Disclaimer: Alle bekannten Personen und Orte gehören immer noch Tolkien. Das Lied, welches Anarya vorträgt, ist eine leicht abgewandelte Übersetzung von "La Tribu de Dana" der französischen Gruppe Manau.
Das Einhorn: Vielen Dank für dein Review! Ich habe mich wahnsinnig gefreut, weil ich schon dachte, dass hier gar niemand mitliest. Stimmt schon: Dies ist keine Legolas + ... -Geschichte, aber mit der Zeit werden dann doch noch ein paar bekannte Charaktere auftauchen. Legolas aber eher nicht -)
Erneute Begegnung
Zwei Tage später sass Anarya am Abend wütend vor der Hütte. Eigentlich hätte ihr Bruder Tárion im Laufe des Nachmittags auftauchen sollen, um die Herde zu übernehmen, aber er war nicht erschienen. Vermutlich hatte er über seinen Schriftrollen wieder einmal die Zeit vergessen. Auch wenn er vier Jahre älter war als sie, und es seine letzte Hütezeit war, so würde sie ihm doch deutlich ihre Meinung sagen, wenn er denn endlich käme. Keine Sekunde dachte Anarya, dass ihrem Bruder etwas zugestossen sein könnte. Zugegeben, er konnte manchmal recht ungeschickt sein, aber die Strecke vom Dorf zu den Weiden war nun wirklich nicht gefährlich, wenn man nicht nachts unterwegs war.
Plötzlich knackte es im Gebüsch. Jemand näherte sich der Hütte.
„Tárion?"
Anaryas Stimme klang nicht so fest, wie sie gewünscht hätte. Doch es war nicht ihr Bruder, der in den Schein des Lagerfeuers trat, sondern der Mann, der sich Ustered nannte, dicht gefolgt von seinem Pferd.
„Darf ich mich zu dir setzen, und deine Gastfreundschaft noch einmal in Anspruch nehmen, oder bist du noch wütend auf mich?"
Er sah verlegen aus, so als wüsste er nicht, ob er gerade einen Fehler beging. Anarya lächelte freundlich.
„Setzt Euch, Fremder. Ich habe heute leider kein Kaninchen zu bieten, da ich eigentlich dachte, mein Bruder brächte Essen aus dem Dorf mit. Er hätte mich heute ablösen sollen."
Der geheimnisvolle Mann lächelte sein seltsames Lächeln.
„Ich könnte diese Kuchen sowieso nicht alle alleine essen", meinte er und nahm die Packtaschen vom Rücken seiner Stute. Daraus zog er zwei grosse Stofftücher, die an den Zipfeln verknotet waren. Er setzte sich und löste behutsam den Knoten des einen Bündels. Als er das Tuch auffaltete, erkannte Anarya Kirgus berühmte Krapfen und grosse Stücke von ihrem Früchtekuchen. Spätestens jetzt wusste sie, dass Kirgu Tammari den Fremden tatsächlich kannte, und dass sie ihn schätzte, denn Kirgu buk nur für gute Freunde.
Ustered bemerkte ihren forschenden Blick und verzog das Gesicht.
„Du starrst mich schon wieder so an. Bin ich so ungewöhnlich? Man könnte meinen, du hättest noch nie einen Reisenden gesehen."
Anarya errötete.
„Oh, Reisende habe ich schon oft gesehen, aber diese kommen im Allgemeinen nicht aus dem Westen und sie reiten nicht auf Pferden. Ausserdem habt Ihr diese verschiedenen Augen. Das habe ich bisher noch bei niemandem gesehen ausser bei mir selber."
Der Fremde neigte den Kopf.
„Ja, deine Augen haben mich auch verwirrt, als ich dich das erste Mal gesehen habe."
Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann leise fort.
„Tiruial ist mein richtiger Name. 'Der ins Zwielicht blickt', würde man ihn wohl in eure Sprache übersetzen. Viele Menschen glauben, ich könne mit meinen Augen magische Dinge wahrnehmen, aber ich habe noch nichts Derartiges bemerkt. Wie viele meines Volkes sehe ich in die Herzen der Menschen, und kann sagen, ob sie guter oder schlechter Gesinnung sind, aber wir nennen das nicht Magie."
Der Mann bemerkte Anaryas neugierigen Blick und lächelte wieder.
„Du bist ein Kind, Anarya. Um zu sehen, dass du reinen Herzens bist, dazu muss ich mich nicht einmal anstrengen. Kinder haben nur selten wirklich Böses im Sinn."
Anarya nickte befriedigt.
„Tiruial also. Wieso plötzlich dieses Vertrauen? Letztes Mal wolltet Ihr mir überhaupt nichts über Euch verraten, und jetzt habt Ihr mir nicht nur Euren Namen gesagt, sondern auch, dass Ihr von weither kommt. Von einem anderen Volk, was immer das auch heissen mag."
„Schon als du mir deinen Namen gesagt hast, habe ich mir vorgenommen, Kirgu zu fragen, ob sie dich kenne. Anarya ist ein Wort aus der Sprache meines Volkes, musst du wissen. Kirgu hat mir zwar nicht viel über dich erzählt, aber sie hat mir gesagt, dass ich dir unbedingt vertrauen könne – mehr als jedem Erwachsenen auf dieser Seite des Gondramgebirges. Sie meinte, du seiest reif für dein Alter und als Kind offen für viele Dinge, die die Erwachsenen von Amarond ablehnen. Dinge, die jenseits des Gondramgebirges liegen. Allerdings meinte Kirgu auch, du solltest öfter bei ihr vorbeischauen, denn sie habe dich schon lange nicht mehr gesehen."
Er hielt für einen Augenblick inne, und als Anarya nichts sagte, sprach er weiter.
„Eines würde mich interessieren. Kirgu hat mir erzählt, dass dein dunkles Auge ein so genanntes „Schattenauge" ist. Es gebe bei euch in Amarond Menschen, die zwei solche Augen hätten. Sie seien blind für ihre Umgebung, könnten aber Dinge sehen, die anderen verborgen blieben. So gäbe es bei euch hervorragende Heiler, mächtige Zauberer und Seher, die in die Zukunft blicken können. Eine Zeitlang hätte man geglaubt, auch du hättest solche Gaben, aber dein Auge sei ganz normal – so wie meines auch. Wir im Westen wissen nicht viel über die östlichen Völker, und schon gar nicht über jene, die östlich des Gondramgebirges leben. Doch heisst es bei uns immer, dass im Osten nur Menschen leben, die nichts von der Magie wissen, da sie nie mit den alten Völkern und den Unsterblichen Landen in Kontakt gekommen sind. Wie also kommt es, dass ihr solche Gaben besitzt, die man schwerlich anders als Magie nennen könnte?"
Anarya lachte leise.
„Es gibt eine Sage, die davon erzählt, wie unser Volk zu den Schattenaugen kam. Andere Leute haben die Herkunft unserer Gabe studiert und herausgefunden, dass sie aus dem Lande Farad im Westen kommen soll. Doch sowohl die Legende als auch die wissenschaftliche Erklärung sind lang, und ich bin keine besonders gute Erzählerin."
„Dann überlass das mir, Schwester! Die Geschichte Amaronds war schon immer eher mein Wissensgebiet als das deine!"
Mit diesen Worten trat ein junger Bursche ans Feuer, der Anarya wie aus dem Gesicht geschnitten war. Im Gegensatz zu ihr trug er jedoch sein Haar, das nicht rot, sondern schwarz war, nur schulterlang, und er war ein paar Jahre älter als sie. Geschmeidig setzte er sich hin und grinste Anarya frech an.
„Willst du mir unseren Gast nicht vorstellen, Mädchen? Und ausserdem könntest du mir etwas zu trinken holen, ich sterbe vor Durst!"
Anarya sprang auf.
„Was bildest du dir eigentlich ein, Tárion von Fenring? Kommst viel zu spät um mich abzulösen, mischst dich ungefragt in unser Gespräch ein und kommandierst mich auch noch herum? Wo bist du so lange geblieben? Und wo ist mein Kamel, das du mitbringen solltest? Wie bist du überhaupt hierher gekommen?"
Tárion wollte sie wütend anfahren, aber Tiruial kam ihm zuvor und sagte mit sanfter Stimme: „Ich sehe schon, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich nur ein einfacher Reisender und nicht dein Bruder bin – sonst hättest du wohl bei unserer ersten Begegnung mich und nicht das Kaninchen über dem Feuer geröstet."
Dann wandte er sich an Tárion.
„Mein Name ist Ustered, ich habe eine lange Reise hinter mir und bin hierher gekommen, um jemanden zu besuchen. Jetzt werde ich wieder zurück in meine Heimat reisen, aber da mir Anarya bei unserer ersten Begegnung sehr geholfen hat, habe ich mir erlaubt auch auf dem Rückweg ihre Gastfreundschaft noch einmal in Anspruch zu nehmen."
Tárion blickte misstrauisch auf den Fremden.
„Woher kommt ihr, Reisender? Ihr sprecht mit einem ungewohnten Akzent. Und was ist mit dem Pferd, das da draussen herumstreunt? Es hat mir die Kamele scheu gemacht, so dass ich sie am Waldrand anbinden musste, damit sie nicht weglaufen."
Tiruial sah ihn interessiert an.
„Ich habe schon gehört, dass Pferde die Kamele fürchten, aber dass das umgekehrt auch der Fall ist, war mir nicht bewusst. Ich dachte, Kamele seien nicht so schreckhaft wie Pferde? Auf jeden Fall gehört die Stute mir. Ich werde sie wegschicken, damit Ihr Eure Reittiere zur Hütte holen könnt."
Nun war es an Tárion, verblüfft zu blicken, doch Anarya hielt Tiruial zurück, als dieser sich erheben wollte.
„Nein, Ihr wart zuerst da, und mein Bruder ist selbst schuld, wenn er nicht fähig ist, zwei Kamele zur Hütte zu bringen. Ich bezweifle, dass das Pferd der Grund dafür ist, dass die Tiere störrisch wurden. Vielmehr ist es der Gestank der Ziegen, der ihre Nüstern beleidigt, und die Unfähigkeit meines Bruders Tárion, sie zum Mitkommen zu bewegen. Ich werde sie holen, lasst Sirrah derweil nur, wo sie ist."
Ihr war nicht entgangen, dass Tiruial zusammengezuckt war, als sie ihn am Arm gepackt hatte – so als wäre ihm ihre Berührung unangenehm. Da Anarya seine Wunden gesehen hatte, als sie vor zwei Tagen den Schlafenden zugedeckt hatte, glaubte sie, sie hätte ihm Schmerzen zugefügt, und mass seiner Reaktion keine übermässige Bedeutung bei.
Das Mädchen stand auf und verschwand in der Dunkelheit. Tárion zögerte einen Augenblick, und griff dann um das unangenehme Schweigen zu überbrücken nach den Kuchen, die auf dem Stofftuch neben dem Feuer lagen.
„Wie kommt sie zu diesem Gebäck? Es hat doch in der Hütte keinen Ofen, wenn ich mich recht entsinne...", murmelte er halblaut vor sich hin.
Tiruial machte eine einladende Geste.
„Bedient Euch, Tárion von Fenring. Es ist Reiseproviant, den man mir mitgegeben hat, damit ich auf dem langen Weg, der vor mir liegt, nicht verhungere. Aber es ist ja genug da, dass es auch noch reicht, wenn wir heute Abend zu dritt davon essen."
Tárion errötete. Er hatte nicht im Sinn gehabt, sich an den Vorräten des Fremden zu bedienen, und wusste er nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Zum Glück kam in diesem Moment Anarya zurück und setzte sich an ihren alten Platz. Sie spürte die unangenehme Stimmung am Feuer und ergriff das Wort.
„Wenn ich mich recht entsinne, sprachen wir gerade davon, warum es in unserem Volk Menschen mit besonderen Gaben gibt. Es stimmt, dass Tárion in der Geschichte bewanderter ist als ich. Wenn Ihr es also hören wollt, Ustered", sie sah ihn prüfend an, als sie den falschen Namen aussprach und fuhr fort, als er fast unmerklich nickte, „soll er uns die Geschichte von Yoris und Simurakh erzählen. Was sein Zuspätkommen betrifft, so kann ich auch morgen noch mit ihm schimpfen."
Der Fremde wandte sich mit einem Lächeln an Tárion.
„Diese Geschichte würde mich wirklich interessieren. Ich weiss nur wenig über Amarond, und das meiste sind wilde Gerüchte. Und was gibt es Gemütlicheres, als im Flammenschein zusammenzusitzen, Lieder vorzutragen und Geschichten zu hören?"
Tárion fühlte sich etwas überrumpelt, aber er fasste sich und begann zu erzählen.
„Wie steht es, Fremder, mit Eurem Wissen um die Länder im Osten? Wart ihr jemals in Satar-Ai, der Hauptstadt von Farad? Kennt Ihr die Völker jenseits der Wüste und ihre Sitten und Gebräuche? Woher kommt ihr überhaupt, wenn ich fragen darf?"
Tiruial schüttelte leicht den Kopf und ignorierte die letzte Frage Tárions.
„Auf all meinen Reisen bin ich nie weiter östlich gewesen, als am Westrand der Felswüste Jira. Ich weiss so gut wie nichts über die Länder und Völker, die sich auf der anderen Seite befinden. Alles was mir bekannt ist, ist dass Farad im Zentrum einer immensen Ebene liegt, und von allen Ländern dieser Ebene das mächtigste ist. Ich weiss auch, dass Amarond von einem Königssohn aufgebaut wurde, den man aus Farad verbannt hat."
„So werde ich Euch erst von Satar-Ai erzählen, denn dort spielten sich vor langer Zeit die Geschehnisse ab, von denen man sagt, dass sie die Magie in die Koldar-Ebene brachten. Satar-Ai ist die Hauptstadt von Farad, dem reichsten und mächtigsten Land in der Koldar-Ebene. Sie liegt am Satar-See, der einst künstlich erschaffen wurde, um den Fluss Satar zu zähmen. Der See erstreckt sich über eine gewaltige Fläche, vor allem im Frühling, wenn der Satar das Schmelzwasser aus den Bergen mit sich führt. Sein Wasser ist milchig und widerspiegelt die Farbe des Himmels, so dass er manchmal hellblau schimmert, dann wieder in allen Farben leuchtet, wie von Perlmutt überzogen oder rot leuchtet, als ob ein Feuer in ihm brennen würde. Nachts ist der See schwarz, denn sein Wasser ist so trüb, das es weder Sonnen- noch Mondlicht widerspiegelt. Die Stadt Satar-Ai umschliesst den Westzipfel des Sees. Es ist eine grosse Stadt mit vielen Einwohnern, und da die meisten Häuser nur ein Stockwerk haben, ist sie sehr weitläufig. Überragt wird die Stadt von der Festung, in der der König mit seiner Familie lebt. Die Festung ist wie auch einige der Stadthäuser aus dem hellgelben, porösen Stein erbaut, den man am Ufer des Satar mancherorts abbauen kann. Viele andere Gebäude sind nach Art der Shadri aus dunklen Holzrahmen gebaut, die man mit hauchdünnem Leder bespannt hat. Dieses Leder ist so dünn, dass es das Licht durchscheinen lässt. Oft kann man diese Holzwände auch verschieben, um so beliebig Fenster- und Türöffnungen zu schaffen.
Das Volk von Farad ist durchmischt, aber noch immer erkennt man die zwei Haupttypen von Menschen, die ursprünglich in Farad gelebt haben. Die Farad, die gross, blond und kräftig sind, und die kleinen, dunklen Shadri. Auch in Amarond sieht man manchmal noch Leute, die deutlich von Farad oder Shadri abstammen, aber die meisten von uns sind ein Gemisch aus beidem und aus den Nomaden, die früher hier in Amarond lebten. Ausserdem erkennt man in manchen von uns auch noch das königliche Geblüt aus der Sippe Astards, aber dies ist sehr selten. Ich habe Bilder gesehen, und ich wage zu behaupten, dass in unserer Familie noch etwas von Astards Erbe vorhanden ist, wenn es mir auch nie gelungen ist, einen Stammbaum bis dorthin zurückzuführen."
„Tárion!"
Anarya fiel ihrem Bruder unwillig ins Wort.
„Ustered möchte die Geschichte von Yoris und Simurakh hören, und weder eine historische Abhandlung über die Hauptstadt von Farad, noch unsere Familiengeschichte. Komm zur Sache, wenn ich bitten darf!"
Tiruial machte eine beschwichtigende Handbewegung in Anaryas Richtung.
„Ich finde es sehr interessant. Bisher hatte ich noch nicht die Gelegenheit, nach Farad zu reisen, aber ich habe von Satar-Ai gehört. Es muss eine wunderschöne Stadt sein, die ihresgleichen sucht, auf dieser Welt."
Tárion nickte.
„Wenn ein Reisender zum ersten Mal nach Satar-Ai kommt, dann ist er überwältigt von all der Vielfalt, dem Lärm, den Farben. Doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran und kommt trotzdem aus dem Staunen nie ganz heraus. Durch ein ausgeklügeltes Kanalisationssystem ist die Stadt nämlich ausgesprochen sauber. Straftäter werden dazu gebracht, nachts die Strassen zu säubern und den Abfall einzusammeln. Da die Stadt aufmerksame Gesetzeshüter hat, gibt es nur wenige Verbrechen, und die Bewohner von Satar-Ai sind dafür bekannt, dass sie ihre Türen niemals abschliessen. Ein Fremder ist fast überall willkommen und kann sich in der ganzen Stadt frei bewegen. Ja, die Gastfreundschaft Satar-Ais ist legendär.
Zweimal im Jahr ist in der Hauptstadt das Fest der Jahreszeiten. Es beginnt jeweils fünf Tage vor der Tag- und Nachtgleiche und endet fünf Tage danach. In dieser Zeit ist die Stadt über und über geschmückt, im Frühling mit den ersten Blumen, im Herbst mit Früchten und goldenem Herbstlaub. Während des Festes findet in Satar-Ai ein Markt statt, der seinesgleichen sucht. Zu dieser Zeit gelten in ganz Farad andere Gesetze, die einen besonders vielfältigen Handel ermöglichen. So sind zehn Tage vor und nach dem Fest die Strassen frei für alle Arten von Waren. Zu diesem Zeitpunkt dürfen in Farad auch Sumpfkraut, Kampfkatzen und selbst Sklaven befördert werden – alles Dinge, die sonst in diesem Land verboten sind. Allerdings gilt für jeden Händler das Gesetz seines eigenen Landes: Der Karmandi darf Sklaven mit sich führen, der Farad aber nicht. So darf auch kein Shadri Waren aus Valdograd mit sich führen, da Shadrinam keinen Handel mit diesem Land treibt. All dies wird streng überwacht, und Zuwiderhandlungen werden ebenso streng bestraft.
Auf dem kreisförmigen Hauptplatz von Satar-Ai gelten dieselben Regeln. Auch hier wird während des Festes auf jeden das Recht seines jeweiligen Landes angewendet. Dieser Hauptplatz ist das Zentrum des grossen Marktes und hier werden die schönsten und interessantesten Artikel angeboten: farbenprächtige Stoffe und edle Hölzer aus Karmand, Pelze und Waffen aus dem Land der Tarvik, Gold- und Juwelenschmuck von den Valdograd, Geschirr und Seide aus Shadrinam, Schriften und Gemälde, sowie aufwendige Stickereien aus Farad und selbstverständlich auch Schnitzereien, Silberschmuck, Wolle und Lederwaren aus Amarond. Dazwischen sind überall Stände mit Lebensmitteln aus allen Ländern aufgebaut, vielfältige Düfte locken, und überall wird einem etwas zum Kosten angeboten.
All die Waren auf dem Hauptplatz sind zwar von bester Qualität, aber nicht unbedingt aussergewöhnlich. Wer etwas Besonderes haben will, muss daher in das Quartier des betreffenden Landes gehen. Während des Festes wird nämlich die Stadt in sechs Teile geteilt, so als ob man einen Kuchen zerschneiden wolle. Die Spitze des 'Kuchenstücks' befindet sich jeweils auf dem Hauptplatz. Jedem dieser Quartiere wird für die Dauer des Festes ein Land zugeteilt. Dort herrscht das Recht des jeweiligen Landes, so dass die Händler hier ihre Sumpfkrautstände aufbauen können, ihre Kampfkatzen-Arenen und die Sklavenketten.
Die Quartiere werden nach Art ihres Landes dekoriert, so dass man sich fühlt, als würde man wirklich durch einen Markt in Valdograd oder Shadrinam spazieren.
Da ist zum Beispiel das Quartier der Farad. Es ist das Gebiet, in dem auch die Festung steht, und die meisten Händler haben hier das ganze Jahr über ihre Läden. So sitzen sie auch während des grossen Marktes auf Stühlen vor ihren Läden und warten auf Kundschaft. Überall wird gebratener Fisch aus dem Satar-See angeboten, und ein unvergleichlicher Geruch nach Fisch und Maiskuchen liegt in der Luft. Da jedoch die meisten Händler einen eigenen Laden haben, sind die Strassen nicht so überstellt wie in anderen Quartieren, und es geht verhältnismässig ruhig zu und her. Viele Leute ziehen sich daher ins Quartier der Farad zurück, wenn sie in Ruhe etwas Essen und Trinken wollen.
Einen besonderen Reiz hat das Quartier der Valdograd. Die Hauswände sind mit schweren Tüchern in satten Rot- und Blautönen verhängt, die mit Gold und Silber bemalt sind. Sie haben keine Stände, sondern breiten ihre Waren auf gleichartigen Tüchern am Boden aus. An allen Ecken sitzen Valdograd in kleinen Gruppen, spielen klagende Weisen auf ihren Hornschilfflöten und rauchen Sumpfkraut. Die Luft ist geschwängert vom schweren Duft dieser Droge, so dass man auch wie betäubt durch die Strassen wandelt, wenn man gar nicht davon gekostet hat. Die meisten Valdograd tragen ihre berühmten goldenen Halbmasken, andere haben schillernde Federn im Haar und Tätowierungen aus geschmolzenem Gold im Gesicht – es muss unglaublich schmerzen, sich so eine Tätowierung machen zu lassen. Viele Händler stellen Sarek-Vögel aus, diese kleinen grünschimmernden Juwelen, deren Gesang ebenso klagend und melodiös klingt wie die Hornschilfflöten der Valdograd. In Stoffzelten werden Sklaven feilgeboten. Die Valdograd verbergen sie hinter schweren Tüchern, da sie immer noch viele Sklaven aus Shadrinam haben, und diese nicht offen anpreisen mögen, da sowohl Shadri aus Farad wie auch solche aus Shadrinam selber durch die Strassen ziehen. Überall sieht man auch Gold- und Juwelenhändler, die ruhig und gewissenhaft mit ihren Waagen und Gewichten hantieren. Sie haben es nicht nötig, ihre Waren wortgewaltig anzupreisen, denn der edle Schmuck spricht für sich selbst.
Im völligen Gegensatz zum Quartier der Valdograd steht jenes der Karmandi. Hier herrscht stets ein Gedränge, Lärm und Gestank. An allen Strassen entlang sind Kamele festgebunden, die Händler preisen sie lautstark an. Dazwischen lagern immer wieder lange Reihen von Sklaven, die aneinandergekettet ihres Schicksals harren. Die Karmandi haben es nicht nötig, ihre Ware in Zelten zu verstecken, denn ihre Sklaven stammen von den südlichen Inseln und werden von den Korsaren des Südmeeres in Karmand gegen Lebensmittel eingetauscht. Überall sind kleine Arenen aufgebaut, in denen Sandkatzen einander auf Leben und Tod bekämpfen. Die Zuschauer schreien ihre Wetten laut heraus und werfen den Buchmachern Goldstücke zu. Mancherorts sind Räucherstäbchen angezündet, die den Gestank der wilden Tiere überdecken sollten, aber ihn eher noch verdichten. Die Luft brennt in den Augen und macht einen husten, aber trotzdem ist das Quartier der Karmandi eine Besichtigung wert – und sei es nur um die öligen Süssigkeiten zu Kosten, die einem von leicht bekleideten Schönheiten an jeder Strassenecke dargereicht werden.
Welch Gegensatz zum wilden Treiben der Karmandi bietet dagegen das Quartier der Shadri. Überall hängen bunte Papierlaternen, die im Wind sanft hin und her schaukeln. Der Boden ist mit wohlriechenden Blütenblättern bedeckt, und die Shadri sitzen auf dünnen, geflochtenen Matten und haben ihre Waren vor sich auf schmalen Holztischchen ausgebreitet. Nirgendwo findet man edleres Geschirr, aber auch verschiedenste Öle und Kräuter, die man verbrennen kann, um die Luft aufzufrischen und um lästige Insekten zu vertreiben. Dazwischen findet man auch hier Stände mit Singvögeln, schneeweissen Sandkatzen und Glasbehältern, in denen bunte Fische schwimmen. Auf niedrigen Bühnen tanzen Shadri-Frauen ihre traditionellen Tänze, während ihre Männer auf fremdartigen Instrumenten spielen. Man merkt deutlich, dass die Shadri von sehr weit her kommen, denn alles an ihrer Kultur ist anders, als wir es kennen. Doch sie sind so freundlich, dass man nie fürchten muss, sie mit einer falschen Handlung zu beleidigen – ich glaube, es ist unmöglich, als Nicht-Shadri jemanden aus ihrem Volk zu erzürnen.
Viel rauer geht es im Quartier der Tarvik zu und her. Hier gibt es keine schönen Stände. Überall sind hohe Kistenstapel aufgebaut, und die Händler sitzen auf Kisten vor diesen Stapeln. Über ein, zwei Kisten vor sich haben sie Tücher gebreitet, auf denen einzelne Waren liegen. Hier ein Brocken Erz, dort ein Bergkristall. Der eine hat ein paar Hämmer und Äxte vor sich, der andere Schwerter und Schilde. Die Ware der Tarvik besticht nicht durch ihre Schönheit, sondern durch ihre Güte. Wer einmal mit einer Tarvik-Axt einen Baum gefällt hat, wird nie mehr eine andere verwenden wollen, wie man bei uns sagt. Hier kann man kistenweise Erz kaufen und es beim Schmied am Nachbarstand gleich verarbeiten lassen. Abends brennen im Quartier der Tarvik grosse Feuer, über denen gewaltige Ochsen am Spiess drehen.
Auch im Quartier von Amarond brennen abends hell die Lagerfeuer. Hier wird aber nicht nur gegessen, sondern auch gesungen. Auf den Strassen in diesem Gebiet sind überall Holzzäune aufgestellt. In diesen Koppeln tummeln sich Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe. Es ist eine Kunst, die Tiere so nach Farad zu schaffen, dass sie während dem Markt zu Höchstpreisen verkauft werden können. Treibt man sie zu schnell durch die Jira, so sind sie abgehetzt und erschöpft; treibt man sie dagegen zu langsam, sind sie vom Hunger abgemagert und von der Hitze ausgezehrt. Der gute Händler weiss genau, wie lange seine Reise dauern darf, in welchen Oasen er rasten muss, und wann er in Farad ankommen muss, dass seine Tiere sich von den Strapazen der Reise erholen können, aber noch kein Fett angesetzt haben. Kräftige Tiere verkaufen sich besser als fette. Zwischen den Viehkoppeln haben die Möbelhändler ihre Wagen aufgestellt. Wer Möbel kaufen will, kann durch die grossen Wagen spazieren, die innen wie fertige Zimmer eingerichtet sind. Hat man sich für ein Möbelstück entschieden, so kann man es beim Möbelhändler bestellen, und dieser setzt es aus fertig zugeschnittenen Teilen zusammen, die er auf anderen Wagen mit sich führt. Selbstverständlich kann man auch nur das rohe Holz kaufen. Wagen um Wagen voll beladen mit Baumstämmen stehen in Reihen da und warten auf Käufer. In der Mitte brennen hell die Feuer, wo am Abend all die Balladen aus Amarond gesungen werden."
„Die Balladen aus Amarond? Euer Volk ist berühmt dafür, alle wichtigen geschichtlichen Ereignisse in Liedform niederzuschreiben, nicht wahr?"
Tárion nickte dem Fremden anerkennend zu. Auch wenn er nicht aus Amarond stammte, schien er doch einiges über ihr Land zu wissen.
„Ja. Da es in Amarond einst viele Menschen gab, die des Lesens und Schreibens nicht kundig waren, fasste man alles Wichtige in Versform zusammen, so dass es auch das einfache Volk besser im Gedächtnis behalten konnte. Dem haben wir es zu verdanken, dass nur wenig aus der Geschichte Amaronds in Vergessenheit geriet."
Anarya sass da und hörte ihrem Bruder zu, der einmal mehr kein Ende fand. Wenn er erst einmal angefangen hatte zu reden, konnte er stundenlang von den Dingen erzählen, die in interessierten, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm überhaupt noch jemand zuhörte. Auch jetzt redete er, als ob er sein Leben lang nichts anderes getan hätte, als über den Markt von Satar-Ai zu spazieren. Dabei hatte er erst zweimal dorthin mitgehen dürfen, und auch das nur, weil er tagelang bei seinem Vater gebettelt hatte.
Und leider schien Tiruial ihm sehr aufmerksam zuzuhören. Langsam aber sicher wurde Anarya wütend. Sie hatte sich gefreut, als Tiruial zurückgekommen war, und sie war glücklich gewesen, als er ihr seinen wahren Namen anvertraut hatte. Sie wusste genau, dass er ihr mit der Zeit auch noch mehr über sich erzählt hätte, wenn sie nur lange genug alleine gewesen wären. Tiruial hatte sie beinahe wie eine Erwachsene behandelt, und das hatte ihr gefallen. Doch nun war Tárion aufgetaucht, und wie üblich hatte er das Gespräch an sich gerissen. Nicht genug damit, dass er sich nun mit seinem Wissen brüsten konnte, nein, Tiruial schien es auch noch zu interessieren. Plötzlich war Anarya nur noch das dumme Kind, das dabei sass, wenn sich die Erwachsenen unterhielten.
Und doch hatte Tiruial ihrem Bruder gegenüber seinen falschen Namen verwendet und bisher kein Wort über seine Herkunft verlauten lassen. Tárion, glücklich darüber, dass sich endlich jemand für seine endlosen geschichtlichen Abhandlungen interessierte, schien sich noch keine Gedanken darüber gemacht zu haben, woher jemand kommen konnte, der weder Amarond noch die anderen Länder der Koldar-Ebene kannte.
Anarya war für einen Augenblick mit ihren Gedanken abgeschweift, so dass sie plötzlich verblüfft feststellte, dass man offenbar eine Frage an sie gestellt hatte. Beide Männer blickten das Mädchen an.
„Ja, was ist? Verzeihung, ich war gerade etwas abwesend."
Tárion sah sie entrüstet an, Tiruial dagegen lächelte ihr zu.
„Dein Bruder hat gesagt, du seist eine gute Sängerin und kennst viele der alten Balladen eures Landes. Er hat dich gefragt, ob du nicht eine davon vortragen möchtest."
Anarya errötete. Es war eine Sache, beim Ziegenhüten vor sich hin zu trällern, aber eine ganz andere, ein Lied vor aufmerksamen Zuhörern vorzutragen. Nun nickte ihr Tárion zu.
„Du singst doch immer diese alten Lieder. Unser Gast würde gerne eines davon hören. Wie wäre es denn mit dem von der Schlacht im Tal der Ahnen während der ersten Tarvikkriege? Das ist ein hübsches Lied, und nicht zu lang."
Anarya überlegte kurz.
„Du meinst das Lied von dem Bauern, der zum König wurde? War das während der Tarvikkriege? Ich dachte, die Ballade sei älter."
Tárion verzog gequält das Gesicht.
„Ich sprach von den ersten Tarvikkriegen, und nicht von jenen, die vor siebzig Jahren in unserem Land tobten. Das ist schon mehrere hundert Jahre her und somit wirklich ein 'älteres Lied', wie du das nennst."
Anarya war es im Grunde genommen nicht wichtig, von welchem geschichtlichen Ereignis die Ballade erzählte. Ihr gefiel das Lied, und so begann sie zu singen, erst mit verhaltener Stimme, dann mit der Zeit etwas mutiger und freier.
„Endlos bläst der Wind über die Weiten
Und singt sein Lied von längst vergang'nen Zeiten.
Ein letzter Blick zurück auf Frau und Kind,
Dann reit' ich los und ziehe mit dem Wind.
Es war der Sohn des Schmieds der mir befahl,
Zu tauschen meinen Pflug gegen Schild und Stahl;
Denn Tarvikhorden unser Land bedroh'n,
Wüten im Tal der Ahnengräber schon.
So haben uns're Weisen denn entschieden,
Dass dort wo König Astard einst in Frieden
Zum Herrscher wurde über unser Land,
Dort wo er seine letzte Ruhe fand,
Der Pakt erneuert wird mit frischem Blut,
Gegen der Tarvik ungezähmte Wut.
Am Tempel vor dem Ahnental war nun das Heer zu sehn
Beschäftigt mit Gesang die Gunst der Götter zu erflehn.
Am Ende von dem flehenden Gebet,
Verteilten uns die Heeresführer Met,
Den Mut zu stärken in der Schlacht,
Die Furcht zu mindern vor der Übermacht.
Für mich ist es das erste Mal, dass in den Krieg ich zieh'
Und hoff' ich doch, dass meine Ehr' im Kampf verlässt mich nie.
Dann stürmt' das grosse Heer in voller Zahl
Gegen den Feind mit blankgezog'nem Stahl.
Gar schrecklich war die Schlacht, voll blinder Wut,
Das Tal der Ahnen ward getränkt mit Blut.
Bald sah mein müdes Auge nur noch Schatten,
Die wogten über dunkelroten Matten.
So kämpfte man bis weithin in die Nacht,
Denn keiner wich zurück vor der Übermacht.
Doch mit der Nacht kam über uns das Leid,
Verwitwet war von da an manche Maid,
Sollten wir kämpfen noch in unsrer Not?
Doch war die Ehre stärker als der Tod.
Wir mussten einfach hier und heut das Tal der Ahnen retten,
Würd' man auch manchen von uns hier zur letzten Ruhe betten.
Weithin am and'ren End des Tals hörte ich Hörnerklang,
Ich hörte es, es jubelte mein Herz voller Gesang.
Hatte der Feind verloren seinen Mut?
Zum Rückzug rief man an die Kriegerflut.
Hatten sie denn verstanden unser Zeichen,
Dass niemand von uns jemals würde weichen?
Es klärte sich mein Blick, der Feind war fort.
Als letzter Krieger stand ich einsam dort.
Die Waffe meinem klammen Griff entglitt,
Und wilder Schmerz tief in mein Herz sich schnitt.
Nie habe ich verstanden, was den Feind zum Rückzug trieb,
Denn war ich doch der letzte, der aus meinem Heer noch blieb.
Warum machten die Götter mich zum Held,
Nur einen Bauern, hergeführt vom Feld?
Und nach der Schlacht bin ich zurückgekehrt zu Frau und Kind
Erzählte von dem schwarzen Tag, das Auge tränenblind.
Dann hab ich wieder aufgebaut mit meiner eignen Hand
und ward zum König über unser kriegsversehrtes Land."
Anarya verstummte. Einen Moment lang schwiegen die drei, und liessen das Lied auf sich wirken, dann hob Tiruial den Kopf.
„Ich habe von den Balladen aus Amarond gehört, doch ich hätte nicht gedacht, dass sie selbst das Herz meines Volkes zu berühren vermögen."
Dann fuhr er rasch fort, als hätte er beinahe zuviel von sich preisgegeben.
„Doch erzählt nun weiter, Tárion, von dem Markt in Satar-Ai, und was er damit zu tun hat, dass die Magie nach Amarond kam."
Tárion war einen Moment lang verwirrt von dem raschen Themawechsel, dann nickte er.
„Ja, davon hatten wir ja vorhin geredet. Ich hatte das Quartier von Amarond beschrieben. Hier sieht man also all die Viehkoppeln, die Möbelwagen, die Holzhändler, und dazwischen brennen überall Lagerfeuer. Man darf aber auch nicht die Jagdhundemeuten vergessen, die von ihren Besitzern durch die Strassen geführt werden. Amarond ist berühmt für seine Jagdhunde – Ihr habt bestimmt schon von ihnen gehört, nicht wahr?"
Zu Anaryas Erstaunen nickte Tiruial.
„Mein Vater besass einen grossen, grauen Hund, den er in Amarond geschenkt bekommen hatte. Er liebte das Tier über alles, und es wich nie von seiner Seite."
Tárion sah den Fremden nachdenklich an.
„Er hat ihn geschenkt bekommen? Das ist ungewöhnlich. Wie ihr vielleicht wisst, sind unsere Hunde dafür berühmt, dass sie sich ihre Herren selber aussuchen. Wer einen Hund aus Amarond besitzen will, muss ihn entweder als Welpen zu sich nehmen, und ihn ganz alleine aufziehen, oder er muss hoffen, dass ein erwachsener Hund ihn als seinen Herrn anerkennt. Dies kommt jedoch nur sehr selten vor. Nach dem Gesetz von Amarond dürfen Welpen niemals ausserhalb der Familie verschenkt werden, und will man einen kaufen, so muss man sehr viel Geld dafür ausgeben, denn wir wollen nicht, dass sich die Tiere ausserhalb Amaronds zu sehr verbreiten. Schliesslich sollen sie ein Wahrzeichen unseres Landes bleiben."
Tiruials Augen leuchteten im Schein des Feuers geheimnisvoll auf, als er sich vorbeugte.
„Es war ein junger Hund, doch kein Welpe mehr. Mein Vater ging an seinem Zwinger vorbei, und das Tier übersprang den Zaun und blieb von da an für immer bei ihm. Seine frühere Besitzerin überliess meinem Vater den Hund ohne zu zögern."
Anarya war begeistert.
„Der Hund hat sich seinen Herrn ausgewählt. Wenn Ihr wüsstet, wie selten das vorkommt. Viele Leute reisen jahrelang umher und sehen sich junge Hunde an, in der Hoffnung, dass sie einer von ihnen anerkennt, nur weil sie es sich nicht leisten können, einen zu kaufen."
Auch Tárion war beeindruckt.
„Damit hat Euer Vater eines der kostbarsten Geschenke erhalten, das man in Amarond nur bekommen kann."
Das Gesicht des Fremden verriet nichts über seine Gefühle, als er in unbestimmtem Tonfall sagte: „Das hat er, aber es war nicht nur der Hund alleine. Mein Vater hat in Amarond alles bekommen und alles verloren – der Hund war das Einzige, was ihm als Erinnerung blieb. Der Hund und ich... Doch wir sind schon wieder vom Gegenstand unseres Gesprächs abgekommen. Erzählt mir nun die Geschichte, wie die Magie nach Amarond kam."
