Die Spurensicherung in der Wohnung hatte außer ein paar Haaren und zumeist hoffnungslos verwischten Fingerabdrücken nichts ergeben. Die Haare befanden sich derzeit in der DNS-Analyse und Amy beriet mit Titia ihr weiteres Vorgehen.

Monya hingegen starrte jetzt schon seit Stunden auf die Standbilder der vier Bankräuber, die die Überwachungskameras gemacht hatten, bevor sie zerstört worden waren. Sie war im Team um Amy Moreno für die Audio-/Videoauswertung zuständig und verglich nun die Bilder immer und immer wieder mit den wenigen Aufnahmen, die sie aus den anderen Bundesstaaten erhalten hatten. Es war zum verzweifeln.

„Klopf, klopf"

„Hallo Trent", sagte Monya, ohne den Blick von den Bildern zu nehmen.

„Ich laufe jetzt schon zum dritten Mal an deinem Labor vorbei", entgegnete er, als er eintrat, „und du starrst immer noch auf die gleichen Bilder - mach mal eine Pause, Zwerg, sonst kristallisieren deine Augen...", fügte er verschwörerisch hinzu. Trent und Monya hatten eine besondere Beziehung zueinander. Ihr Größenunterschied von etwa fünfunddreißig Zentimetern gab häufig Anlass zu amüsierten Kommentaren, vor allem, wenn sie direkt nebeneinander standen. Den größten Spaß hatten allerdings die beiden selbst damit.

„Bei dir da oben muss die Luft recht dünn sein, Trent...", sie drehte sich um und grinste ihn müde an. „Augen können nämlich nicht kristallisieren..."

Er hielt ihr lächelnd einen Kaffee hin. „Ist trotzdem Zeit für eine Pause." Trent setzte sich an den kleinen Tisch, der etwas abseits von all den technischen Geräten in ihrem Labor stand und schob ihr auffordernd den zweiten Stuhl zurecht.

Monya seufzte auf. „Du hast gewonnen..." Sie setzte sich so an den Tisch, dass sie immer noch die Monitore im Auge behalten konnte und teilte damit ihre Aufmerksamkeit geschickt zwischen Trent und ihrer Arbeit auf.

„Wie geht's deinem kleinen Bruder?", versuchte Trent sie ein wenig abzulenken.
Monya lachte ihn an. „Nathan ist sechzehn... was glaubst du wohl - er entdeckt gerade die Damenwelt."

„Und wie steht's mit dir und der Männerwelt...?", fragte er amüsiert.

Sie sah ihn leicht misstrauisch an. „Wird das jetzt ein Verhör?"

„Nein, keine Sorge", zwinkerte er ihr zu, „aber immerhin habe ich im Moment deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Also?"

Trent kippte seinen Stuhl nach hinten, stützte sich mit dem Knie an der Tischkante ab und schaukelte, während Monya in ihrem Kaffee rührte. „Vergiss es, nächstes Thema...", antwortete sie ausweichend.

„Gut", lenkte er ein. „Schönes Wetter heute, nicht wahr?"

Monya lachte laut auf. Trent verstand es immer wieder, die Menschen in seiner Umgebung zum Lachen zu bringen. „Okay, Gegenfrage: Trent und die Damenwelt?"

Er lachte und schüttelte den Kopf. Monya beobachtete ihn genau, während sie müde den Kopf in die Hände stützte.

„Du kommst nicht so recht weiter, stimmt's?"

Sie nickte. „Ja, es ist zum verrückt werden. Wir können im Grunde nur nachweisen, wer die Waffe, die sie am Tatort zurückgelassen haben, geladen hat - das ist strenggenommen nur ein Indiz, aber es bringt sie noch nicht notwendigerweise mit dem Mord an Cassie Hilley in Verbindung."

Trent nickte. „Bei diesem Fall kann ich leider nicht viel helfen - ich verstehe nur etwas von Spurenanalytik."

Monyas Blick fiel auf Trents lange Beine. Er trug eine dunkelblaue Jeans und zum ersten Mal bemerkte Monya bewusst die hellen Stellen, die sich an den Nähten seiner Jeans abzeichneten. „Vielleicht kannst du mir doch helfen", erwiderte sie in Gedanken, als ihr Blick wieder auf die Standbilder auf ihren Monitoren fiel. Monya stand auf und ging auf ihre Computer zu. „Trent, ich brauche deine Hosen..."

Sie drehte sich um, als sie ein Poltern hörte. Trent war vor lauter Schreck mitsamt seinem Stuhl umgekippt. „Wie bitte?", fragte er entsetzt.

Monya lachte, bis ihr die Tränen übers Gesicht liefen, als sie ihm wieder auf die Beine half. „Keine Sorge", beruhigte sie ihn. „Du darfst sie anbehalten, aber stell dich mal gerade hin, ja?"

Stirnrunzelnd kam Trent ihrer Bitte nach. „Verrätst du mir, was das soll?"

„Schau mal", sie wies mit dem Finger auf die Seitennaht seiner Hose. „Siehst du diese hellen Flecken hier?" Trent nickte ein wenig unsicher. „Das sind Abnutzungserscheinungen - vom Tragen, verstehst du?"

„Ja - und?"

„Sieh dir mal die Bilder an... siehst du, dort sind auch solche hellen Stellen." Sie wies auf die Monitore, die Aufnahmen der Bankräuber bei dem Überfall in Chicago zeigten. Monya vergrößerte die Bilder, so dass sie die Seitennähte der Jeans, die die Bankräuber trugen miteinander vergleichen konnte. „Die sind tatsächlich unterschiedlich...", murmelte sie nachdenklich.

Trent sah sie zweifelnd an. „Du willst die Täter anhand ihrer Hosen überführen?", fragte er stirnrunzelnd.

„Verstehst du denn nicht?" Monya war völlig aufgeregt über ihre Entdeckung. „Ich glaube, diese Spuren sind individuell." Sie begann, die Bilder auszudrucken. Während Trent ihr immer noch verständnislos über die Schulter sah, fing sie an, die Täter auf den Bildern der unterschiedlichen Tatorte durchzunummerieren. Es gelang ihr in kürzester Zeit, einige Übereinstimmungen zu finden. „Schau... der hier", sie deutete auf den, den sie mit der Nummer eins gekennzeichnet hatte, „hält immer den Kassierer in Schach. Bisher wussten wir ja nicht einmal, ob ihre Rollenverteilung immer dieselbe ist." Monya war jetzt ganz in ihrem Element.

„Du hast Glück, dass die immer die gleichen Klamotten anhaben...", stellte Trent fest.

„Ist vielleicht eine Art ‚Berufskleidung für den professionellen Bankräuber'", versuchte Monya ihre Aufregung über ihre Entdeckung mit einem Scherz zu kaschieren.

„Bedeutet das aber nicht, dass nur ihre Hosen am Tatort waren?" Trents Zweifel standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Das wäre dann auch wieder nur ein Indiz."

„Aber nicht, wenn es uns mittels der DNS-Analyse gelingt, die Hose dem Träger zuzuordnen. Tust du mir einen Gefallen?", wandte sich wieder an Trent und sah ihn erwartungsvoll an, bis dieser nickte. „Trommel alle Jeansträger zusammen, die du finden kannst..."

Trent kehrte nach einigen Minuten mit Colin, Jonah – der gerade vom Tatort zurückgekehrt war - und Erin Binney – einer weiteren Kollegin von Pinia und Trent aus ihrer San Franciscoer Zeit, die jetzt in der Nachtschicht arbeitete - zurück. Sie hatte zwar keinen Dienst, aber so war das nun einmal, wenn man den Fehler machte, im Labor aufzutauchen, wurde man auch eingespannt. Monya ließ sie sich in einer Reihe aufstellen und verglich die Seitennähte ihrer Jeans.

„Sie sind wirklich unterschiedlich." Monyas Gesicht strahlte vor Freude, als sie zum Telefonhörer griff. „Amy, hier ist Monya. Ich glaube, ich kann die Täter mit dem Tatort in Verbindung bringen."


Joseph saß, seit er schon vor Stunden seine Partner im Stich gelassen hatte in einer kleinen Spelunke in der Nähe des Rotlichtviertels. Er aß ein riesiges T-Bone-Steak, trank ein Bier und verfolgte auf einem Fernseher über dem Tresen durch dichten Zigarettenqualm, gespannt die Nachrichten. Hier fühlte er sich sicher. Er hatte diese Gegend mit Bedacht gewählt, denn hier würde sicher niemand Fragen stellen. Eine Unterkunft für die Nacht hatte er sich auch schon besorgt. Es war zwar ein wenig teuer, eine der ‚Damen' für eine ganze Nacht zu buchen, aber erstens konnte er es sich leisten und zweitens hatte Lulu ein Apartment in dem er unterkriechen konnte. Mit einem siegessicheren Grinsen dachte er an das viele Geld, das sich in der Tasche zu seinen Füßen befand.

Die Hauptattraktion in den Nachrichten war immer noch ihr misslungener Banküberfall und Joseph verfluchte ein weiteres Mal seinen kleinen Bruder. Denis war schon immer verweichlicht gewesen. Trotzdem hatte er sich für ihn verantwortlich gefühlt... bis vorhin. Joseph hatte die Gelegenheit ergriffen und ihn und seine Partner im Stich gelassen.

‚Ja', bekräftigte Joseph in Gedanken, ‚Denis hat es nicht anders verdient.' Die Sache war durch die tote Frau einfach zu heiß geworden und Joseph hatte keine Lust, ins Gefängnis gehen, sollte Denis sich doch einsperren lassen. Schließlich war Denis derjenige, der die Nerven verloren hatte. Hätte er nicht seine Waffe fallen - und dann, noch schlimmer - einfach zurückgelassen, hätte die Polizei ihn niemals identifizieren können... ‚Die ganze Katastrophe ist überhaupt nur Denis' Schuld', versuchte er wieder, sein Gewissen zu beruhigen.

Joseph war sich sicher, dass er trotz allem ohne größere Probleme aus Chicago wegkommen würde. Mit Geld konnte man einfach alles erreichen und immerhin hatten die Bullen ihn noch nicht identifiziert. Ob er allerdings eine Chance haben würde an die Beute der anderen Überfälle heranzukommen, konnte er nicht einmal erahnen. Das hing von zu vielen Faktoren ab. Hauptsächlich jedoch davon, ob die anderen geschnappt werden und singen würden.
Er sah wieder zum Fernseher und erstarrte vor Entsetzen mitten in der Bewegung. Denis' Bild war eingeblendet und der Nachrichtensprecher verkündete gerade, dass einer der Bankräuber tot sei.

‚Denis ist tot.' Diese Information sickerte nur langsam in Josephs Bewusstsein. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und es kostete ihn seine gesamte Selbstbeherrschung, keine Aufmerksamkeit zu erregen indem er vor lauter Wut die Bar auseinander nahm. Eine innere Stimme riet ihm, schleunigst zu verschwinden. Joseph warf zornig ein paar Scheine auf den Tisch und stürmte wutentbrannt aus der Bar. Er rannte eilig die Straße entlang zu seiner nächtlichen Unterkunft. Die kalte Luft und die Bewegung half ein bisschen, seinen Schmerz, den er trotz allem verspürte, zu betäuben.

Kaum war er bei Lulu angekommen, überkam ihn allerdings die Wut und der Schmerz von Neuem. Er sah Lulu an, dass sie Angst vor ihm hatte. Joseph versuchte auch gar nicht, zu verbergen, dass sie ihr Geld heute nacht würde schwer verdienen müssen. Vermutlich bereute sie es bereits, ihm für heute nacht zur Verfügung zu stehen, doch sie war Profi genug, um keinen Rückzieher zu machen.

Lulu führte ihn in ein schummrig beleuchtetes Schlafzimmer. Der Raum war mit allen nur erdenklichen Finessen ausstaffiert, die eine erotische Stimmung schaffen sollten, doch eigentlich sah er mit all dem Plüsch und der roten Beleuchtung einfach nur kitschig aus. Joseph war das ziemlich egal, er war ja schließlich kein Innenausstatter.

Was ihn störte, war der Kerl, der in dem rosa Plüschsessel saß und schrecklich fehl am Platze wirkte, vor allem, weil er mit einer Pistole auf Josephs Brust zielte. Er hörte einen Schuss und fühlte einen heftigen Schlag vor die Brust. Das Letzte, was Joseph in seinem Leben wahrnehmen sollte, war Peters hämisches Grinsen.

Lulu starrte auf die Leiche in ihrem Schlafzimmer, zu entsetzt, um auch nur zu schreien. Josephs Augen starrten blicklos an die Decke und das Blut auf seinem Hemd, das in dem roten Licht beinahe schwarz aussah, sickerte bereits auf den Teppich. Sie war wie versteinert. Der Mann hatte nur gesagt, dass er mit ihrem Kunden reden wollte.

Auf Lulus Frage, warum er denn so sicher sei, dass Joseph vorhin ausgerechnet bei ihr aufgetaucht war, hatte er sie nur böse angegrinst. „Ich kenne seinen bevorzugten Frauentyp...", war Peters knappe Antwort gewesen. Gerade als sie ihn völlig verängstigt ansah, schwenkte er die Waffe zu ihr herum und drückte ab. Ein kleines Loch verunstaltete Lulus einst hübsches Gesicht, als sie tot zusammenbrach.