Kapitel 14: Beobachtungen
Michael Gerard kannte Lorelai Gilmore nun schon seit Jahren und so langsam hatte er gelernt, sie zu verstehen. Er wollte zwar nicht behaupten, dass er verstand, wovon sie immer sprach, aber er verstand zumindest ihre Stimmung von ihrer Körpersprache abzulesen. Und auch wenn er es nie zugeben würde, hatte er anfangen, sie als etwas wie eine Freundin zu sehen. Zuweilen mochte er sogar ihre Scherze.
Doch von denen hatte er schon seit Wochen nichts mehr mitbekommen... weil sie nicht mehr scherzte.
Alles hatte mit dem Probewochenende angefangen. Dieser komische Mann aus dem Diner hatte sich endlich zu seinen Gefühlen bekannt und sie kamen zusammen. In den folgenden Tagen schwebte sie auf Wolken und das schlug sich auch auf ihre Arbeit nieder. Er hatte sich für sie gefreut ... wirklich!
Doch dann kam die Eröffnung und mit ihr dieser Schotte, den er noch immer nicht ganz einzuordnen wusste. Doch irgendwie hatte er es geschafft, dieses Funkeln in ihren Augen zum Erlöschen zu bringen.
Doch sobald er weg war, schien es auch mit ihrer Laune wieder bergauf zu gehen.
Bis zu diesem schicksalhaften Montag. Er hatte keine Ahnung, was geschehen war, doch seitdem war sie nicht mehr die Selbe. Sie arbeitete nur noch, trank fast keinen Kaffee mehr – Hallo! Wenn das nicht beängstigend war, was dann? – und scherzte auch nicht mehr. Sie war traurig und versuchte diese Trauer in Arbeit zu ertränken.
Und dann kehrte Arthur McMorton zurück ... und mit Lorelai ging es ganz bergab.
Nicht nur, dass sie sich in Arbeit vergrub, jetzt schien sie auch noch irgendwie nervös und ängstlich zu sein. Er hatte zwar keine Beweise, aber irgendwie hing das alles miteinander zusammen.
Was wollte dieser McMorton von ihr? Immer fragte er nach ihr, hatte sich sogar schon einmal nach ihrer Privatadresse erkundigt – und von so einem vorlauten Zimmermädchen erhalten, bevor er etwas dagegen unternehmen konnte. Es schien fast so, als würde er ihr nachstellen.
Aber wieso sollte ein gebildeter 65-jähriger Mann, der auch noch ein Freund ihrer Eltern war, so etwas tun? Hatten diese ihn etwa engagiert, damit er ihre Tochter im Auge behielt und ihnen erzählte, was Lorelai ihnen verschwieg. Nein, das wäre doch verrückt. Selbst wenn sie so etwas täten, würden sie doch wohl eine Person für die Aufgabe wählen, die man nicht sofort mit ihnen in Verbindung bringen konnte.
Aber warum war er dann noch immer hier? Seit nunmehr fast 3 Wochen!
Gut, er war auf der Suche nach Hotels für sein Buch, aber in der Nähe gab es doch gar nicht so viele, die erwähnenswert wären. Und selbst wenn, wäre es dann nicht sinnvoller auch in diesen mal zu übernachten, um den vollen Komfort testen zu können? Was wollte er im Dragonfly Inn?
Irgendetwas musste da noch dahinter stecken, von dem Michel keine Ahnung hatte ... irgendetwas, das Lorelai Gilmore – eine Freiheit- und Spaß-liebende Frau – dazu brachte, ihre gesamte Zeit in einem winzigen Büro zu verbringen und sich nicht einmal einen einzigen Tag frei zu nehmen.
Als sie noch im Independence Inn zusammenarbeiteten, hatte er sich immer über ihr Fernbleiben beschwert. Jetzt machte er ihm Angst, das sie immer da war.
Entschlossen klopfte er an ihre Tür. Wenn sich niemand sonst darum kümmern wollte – und ganz so sah es ja aus – dann würde er eben etwas tun.
„Ja?"
Er trat ein und nahm an ihrem Tisch Platz.
„Michel, was kann ich für sie tun?"
„Ich mache gerade die Dienstpläne für nächste Woche und wollte noch einmal nachfragen, ob sie wirklich jeden Tag arbeiten wollen? Ich meine, jeder braucht doch ein bisschen Freizeit, oder?"
Normalerweise hätte er mit einem grinsenden „Michel? Machen sie sich etwa Sorgen um mich?" oder einem strengen „Lassen sie sich ihre neue Position nur nicht zu Kopf steigen. Ich bin immer noch ihr Boss!" rechnen können. Doch nicht heute. Heute antwortete sie ohne jede Gefühlsregung. „Schon gut. Ich übernehme gern ein Paar Extraschichten. Sorgen sie nur dafür, dass Sookie genug Zeit für ihren Sohn hat. Die ersten Jahre im Leben eines Kindes sind die entscheidenden und ich möchte nicht, dass sie sie verpasst. Sonst noch etwas?"
Sollte er sie direkt darauf ansprechen? Nein, dafür war er nicht der Typ. Außerdem schien sie sich so weit von der Welt isoliert zu haben, dass es wahrscheinlich auch nichts bringen würde. Unverrichteter Dinge ging er zurück an seinen Platz und versuchte sich klar zu werden, was er noch tun könnte. Eins stand zumindest fest: er würde sie nicht mehr aus den Augen lassen!
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Als Lorelai sich dann am nächsten Tag überraschenderweise und absolut kurzfristig doch freinahm, sah sich Michel gezwungen zu handeln. Er wusste, dass sie nie mit ihm über ihre Probleme reden würde. Doch es gab da jemand.
