A/N: Es ist so sommerlich heiss, dass ich mich einfach nicht dazu überwinden kann, das nächste Kapitel über die Kargai zu überarbeiten, das meine Beta-Leserin mir zugeschickt hat. Da passt doch der Osten mit seiner Wüstenlandschaft irgendwie besser... Zum Glück habe ich noch ein paar Kapitel aus dem Osten, bevor es mit Sijn weitergeht :)
das Einhorn: Keine Angst, die Kargai kommen schon wieder vor. Aber zum einen ist es mir wirklich zu warm, um mich auf diese kalte Berglandschaft einstimmen zu können, und zum anderen muss Tiruial erst noch einiges erzählen, bevor Sijn wieder vorkommt.
Verhör
Kurz darauf sassen sie draussen an Kirgus altem Holztisch, den die Männer im Geräteschuppen gefunden hatten. In der Mitte des Tisches stand eine Schüssel, aus der es dampfte. Araym sass auf einer der beiden Sitzbänke, mit dem Rücken zur Hauswand. Rechts von ihm sass der ältere der beiden Männer, links die junge Frau und ihm gegenüber derjenige, der ihn hinausgebracht hatte. Er hatte seine Fesseln gelöst und dann seine Hände hinter dem Rücken wieder zusammengebunden.
Diesmal sassen die Stricke fester, und das andere Ende war so um die Sitzfläche der Bank geschlungen, dass er gerade aufgerichtet dasitzen musste, um den Druck auf die Handgelenke nicht ins Unerträgliche zu steigern. Zweifellos hatte dieser Mann nicht zum ersten Mal jemanden gefesselt, und ebenso zweifellos würde dies hier nicht sein erstes Verhör werden. Doch anstatt Fragen zu stellen, erhob er sich erst einmal und schöpfte gelassen vier Schalen voll mit Reis. Anschliessend füllte er ebenso ruhig vier Krüge mit Wasser, stellte einen davon vor Araym hin und lehnte sich dann zurück. Das Verhör konnte beginnen.
„Mein Name ist Bradwen von Fenring. Ich bin der Fürst dieses Gebietes und werde Euch jetzt entsprechend den Gesetzen des Landes Amarond ein paar Fragen stellen. Es liegt bei Euch, ob dieses Verhör so förmlich bleiben wird, oder ob Ihr später Euer Abendbrot mit uns zusammen einnehmen werdet. Bevor wir nun zur Tat schreiten, möchte ich Euch noch die anderen Anwesenden vorstellen. Marek hier, ist der Verwalter meines Guts. Zu Eurer Linken sitzt Anarya, meine Tochter. Ihr habt ihr es zu verdanken, dass wir zu Kirgu Tammaris Hütte gekommen sind. Ohne sie wäre hier wohl wochenlang niemand vorbeigekommen. Nun würde ich gerne auch Euren Namen erfahren, Gardist."
Araym sah den Fürsten offen an.
„Ich werde Eure Fragen beantworten, sofern sie meine Person betreffen. Über die Garde kann ich Euch dagegen keinerlei Auskunft erteilen."
Bradwen von Fenring nickte und wiederholte dann seine Frage.
„Euer Name?"
„Araym."
Ein Schatten von Ärger huschte über das Gesicht des Fürsten. Seine Stimme klang gereizt, als er weitersprach.
„Ihr wolltet die Fragen, welche Eure Person betreffen, beantworten. Dazu gehört meiner Meinung nach auch der ganze Name. Ich wiederhole also noch einmal: Wie heisst ihr und woher kommt ihr?"
Marek sah aus, als ob er etwas sagen wollte, und der Fürst nickte ihm ärgerlich zu.
„Was ist, Marek?"
Der Verwalter räusperte sich nervös bevor er zu reden begann.
„Ich weiss nicht viel über die Gardisten, aber in den Nomadenkriegen hat man uns erzählt, ihr Name bestehe aus einem Rufnamen und einem zweiten, der sie einer Einheit zuordne. In dem Fall beliess er es entweder bei seinem Rufnamen, weil er seine Einheit nicht nennen wollte, oder weil er im Moment keiner Einheit angehört."
Der Fürst blickte nun wieder zu Araym.
„Ist das so?"
Araym nickte.
„Euer Verwalter hat Recht. Unsere Namen sind tatsächlich auf diese Weise zusammengesetzt, und ich habe Euch bewusst nur meinen Rufnamen genannt. Es ist wirklich so, dass ich keiner Einheit mehr angehöre, und dass ich es nicht für nötig halte, den Namen meiner alten Einheit zu nennen. Wenn ihr unbedingt mehr hören wollt als ‚Araym', dann kann ich mich Euch als Araym, Sarnas Sohn vorstellen, wie es in Farad gebräuchlich ist."
Bradwen von Fenring entspannte sich ein wenig.
„Jetzt kommen wir der Sache näher. Ihr stammt also aus Farad?"
„Ich wurde in Farad geboren, Fürst, aber ich habe fast mein ganzes Leben in Amarond verbracht."
„Sarne, hiess so nicht einer der Könige Farads? Soweit ich weiss, darf man in Farad nur königliche Namen tragen, wenn man selber von Adel ist."
Araym lächelte bitter.
„Ich sagte nicht Sarne, sondern Sarna. Sie war meine Mutter. Ja, sie war eine Königin – die Königin der Huren im Hafenviertel von Satar-Ai. Entsprechend ihrem Beruf habe ich auch nicht die geringste Ahnung, wer mein Vater ist. Daher Araym, Sohn von Sarna. Adel? Das hoffte meine Mutter auch, als sie mit mir schwanger ging. Sie wurde damals von einem Adligen ausgehalten und hoffte, diesen erpressen zu können. Nun, als ich dann zur Welt kam, war so viel offensichtliches Shadri-Blut in mir, dass sie den Traum von einem reichen Vater vergessen konnte."
Die anderen am Tisch waren mehr oder weniger schockiert, wie Araym amüsiert feststellte. Der Fürst schien entrüstet zu sein, dass er vor seiner Tochter so gesprochen hatte. Nun, er hätte das Verhör auch ohne ihre Anwesenheit durchführen können. Der alte Verwalter sah interessiert aus, so als ob er sich bereits fragte, wie Araym von Farad aus zu den Gardisten gekommen sei. In den Augen der jungen Frau dagegen las Araym Erschrecken und Mitleid. Er beschloss, mit seiner Geschichte noch ein wenig fortzufahren.
„In Amarond gibt es eine Redensart. ‚Das kommt mir so gelegen wie dem Quacksalber der Furunkel auf der Nase.' In Farad lautet dieselbe Redensart ein wenig anders: ‚Das kommt mir so gelegen wie der Hure das Kind.' So etwa ging es meiner Mutter. Sie konnte mich nicht brauchen, vor allem nicht, wo sie mich nicht einmal zu erpresserischen Zwecken nutzen konnte. So kam ich dann mit etwa acht Jahren nach Amarond und zu den Gardisten, wie Ihr sie nennt."
Der Fürst schmunzelte.
„Und wie nennt Ihr sie, Araym?"
Araym schüttelte den Kopf, wirkte aber auch belustigt.
„Nein, Fürst. Ich sagte schon, dass ich nicht über meine Leute reden werde. Ich kann Euch sagen, dass wir uns selber als Südwinde bezeichnen, aber mehr werde ich nicht verraten. Nun, ich kam also als Kind zu den Südwinden und war seitdem einer von ihnen."
Es war offensichtlich, dass Anarya eine Frage stellen wollte, aber der Fürst machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und wandte sich seinerseits an den Gefangenen.
„Ihr gehört im Moment keiner Einheit an, sagtet ihr. Weshalb nicht? Hat das etwas damit zu tun, dass ihr halbtot in der Wüste lagt?"
Araym zögerte. Jetzt musste er gut aufpassen, was er sagte.
„Während des letzten Sandsturms ist etwas geschehen, was der Patrouille, der ich angehörte, grosse Schwierigkeiten hätte machen können. Um dies zu verhindern, versuchte ich das Problem auf eigene Faust zu lösen. Ich versagte und beschloss daraufhin, die Südwinde zu verlassen."
Bradwen von Fenring unterbrach ihn.
„Wartet einen Augenblick! Ihr wart fast Euer ganzes Leben bei diesen Südwinden, und dann wollt Ihr sie wegen eines einzigen Misserfolgs verlassen? Verzeiht, wenn ich das etwas unglaubwürdig finde."
Araym senkte den Kopf. Es dauerte einen Augenblick, bis er antwortete und seine Antwort kam leise aber mit fester Stimme.
„Es war nicht mein erster Misserfolg. Der erste kostete mich meine Hände. Ich wollte nicht für etwas sterben, von dem ich plötzlich nicht mehr ganz und gar überzeugt war."
Der junge Mann hielt inne und blickte die Anwesenden der Reihe nach an. Er schien nachzudenken, und der Fürst wartete geduldig ab, bis Araym zögernd fortfuhr.
„Ich weiss nicht recht, aber wenn ich dazu noch etwas sagen soll, wäre es vielleicht besser, wenn der Verletzte in der Hütte auch mithören würde. Diese ganze Sache hat viel mit ihm zu tun. Aber wenn ich darf, möchte ich Euch nun meinerseits eine Frage stellen: Was ist mit Kirgu Tammari? Wo ist sie?"
Bradwen von Fenring blickte ihm ernst in die Augen.
„Das schwarze Fieber hat sie genommen. Woher kanntet ihr sie?"
Araym senkte den Kopf und schien die Nachricht von Kirgus Tod erst verarbeiten zu müssen. Dann riss er sich zusammen und gab Antwort.
„Es schmerzt mich, von Kirgus Tod zu erfahren. Ich kannte sie nicht sehr gut, aber ich schätzte sie sehr. Warum ich sie kannte, würde ich jedoch lieber in Anwesenheit des Verletzten erklären."
Der Fürst stimmte nach kurzem Überlegen zu.
„Eine Frage noch. Der Mann in der Hütte wurde von einem Egur getroffen, einem Giftpfeil, wie sie die Garde in den Nomadenkriegen verwendet hat. Was wisst ihr darüber?"
Araym biss nachdenklich auf seiner Unterlippe herum, bevor er antwortete.
„Was ich über diesen bestimmten Egur weiss, möchte ich ebenfalls in Anwesenheit des Verletzten erzählen. Was diese Waffe im Allgemeinen betrifft, so weiss ich darüber sehr gut Bescheid, und ich werde Euch auch gerne Eure Fragen beantworten."
Bevor der Fürst darauf eingehen konnte, hatte Anarya schon die erste Frage gestellt.
„Wie können wir dem Verletzten helfen? Wie können wir ihn behandeln?"
Araym bemühte sich, einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
„Ich weiss nicht ganz, wie er es geschafft hat, aber er hat das Gift in seinem Körper besiegt. Er wird es wohl überleben, aber ihn erwarten schreckliche Qualen. Seine Glieder sind schwach, und jede Bewegung wird mit entsetzlichen Schmerzen verbunden sein, bis sein Körper das Gift abgebaut hat. Was seine Behandlung betrifft, so kann man nicht viel tun; er muss sich einfach bewegen, sobald er die Kraft dazu hat. Je eher er aufstehen und herumgehen kann, desto schneller wird seine Genesung voran schreiten."
Die junge Frau nickte.
„Ich werde ihm ein Schmerzmittel zubereiten, damit er nicht so leiden muss."
Sie wollte aufstehen, aber Araym rief sie zurück.
„Normale Schmerzmittel wirken nicht. Sie werden ihm seine Kraft nicht zurückgeben. Es gibt nur eines, was ihm seine Gesundung erleichtern kann. Ich kann es Euch zeigen, dafür bräuchte ich allerdings meinen Gürtel."
Der Fürst nickte Anarya zu.
„Bring ihn her. Wir werden uns ansehen, was der Gardist meint."
Anarya stand vom Tisch auf und ging zu dem Haufen neben der Türe, wo man Arayms Ausrüstung hingelegt hatte, als man sich zu Tisch setzte. Dort suchte sie nach dem Gürtel, während sich der Fürst an Marek wandte.
„Bind ihn los, so dass er essen kann."
Der Verwalter gehorchte, und Araym warf dem Fürsten einen dankbaren Blick zu. Langsam hatten seine Arme zu schmerzen angefangen. Doch Fürst Bradwen blieb ernst.
„Esst, Araym. Aber glaubt nicht, dass ihr frei seid. Ich bin noch nicht fertig mit Euch."
Araym nickte und beugte sich über die Schüssel, die man vor ihn hingestellt hatte. Er bemühte sich, nicht allzu gierig zu essen, aber es fiel ihm schwer. Das Eintopfgericht war gut und nahrhaft, und Araym genoss es. Reis wurde in Amarond oft gegessen, aber in der Sandfeste gab es ihn nur, wenn man eine Handelskarawane gestellt hatte, die dieses Getreide mit sich führte. Wie Araym wusste, brauchte Reis sehr viel Wasser, um zu wachsen, so dass sie sich in der Wüste mit genügsamerem Getreide begnügen mussten, das die Frauen der Südwinde mühsam heranzogen.
Endlich kam Anarya zurück. Sie war sehr sorgfältig mit Arayms Eigentum umgegangen, da sie sich keinesfalls an etwas Vergiftetem verletzen wollte. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Warnung ihres Vaters, was die Armschienen des jungen Mannes betraf, von seinem Blasrohr und den dazugehörigen Nadeln ganz zu schweigen. Anarya setzte sich wieder an ihren alten Platz und legte den Gürtel zwischen ihrem Vater und Araym auf den Tisch. Der Gardist schob seine Schüssel zur Seite und wollte danach greifen, aber Fürst Bradwen kam ihm zuvor.
„Ihr erlaubt, dass ich da erst selber einen Blick darauf werfe."
Araym nickte ergeben, und der Fürst begann damit, die Beutel, welche am Gürtel hingen, einen nach dem anderen zu öffnen und den Inhalt auf dem Tisch auszubreiten. Als er zu dem weissen Beutel mit den Kristallen und den Silbernadeln kam, unterbrach ihn Araym bei seiner Arbeit.
„Vorsicht mit den Nadeln! Dies ist der Beutel, den ich brauche. Die Kristalle darin können in kochendem Wasser aufgelöst werden, was ein Mittel gegen das Gift ergibt."
Araym spürte die Spannung, die am Tisch herrschte. Die Leute hier wollten dem Verletzten helfen, aber sie trauten ihm nicht und wussten nicht, was er mit diesen Kristallen bezweckte. Und so beschloss Araym, ein Geheimnis preiszugeben, das er von Ajuur erfahren hatte. Er wusste nicht recht, warum er es tat, aber es schien ihm richtig, diesen Leuten zu helfen – schliesslich hatten sie ihn vor dem Verdursten gerettet. Solange er zurückdenken konnte, hatte er mit keinem Menschen ausser den Südwinden gesprochen, und er wusste nicht viel über die Bewohner Amaronds. Aber hier hatte er Wasser und Nahrung bekommen, man hatte ihn bisher höflicher behandelt, als es jeder Gefangene in der Sandfeste erhoffen konnte, und nun hatte man sogar seine Fesseln gelöst. Selbst der Mann, den er angeschossen hatte, war nicht wütend gewesen, obwohl er gewusst hatte, dass Araym auf ihn geschossen hatte. Nein, Araym war kein Südwind mehr, und es wurde Zeit, dass er lernte, mit anderen Menschen umzugehen. 'Eine Hand wäscht die andere', sagte man in Satar-Ai. Die Leute hier hatten ihm geholfen, nun würde er ihnen helfen. Und so begann Araym mit seiner Erklärung.
„Das Gift, mit dem wir unsere Pfeile versehen, stammt von diesen Kristallen. Man steckt diese silbernen Nadeln einfach für eine gewisse Zeit zu den Steinen, und sie werden vergiftet. Seltsam ist, dass die Kristalle an sich harmlos sind, oder sogar als Heilmittel verwendet werden können. Nur in Verbindung mit Silber entfalten sie ihre tödliche Wirkung. Das Pulver dieser Kristalle in kochendem Wasser aufgelöst, wird Eurem Freund helfen, vertraut mir."
Am Tisch herrschte Totenstille. Araym spürte das Misstrauen beinahe körperlich. Schliesslich senkte er den Kopf.
„So gebt mir einen Becher, und ich werde es Euch beweisen."
Der Fürst nickte, trank aus und schob dem Gardisten seinen Krug hin.
„Hier, nehmt diesen da."
Araym nahm den grossen Kristall mit dem Loch aus dem Beutel und legte ihn auf den Trinkkrug. Dann nahm er seinen eigenen Krug, der mit Wasser gefüllt war, und schüttete seinen Inhalt vorsichtig durch das Loch im Kristall in den anderen Behälter. Die Flüssigkeit schäumte auf und verbreitete einen seltsam scharfen Geruch. Schliesslich wischte Araym den Kristall vorsichtig an seinem Hemdsärmel ab und schob ihn zurück in den Beutel. Er blickte die Anwesenden der Reihe nach an, griff dann nach dem Krug, der nun eine weissliche, milchige Flüssigkeit enthielt, und trank ein paar grosse Schlucke daraus, bevor irgendjemand reagieren konnte. Die anderen hatten gebannt zugesehen, wie geschickt Araym mit seinen verkrüppelten Händen umging, und waren daher zu langsam, als sie merkten, dass er den Krug mit der seltsamen Flüssigkeit austrinken wollte. Araym sah ihre erschrockenen Blicke und grinste den Fürsten belustigt an.
„Ich habe mich nicht selber vergiftet, Fürst, auch wenn ihr das vielleicht denkt. Es gibt keinen Grund für mich, weshalb ich sterben wollte. Ich habe den Krug nicht ganz geleert – es liegt ganz bei Euch, ob ihr ihn austrinken wollt."
Bradwen von Fenring griff zögernd nach dem Gebräu und roch daran. Dann nippte er ein wenig an der Flüssigkeit, runzelte die Stirn, und warf Araym einen verwunderten Blick zu.
„Das schmeckt wie das Zeug, das die Nomaden brauen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist dasselbe."
„Es ist dasselbe, Fürst. Diese Kristalle sind vielseitig. Man kann sie als Gift verwenden und als Heilmittel; man kann sie als Schmuck tragen, zur Orientierung verwenden und sogar ein alkoholisches Getränk daraus herstellen. Und es geht ganz einfach wie Ihr gerade eben gesehen habt."
Marek griff nun auch nach dem Krug, roch daran, nahm einen Schluck und grinste zufrieden. Der Fürst wandte sich an Anarya.
„Mach kochendes Wasser bereit. Wir werden dieses Heilmittel zubereiten und es ihm geben, wenn er aufwacht. Ich glaube dem Gardisten, dass der Trank dem Elben nicht schaden wird."
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Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Flug. Der Fürst war mit Anarya aufs Gut zurückgekehrt und hatte Marek alleine mit Araym und Tiruial zurückgelassen. Tiruial war die meiste Zeit wach und litt, wie Araym es vorausgesagt hatte, unter entsetzlichen Schmerzen, die ihm den Schlaf raubten und jede noch so kleine Bewegung zur Folter machten. Zusätzlich quälte ihn ein trockener Husten, der seinen geschwächten Körper schüttelte und zusätzliche Schmerzen verursachte.
Marek gab ihm immer wieder von dem Trank aus den Kristallen, aber auch dieser schien nicht viel zu helfen. Für Araym hatte der Gutsverwalter eine Lösung gefunden, die dem Gardisten eine gewisse Bewegungsfreiheit gewährte. Im Geräteschuppen hatte Marek nämlich eine lange, dünne Kette gefunden, die wohl früher zum Anschirren gedient hatte. Kurzerhand hatte er Araym an die Kette gelegt, deren Verschlüsse dieser mit seinen Händen unmöglich öffnen konnte. Araym hatte kein Wort gesagt und sich nicht gewehrt, aber Marek hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen ob der entwürdigenden Behandlung. Er tröstete sich damit, dass der Gardist auf diese Weise wenigstens gewisse Freiheiten hatte und Marek ihn trotzdem nicht dauernd im Auge behalten musste. Der junge Mann sass stundenlang in Kirgus Wohnraum und studierte ihre Schriften. Er war kein grosser Leser, aber Kirgus gestochen scharfe Schrift war einfach zu verstehen, und ihre Notizen über Pflanzen, Tiere und Minerale aus der Gegend interessierten ihn sehr. Marek dagegen versuchte, wann immer Tiruial trotz der Schmerzen einmal schlief, sich mit den Pferden anzufreunden, was ihm nach und nach auch gelang.
Nach zwei Tagen kamen zwei Kamele zum Haus getrabt, und Marek, der gerade dabei war, die Zisterne zu reinigen, sprang auf und wandte sich um. Er erkannte Anarya, aber der andere Reiter musste erst nahe herankommen, bevor sah, wer es war.
„Tárion? Seid willkommen zurück, junger Herr! Ihr habt Urlaub?"
Der junge Mann sprang ab, bevor sein Kamel Zeit hatte, sich niederzulegen. Fasziniert stellte Marek fest, dass aus dem ungeschickten Gelehrten ein kräftiger Krieger geworden war. Tárion trug sein Haar jetzt lang, und zu einem Knoten geschlungen, wie es bei der königlichen Armee Brauch war. Seine Mantelschliesse hatte die Form des weissen Kranichs, der die Königin repräsentierte. Marek strahlte den jungen Mann an.
„Ihr habt es also tatsächlich geschafft! Ihr seid in der königlichen Armee!"
Tárion trat vor Marek hin und umarmte ihn lachend.
„Ohne Euch hätte ich das nicht geschafft, Marek! Ich weiss, wie sehr Vater es sich wünschte, aber ich sah nicht ein, weshalb ich kämpfen lernen sollte, wo mich doch das Studium der Geschichte Amaronds viel mehr interessiert. Ich hätte nie gedacht, dass auch die Ausbildung zum Soldaten interessant sein kann. Ausserdem habe ich freien Zugang zur königlichen Bibliothek."
Anarya, die inzwischen herangekommen war, versetzte ihrem Bruder einen freundschaftlichen Rippenstoss.
„Gib zu, dass das der Grund ist, warum du bei der Armee geblieben bist!"
Tárion stiess ein bisschen sanfter zurück und wollte zu einer Antwort ansetzen, als er Anaryas abwesenden Gesichtsausdruck bemerkte. Er folgte ihrem Blick und sah nun auch die beiden Männer, die neben dem Haus im Garten sassen. Einer von ihnen sass mit gekreuzten Beinen am Boden und hatte eine Schriftrolle auf den Knien, die er aufmerksam studierte. Der andere lehnte an der Hauswand und hatte sein Gesicht der Sonne zugewandt.
Marek lächelte zufrieden.
„Wir dachten, ein wenig Sonne könne ihm nicht schaden, blass wie er ist. So haben Araym und ich ihn vorhin hinausbegleitet. Er kann schon wieder aufstehen, aber er ist sehr schwach und hat ständig Schmerzen."
Als hätte Tiruial gehört, dass von ihm die Rede war, öffnete er die Augen und wandte ihnen den Kopf zu. Als er Anarya erblickte, hob er matt eine Hand zum Gruss und verzog sofort schmerzlich das Gesicht. Anarya rannte zu ihm hin.
„Tiruial! Es ist wunderbar, dass es dir besser geht! Ich habe mir solche Sorgen gemacht!"
Der Elb sah sie müde an.
„Ich hatte viel Hilfe. Alleine hätte ich es niemals geschafft. Ich bin allen sehr dankbar – dir, deinem Vater, Marek, Araym,..."
Seine Stimme war leise und heiser, und Anarya sah ihm an, dass es ihm noch nicht gut ging. Da hörte sie hinter sich das Rasseln einer Kette und wandte sich um. Araym war herangekommen; die lange Kette an die er gelegt war, zog er hinter sich her. Es war ein entwürdigender Anblick, und Anarya tat der stolze Wüstenkrieger irgendwie leid. Erst hatte er sich mit Tiruials Schlaftrank selber betäubt, dann hatte man ihn gefangen genommen, und nun lag er wie ein Wachhund an der Kette. Araym verbeugte sich leicht vor ihr.
„Seid gegrüsst, Anarya von Fenring. Ich freue mich darüber, Euch wieder zu sehen."
Dann neigte er noch einmal leicht den Kopf und ging ins Haus. Anarya blieb verwirrt stehen. Sie wusste nicht recht, was sie von dem Gardisten halten sollte. Tiruials Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
„Wir müssen miteinander reden, Anarya. Es ist viel geschehen, in den letzten Jahren, und ich muss wissen, was dir Kirgu über das Alquaros erzählt hat."
Anarya schüttelte den Kopf.
„Wir werden reden, Tiruial, aber nicht hier und nicht jetzt. Du bist schwach und brauchst Ruhe. Ausserdem warten Tárion und Marek auf mich, und ich weiss nicht, wie viel du ihnen erzählen willst."
Tiruial nickte langsam und wurde prompt von einem Hustenanfall erfasst. Er verzog gequält das Gesicht, und machte eine abwehrende Handbewegung, als Anarya ihm irgendwie helfen wollte. Nach einer Weile schien er sich zu erholen, aber sein Atem ging keuchend, und seine Gesichtszüge wirkten verkrampft. Es musste wirklich schlimm sein, wenn er als Elb so offensichtlich litt. Kirgu hatte Anarya oft genug erzählt, wie gleichmütig die Elben Verletzungen ertrugen.
Marek und Tárion kamen nun auch zu Tiruial und Tárion grüsste freundlich aber distanziert. Er hatte offensichtlich keinerlei Erinnerung an ihre Begegnung vor zehn Jahren. Tiruial grüsste ebenfalls höflich und wandte sich dann mit einem fast tonlosen Flüstern an Marek.
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich meine Geschichte erzähle. Eigentlich war das nur eine Sache zwischen Kirgu und mir, aber nun, da Kirgu tot ist, hat auch Anarya damit zu tun. Ich denke, dass es gut wäre, wenn ihr Vater auch alles erfährt."
Neugier war in Mareks Augen zu lesen, aber er war schon zu alt und zu erfahren, um sich etwas anmerken zu lassen.
„Sehr wohl, Herr Tiruial. Ich werde den Fürsten benachrichtigen, wenn Ihr Euch diese Anstrengung wirklich schon zumuten wollt."
Er besprach sich kurz mit Tárion, der sich bereit erklärte, mit Anarya dazubleiben, und machte sich dann mit einem Kamel auf den Weg zum Fürsten.
Die Geschwister blieben noch eine Weile draussen, und Tárion erzählte von seiner Zeit bei der Armee. Tiruial sass mit geschlossenen Augen daneben, und es war unmöglich zu sagen, ob er schlief oder ob er ihnen zuhörte. Araym dagegen liess sich nicht blicken. Gegen Abend schafften die Geschwister Tiruial mit vereinten Kräften ins Haus. Der Elb war zu schwach, um alleine gehen zu können. Ab und zu entwich ihm ein unterdrückter Schmerzenslaut, und Anarya litt mit ihm. Sie hatte von Kirgu so viele Sagen über die Elben gehört, dass sie sie für nahezu unverletzlich gehalten hatte. Tiruial belehrte sie nun eines Besseren. Schwerfällig liess er sich auf sein Bett fallen, wo er fast augenblicklich einschlief.
