A/N: Liest hier eigentlich noch jemand mit? Ich würde mich wirklich über jedes kleinste Lebenszeichen freuen, denn die Story ist noch lang, und ich weiss nicht, ob ich überhaupt weiterposten soll... Na ja, hier erst einmal ein etwas kürzeres Kapitel - die langen kommen später.

Bei Kirgus Hütte

Kurz bevor er endgültig aufgab und sich einfach zu Boden fallen liess, nahm Araym plötzlich den Geruch von Tieren wahr. Das Leben in der Wüste hatte seine Sinne geschärft, so dass er ohne Schwierigkeiten die Richtung bestimmen konnte, in der sie sich befanden. Es waren nicht Kamele, aber der Geruch war entfernt ähnlich, und Araym vermutete, dass er sich einem Lager von Händlern näherte. Noch zwei Dünen zu überwinden, noch eine, dann lag er auf dem letzten Dünenkamm und blickte hinunter auf Kirgus Häuschen. Ihr Garten wirkte dürr und verkommen, das Haus schien verlassen zu sein und am Rande des Verfalls zu stehen. Aber im Brunnen glitzerte Wasser! Araym schleppte sich noch ein wenig weiter vor und starrte angestrengt mit brennenden Augen zur Hütte hin. War dort nicht eine Bewegung, hörte man nicht seltsame Geräusche?

Noch ein wenig nach vorne rutschen, noch einmal in den Garten blicken, und dann sah er sie. Halb von einem verdorrten Gebüsch verdeckt standen die beiden Pferde vor Kirgus Haustüre. Der Schimmel hatte den Kopf zum Boden gesenkt und graste, der kleinere Fuchsfarbene hüpfte mit seltsam ruckartigen Bewegungen um ihn herum.

Araym hätte weinen können. So war ihm also der fremde Reiter zuvorgekommen. Einen Moment lang war Araym drauf und dran doch noch aufzugeben, hinaus in die Wüste zu marschieren und auf den Tod zu warten, aber dann riss er sich zusammen. Er war kein Südwind mehr, also musste er auch nicht den Tod eines Südwindes sterben. Er war frei, und es gab eine Zukunft für ihn. Er hatte gehofft, dass Kirgu ihn unterstützen würde, wenn er ihr erzählte, dass er nach Farad reisen wollte, aber nun war er auf sich selbst angewiesen. Auch ohne Kirgus Hilfe gab es Hoffnung. Die nächsten Dörfer waren nicht weit von hier, und er musste sich nur zusammenstehlen, was er für die Durchquerung der Jira brauchte. Kleidung musste er haben, die ihn nicht gleich als Südwind verriet, ein Reittier, Proviant für mehrere Wochen und natürlich Wasser, viel Wasser.

Das Wasser glitzerte immer noch in der Zisterne, und Araym wusste, dass er nicht länger warten konnte. Alles andere hatte Zeit, aber ohne etwas getrunken zu haben kam er keine Meile weiter. Nun, fremder Reiter hin oder her, er musste hinunter zu Kirgus Zisterne und Wasser schöpfen. Seine Wasserschläuche waren bis auf den, den er weggeworfen hatte, mit seinem Kamel durchgegangen, aber er hatte immer noch seinen Beutel mit den Kristallen, die er immer mit sich trug. Wenn er die Steine wegwarf und den Beutel gründlich spülte, bevor er ihn füllte, würde er seinen Zweck erfüllen, auch wenn das Wasser nicht ganz rein bleiben würde.

Araym löste behutsam den Kristallbehälter von seinem Gürtel und stellte verblüfft fest, dass seine Hände zitterten. Er versuchte die Verschnürung aufzuziehen, was ihm sonst spielend leicht gelang, aber seine steifen Finger versagten ihm den Dienst. Gut, erst würde er zur Zisterne schleichen und trinken. Dann würde er sich darum kümmern, wie er Wasser mitnehmen konnte. Araym schleppte sich vorwärts, rutschte die Düne hinunter und bemühte sich, dabei immer in einem bestimmten Winkel zum Haus zu sein, so dass man ihn aus den Fenstern nicht sehen konnte. Als er unten angekommen war, taumelte er zur Zisterne hin, blickte hinab und konnte ein trockenes Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Lange Zeit sass er nur zusammengekrümmt da und versuchte zu begreifen, was er vor sich sah. Die Zisterne war gut gefüllt, aber das Wasser roch so schlecht, dass er das tote Tier, das auf der Oberfläche trieb, gar nicht hätte sehen müssen, um zu wissen, dass es ungeniessbar war.

Als er endlich aufblickte, sah er das fuchsfarbene Pferd vor sich stehen. Das Tier blickte ihn aufmerksam an, aber seine Haltung wirkte seltsam verkrampft. Es dauerte einen Moment, bis Araym mit seinem verwirrten Geist erfasste, was nicht stimmte. Das Tier trug Packtaschen auf dem Rücken, die ins Rutschen gekommen waren. Ein langes Seil, das ursprünglich wohl über die Taschen gebunden gewesen war, hing nun unter dem Bauch des Pferdes, und es hatte sich mit dem rechten Vorderbein so darin verfangen, dass es den Huf nicht mehr auf den Boden stellen konnte.

„Na, Kleiner, da sind wir beide in der Klemme, nicht wahr?"

Das Pferd scheute ob seiner krächzenden Stimme zurück, blieb aber sofort wieder stehen und bewegte sich ein, zwei Schritte auf ihn zu.

Araym fühlte Angst in sich aufsteigen. Gerade eben war er sicher gewesen, dass er langsam und qualvoll verdursten würde, aber nun kam ihm diese Vorstellung geradezu verlockend vor. Er hatte schon gesehen, wie Pferde sich gegen ihre Besitzer wandten, wenn er mit den Südwinden Händler überfallen hatte – es war kein schöner Anblick, wie die Tiere sich mit schrillen Wutschreien auf die Männer stürzten und sie wieder und wieder zu Boden traten, bis sie sich nicht mehr rührten. In seinem ganzen Leben hatte Araym es immer vermieden, diesen Bestien zu nahe zu kommen, und er hatte sie lieber aus Distanz erschossen, als sich mit ihnen herumzuplagen. In der Sandfeste waren sie so oder so nicht zu gebrauchen. Das Pferd, das vor ihm stand, wirkte aber nicht wirklich gefährlich, eher hilflos. Es war auch nicht so gross wie die Karrenpferde der Händler, aber Araym machte sich keine falschen Vorstellungen davon, was es mit seinen Hufen anrichten konnte, wenn es erst einmal über ihm war. Andererseits war der Fremde auf dem anderen Pferd geritten, ohne dass sich dieses gewehrt hatte. Besser noch, die Pferde waren trotz des Sturms bei dem Mann geblieben, während sein eigenes Kamel die Flucht ergriffen hatte.

„Was ist denn mit deinem Herrn, dass er dich so stehen lässt, Kleiner?"

Araym bemühte sich, seine Stimme freundlich klingen zu lassen. Vielleicht liess ihn das Pferd in Ruhe, wenn es sich nicht provoziert fühlte. Dann wurde ihm klar, was er soeben gefragt hatte. Richtig, wo war der Reiter? Und wo war Kirgu Tammari? Irgendetwas stimmte hier nicht.

Araym wusste nichts über den Fremden, aber Kirgu hätte es bestimmt nicht zugelassen, dass man ein Tier in einer so unglücklichen Lage stehen liess. Araym verfluchte seinen Zustand, der ihm selbst die einfachsten Überlegungen erschwerte. Er war einfach nicht in der Lage, sich zu konzentrieren, und auch das Offensichtliche fiel ihm erst auf, wenn er lange darüber nachdachte. Hatte er nicht vorhin bemerkt, dass Kirgus Haus verfallen und ihr Garten verdorrt wirkte? Offenbar lebte sie nicht mehr hier. Aber wo war dann der fremde Reiter, wenn nicht bei ihr?

Ganz langsam zog Araym sich an der Kante der Zisterne entlang hoch, wobei er das Pferd ständig im Auge behielt. Das Tier starrte zurück, und schien sich seltsamerweise ebenso zu fürchten wie er. Endlich stand er aufrecht, mit dem Rücken zur Zisterne. Was nun? Der Fuchs tänzelte ein paar Schritte zurück und sah ihn dann aufmerksam an. Ob das eine Falle war? Vielleicht wartete der fremde Reiter nur darauf, dass er um die Ecke des Hauses bog, um ihn dann zu überwältigen? Unsinn! Hätte er ihn töten wollen, so wäre das schon längst geschehen, und die Idee, ein gefesseltes Pferd als Köder vorzuschicken war absurd.

Araym machte zwei Schritte auf das Haus zu, aber dann verliessen ihn seine Kräfte, und er stürzte auf die Knie. Einen Moment lang lag er nur nach Atem ringend da, aber dann stieg ihm scharfer Tiergeruch in die Nase, und er merkte, dass das Pferd nun direkt neben ihm stand. Sein gefesseltes Bein baumelte direkt vor seinem Gesicht, und mit dem Kopf stupste es seine Schulter an.

„Schon gut, Kleiner, ich habe verstanden."

Araym richtete sich auf und griff mit zitternden Händen nach der Schnalle des Sattelgurtes, die weit nach oben gerutscht war. Es war ein seltsamer Verschluss, ähnlich wie jene, die er kannte, und doch anders in Form und Material. Trotzdem gelang es Araym beim zweiten Versuch, den Riemen zu lösen. Mit einem dumpfen Laut fielen die Packtaschen zu Boden. Das Pferd nahm einen Satz zur Seite, stampfte den Boden – mit allen vier Hufen, wieherte laut und schrill und preschte davon. Araym hörte ein zweites Pferd eine Antwort wiehern, aber in dem Moment interessierten ihn nur die Packtaschen, die vor ihm lagen.

Wasser? Verzweifelt zerrte er an den Verschlüssen herum, bis es ihm endlich gelang, die eine der beiden Taschen zu öffnen. Die Enttäuschung war gross, denn sie enthielt nichts als Kleidungsstücke. Die zweite Tasche war viel versprechender, aber bald einmal musste Araym feststellen, dass auch sie nichts Flüssiges enthielt, sondern Verbandszeug, Nähutensilien, Lederriemen, Schnur, eine Dose Fett, eine kleine Flasche mit Öl und andere Dinge, die einem auf Reisen nützlich sein konnten, aber nicht vor dem Verdursten retteten.

Vermutlich war er einen Moment lang ohnmächtig gewesen, denn als Araym wieder klar denken konnte, war die Sonne untergegangen und es dunkelte rasch. Die Hitze war einer angenehm kühlen Brise gewichen, und er fühlte sich besser. Langsam stand Araym auf, stets darauf bedacht, keine heftigen Kopfbewegungen zu machen, da sich sein Schädel anfühlte wie nach einer durchzechten Nacht. Als er stand, schleppte er sich zur Hauswand und tastete sich daran entlang zur Eingangstüre. Der Schimmel stand immer noch dort, wo er ihn gesehen hatte, als er noch auf der Düne war. Das grosse Pferd hob den Kopf und schnaubte warnend. Und dann sah Araym auch den Reiter. Er lag neben dem Pferd am Boden und bewegte sich nicht. Sein Fuss schien irgendwie mit dem Pferd verbunden zu sein, denn als der Schimmel den Kopf hob, wurde der Körper des Mannes in die Höhe gerissen und kippte leicht zur Seite. Araym sah deutlich die vergiftete Nadel aufblitzen, die im Rücken des Mannes steckte.

„Da sind wir also genau gleich weit gekommen, Fremder", dachte er. „Nur, dass du mir jetzt vielleicht noch ein bisschen weiter hilfst."

Langsam ging er auf das Pferd zu, das ihn ansah, aber keinen Schritt zur Seite wich, wohl aus Furcht, seinen Reiter zu treten.

„Was für ein Unterschied zu den Bestien Amaronds", dachte sich Araym, als er dem grossen Tier zögernd die Hand auf den Rücken legte und seine Packtaschen losschnallte. Er zog sie vom Pferderücken herunter und legte sie ein paar Schritte von dem Schimmel entfernt auf den Boden.

Schnell hatte er einen Wasserschlauch gefunden, und er begann gierig zu trinken. Es war kein Wasser, sondern irgendein leicht alkoholisches Getränk, das nach Kräutern schmeckte, aber es erfüllte fürs erste seinen Zweck. Araym wusste, dass er nicht zuviel auf einmal trinken durfte, und so verschloss er den Schlauch nach ein paar Schlucken wieder und steckte ihn zurück in die Packtasche. Dann hob er das Gepäckstück hoch und legte es sich so über die Schultern, dass die beiden Taschen über seinen Rücken herunterhingen.

Das Pferd war unruhig, aber Araym spürte, dass es sich nicht bewegen würde, solange der Tote an seiner Flanke hing. Einen Moment lang zögerte er, aber dann ging er um das Tier herum und sah sich den Mann an, den er getötet hatte. Sein Fuss hing im Halsriemen des Pferdes, und sein Kopf ruhte direkt neben den Vorderhufen des mächtigen Schimmels. Der Fremde war zierlicher als Araym erwartet hätte, und sein schmales, blasses Gesicht wirkte auf ungewöhnliche Weise edel und schön, aber auch verzerrt, so als ob er unter ungeheuren Schmerzen gestorben wäre. Araym kannte die Wirkung des Pfeilgifts nur zu gut, und er wusste, dass der Mann wirklich sehr gelitten hatte, bevor er gestorben war. Es war ein Wunder, dass er es bis zu Kirgus Hütte geschafft hatte, denn normalerweise wirkte das Gift so schnell und heftig, dass die Opfer vor Schmerz augenblicklich handlungsunfähig waren und dann innerhalb weniger Stunden starben.

Einen Moment lang überlegte Araym, ob er den Mann losschneiden sollte, aber dann sagte er sich, dass ihn das Pferd sofort angreifen würde, wenn es frei wäre. Stattdessen beugte er sich nieder und betrachtete den Fremden noch etwas näher. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, aber Araym kam nicht darauf, was es war. Als er den Kopf des Mannes etwas zu sich hin drehte, um sein Gesicht besser sehen zu können, fuhr er erschrocken zusammen. Täuschte er sich, oder atmete der Mann noch? Unmöglich! Es war Araym schon ein Rätsel, wie er es noch bis zu Kirgus Hütte geschafft hatte, aber der Pfeil steckte nun schon eine ganze Nacht und einen Tag in seinem Rücken, viel zu lange, als dass er noch leben dürfte. Und doch, der Fremde schien Arayms Anwesendheit zu spüren, denn er gab einen leisen, ächzenden Laut von sich und öffnete die Augen zu schmalen Schlitzen.

„Pech, mein Freund", murmelte Araym leise. „Erstens bin ich derjenige, der auf dich geschossen hat, und zweitens bist du schon so gut wie tot, ob ich dir helfe oder nicht – bei dem Gift ist nichts mehr zu machen."

Er wollte weggehen, aber dann entschied er doch anders und beugte sich noch einmal zu dem Mann nieder. Er löste den Beutel von seinem Gürtel und entnahm ihm einen kleinen Kristallsplitter – den Kleinsten, den er so rasch finden konnte. Dann schob er ihn dem Halbtoten sanft zwischen die Lippen.

„Das wird dir auch nicht mehr helfen, aber es wird dir die Schmerzen nehmen. Wenn ich in ein Dorf komme, werde ich Bescheid sagen, dass sie dich holen. Leb wohl, Fremder."

Araym ging ein paar Schritte weg und trank dann noch einmal aus dem Trinkschlauch des Mannes. Alkohol war im Moment sicher nicht das Wahre, aber die Flüssigkeit schien ihm neue Kräfte zu verleihen. Wenn er erst mal ein paar Dünen zwischen sich und Kirgus Haus gebracht hätte, würde er den Wasserschlauch des Fremden suchen. Schliesslich musste dieser Wasser dabei haben, wenn er die Berge überquert hatte.

Mit der viel versprechenden Aussicht auf ein gemütliches Abendbrot mit dem Proviant des Mannes und seinem Wasserschlauch, machte sich Araym auf den Weg zurück in die Wüste. Nach der ersten Düne wurde ihm allerdings bewusst, dass er noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war. Urplötzlich wurde ihm schwindlig, und die Welt um ihn herum schien zu verschwimmen. Er machte noch ein, zwei taumelnde Schritte und brach zusammen. Erst einmal schlafen – am nächsten Morgen würde er weitersehen.