A/N: Was wäre eine Fantasy-Story ohne eine Prophezeiung? Hier kommt sie :-) Und was wäre eine Fanfic ohne Reviews? Also brav auf das kleine Knöpfchen am Ende des Kapitels clicken...

Das Einhorn: Vorsicht! Das stammt nicht alles aus dem Silmarillion. Wenn du dich nicht an die Geschichte von Runya erinnern kannst, so ist das nur, weil diese nicht aus Tolkiens Feder stammt, sondern auf meinem Mist gewachsen ist. Auch in diesem Kapitel sind Tatsachen aus dem Silmarillion mit frei Erfundenem vermischt. Also keine Panik, wenn dir ein paar Sachen unbekannt vorkommen.

Die Prophezeiung

Tiruial trank erneut einen Schluck Wasser, bevor er mit der Erzählung fortfuhr.

„Es kam zu einem der dunkelsten Ereignisse in der Geschichte der Elben. Die Noldo kamen nach Alqualonde, der Stadt der Teleri und baten sie um ihre Schiffe, um darauf den Weg nach Mittelerde antreten zu können. Doch wie die Silmaril für Fëanor alles bedeuteten, waren den Teleri ihre Schwanenschiffe viel zu wertvoll, um sie wegzugeben. Diese Schiffe waren ihr Leben, und mit ihrem Leben schützten sie sie. Die Teleri weigerten sich, die Schwanenboote herauszugeben, und Fëanor befahl, sie mit Gewalt zu nehmen. Es brach ein furchtbarer Kampf aus. Die Teleri verteidigten ihre Schiffe bis aufs Blut, doch gegen die Übermacht der Noldor, die dazu noch bessere Waffen und Rüstungen für die lange Reise trugen, hatten sie keine Aussicht zu gewinnen. Sarince, die nahe bei Fëanor gestanden hatte, wurde in die Schlacht verwickelt, und auch wenn es ihr widerstrebte, musste sie töten, um nicht selbst getötet zu werden.

Einen Teleri, der sich von einem Bootsrand herab auf sie stürzte, durchbohrte sie noch im Fall mit ihrem Schwert. Doch als sie ihn ansah, war ihr Geist mit einem Male ernüchtert und der Kampfesrausch verliess sie augenblicklich. Es war Earyond, der zu ihren Füssen lag und sein Leben aushauchte. Tränenblind stolperte Sarince davon und liess das Schlachtgetümmel hinter sich. Als sie sich ein wenig gefasst hatte, merkte sie, wohin sie ihre Füsse trugen. Ohne darüber nachzudenken, war sie beinahe bis zu dem Haus gelaufen, in dem Erunyauvë mit Earyond lebte. Sarince wusste nicht, was sie Erunyauvë sagen wollte, aber sie hätte selbst den Tod durch die Hand ihrer Freundin mit Freuden empfangen, wenn sie dadurch vergessen konnte, was sie getan hatte.

Erunyauvë sass auf der Treppe vor dem Haus. Ihre Arme umschlossen ihr Kind, aber in ihrer Brust steckte ein verirrter Pfeil, der aus dem Schlachtgetümmel geflogen war. Als sie Sarince erkannte, huschte ein schmerzliches Lächeln über ihr Gesicht. Sarince sah den Tod in den Augen Erunyauvës und erzählte ihr schluchzend, was geschehen war. Doch Erunyauvë schüttelte nur traurig den Kopf und legte Sarince das Neugeborene in die Arme.

„So werde ich schon bald wieder mit Earyond vereint sein", hauchte sie sterbend. „Nun musst du unser Kind aufziehen, treue Freundin, ich bitte dich darum."

Sarince nahm den Jungen entgegen. War es das letzte was Erunyauvë ihr noch sagen konnte, bevor der Tod sie umfing, oder war es Sarince selbst, die dem Kind seinen Namen gab? Auf jeden Fall heisst es, der rote Stern über dem Taniquetil habe in jener Nacht gelodert wie eine Flamme, heller als je zuvor, und so wurde das Kind von Earyond und Erunyauvë auf den Namen Elruin getauft, was soviel bedeutet wie rotflammender Stern."

Anarya unterbrach die Erzählung des Elben.

„Elruin? Kirgus Ehemann?"

Tiruial nickte, ging aber sonst nicht weiter auf Anaryas Bemerkung ein.

„Sarince nahm das Kind an sich und wollte mit ihm nach Hause zurückkehren. Hatte sie sich noch kurz zuvor darauf gefreut, mit Fëanor nach Mittelerde zu reisen und ihr langweiliges Leben hinter sich zu lassen, so hatte sie sich nun ihre Meinung grundlegend geändert. Sie konnte Fëanors Handlungsweise nicht verstehen und war erschüttert über den Tod ihrer besten Freunde. Doch war ihr auch bewusst, dass sie mit dem Mord an Earyond grosse Schuld auf sich geladen hatte, und so war sie nicht im Geringsten erstaunt, dass ihr jemand den Weg versperrte, als sie mit dem Kind im Arm Alqualonde verliess. Als Sarince jedoch sah, wer da vor ihr stand, erstarrte sie vor Schreck. Elbereth selber war es, die sie nicht vorbeiliess, sondern nur mitleidig den Kopf schüttelte.

„Nein, Sarince, du kannst nicht zurückgehen. Es ist nicht wegen dir, Kind, auch wenn du Schlimmes getan hast. Es ist um den Noldor zu helfen, dass ich dich hier aufhalte. Schwere Zeiten stehen dir bevor, Sarince, aber du wirst bestehen – du musst bestehen, um das Schicksal der Verbannten zu mildern."

Sarince kniete vor der Valië nieder.

„Was muss ich tun, oh Elbereth?"

„Steh auf, Sarince. Nimm das Kind und gib es als dein eigenes aus. Folge Fëanor und den anderen Noldor nach Mittelerde und zieh den Jungen dort auf. Wenn er alt genug ist, dann erzähle ihm von heute Nacht. Berichte ihm von seinen Eltern und ihrem Tod. In Elruin fliesst das Blut der Vanyar und der Teleri. An ihm sei es, den Noldor zu verzeihen und ihnen den Weg zurück nach Valinor zu weisen. Nimm diesen Stein, Sarince. Es ist Runya, den Manwe, mein Gemahl den Noldor abgesprochen hat. Bewahre ihn auf für Elruin, bis er alt genug ist, ihn zu tragen. Er wird eines Tages wissen, was damit zu tun ist."

Und so folgte Sarince den Noldor in die Verbannung. Sie legte ihren Namen ab und nannte sich fortan Tarias, was in der Sprache der Elben auf Mittelerde „Widerspenstige" bedeutet. Einmal hatte sie sich einem Anführer untergeordnet, und dies hatte ihr Leben zerstört. Nie wieder würde sie sich jemandem fügen, nie mehr auf den Befehl eines anderen hören, so schwor sie sich und verliess die Noldor, mit denen sie aus Valinor gekommen war.

Tarias führte ein abenteuerliches Leben auf Mittelerde, aber davon will ich jetzt nicht berichten, da es nichts mit der Geschichte von Runya zu tun hat. Nur soviel: Tarias begegnete Ëol, einem weiteren berühmten Elbenschmied. Er war es, der Runya in diesen Schwan fasste. Von dem Moment an nannte man dieses Schmuckstück Alquaros, und Tarias trug es, bis Elruin alt genug war, um seine Bedeutung zu verstehen, und es an sich zu nehmen."

Diesmal war es der Fürst, der Tiruial unterbrach.

„Und was hat es mit diesem Schmuckstück auf sich? Wieso ist meine Tochter im Besitz davon?"

Tiruial machte eine beschwichtigende Handbewegung.

„Dazu komme ich jetzt. Es ist wichtig, dass ihr versteht, dass Runya, der rote Stein, aus Valinor kommt, und dass auf ihm ein göttlicher Zauber liegt."

Tiruial seufzte.

„Ich weiss nicht viel davon, wie mein Vater reagierte, als er die Wahrheit erfuhr. Ich weiss auch nichts davon, wann Tarias ihm das Alquaros gab, aber schlussendlich ging er zurück nach Valinor, nachdem Tarias, die für ihn eine Mutter gewesen war, in einer Schlacht gefallen und der letzte Silmaril verloren war und nachdem die Valar den Bann aufgehoben hatten. Auch viele der Noldor kehrten in den Westen zurück, aber nicht, wie Elbereth es prophezeit hatte, indem sie dem Alquaros folgten, sondern alleine und ohne die Führung Elruins.

Viel Zeit verging, und das Leben in Valinor war friedlich und schön. Doch Elruin war ein Krieger, und er hatte nie die Glückseligkeit der Unsterblichen Lande kennen gelernt. In all der Freude und Schönheit fühlte er sich nicht wirklich wohl und er sehnte sich nach der wilden Freiheit Mittelerdes. Und als es auf Mittelerde einen schrecklichen Krieg gegen Sauron, den Schüler Morgoths gab, bat er die Valar darum, den Menschen und Elben in ihrem aussichtslosen Kampf beistehen zu dürfen. So kehrte Elruin nach Mittelerde zurück. Elbereth jedoch, vertraute ihm ein weiteres Mal das Alquaros an, auf dass es ihm den Weg zurück weise, obschon Valinor hinter zauberischen Nebelschleiern verborgen lag.

In der Schlacht am Fluss Gwathló wurde Elruin schwer verwundet. Er hatte an der Seite der Fürsten von Númenor gekämpft, tapferer Menschen, die auf der Insel Númenor zwischen Valinor und dem Festland lebten. Elruin wurde durch einen Pfeil niedergestreckt, und ein Feind wollte den gestürzten Elben mit seinem Speer durchbohren. Doch Astaran, ein Fürst aus Númenor warf sich dazwischen und lenkte den Speer ab, so dass die Verletzung Elruins nicht tödlich war. Trotzdem schwebte mein Vater lange Zeit zwischen Leben und Tod, und er wäre wohl gestorben, wenn nicht Elrond der Herr von Bruchtal und grosser Heiler der Elben sich um seine Wunden gekümmert hätte. Elruin wusste, dass er Astaran sein Leben verdankte, und so schenkte er dem númenorischen Fürsten das Alquaros.

Den Númenorern war einst die Insel Númenor geschenkt worden, aber unter der Bedingung, dass sie niemals versuchen durften, nach Valinor zu segeln. Dass Elruin dem Fürsten Astaran das Alquaros gab, war ein Zeichen grössten Vertrauens, denn er wusste, in welche Versuchung er den Númenorer damit führte.

Ich weiss nicht, weshalb Elruin das Schmuckstück damals weggeben hat. Eine mögliche Erklärung wäre, dass er nichts anderes hatte, um es dem Fürsten zu geben; aber meiner Meinung nach hätte dieser auch ein Schwert oder einen Dolch Elruins zu schätzen gewusst, da die Menschen damals die elbische Schmiedekunst sehr verehrten. Nun, vielleicht war es auch das Schicksal, welches Elruin dazu verleitete, das Alquaros wegzugeben.

Nach dem Krieg kehrte Elruin nach Valinor zurück. Niemand sprach ihn auf den Verbleib des Alquaros an, denn die drei Juwelen waren in der langen Zeit mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Laica wurde immer noch von den Kapitänen der Teleri getragen, wenn diese ausser Sichtweite der Küsten Valinors segelten, aber Luina war damals schon seit Jahrhunderten verschollen und auch Runya hatte man mehr oder weniger vergessen.

Wieder verging viel Zeit, bis es zum nächsten grossen Krieg gegen Sauron kam. Mit knapper Not und einer verzweifelten Reise zum Schicksalsberg im dunklen Land Mordor, wurde er geschlagen, doch dies ist wiederum eine lange Geschichte, die nichts mit dem Alquaros zu tun hat.

Mit Saurons Ende brach das vierte Zeitalter an, ein Zeitalter der Menschen, in dem die Elben keinen Platz mehr hatten. Die meisten von ihnen segelten nun nach Valinor, und die wenigen, die blieben, zogen sich in die tiefsten Wälder zurück. War es vorher schwierig gewesen, den Weg nach Valinor zu finden, so ist es jetzt beinahe unmöglich dorthin zu gelangen, denn die Unsterblichen Lande befinden sich nicht mehr in dieser Welt. Nach Saurons Vernichtung ist Valinor noch weiter von Mittelerde fortgerückt worden, so dass selbst Elben den Weg nur noch mit Mühe finden können. Und Elbereth hat sich an Elruin gewandt und ihm befohlen, das Alquaros zurück nach Valinor zu bringen.

„Die Zeit der Elben ist vorbei, Elruin, und das Alquaros hat nichts mehr in Mittelerde zu suchen. Bring es zurück nach Valinor, so dass es kein Unheil unter den Menschen anrichten kann. Es wird Zeit die Verbindung zwischen Valinor und Mittelerde zu trennen, auf dass die Menschen die Unsterblichen Lande vergessen."

Und so machte sich Elruin auf den Weg nach Mittelerde. Seit er das Alquaros dem Fürsten Astaran gegeben hatte, war viel Zeit vergangen, aber Elruin vermutete, dass das Schmuckstück in der Familie geblieben war. Númenor war zwar inzwischen untergegangen, aber Astarans Familie hatte zu den Getreuen gehört, von denen einigen die Flucht nach Mittelerde gelungen war. Durch langes Forschen in den Archiven der Elben und der Menschen fand Elruin schliesslich, was er gesucht hatte. Er fand heraus, dass Sáriel aus Astarans Haus die letzte Besitzerin des Alquaros gewesen war. Diese Sáriel war nach dem Untergang Númenors mit einem Schiff im Hafen von Pelargir eingetroffen, soviel stand fest. Offenbar hatte sie sich auf den Weg nach Norden gemacht, aber nachdem sie mit ein paar Begleitern die Stadt verlassen hatte, verlor sich ihre Spur.

Schliesslich fand Elruin heraus, dass zu dieser Zeit Menschen aus dem Süden die Handelskarawanen angriffen, welche Pelargir nordwärts verliessen. Sie stahlen nicht nur Waren, sondern nahmen sich auch Sklaven, die sie dann mit sich in den Süden führten. Elruin folgte dieser schwachen Fährte und fand heraus, dass die Südländer einst Handel mit Schiffen aus dem Osten getrieben hatten, bevor Saurons Macht es unmöglich machte, an Mordor vorbei zu segeln. So machte sich mein Vater auf den langen und beschwerlichen Weg nach Osten.

Er war überrascht von dem, was er jenseits des Gondramgebirges antraf. Bisher hatte er wie alle anderen Menschen und Elben im Westen geglaubt, dass im Osten nur vereinzelte Barbarenstämme leben, die ab und zu den Westen angreifen, wenn im Osten eine Dürre oder ein harter Winter droht. Bestimmt hatte er nicht erwartet, auf mehrere Völker zu treffen, die jenen im Westen in nichts nachstanden. Elruin kam in die Hauptstadt von Farad, nach Satar-Ai, und dort erfuhr er die Geschichte von der Königin Sáriel, die als Sklavin nach Satar-Ai gekommen war. Er musste sehr diskret vorgehen, da man hier im Osten keine Elben kennt und er nicht auffallen wollte.

Schliesslich fand er jedoch das Alquaros, ich weiss nicht wie und wo, aber es gelang ihm, das Schmuckstück zu stehlen. So schnell wie nur möglich floh er in die Wüste Jira und gelangte auf diese Weise mehr tot als lebendig nach Amarond. Das Land war besetzt und einzelne Rebellentrupps wehrten sich aus dem Verborgenen gegen die Besatzer. Elruin wollte das Land ungesehen durchqueren, aber eines Tages wurde er von einem Pfeil in den Rücken getroffen. Mit letzter Kraft schleppte er sich in einen Wald, wo er zusammenbrach. Hier wurde er von Kirgu Tammari gefunden und gesund gepflegt. Während der langen Zeit, in der Kirgu sich um Elruin kümmerte, geschah es, dass er sich in sie verliebte. Später schloss er sich den Rebellen an, bis Amarond befreit war. Dann kehrte er zu Kirgu zurück und bat ihren Vater um die Hand seiner Tochter. Nach einigen Schwierigkeiten gab der Vater sein Einverständnis, doch Elruin war besorgt.

Ihr müsst wissen, dass es in der Geschichte Mittelerdes nur äusserst selten Mischehen zwischen Elben und Menschen gegeben hat. In den beiden bekanntesten Fällen gab die Elbin ihre Unsterblichkeit auf, um an der Seite ihres menschlichen Ehemannes alt zu werden und zu sterben. Elruin hätte für Kirgu liebend gern auf sein ewiges Leben verzichtet, schliesslich war er schon Tausende von Jahren alt und hatte genug von dieser Welt gesehen, aber er wusste, dass die Valar diese Entscheidung nicht einfach so billigen würden. Bevor er Kirgu heiratete, kehrte Elruin daher noch einmal nach Valinor zurück, um die Valar um ihren Segen zu bitten. Weil er fürchtete, dass sie ihn im Falle einer Ablehnung nicht mehr zu Kirgu würden reisen lassen, liess er das Alquaros in ihrer Obhut zurück.

Es kam, wie Elruin vermutet hatte. Die Valar waren gegen die Heirat, und sie verboten Elruin, zu Kirgu zurückzukehren. Da er aber als einziger wusste, wo das Alquaros war, mussten sie ihn schliesslich doch ziehen lassen. So kehrte Elruin zu Kirgu zurück und heiratete sie. Sie lebten eine Zeitlang glücklich zusammen, und Kirgu gebar Zwillinge, die sie Tiruial und Miradan tauften.

Nach wenigen Jahren wurde deutlich, dass Miradan sich wie ein junger Mensch entwickelte, während ich selber eher nach Art der Elben heranwuchs. Als es zu offensichtlich wurde, dass Miradan und ich nicht gleichschnell alterten, nahm mich mein Vater mit in den Wald und stürzte unseren Wagen in eine Schlucht, um unseren Tod vorzutäuschen. Noch am selben Tag machten wir uns auf den Weg in den Westen.

Ich wurde in Valinor freundlich empfangen, und man akzeptierte mich, obschon ich nur ein Halbelb war. Ich führte in den Unsterblichen Landen ein recht schönes Leben, aber mein Vater war nicht mehr glücklich dort. Wie sollte er das Leben geniessen, wenn er wusste, dass Kirgu tausende von Meilen entfernt um ihn trauerte? Immer neue Mittel und Wege ersann er, um an die Seite seiner geliebten Frau zurückkehren zu können. Vor etwas mehr als zehn Jahren gaben die Valar dann endlich nach. Sie erlaubten meinem Vater zu Kirgu zurückzukehren und an ihrer Seite alt zu werden. Die Zeit verläuft anders für die Unsterblichen – ihnen war wohl nicht einmal bewusst, wie alt Kirgu zu diesem Zeitpunkt schon war. Elruin war trotzdem glücklich, und er machte sich kurz darauf auf den Weg. Ich wollte ihn begleiten, um meine Mutter noch einmal zu sehen, aber mein Vater und ich gerieten auf dem Meer in einen Sturm, und ich wurde von Bord des Schiffes geschleudert. Es war ein Wunder, dass ich mich retten konnte, indem ich mich an ein Fass klammerte, das ebenfalls vom Schiff gestürzt war.

Nach tagelangem Treiben auf See entdeckten mich Seeleute der Menschen, und ich wurde von ihnen nach Mittelerde gebracht. Da ich kaum Hoffnung hatte, meinen Vater zu finden, machte ich mich alleine auf den Weg nach Osten. Die Küste Mittelerdes ist lang, und ich wusste nicht, wo das Schiff meines Vaters gelandet sein mochte. Ich war mir aber sicher, dass er früher oder später zu Kirgu kommen würde. Hier begegnete ich Anarya zum ersten Mal, und sie wies mir den Weg zu Kirgu.

Ich berichtete meiner Mutter von der Entscheidung der Valar und machte mich dann zurück auf den Weg nach Westen. Bei meiner Ankunft in Gondor, im Süden von Mittelerde, hatte ich seltsame Gerüchte gehört, denen ich nachgehen wollte. Ich blieb nicht lange im Osten, denn ich machte mir grosse Sorgen – im Westen war von Krieg und Verrat die Rede gewesen, und ich hatte davon gehört, dass ein Scherge des Bösen nach dem Alquaros suchte, auf dass es ihm den Weg nach Valinor weise.

Bald einmal erfuhr ich, dass mein Vater verschollen war. Sein Schiff war nie in Mittelerde angekommen. Ich fuhr zurück nach Valinor, aber auch dort war mein Vater nicht aufgetaucht. Die letzten zehn Jahre war ich dann unterwegs. Überall habe ich nach meinem Vater gesucht, aber ich blieb erfolglos. Als ich das letzte Mal weit aus dem Süden zurückkehrte nach Gondor, kam ich in ein Kriegsgebiet. Ein unbekannter Feldherr hatte aus dem Nichts verschiedene Siedlungen Gondors angegriffen und sich dann in einem grossen Wald verschanzt, den wir Eryn Lasgalen nennen. Ich hörte mich um und erfuhr beunruhigende Neuigkeiten. Die Heere des Unbekannten hatten überall zugeschlagen, das einfache Volk lebte in Angst, während die Soldaten der freien Völker nicht wussten, wohin sie sich wenden sollten. Dann begegnete ich selber einem solchen Heer und musste feststellen, dass es aus Menschen und Elben bestand.

Ich erinnerte mich an die Gerüchte, die ich einst gehört hatte, bevor ich den Osten reiste, um Kirgu aufzusuchen. Damals hatte man gesagt, ein Elb in schwarzer Rüstung, ein Avari, der nie das Licht Valinors gesehen habe, schare andere Elben um sich, und rüste zum Kampf. Damals war auch vom Alquaros die Rede gewesen, das dieser Dunkelelb an sich bringen wolle. Zu jener Zeit glaubte ich noch nicht an die Gerüchte, auch wenn ich es schon damals für richtig hielt, Kirgu zu warnen, aber nun musste ich einsehen, dass es schon damals offenbar mehr als nur Gerüchte gewesen waren, die man sich erzählt hatte.

Ich reiste nach Imladris, einem Ort, wo einst weise und mächtige Elben lebten. Viele von ihnen sind inzwischen nach Valinor gesegelt, aber einige sind auch in Bruchtal, wie die Menschen Imladris nennen, geblieben. Mit ihnen sprach ich, und erfuhr so mehr von dem dunklen Elben, der sich Mordur nennt, was finstere Dunkelheit bedeutet. Aus dem Nichts gekommen fällt er über Mittelerde her und vernichtet den, der sich ihm in den Weg stellt. Elben, Menschen, Trolle und Orks kämpfen an seiner Seite, mit einer ungezügelten Wut und Grausamkeit, wie ich sie nie zuvor bei Elben gesehen habe. Spione berichteten uns schliesslich, dass Mordur tatsächlich von der Existenz des Alquaros wisse, und dass er es suche, um dann Valinor erobern zu können. So sandten mich die Herren von Bruchtal aus, das Alquaros zu holen."

Tiruial verstummte. Für einen Augenblick schwiegen alle Anwesenden, dann ergriff der Fürst das Wort.

„Ihr seid also hergekommen, um den Edelstein zu holen. Soviel habe ich verstanden, aber zwei Fragen habe ich trotzdem noch, die ich Euch stellen möchte. Was wollt ihr mit dem Schmuckstück anfangen, wenn Anarya es Euch übergeben hat? Und wieso hat Euer Vater es damals nicht mitgenommen, als er mit Euch nach ... Valinor reiste?"

Tiruial nickte.

„Zwei gute Fragen, Fürst Bradwen. Die eine davon ist schnell beantwortet. Mein Vater liess das Alquaros bei Kirgu Tammari zurück, weil er die Hoffnung hatte, zu ihr zurückkehren zu dürfen. Man könnte sagen, es war sein Mittel, die Valar dazu zu bringen, ihn wieder in den Osten ziehen zu lassen, wenn ich alt genug wäre, für mich selber zu sorgen. Was allerdings Eure erste Frage betrifft, so bin ich mir selbst nicht ganz sicher, wie die Antwort darauf lautet. Ja, eigentlich sollte ich das Alquaros nach Imladris und von dort aus nach Valinor zurückbringen, ohne mich um andere Dinge zu kümmern. Mordur darf es auf keinen Fall in die Hände bekommen, da es ihm und seinem Gefolge den Weg nach Valinor weist, selbst wenn sie nie zuvor in Valinor gewesen sind, ja selbst wenn sie keine Elben sind. Andererseits sind die Elben, die sich noch nicht Mordur angeschlossen haben in Gefahr. Und nicht nur sie, auch allen anderen freien Völkern Mittelerdes droht Schlimmes, wenn Mordur seine Macht weiter ausbaut.

Ihr müsst auch wissen, dass das Alquaros mit einer alten Prophezeiung verbunden ist. Mein Vater lebte einst eine Zeitlang in der Elbenstadt Caras Aduial, die während des Krieges mit Sauron in Schutt und Asche gelegt wurde. Mein Vater war oft alleine, seit er von Sarince die Wahrheit über seine Eltern erfahren hatte. Er hasste die Noldor nicht, aber nach Sarinces Tod lebte er meist für sich. In dieser Stadt, Caras Aduial, lernte er einen Elben kennen, der wie er selber auch eher ein Einzelgänger war. Sein Name war Tsahal, und er war der Hüter einer Sammlung von alten Prophezeiungen. Tsahal sprach eigentlich nie von den Schriften, über die er wachte, aber Elruin hatte oft das Gefühl, dass er ihm etwas verheimlichte.

Erst viele Jahre später, als Caras Aduial schon lange zerstört war, begegnete Elruin Tsahal erneut. Mein Vater lebte damals in Valinor, hatte aber Mühe damit, sich an das friedliche Leben dort zu gewöhnen. Deshalb wartete er alle Schiffe ab, die aus Mittelerde eintrafen, und er befragte die Elben an Bord nach Neuigkeiten vom Festland. Tsahal war einer jener Elben, die das Leben in Mittelerde nicht mehr ertragen hatten, und die sich nach dem Frieden Valinors sehnten. Tsahal kam aber auch aus einem anderen Grund. Die Prophezeiungen waren beim Untergang von Caras Aduial ein Raub der Flammen geworden, aber Tsahal erinnerte sich noch an Bruchstücke von einigen der Schriften. Dieses Wissen belastete ihn sehr, vor allem, weil er sich im Lauf der Jahre an so vieles erinnert hatte, dass er nicht mehr wusste, was wirklich war, und was nur eine Ausgeburt seiner Phantasie. Da alle Schriften zerstört waren, gab es für Tsahal keine Möglichkeit, sich zu vergewissern, was wahr und was erfunden war, und diese Ungewissheit zermürbte ihn.

Doch Tsahal freute sich, meinen Vater wiederzusehen, und er sagte ihm, es hätte eine Prophezeiung gegeben, bei der es um einen flammendroten Stern gehe – Elruin, in unserer Sprache. Ausserdem sprach die Prophezeiung von einem Führer für das Elbenvolk. Tsahal erinnerte sich nicht mehr an den gesamten Wortlaut der Prophezeiung, aber drei Zeilen konnte er meinem Vater noch sagen:

Dereinst auf Schwanenflügeln reitet,
Ein flammendroter Stern,
Wenn er den geraden Weg beschreitet.

Mein Vater hielt die Schwanenflügel für das Alquaros, und er verstand die Prophezeiung so, dass er mit Hilfe des Alquaros eines Tages die letzten Noldor in den Westen führen sollte, so wie es auch Elbereth einst vorhergesagt hatte. Damals als er zum ersten Mal nach Valinor zurückgekehrt war, hatte er keine Elben geführt. Also war seiner Meinung nach auch die Prophezeiung noch nicht erfüllt. Nun, mein Vater ist verschollen, und ich bin sein einziger Sohn. Die wenigen Noldor, die noch in Mittelerde leben sind in grosser Gefahr. Das Alquaros ist berühmt, jeder Elb kennt es, und jeder würde demjenigen folgen, der es trägt. Ich kann nicht zulassen, dass Mordur Mittelerde verwüstet. Mit dem Alquaros werde ich die letzten Elben um mich sammeln, die sich noch nicht dem Dunkelelben angeschlossen haben, und ich werde gegen ihn in den Kampf ziehen. Habe ich erst eine Armee unter mir, werden sich mir auch die Menschen anschliessen, wie ich hoffe. Es wird einen Krieg geben, aber anschliessend kann ich versuchen, die Prophezeiung zu erfüllen: Ich werde die letzten Elben nach Valinor führen, aber erst, wenn die Gefahr in Mittelerde gebannt ist."

„Aber der flammendrote Stern ist dein Vater! Glaubst du, du kannst dein Volk führen, obwohl die Prophezeiung auf deinen Vater hinweist?"

Alle Blicke wandten sich Anarya zu, die Tiruials Ausführungen unterbrochen hatte. Die junge Frau errötete und fuhr etwas ruhiger fort:

„Ich meine damit nicht, dass ich dir das Alquaros nicht geben werde! Ich finde es nur seltsam, dass dein Vater verschwunden ist, wo doch die Prophezeiung eindeutig seinen Namen enthält."

Tiruial lächelte sein undurchsichtiges elbisches Lächeln.

„Diese alten Prophezeiungen sind seltsam, Anarya. Sie bedeuten nur selten wortwörtlich, was man aus ihnen zu lesen glaubt. Der flammendrote Stern könnte mein Vater sein, es könnte sich aber auch um ein Himmelsereignis handeln, einen Stern den Elbereth an den Himmel setzt, um die Elben nach Valinor zu rufen. Die Schwanenflügel können mit dem Alquaros zu tun haben, aber es könnte auch ein Schwanenschiff der Teleri sein, das damit gemeint ist. Der gerade Weg ist fast sicher der Weg nach Valinor, aber selbst diese Annahme könnte falsch sein. Dazu kommt, dass in diesen drei Zeilen kein Wort davon steht, dass Elruin sein Volk anführen soll. Alles was wir haben, sind drei Zeilen einer Prophezeiung und die Worte eines Elben, von dem man sagt, die Zerstörung seiner Heimatstadt hätte ihm den Verstand geraubt.

Ausserdem ist dies nur ein Bruchstück der Prophezeiung. Diese Voraussagen bestehen meist aus zwei Teilen: einem, der die Voraussetzungen für das Eintreffen der Prophezeiung beschreibt, und einem, der die Folgen erklärt. Wir wissen weder, ob diese Prophezeiung auch diese Form hat, noch ob es sich bei diesen drei Zeilen um Voraussetzungen oder Folgen handelt. Es muss nicht einmal sein, dass diese drei Zeilen direkt aufeinander folgen. Nein, mein Wunsch die Elben nach Valinor zu führen hat nicht nur mit der Prophezeiung zu tun. Es geht mir darum zu verhindern, dass Mittelerde in einem schrecklichen Krieg vernichtet wird. Die Zeit der Elben ist vorbei – wie auch immer der Krieg ausgehen wird, es ist an der Zeit, dass auch die letzten der Erstgeborenen Mittelerde verlassen und dass Valinor endgültig von dieser Welt getrennt wird."

Die lange Rede hatte Tiruial erschöpft, man sah es ihm deutlich an. Der Elb war wieder sehr blass, und seine Hände zitterten leicht. Sein Atem ging schwer und jeder Atemzug schien ihm Schmerzen zu bereiten. Fürst Bradwen beugte sich zu ihm hinüber und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter.

„Danke, Tiruial. Ruht Euch nun ein wenig aus. Sollen wir die Fortsetzung des Gesprächs auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?"

Der Elb wehrte ab.

„Nein, es geht mir gut. Das Sprechen strengt mich sehr an, aber ich halte es gut noch eine Weile aus, hier zu sitzen und zuzuhören."

Der Fürst lehnte sich wieder zurück und Anarya bemerkte den erleichterten Gesichtsausdruck des Elben. Ihr war schon aufgefallen, dass Tiruial grosse Nähe unangenehm war, und dass er es nicht leiden konnte, wenn man ihn berührte. Erst hatte sie es für eine Folge seiner Verwundung gehalten, die jede Bewegung zur Qual machte, aber dann war ihr eingefallen, dass Tiruial schon bei ihrer ersten Begegnung vor zehn Jahren auf Abstand bedacht gewesen war. Offenbar waren die Elben nicht so auf gegenseitige Nähe aus wie die Menschen.