Er wusste nicht, wie lange er schon unterwegs war. Tage wandelten sich in Nächte, reihten sich aneinander wie Perlen an den Ketten der Dirnen in Minas Tirith. Tagsüber schwitzte er unter seinem Lederwams, in der Nacht war ihm oft so kalt, dass er ein Feuer entfachen musste. Dann starrte er vor sich hin in die Flammen und grübelte darüber nach, wie es seinem Bruder wohl gerade erging, oder was ihn in Bruchtal wohl erwarten würde. Waren Elben wirklich so schön, wie immer behauptet wurde? In diesem Fall sollte er sich auf seine Zeit dort freuen…wer wusste schon, was sich dort so ergeben würde?
In diesen stillen Stunden fühlte er sich unsagbar allein. Ein seltsames Gefühl für ihn, unbekannt bisher. Zu Hause hatte er immer jemanden um sich. Freunde, Kameraden, Bewunderer, und, nicht zu vergessen, Frauen, die ihn mit großen Augen anhimmelten.
Mittlerweile langweilte Boromir sich. Er langweilte sich sogar sehr. Und das flackernde Licht, dass ohne Zweifel weithin zu sehen sein musste, lockte nicht einmal Orks an, die er hätte erschlagen können.
Als wäre das an sich nicht schon schlimm genug, hatte Boromir sich außerdem offenbar verirrt. Eigentlich hatte er vorgehabt, erst der Nord- Süd- Straße zu folgen und dann am Bruinen entlang reiten. Auf diese Weise hatte er sich die größten Chancen ausgerechnet, nach Bruchtal zu finden.
Doch zwei Tage nachdem er die Pforte Rohans hinter sich gelassen hatte, war er auf seinem Pferd eingeschlafen. Wie das hatte passieren können, war ihm unerklärlich. Er, der große Krieger Gondors, schlief auf dem Rücken eines sich bewegenden Pferdes ein! Aufgewacht war er erst, als er schmerzhaft von eben diesem heruntergerutscht und hart auf der Erde gelandet war. Als er sich vom ersten Schreck erholt hatte, wurde ihm klar, dass er sich nicht mehr auf dem steinigen, unebenen Weg befand, den er ursprünglich eingeschlagen hatte, sondern auf einer weiten Ebene, bedeckt mit kurzem, grauen Gras. Außer einigen Kaninchen und Rehen war er das einzige Lebewesen unter dem blauen Himmel. Und zu allem Überfluss hatte er sich auch noch zwei Finger seiner rechten Hand gebrochen.
Seine Laune sank deshalb von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Er irrte irgendwo in Dunland umher, und richtig sicher, ob er wirklich gen Norden ritt, war er sich auch nicht. Boromir vermutete, dass er eher in nordwestliche Richtung abgedriftet war. In diesem Fall müsste er ziemlich bald auf die Ausläufer des Nebelgebirges treffen –und damit vielleicht auch auf Ungetier, das ihm die Zeit vertreiben würde. Gewalt war zwar nicht so gut wie echte körperliche Befriedigung, doch immerhin besser als pure, erdrückende Langweile.
Und auf körperliche Befriedigung musste er zur Zeit verzichten. An einen Einsatz seiner Lieblingshand war nicht zu denken, da Boromir Zeige- und Mittelfinger mittels einer Schiene und eines Verbandes ruhig gestellt hatte. Und sobald er mit der linken Hand auch nur in die Nähe seines nach Zuwendung verlangenden Geschlechtsteils kam, fuhr ein scharfer, schneidender Schmerz durch seine verletzten Finger. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er denken, seine rechte Hand wäre auf eine seltsame Weise eifer…- aber er wusste es ja besser. Dennoch konnte er den Schmerz nicht übergehen, dazu war dieser zu stark. Und so verbrachte er schon Tage ohne das, was ihn neben dem Gewinnen von Schlachten am glücklichsten machte.
Um seinen Frust zu verarbeiten, aß er, soviel er nur fangen konnte. Bisher hatte er diese Gelüste für ein Problem schwangerer oder sitzen gelassener Frauen gehalten, doch auf eine seltsame Art beruhigte es ihn. Vor allem aber lenkte es ihn ab. Es lenkte ihn ab von dem Pochen in seinen Lenden, das ihm immer daran erinnern zu wollen schien, was er so schmerzlich vermisste.
Da seine Hand eine eingehendere Beschäftigung mit seinem Pfahl nicht zuließ, hatte er schon über andere Möglichkeiten nachgedacht. Beim Jagen hatte er aus der Entfernung eine äsende Hirschkuh gesehen. Zu groß, als das er sie mit seinem Wurfmesser hätte erlegen können, doch beim Anblick ihres prächtigen Hinterteils kamen ihm auch andere Ideen, was er mit ihr anstellen könnte. Doch als er einige Meter weiter auf sie zugegangen war, hatte sie schnell das Weite gesucht.
Innerlich hatte Boromir dabei auch über sich den Kopf geschüttelt. Er, der große Krieger Gondors, setzte einer Hirschkuh nach! Wie weit war es mit ihm gekommen? Er schämte sich vor sich selbst, verachtete sich für seine Schwäche. Seine Schwäche, den Gelüsten seines Körpers so ergeben zu sein, mehr aber noch dafür, den Schmerz nicht einfach ignorieren zu können.
Am Abend nach der Begegnung mit der Hirschkuh, hatte er sein Horn einer eingehenderen Betrachtung unterzogen. Wenn er vielleicht den Hohlraum mit Moos…aber die Gefahr, dass sich sein bestes Stück darin den Hals abschnürte, war doch zu groß.
Danach hatte er versucht, sich selbst mit dem Mund zu erreichen, doch außer seinem Hals war nichts steif geworden. Nun ja, er war zumindest um die Erfahrung reicher, dass der Mensch mindestens einen Rippenbogen zuviel besaß, um sich zu eine richtigen Kugel formen zu können.
Der verrenkte Nacken und die ziemlich große Wahrscheinlichkeit, bei seinem momentanen Essverhalten seine sportlich- muskulöse Figur zu ruinieren, trübte seine Stimmung noch mehr. Boromir wurde weinerlich und badete in Selbstmitleid. Er hing wie ein nasser Sack auf seinem Pferd, jammerte wie ein kleines Mädchen rum, wenn er auf einem Stein saß, und bei jedem noch so leichten Regenguss suchte er nach einem Baum, um sich unterzustellen.
Wenn er nicht bald auf Gesellschaft stoßen würde – gleich, ob Mensch, Ork, Zwerg oder Elb – würde er vermutlich anfangen, an den Nägeln zu knabbern oder rohe Fische zu essen. Es stimmte schon: Zu Hause war es doch am schönsten. Boromir wollte zurück.
