bringen könnte.

Zwei Wochen und einige Tage später: Draco hatte sich erneut auf die Jungstoilette geschlichen.
Es war schrecklich gewesen, einfach furchtbar.
Nach dem Unterricht hatte Snape Draco geschnappt und die beiden waren erneut zum Dunklen Lord gereist.
Er hatte Draco gefragt, wie es voran ging.
Draco hatte ihm gesagt, dass er den Plan noch ausfeilen müsste, auf jede Kleinigkeit achten.
Als hätte der Dunkle Lord ihn nicht gehört, wollte er wissen, wann es denn voraussichtlich so weit sein könnte.
Dracos Antwort hatte ihm überhaupt nicht gefallen.
Dann hatte er ...
Draco wollte nicht daran denken.
Er fühlte immer noch die Schmerzen.
Der Dunkle Lord hatte ihn erneut gefoltert, nur weil seine Antwort – seine wahre Antwort – ihm nicht gefallen hatte.
Es war eine wahre Antwort, das war es.
Aber den Plan, den Draco in Erwägung gezogen hatte, war nicht der Plan, der am schnellsten gegangen wäre.
Eigentlich war es sogar der langsamste.
Er wollte Zeit schinden, Zeit, in der er noch mal darüber nachdenken konnte, was er nun tun würde.
Aber er war überhaupt nicht weiter gekommen.
Noch immer wusste er nicht, was er nun machen würde.
Es nicht tun – und mitsamt seinen Eltern sterben.
Es tun – und zum Mörder werden.
Wieso denn?
Wieso hatte der Dunkle Lord ausgerechnet ihn für diese Aufgabe herausgesucht?
Und wieso konnte er nicht einfach zum Mörder werden?
Die Fragen, die Draco sich jetzt schon seit Wochen stellte, und auf die er immer noch keine Antwort gefunden hatte.
Draco ließ sich auf den Boden sinken und zog die Knie an.
Es hatte so weh getan, als der Dunkle Lord ihn mit dem Cruciatus-Fluch belegt hatte.
Wieso denn er?
Was hatte er denn getan, das er ein solches Schicksal verdient hatte?
Was hatte er denn verbrochen?
Und wer sagte, dass, wenn er es tun würde, es danach aufhören würde?
Würde der Dunkle Lord ihn nicht weiter befehlen, grundlos Leute umzubringen?
Weil sie im Weg standen?
Es waren so viele Fragen und so wenig Antworten.
Die ganze Situation war so aussichtslos.
Selbst wenn er es schaffen würde, einmal zu töten, es würde nicht bei diesen einem Mal bleiben.
Der Dunkle Lord würde von ihm fordern, wieder zu töten, zu töten, zu foltern.
Aber warum denn?
Warum war er in so eine Familie hineingeboren worden?
Warum hatte er Eltern gekriegt, die später von ihm verlangen würden, zu töten?
Warum hatte er Eltern gekriegt, bei denen er nicht er selbst sein könnte?
Warum denn?
Die Tränen, die er bis eben noch zurück gehalten hatte, flossen jetzt über sein Gesicht.
Er hatte genug, genug von diesen Schmerzen, genug von diesem Gefühl der Einsamkeit, genug von diesem Gefühl, nicht gebraucht zu werden.
Er wollte, dass es aufhörte, wollte, dass alles endlich ein Ende nahm.
Er konnte es nicht, er konnte niemanden ermorden!

„He, warum weinst du denn?" holte ihn eine Mädchenstimme aus seinen Gedanken.
Draco blickte auf.
Durch einen Tränenschleier sah er Myrte.
Sie schwebte nur einige Meter vor ihm und wartete jetzt auf eine Antwort.
„Wie ... wie lange bist du schon hier?" schniefte Draco.
Er strich sich mit dem Ärmel über sein Gesicht um die Tränen wegzuwischen.
„Schon seit heute Morgen. Ich habe dich auch das letzte Mal gesehen, wie du hier geweint hast. Aber warum weinst du?"
„Ich ... das geht niemanden etwas an!" Seine Stimme hatte ihren alten arroganten Klang zurückgewonnen, selbst wenn ihm immer noch Tränen über die Wangen liefen.
„Mir kannst du es ruhig erzählen. Ich werde es keinem verraten, Draco, das schwöre ich dir."
„Ich kann es dir aber nicht erzählen! Ich darf es keinem Menschen erzählen, hat er gesagt!"
„Das ist schön, denn ich bin kein Mensch. Ich bin ein Geist." Myrtes Stimme klang für einen Moment hart, doch dann fuhr sie fürsorglich fort: „Du kannst es mir ruhig erzählen. Ich werde es wirklich niemandem verraten."
Draco zögerte einen Moment.
Myrte sah, wie er einen inneren Kampf ausfocht.
Doch schließlich siegte sein Bedürfnis, mit jemanden über alles zu reden, über seine alte Angewohnheit, niemanden den wahren Draco Malfoy sehen zu lassen.
Sie hatte ihn ja eh schon weinen gesehen, sie wusste doch schon, dass er nicht so kalt, arrogant und fies war, wie er immer vorgab, zu sein.
Und so erzählte er es ihr.
Seine Tränen versiegten nicht, im Gegenteil, mit jedem Wort, das er sich von der Seele sprach, wurden sie mehr.
Als er geendet hatte, vergrub er sein Gesicht in den Händen.
Myrte schwieg.
Dann meinte sie: „Und wieso hast du mit keinem deiner Freunde darüber geredet?"
„Ich darf mit niemanden darüber reden und ich hab keine Freunde!" klang seine Stimme aus seinen Händen hervor.
„Deine Mutter weiß es doch sicherlich, oder?"
„Ja, aber es ist ihr egal! Es ist ihr egal, wie´s mir geht! Ich bin ihr egal!"
„Und dein Vater?"
„Der sitzt in Askaban und hat eh keine Gefühle! Er würde niemals verstehen, warum ich mich so anstelle, weil er skrupellos und gefühllos ist!"
„Dann bist du also alleine, was?"
Draco nickte nur.
„Und ich bin jedem egal! Keiner liebt mich, keiner mag mich auch nur, jeder hasst mich!"
„Das ist nicht wahr" sagte Myrte „ich hasse dich nicht. Ich mag dich. Du bist mir ähnlich."
„Wieso das?" schluchzte Draco.
„Auch ich war allein. Jeder hat mich geärgert, gehänselt und ich war vollkommen allein. Ich glaubte auch, ich wäre allen egal, und keiner würde mich vermissen. Doch das war nicht so. Nachdem ich" Myrte schluckte „nachdem ich gestorben bin, habe ich mitgekriegt, dass es Leute gab, die mich vermissten. Du bist keinem egal. Ich bin mir sicher, irgendwo gibt es jemanden, der dich mag."
„Nein, eben nicht!" Draco versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen „alle glauben, ich sei wie mein Vater, alle glauben, ich bin böse, doch das bin ich nicht! Ich bin nicht mein Vater! Er würde mich jetzt umbringen, wenn er mich hier sehen würde! Er wollte immer einen Sohn, der sein Nachfolger sein könnte, und so hat er mich auch erzogen. Aber das kann ich nicht, ich kann keine Leute töten, ich kann keine Leute foltern, ich bin nicht wie er! Ich hatte ja nie die Chance, ich selbst zu sein!" Der Versuch misslang. Draco konnte nicht aufhören, zu weinen. „Und jetzt will der Dunkle Lord mich und meine Eltern töten, wenn ich nicht töte! Aber ich weiß, das schaff ich nicht, weil ich nicht so wie er und seine Todesser bin! Das bin ich nicht!"
Myrte fielen keine Worte ein, die ihn hätten trösten können. So hörte sie einfach nur geduldig zu.
„Dabei will ich das alles gar nicht! Was ich will, ist, in einer Familie zu leben, wo mir jemand zuhört, wo mich jemand liebt oder auch wenigstens Freunde zu haben, die mich mögen, mit denen ich lachen kann, mit denen ich reden kann! Ich will nicht hassen und töten und foltern! Ich will auch nicht, dass jemand mich hasst! Aber alle tun das! Sie verstehen das nicht! Ich will doch nur geliebt werden!"
All das sprudelte aus Draco heraus, ohne dass er die Chance hätte, es aufzuhalten.
Endlich hatte er das jemandem erzählt.
Er fühlte sich erleichtert, jetzt, wo er es endlich von der Seele hatte.
Er weinte zwar immer noch, doch die Tränen wurden allmählich weniger.
„Draco" sagte Myrte langsam „das stimmt nicht alles. Keiner hasst dich. Sie mögen dich bloß nicht. Sie sehen deinen Vater in dir. Aber solange du weißt, dass das nicht stimmt, brauchst du nicht zu verzweifeln. Ich will nicht wissen, was das für Menschen sind, die solche Vorurteile haben. Wenn sie deinen Vater in dir sehen und dich nicht als eigenen Mensch, als Draco Malfoy sehen, dann brauchst du sie auch nicht.
Und ich verspreche dir noch was: Natürlich gibt es irgendwo einen Menschen, der dich liebt. Es gibt keinen Menschen, der nicht wenigstens von einem einzigen geliebt wurde. Du hast diesen Menschen bloß noch nicht gefunden. Aber es gibt ihn, da sei dir sicher."
„Was ist aber, wenn ich ihn nicht finden kann, bevor ich sterbe?"
„Du wirst, Draco, du wirst geliebt werden, bevor du stirbst."
„Aber ich kann ihn nicht töten! Und wenn ich ihn nicht töte, tötet der Dunkle Lord mich!"
„Du wirst garantiert einen Weg finden, um dem zu entgehen."
Da war Myrte sich zwar nicht ganz sicher, aber sie sagte es trotzdem, um Draco zu beruhigen.
„Danke Myrte" meinte Draco nachdenklich „danke, dass du mir zugehört hast. Du hast mir sehr geholfen." Seine Tränen waren schon lange getrocknet. „Aber ... aber du wirst es doch keinem erzählen, oder?" Seine Stimme klang unsicher und verletzlich und sie zitterte.
Myrte antwortete mit einem Lächeln: „Ich schwöre dir, ich werde nie jemanden davon erzählen. Niemals."

Während der nächsten Wochen und Monate besuchte Draco Myrte oft.
Sie sprach ihm immer wieder Trost zu, wenn er wieder einmal völlig aufgelöst vom Dunklen Lord zurückkam.
Am Anfang war Draco noch relativ misstrauisch gewesen und hatte ihr nicht ganz vertraut, doch inzwischen erzählte er ihr alles, was passiert war.
Keiner hatte eine Ahnung, wie sehr Draco das half.
Hätte er niemanden zum Reden gehabt, wäre er sicher schon längst verzweifelt und hätte irgendwas sehr, sehr Dummes gemacht.
Myrte jedoch hielt ihn vom Schlimmsten ab.
Sie half ihm, Pläne zu durchdenken, wie er sich und seine Eltern retten könnte, ohne jemanden töten zu müssen.
Sie kümmerte sich in dem Sinn um ihn, dass sie mit ihm über alles redete und ihm Tipps gab, seine Verletzungen zu versorgen, die er sich immer wieder einholte.
Er erzählte ihr nicht, wo diese Wunden herkamen, denn er wollte nicht, dass das jemals jemand erfuhr.
Doch sie hatte eine sehr genaue Ahnung.
Genau wusste sie nicht, was sich zwischen ihm und dem Dunklen Lord immer abspielte, doch sie hatte die Vermutung, dass er es war, dem Draco all die Verletzungen zu verdanken hatte.
Für Draco war Myrte mittlerweile die einzelne Person geworden, die ihn verstand, ihn mochte, ihn akzeptierte.
Er wusste nicht, dass sich das bald ändern würde.