Disclaimer: Mittelerde und seine Elben, Zwerge und Halblinge gehören weiterhin Tolkien und seinen Erben. Ich gebe alle Elben am Schluss der Geschichte mehr oder weniger unbeschadet zurück. Schade eigentlich...

A/N: Diesmal nur ein ganz kurzes Kapitel, aber die nächsten werden wieder länger, und dann fängt auch endlich die richtige Handlung an.

Es geht weiter

Als Araym erwachte lag er wieder auf seinem Lager in der Sandfeste und eine Gestalt in der Uniform eines Kriegers beugte sich über ihn.

Obwohl sie sich im Innern der Feste befanden, hatte der Mann die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und den Schleier befestigt. Arayms Hände schmerzten fürchterlich, und er fühlte sich schlecht. Am liebsten hätte er gleich weitergeschlafen, um zu vergessen, aber die verhüllte Gestalt begann zu sprechen.

„Du kommst dir wohl vor wie ein Held, nicht wahr, Junge?"

„Ajuur?"

Der Krieger nickte bedächtig.

„Aber man hat dich doch geblendet! Ich dachte, du seist tot!"

Mit einer einfachen Handbewegung löste Ajuur den Schleier und streifte die Kapuze zurück.

Selbst im Halbdunkel des Raums sah Araym das Brandmal nur zu deutlich, das sich quer über Ajuurs Gesicht hinzog. Wo einst seine Augen gewesen waren, war nun nur noch ein roter, vernarbter Wulst zu sehen. Die Wunde war schon fast verheilt, was Araym zu einer Frage brachte.

„Wie lange bin ich schon hier?"

Ajuur schien zornig zu sein. Er fuhr ihn heftig an.

„Meinst du vor oder nach deinem Ausflug, Kleiner? Hättest du dich nicht selbst fast umgebracht, ich hätte es getan! Was hast du dir dabei eigentlich gedacht? Einen Monat lang lag ich hier in diesem Raum und habe mich täglich gefragt, warum ich nicht einfach gehe. Selbst meine Frau schlug mir vor, dass ich nicht länger leiden solle. Die beiden anderen haben am Tag nach der Bestrafung die Feste verlassen, aber ich, ich bin geblieben. 'Warum gehst du nicht auch', haben sie mich gefragt. 'Was willst du als Blinder machen, du, der du immer nur ein Krieger warst?' Aber ich bin geblieben. Ich habe ihnen gesagt, dass du überleben würdest, auch wenn das lange Zeit niemand geglaubt hat. Ich sagte ihnen, dass du aufwachen würdest, und dass du dann nach mir fragen würdest. Ich wollte nicht, dass sie dir sagen müssten, ich sei tot. Ich habe mich getäuscht, nicht wahr, Araym? Du hast nicht nach mir gefragt. Es war dir völlig gleichgültig, was mit uns anderen geschehen ist – du bist einfach losmarschiert, ohne irgendjemandem etwas zu sagen. Weißt du eigentlich, dass Bantila deinetwegen die ganze Zeit kaum geschlafen hat?"

Ajuur verstummte und schien auf eine Antwort zu warten. Doch Araym war viel zu erschüttert, um irgendetwas zu sagen. Ajuur lebte! Er wollte nicht, dass Araym starb, nein, er war seinetwegen selber am Leben geblieben. Was erwartete er denn von ihm?

Araym schluckte und zwang sich dann, etwas zu sagen.

„Es tut mir leid, Ajuur. Ich bin aufgewacht und habe meine Hände gesehen. Ich dachte, du wärst tot. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Da bin ich hinausgegangen – ich wollte dir folgen."

Ajuurs entstelltes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

„Er wollte mir folgen... Und ich bleibe hier, und warte wie ein Narr darauf, dass er gesund wird..."

Er legte Araym behutsam die Hand auf die Schulter – es war, als könnte er sehen, denn er tastete keinen Moment lang herum.

„Ich gebe zu, dass ich sterben wollte, Araym. Ich wartete nur darauf, noch einmal mit dir sprechen zu können, dann wollte ich gehen. Aber deine Wunden haben sich entzündet und du wärst beinahe gestorben. Wir haben an deinem Bett gewacht, Bantila, Layar und ich. Layar hatte ein schlechtes Gewissen – er wollte nicht, dass du stirbst. In den ersten Wochen habe ich nur gewartet, aber dann ging es mir selber wieder so gut, dass ich nicht nur tatenlos herumsitzen wollte. Ich begann, im Dorf zu helfen, wo ich konnte. Ich habe viel mit Rukil gesprochen und festgestellt, dass er weder so verrückt noch so feige ist, wie wir immer gedacht haben. Ich empfand wieder Freude am Leben, aber ich merkte rasch, dass ich nicht wie Rukil würde leben können. Ich bin ein Krieger und nichts anderes! Und so habe ich mein Schwert genommen und angefangen zu üben. Ich habe schon früher oft mit verbundenen Augen gekämpft, um mich darin zu üben, auch meine anderen Sinne im Kampf zu nutzen.

Dann bist du aufgewacht, und ich freute mich darüber. Ja, deine Hände waren in einem üblen Zustand, aber gemeinsam würden wir wieder zu Kriegern werden. Ich freute mich schon auf die Gesichter der anderen, wenn wir uns wieder einer Einheit anschliessen würden – nicht um zu sterben, sondern um an ihrer Seite zu kämpfen."

Ajuur schwieg einen Augenblick lang, und liess seinen Traum auf Araym wirken. Dann fuhr er fort.

„Und dann wachst du ein zweites Mal auf. Du weckst mich nicht, obwohl ich im selben Raum schlafe, um für dich da zu sein, wenn du aufwachst. Nein, du gehst hinaus, um dich zu töten. War dir nicht bewusst, wie schwach du bist? Du hättest es niemals geschafft, das Tor zu öffnen, Junge."

Ajuur schüttelte den Kopf.

„Und damit hast du meinen Traum zerstört. Du hast die Verbände abgerissen und bist draussen durch den Schmutz gekrochen. Das Fieber nach der Bestrafung war nichts gegen das, das du dir bei deinem Ausflug aufgelesen hast. Deine Hände haben sich erneut entzündet, und wir konnten nichts tun, um dir zu helfen. Wir überlegten uns, ob wir sie dir abhacken sollten, um zu verhindern, dass Wundbrand entsteht, aber du hättest das niemals überlebt..."

Entsetzt hob Araym seinen rechten Arm. Ja, die Hand war noch da. Er trug keinen Verband mehr, und die klauenartigen Finger waren immer noch starr über die schwarzrote Handfläche gekrümmt.

Ajuur ging nicht auf die Bewegung Arayms ein. Er fuhr mit seinem Bericht fort.

„Schliesslich haben wir einen Reiter an den Rand der Wüste geschickt, wo diese alte Kräuterhexe lebt – du erinnerst dich bestimmt an sie, wir haben sie oft gesehen, wenn sie Dünenbinsen sammelte. Sie hat sich bereit erklärt, dich zu behandeln, und so haben wir ihr die Augen verbunden und sie in die Feste gebracht. Sie hat dir einen Trank eingeflösst, der dich in einen todesähnlichen Zustand versetzt hat.

Zwei Monate lang lagst du einfach nur da, und wir mussten nur dafür sorgen, dass du genug Flüssigkeit bekommst. Du hattest kein Fieber mehr, die Entzündung ging zurück, aber du wurdest immer schwächer. Die Kräuterhexe kam noch ein paar Mal vorbei, aber gestern gab sie uns einen Trank und sagte, wir sollten ihn dir einflössen – es sei Zeit, dass du aufwachst. Sie wird nicht mehr nach dir sehen, jetzt wo du wach bist, aber sie meinte, du würdest leben. Also tu mir den Gefallen, Araym, und werde jetzt endlich gesund."

Araym nickte schwach.

„Ich werde es versuchen, Ajuur."

Er dachte einen Moment lang nach.

„Weißt du, Ajuur. Kurz bevor sie mich verbrannten, habe ich mir geschworen, dass ich von nun an jeden Tag mit dem Bogen üben würde, bis ich ein guter Schütze wäre. Ich war so dankbar, dass sie mich nicht blendeten... ich denke, das mit dem Bogenschiessen ist für mich endgültig vorbei, aber vielleicht kann ich ja eines Tages wieder ein Schwert festhalten?"

Ajuur wartete lange mit einer Antwort, und als er endlich sprach, war seine Stimme heiser von unterdrückten Tränen.

„Nein, Araym, das wird kaum möglich sein. Du wirst deine Finger nie mehr bewegen können. Ich bin sicher, dass du mit der Zeit lernen kannst, einfache Tätigkeiten alleine zu verrichten, aber ein Schwert, selbst das deine, ist zu schwer und zu unhandlich, als dass du es noch führen könntest. Es tut mir leid, Junge."

Für den Moment war das zuviel Neues, das Araym erst verarbeiten musste. Er fühlte sich erschöpft und nicht in der Lage, jetzt über seine Zukunft zu entscheiden. Er wusste aber, was Ajuur von ihm erwartete, bevor er ihn in Ruhe lassen würde.

„Lass mich jetzt ausruhen, Ajuur. Ich werde nicht mehr versuchen zu sterben, das verspreche ich dir. Wenn du am Leben bleiben konntest, werde ich das auch schaffen. Ich werde einen Weg finden, wie ich wieder an deiner Seite kämpfen kann."

Das letzte, was Araym sah, bevor er einschlief, war das Lächeln Ajuurs.

Es verging viel Zeit, bis Araym endlich die Feste verlassen konnte, um draussen auf dem Hof an der Sonne zu sitzen. Die anderen betrachteten ihn mit einem gewissen Missbehagen, so als wüssten sie nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Araym gewöhnte sich langsam daran, dass er seine Finger nicht mehr gebrauchen konnte. Er hatte keine Schmerzen mehr, wenn er die Hände belastete, und so verrichtete er einfache Handgriffe, indem er Gegenstände zwischen seinen Händen einklemmte. Ajuur half ihm, wo immer er konnte, und Araym bewunderte den Krieger dafür, wie er sich trotz seiner Blindheit geschickt bewegte.

Inzwischen hatte auch Layar mit Araym gesprochen. Er hatte sich nicht bei ihm entschuldigt, denn die Bestrafung war gerechtfertigt gewesen, aber er hatte ihm klar gemacht, dass er ihn unterstützen würde, wo immer es ihm möglich war. Und so trat Araym eines Tages vor Layar hin und bat ihn um sein Schwert. Layar starrte den Jungen verblüfft an.

„Was willst du, Araym?"

Araym erwiderte seinen Blick ohne zu blinzeln.

„Ich möchte mein Schwert zurückhaben, Layar. Ihr habt es während meiner Krankheit für mich verwahrt, aber jetzt, wo ich endlich wieder gesund bin, möchte ich es gerne wiederhaben."

Layar stutzte.

„Und was willst du damit tun, wenn ich fragen darf? Wäre es nicht besser, du würdest dich erst mit einem kurzen Dolch versuchen?"

Araym schüttelte entschieden den Kopf.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich es zum Kämpfen haben will. Mir ist eine Idee gekommen, wie ich mich verteidigen kann, und das Schwert hat damit zu tun, aber ich will erst darüber reden, wenn ich es ausprobiert habe."

Layar nickte bedächtig.

„Ich werde es dir geben, Araym. Aber tu nichts, was es mich später bereuen lässt, versprich mir das."

Araym nahm die Waffe vorsichtig entgegen und verzog das Gesicht, als er die Parierstange zwischen den Fingern festklemmte, damit das Schwert ihm nicht aus der Hand rutschte. Layar erwartete, dass der Junge nun gehen würde, aber dieser blieb vor ihm stehen.

„Ist noch etwas, Junge?"

„Ja, Layar. Ich wollte fragen, ob ich wohl ein Kamel ausleihen könnte."

Der Kommandant zuckte unwillkürlich zusammen.

„Ein Kamel? Willst du etwa die Feste verlassen, Araym?"

„Ja, Kommandant. Man hat mir gesagt, dass ich meine Heilung der Kräuterhexe am Rand der Wüste zu verdanken habe. Ich wollte zu ihr reiten und ihr meinen Dank aussprechen. Ausserdem wollte ich sie noch um etwas bitten – aber davon will ich jetzt noch nicht sprechen."

Layar runzelte die Stirn und betrachtete den Jüngling, der vor ihm stand. Die lange Krankheit hatte ihn bis zur Unkenntlichkeit abmagern lassen. Araym war für sein Alter recht klein, und würde wohl nicht mehr viel wachsen. Layar fiel auf, dass der Junge, der früher sein Haar wie die Krieger getragen hatte, es nun dicht über der Kopfhaut abgeschnitten hatte – er konnte es selber nicht mehr flechten und wollte offenbar niemanden um Hilfe bitten.

Nein, es war nicht mehr derselbe Araym wie vor der Bestrafung, der hier vor ihm stand. Das einzige, was geblieben war, waren die eisblauen Augen, die noch ebenso entschlossen blicken konnten wie früher – wenn nicht noch entschlossener. Schliesslich nickte der Kommandant.

„Nimm dir ein Kamel und zwei Begleiter und reite los. Sie sollen am Rand der Wüste auf dich warten, wenn du mit der Alten sprichst. Sag ihr Grüsse von mir, und denk daran – sie darf nicht mehr über uns erfahren, als die alten Sagen und Lieder ihres Landes erzählen."

Araym nickte.

„Ich danke Euch, Layar. Ich wollte Euch nur noch sagen, dass ich meine Strafe anerkenne. Es ist nicht einfach für mich, mit meinem neuen Leben zurecht zu kommen, aber ich verstehe Eure Handlungsweise – ich wäre stolz, wenn ich eines Tages wieder unter Euch dienen könnte."

Layar lächelte.

„Ich werde stolz auf dich sein, wenn es eines Tages soweit ist. Ajuur wird sich in den nächsten Tagen einer Patrouille anschliessen, um zu sehen, inwiefern er ihnen helfen kann. Bestimmt wirst du bald einmal dasselbe tun. Ich freue mich, dass ihr beiden es geschafft habt, euren Lebenswillen wieder zu finden, denn es hätte mir weh getan, euch zu verlieren."

Später stand Layar an einem Fenster, das auf den Hof blickte, und sah den Jungen, wie er zu den Kamelen hinüber rannte, sich auf den Rücken eines gesattelten Kamels zog, es auf die Beine jagte und davon trabte. Ajuur und ein anderer Krieger folgten ihm in einigem Abstand nach.