Mandy schwieg.

Außer einer Eule, die irgendwo schrie, war es still.

Es schneite weiter unaufhörlich; der Schnee fiel auf die beiden herab, so wie sie bis zu den Knöcheln im Schnee versunken, da standen.

Mandy sah zu irgend einem Punkt weit hinter Draco, der irgendwo in der Ferne lag.

Endlich blickte sie auf.

"Es ist also aus, ja?" erkundigte sie sich mit etwas rauer Stimme.

"Das ist es" erwiderte Draco kühl.

Er wich ihrem Blick aus, wollte nicht, dass sie ihm in die Augen sah.

"Nun gut, Draco Malfoy. Es ist aus. Dann wirst du doch sicherlich nicht leugnen, dass da was zwischen uns gewesen ist." Sie forderte ihn heraus, wollte, dass er ene andere Art zeigte und nicht diese kühle, gelassene.

"Lass mich doch endlich in Ruhe!"

Es war mehr eine Bitte als ein Befehl.

Draco wollte sie nicht länger sehen, er wollte weg, weg von hier, egal wohin, hauptsache sie war nicht dort.

Bevor sie dem etwas entgegen setzten konnte, hatte er sich schon von ihr abgewandt und kämpfte sich nun durch den Schnee bis hoch zum Schluss. Er würdigte Mandy keines Blickes mehr.

Sie sah ihm nach, sah, wie er im Schloss verschwand.

Der eisige Januarwind spielte mit ihren Haaren, Schneeflocken fielen auf sie.

Ihr war kalt, so entsetzlich kalt, wenn sie es gespürt hätte, hätte sie geglaubt, sie müsste erfrieren.

Doch sie spürte es nicht.

Sie spürte gar nichts, außer der eisigen Kälte, die sich in ihrem Herzen breit gemacht hatte.

Er sagte, es wäre vorbei, er sagte, sie würden sich nie wieder sehen sollen.

Mandy hatte Recht gehabt, ihn iumgab/i ein dunkles Geheimnis.

Es tat ihr weh, ihn so zu sehen, mit der Gewissheit, dass sie ihm nicht helfen konnte, da er sich nicht helfen ließ.

Er konnte es leugnen, so viel er wollte, aber er wollte das alles gar nicht.

Er wollte nicht, dass sie seinetwegen starb, aber er wollte auch nicht, dass sie seinetwegen litt. Und er wollte auch nicht, dass sie sich nicht treffen konnten.

Mandy wusste nicht, wie lange sie da stand und auf den Fleck starrte, wo Draco gewesen war, bis er ins Schloss verschwand.

Schließlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung und schritt langsam auf das Schloss zu.

Sie hasst mich jetzt, dachte Draco, während er sich auf den Weg zu seiner nächsten Stunde machte, sie hasst mich, sie hasst mich, sie liebt mich nicht mehr. Sie hatte mich einst geliebt, doch ich habe alles verspielt, sie hasst mich jetzt, sie hasst mich und nichts anderes.

Eigentlich war es besser so.

Wenn sie ihn geliebt hätte, würde sie früher oder später sterben müssen.

Draco wusste, wie komisch es sich anhörte, dass er Schluss gemacht hatte, damit sie leben konnte.

Es hörte sich an, wie in einer schlechten Geschichte.

Und das war es doch eigentlich auch.

Eine schlechte Geschichte.

Eine schlechte, wahre Geschichte.

Wenn er normal gewesen wäre, dann wäre er nie in so was reingeschlittert.

Doch was war schon normal?

Es war bestimmt nicht, von einem mächtigen Lord bedroht zu werden, und wenn er einen seiner größten Feinde nicht töten konnte, mitsamt seinen Eltern von diesem Lord getötet zu werden.

Es war bestimmt nicht, sechszehn Jahre seines Lebens von niemanden geliebt zu werden, bis er schließlich auf ein Mädchen traf, das ihn zwar liebte und das er liebte, aber sich niemals treffen zu dürfen, um ihr Leben zu retten.

Dracos Leben war alles andere als normal.

Das war es schon immer gewesen.

Draco spürte, wie sich diese leise Verzweiflung, diese Angst, diese Hoffnungslosigkeit langsam wieder in ihm breit machte.

Dieses Gefühl, von allen gehasst, von keinem geliebt zu werden.

Einige schönen Tage war es anders gewesen, einige schönen Tage war Draco von Mandy geliebt wurden.

Doch inzwischen war es schon wieder anders.

Inzwischen hasste sie ihn.

Anders konnte es gar nicht sein.

Genug davon, befahl er sich, es ist hinter mir, sie hasst mich zwar, aber sie lebt. Und darauf kommt es an.

Und prompt kam ihm eine neue Erinnerung in den Sinn.

Wie der Dunkle Lord Draco in den Ferien zu sich geholt hatte, ihn gefragt hatte, wie es denn voran lief, und als Draco ihm die Wahrheit gesagt hatte, als "kleinen Vorgeschmack für das, was passiert, wenn du deine Aufgabe nicht erfüllst" ihn gefoltert hatte.

Es waren diese roten Augen, die er nicht vergessen konnte.

Diese roten, kalten Augen, so böse, wie Draco noch nie gesehen hatte.

Der Dunkle Lord war einer der wenigen - abgesehen von seiner Mutter und Mandy - die in ihm inicht /i seinen Vater sahen.

Er sah ihn ihm weniger als seinen Vater.

Er sah einen ängstlichen Schwächling.

Und das stimmt, meldete sich eine kleine Stimme in seinem Kopf, ich bin ein ängslicher Schwächling. Der Dunkle Lord hatte Recht.

Wie er immer Recht hatte.

Jetzt würde sich Draco von nichts mehr aufhalten lassen, ab jetzt würde er skrupellos seinen Auftrag erfüllen.

Nichts und niemand würde ihn davon abhalten.

Die Zeit verging.

Er hatte seine ersten Mordversuche bereits hinter sich.

Es waren schwache Versuche gewesen, so schwach, dass Draco wusste, sie hätten nie geklappt.

Deswegen hatte er sie ja gemacht.

Er musste etwas tun, sonst würde er und seine Eltern noch eher sterben, aber er wollte Dumbledore immer noch nicht töten.

Der Winter ging vorüber, ohne dass Draco und Mandy miteinander sprachen.

Es wurde Frühling.

An manchen Tagen schien die Sonne strahlend hell und warm auf Hogwarts herab, doch ihre Strahlen erreichten nicht Dracos Herz.

In ihm herrschte Winter.

Wenn er zufällig Mandy über den Weg lief, beachtete er sie nicht und sie tat es ihm gleich.

Doch tief in seinem Innersten regte sich etwas.

Wegen ihr war er so kurz davor gewesen, glücklich zu sein.

Sie hatte es fast geschafft, dass er wenigstens einen Moment lang vergaß, was er eigentlich zu tun hatte.

Und doch war es gescheitert.

Warum nur musste sie seine Feindin sein?

Warum konnte sie nicht auf seiner Seite sein?

Nun ja, sagte eine leise aber fiese Stimme in ihm, jemand der lieben kann, ist nie auf der Seite, auf der ich bin.

Und Mandy konnte lieben.

Sie hatte ihn geliebt, sie war die erste und - daran zweifelte Draco nicht - letzte Person, die ihn geliebt hatte.

Für kurze Zeit war sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen.

Sie hatte sogar einen Teil, einen winzig kleinen Teil seines wahren Selbsts gesehen.

Und sie hatte ihn geliebt.

Für diese kurze Zeit hatte er sich nicht mehr überflüssig gefühlt, er hatte sich gefühlt, als würde er dazugehören.

Er liebte sie immer noch.

Aber sie ihn nicht mehr.

Und so war es auch besser.

Mandy hatte einen besseren verdient als ihn und sie sollte leben.

Draco würde auf alles verzichten, wirklich auf alles, damit sie lebte und glücklich war.

Nie hatte er so was zuvor gefühlt.

Er hatte nie gedacht, dass es so etwas geben könnte, das er für Mandy empfand.

Aber es hatte doch keinen Sinn.

Wem nützte es was, wenn er sie liebte, wenn sie ihn hasste, und selbst wenn sie das nicht tat, sie sich niemals treffen konnten?

Warum mussten sie denn Feinde sein?

Wäre sie eine Reinblüterin auf der Seite des Dunklen Lords würde es keine einzigen Schwierigkeiten geben.

Dann wäre selbst sein Vater einverstanden.

Aber so ...

Nein, er durfte nicht mehr an sie denken! Er musste sie sich aus dem Kopf schlagen! Immerhin hatte er einen Auftrag zu erledigen!

Und so versank Draco wieder in diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und dass er gleichzeitig etwas tun musste, um nicht zu sterben.

Irgendwann Ende Mai, Anfang Juni, war Draco wieder mal in dem Jungsklo und weinte.

Die Maulende Myrte, die inzwischen für ihn unentbehrlich geworden war, versuchte, ihn zu beruhigen.

Draco zitterte und weinte; er hatte Angst, er wollte nicht mehr und nicht weniger, dass dieser Alptraum endlich aufhörte, dass alles endlich aufhörte. Er konnte diese Angst, diese Schuld einfach nicht mehr ertragen.

Myrte meinte besänftigend: "Was ist denn, Draco? Was ist passiert?"

"Es ist ... wie immer ... ich kann es nicht tun ... aber ich kann auch nicht versagen, sonst werden meine Eltern sterben ... ich halt das nicht mehr aus ... ich kann nicht mehr ..."

"Kann ich dir irgendwie helfen?"

"Du kannst es nicht ... das habe ich dir doch schon gesagt ... niemand kann es ... ich werde bald sterben ... und meine Eltern mit mir ... und das ist allles meine Schuld ..."

Draco hielt inne, als er aus seinen Augenwinkeln eine Bewegung wahr nahm.

"Was ist los?" fragte Myrte beunruhigt.

Draco antwortete nicht.

Die Tränen auf seinen Wangen waren noch nicht getrocknet, aber er schien schon wieder seine alte Fassade zurück gewonnen haben.

In der Tür stand niemand geringeres als Mandy Brocklehurst.

"Was um alles in der Welt suchst du denn hier?" brachte er gerade noch so heraus.

Den Zauberstab hatte er in der Hand und ihn auf Mandy gerichtet, aber er benutzte ihn nicht.

"Ich bin an dieser Toilette vorbei, hab dabei etwas gehört, das wie ein Schluchzen klang, hab hineingeguckt und siehe da, wen ich gefunden hab" antwortete Mandy.

"Du ... du ... vergiss es! Cruc-"

Wie damals im siebten Stock war Mandy abermals schneller, sie zückte ihren Zauberstab und rief: "Expelliarmus!"

Dracos Zauberstab flog ihm aus der Hand und landete auf dem Boden.

"Und jetzt" sagte Mandy atemlos, während sie den Zauberstab immer noch auf ihn gerichtet hatte "jetzt sagst du mir, wieso du weinst!"

Draco war sich bewusst, dass seine Tränen noch nicht getrocknet waren, doch trotzdem versuchte er es abzustreiten: "Ich habe nicht geweint!"

"Nein bloß nicht" spottete Mandy "du wolltest bloß das Klo mit deinen Tränen sauber machen!" Ihr Tonfall änderte sich: "Mensch Draco, ich hab dich doch gesehen! Natürlich hast du geweint! Sag mir doch bitte, was du hast! Vielleicht kann ich dir helfen!"

"Niemand kann mir helfen" würgte Draco heraus "ich darf es keinem erzählen und wenn ich es mache, wird er ... wird er mich und meine Eltern töten!"

Er war sich bewusst, dass hier ein Mensch stand, der ihn hasste, der es überall in der ganzen Schule rum erzählen würde, doch trotzdem konnte er die Tränen nicht mehr zurück halten, als er an sein Schicksal dachte.

Andererseits ... Potter hatte es bis jetzt auch keinem erzählt ... und der hasste ihn noch viel mehr ...

"Draco, was ist denn?" fragte Mandy besorgt.

Sie betrat das Klo und schritt auf Draco zu.

"Ich kann das nicht!" schluchzte er "ich kann niemanden umbringen, das kann ich nicht ..." Mandy ließ sich nicht anmerken, was sie da gehört hatte "aber wenn ich es nicht mache, tötet er meine Eltern und das wäre alles meine Schuld ... und ich bin ganz allein, alle hassen mich ..."

"Das stimmt nicht" unterbrach ihn Myrte, "ich hasse dich nicht!"

"Und ich auch nicht!" fügte Mandy hinzu.

"Echt?" Draco blickte zu ihr "ich dachte, gerade du hasst mich ... du hast mich ja immer ignoriert ..."

Mandy antwortete nicht sofort.

Abgesehen von Dracos Schluchzen war es still.

Schließlich meinte sie langsam: "Ich habe dich ignoriert, weil du mich ignoriert hast. Außerdem wolltest du mir doch damit das Leben retten, hast du gesagt." In ihrer Stimme klang unverwechselbar Schmerz mit. "Aber ich habe dich nie gehasst."

Sie hatte ja nie gewusst, wie es Draco wirklich ging.

Dass er in Wahrheit ein einsamer, feinfühliger, verzweifelter Junge war, der nichts weiter wollte, als geliebt zu werden, aber der glaubte, von allen gehasst zu werden.

Sie hatte ja keine Ahnung gehabt.

Und jetzt stand er vor ihr, zwar größer als sie, aber im Innersten noch ein Kind, das nur geliebt werden wollte, seine Fassade, die er so lange aufrecht bewahrt hatte und die so viele Menschen getäuscht hatte, war zusammengebrochen und er weinte.

In diesem Augenblick folgte Mandy einem Instinkt.

Sie tat das beste, was sie tun konnte: Sie umarmte Draco einfach.

Draco hörte nicht auf mit Weinen, im Gegenteil, er weinte stärker.

Noch nie hatte ihn jemand umarmt, wenn es ihm schlecht ging.

Sein Vater hatte ihn bestraft, wenn er Gefühle zeigte, und seine Mutter hatte ihn ignoriert.

Aber Mandy tat nichts dergleichen.

Sie umarmte ihn, mit einer Liebe und Wärme, die Draco noch nie zu spüren bekommen hatte. Er hatte nicht mal gewusst, dass diese Liebe so stark sein konnte.

Mandy blieb still stehen. Sie beschwerte sich nicht, als seine Tränen auf ihren Umhang tropften. Sie blieb einfach stehen und hielt ihn weiter fest.

Myrte, die spürte (he, das reimt sich sogar! g), dass sie sich hier nicht einmischen sollte, schwebte leise davon und ließ Draco und Mandy allein zurück.

Es dauerte lange, bis Dracos Tränen versiegten. Aber sie versiegten.

Mandy ließ ihn los, als sie spürte, das er sich beruhigt hatte.

"Du hasst mich nicht?" fragte Daco mit gebrochener Stimme.

"Nein" Mandy lächelte leicht "im Gegenteil ..."

Draco hatte das Gefühl, dieses Klo sei der schönste Ort der Welt ...