A/N: So, langsam aber sicher geht es westwärts, und die kleine Reisegesellschaft nähert sich den bekannten Gebieten von Mittelerde. Aber bis dahin sind noch ein paar Hindernisse zu überwinden...¨
Etje: Hallo! Freut mich, dass sich mal jemand Neues gemeldet hat (na ja, dass sich überhaupt mal wieder jemand gemeldet hat -seufz-). Zum Dank hätte ich gerne ein Kapitel mit den Kargai gepostet, aber leider leider, musst du dich da noch ein, zwei Wochen gedulden. Erst müssen Tiruial und seine Begleiter an den Südwinden vorbei sein, und dann bekommt Sijn wieder mal etwas zu tun.
Durch die Wüste
Am nächsten Morgen brachen sie auf, als der erste helle Streifen am Horizont zu sehen war. Für eine Weile setzten sie ihren Weg nach Süden fort, aber dann wandten sie sich ein wenig westwärts, so dass das Gondramgebirge von Stunde zu Stunde näher rückte.
Die Sonne stieg höher und höher, und die Hitze nahm stetig zu. War der Vortag schon heiss gewesen, so steigerte es sich jetzt ins Unerträgliche. Araym war unruhig und liess seinen Blick immer öfter über den Horizont schweifen. Er liess keine Pausen zu und zwang die Gruppe zu einer schnellen Fortbewegungsart, die Mensch und Tier gleichermassen erschöpfte. Tiruial, der anfangs noch recht ausgeruht gewirkt hatte, hing nun wieder halb ohnmächtig auf seinem Pferd. Anarya machte sich Sorgen um den Elben. Gegen Krankheiten gefeit seien sie, hatte Kirgu gesagt, und ihre Verletzungen heilten um vieles schneller als bei den Menschen. Tiruial dagegen schien es von Tag zu Tag schlechter zu gehen. Anarya erinnerte sich an das Schwinden der Elben, von dem Kirgu erzählt hatte. Ein Elb konnte sterben, wenn etwas seine Seele übermässig belastet hatte, und er des Lebens müde war. War es das, was mit Tiruial geschah?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, hob der Elb den Kopf und lächelte ihr matt zu.
„Mach dir keine Sorgen um mich, Anarya. Mein Körper hat immer noch mit dem Gift zu kämpfen. Da ich in meinem ganzen Leben nie an einer Krankheit litt, ist es für mich umso schwerer, mit dem Fieber und den Schmerzen fertigzuwerden."
Anarya hatte Mühe, seine heisere Stimme über den Geräuschen, die die Karawane begleiteten, zu verstehen.
„Wir müssen zwei Gebirgszüge überqueren, zwischen denen sich ein langgezogenes Tal befindet. Das Gondramgebirge ist nur wegen seiner Garde gefährlich, die Pässe dagegen sind gut gangbar. Das Tal dazwischen ist unwegsam, sollte uns aber auch keine grösseren Schwierigkeiten bereiten. Nur der Fluss, den wir dort überqueren müssen, wird ein schwierig zu überwindendes Hindernis darstellen."
„Und was kommt dann? Wird es einfacher?"
Tiruial lächelte die junge Frau beruhigend an.
„Der zweite Gebirgszug wird bei uns im Westen Orocarni genannt, Rote Berge. Es sind zerklüftete Felsen mit schneebedeckten Gipfeln, lotrechten Felswänden und Gletschern, die über die Bergflanken hinabwandern. Wenn wir am Fuss der Berge ein wenig nordwärts reiten, kommen wir zu einem gangbaren Pass, aber es wird nicht einfach. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob eure Kamele den Weg schaffen können."
„Wenn es nicht anders geht, lassen wir sie zurück. Die Tiere halten viel aus, aber ich weiss nicht, wie sie sich im Gebirge verhalten werden, denn sie sind Wesen der Ebene und nicht der steilen Felswände."
Anarya blickte zu ihrem Kamel, das sie Araym überlassen hatte. Es war ihr eigenes Tier, und sie kannte es, seit es ein Fohlen war. Als die Gruppe ihre Reisevorbereitungen traf, hatte Tiruial ihr Ariën anvertraut, und Anarya hatte sich darüber gefreut. Der Elb war mit zwei Pferden in den Westen gereist, weil er schnell an sein Ziel kommen wollte. Nun, da er nicht mehr alleine unterwegs war, würde man so oder so langsamer vorankommen, und er brauchte nur noch ein Reittier. Mit Ariën wollte er Anarya trösten, weil sie zurück bleiben musste. Doch Anarya hatte von Anfang an geplant mitzukommen, und sie hatte sich überlegt, dass auch sie nur ein Reittier mitnehmen konnte, nämlich Ariën. Damit sie Salicha, ihr Kamel, nicht zurücklassen musste, hatte sie sie Araym gegeben. Nun wo Tiruial von unüberwindbaren Bergen sprach, fragte sich Anarya, ob sie ihr Kamel zum Tod verurteilt hatte, als sie es unbedingt mit auf die Reise nehmen wollte.
Tiruial bemerkte ihren zweifelnden Gesichtsausdruck und nickte ihr aufmunternd zu.
„Wir werden alles versuchen, um möglichst ohne Verluste in den Westen zu gelangen. Es wird nicht einfach, aber den Pass, den ich über die Orocarni genommen habe, können die Kamele vielleicht doch bezwingen. Und auf der anderen Seite der Berge erwartet Dich eine Überraschung."
Die junge Frau blickte ihn neugierig an.
„Eine Überraschung?"
„Warte nur ab, es wird dir gefallen. Auf jeden Fall werden wir uns dort für eine Weile erholen können."
Anarya hatte zwar zugehört, als man die Reise geplant hatte, aber Tiruial war zurückhaltend gewesen, so als wolle er nicht alle Gefahren auf einmal verraten. Sie hatte von den zwei Gebirgsketten gewusst und wusste auch, dass ihnen eine grosse Ebene folgte. Am Ende musste man noch einmal über Berge und kam dann nach Imladris, wo Tiruial das Alquaros den hohen Elben zeigen und sie um Rat fragen wollte. Sie wandte sich erneut an Tiruial.
„Und diese Ebene nach den Orocarni? Was erwartet uns dort? Wir sollten schneller vorankommen, nicht wahr?"
Tiruial sah sie müde an.
„Es kommt darauf an, was während meiner Abwesenheit im Westen geschehen ist. Es gibt einen gewaltigen Sumpf in der Ebene. Einen Teil davon müssen wir auf jeden Fall durchqueren, aber je nachdem wie weit Mordurs Macht schon reicht, müssen wir an einer breiteren Stelle durch den Sumpf wandern, was bestimmt nicht einfach wird. Dann kommen wir in die Ebene von Rhûn. Vielleicht werden wir dort Hilfe finden, vielleicht auch Feinde. Es kommt darauf an, ob Mordur schon vor uns dort gewesen ist oder nicht. Aber. . . "
Anarya fiel dem Elben ins Wort.
„Du klingst so, als würden diese Leute, die wir dort treffen werden, in jedem Fall Mordur folgen, wenn er zu ihnen kommt. Wie kannst du da so sicher sein?"
Tiruial senkte den Kopf.
„Es gibt dort Menschen, die den Westen immer wieder angegriffen haben. Sie warten nur darauf, dass sie wieder ein mächtiger Anführer in den Krieg führt."
Anarya schüttelte den Kopf.
„Es ist etwas anderes, was dir Sorgen macht. Menschen, die immer schon im Krieg mit euch lagen, würden dich nicht so beunruhigen – schliesslich bist du auch schon andere Male an ihnen vorbeigekommen."
„Du hast recht, Anarya. Natürlich machen mir auch diese Menschen Sorgen, denn wenn sie sich Mordur angeschlossen haben, werden sie nicht mehr der schlecht organisierte Haufen sein, der sie früher waren. Aber es sind die Elben, vor denen ich mich fürchte. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass Elben in Mordurs Heeren kämpften. Es waren Tawarwaith aus dem Düsterwald, die ich damals erkannt habe. Wenn schon die Waldelben, die immer unsere Freunde waren, sich dem dunklen Elben angeschlossen haben, so sind die Elben von Rhûn noch viel gefährdeter."
„Warum?"
Tiruials Gesicht verzog sich zu einer schmerzlichen Grimasse.
„Das sind Dinge, worüber wir Elben nicht gerne sprechen. Ich werde davon erzählen, wenn es nötig sein sollte, aber bis dahin möchte ich dich bitten, keine Fragen mehr zu stellen."
Anarya nickte.
„Dann sag mir, was uns nach dieser Ebene erwartet."
Tiruial zuckte mit den Schultern.
„Die Ebene von Rhûn, das Meer von Rhûn, der Düsterwald, das Nebelgebirge. . . Ich weiss es nicht. Wir werden nach Verbündeten suchen müssen, die uns sagen können, wo es noch halbwegs sicher ist zu reisen. Irgendwie werden wir schon nach Imladris gelangen, aber welchen Weg wir nehmen werden, kann ich jetzt noch nicht sagen."
Tiruial hustete, und Anarya sah ihm an, dass ihn die lange Rede angestrengt hatte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu.
„Wir werden es sehen, wenn wir dort sind. Jetzt überlassen wir es erst einmal Araym, sich um das Gondramgebirge zu kümmern. Sieh zu, dass du dich noch ein wenig erholst, bis es an dir ist, uns den Weg zu weisen."
Tiruial nickte hustend und zwang sich, Anaryas Lächeln zu erwidern. Er war nicht halb so zuversichtlich wie sie, was den Ausgang der Reise betraf, aber er hatte nicht vor, ihr von all den Gefahren zu berichten, die sie noch erwarteten.
Gegen Mittag war die Luft seltsam gläsern und der Himmel hatte jegliche Farbe verloren. Die Kamele wurden unruhig und auch die Pferde begannen nervös zu tänzeln. Araym kaute nervös auf seiner Unterlippe herum und wandte den Blick kaum mehr vom östlichen Horizont ab, wo ein gelblichweisser Streifen zu sehen war, der immer breiter wurde. Schliesslich gab er das Zeichen zum Halten und wandte sich an die anderen.
„Es zieht ein Sandsturm auf. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, aber ich weiss nicht, was wir tun sollen. Hier in der Wüste sind wir verloren, wenn er uns einholt. Wir schaffen es nicht rechtzeitig dorthin, wo ich ins Gebirge reiten wollte. Gehen wir aber auf dem kürzesten Weg zu den Bergen, so kommen wir direkt zu einem der Pfade, die in die Sandfeste führen."
Tárion trieb sein Kamel neben das des Gardisten und sah ihn stirnrunzelnd an.
„Was schlagt Ihr vor, Araym?"
„Wie ich schon gesagt habe, ich weiss nicht recht. Wir könnten versuchen, uns hier in den Sand einzugraben und den Sturm abzuwarten. Allerdings würden wir dabei wohl unsere Reittiere verlieren. Wenn der Sturm zu nahe kommt, sind die Kamele nicht mehr zu halten. Eine andere Möglichkeit wäre, noch schneller zu reiten. Die Pferde und die schnellsten Kamele könnten es bis zu den Felsen schaffen, wo ich ursprünglich hin wollte."
Anarya sah deutlich, dass dem Südwind noch etwas anderes auf der Zunge lag, aber Araym sagte nichts weiter. So ritt sie auf der anderen Seite neben ihn hin und nickte ihm auffordernd zu.
„Und die letzte Möglichkeit?"
Er schüttelte den Kopf.
„Ich kenne alle Pfade der Südwinde. Wenn wir die Berge genau dann erreichen, wenn der Sturm losbricht, werden sie alle in der Sandfeste verschanzt sein. Jene, die in Aussenposten lagern, werden sich tief in ihre Zelte verkrochen haben. Wir könnten versuchen, uns an der Feste vorbei zu schleichen."
Tárion setzte zu einer Antwort an und Araym zuckte zusammen, als erwarte er, geschlagen zu werden. Doch der Sohn des Fürsten war nicht wütend.
„Wie nahe kämen wir an diese Feste heran?"
Araym zögerte.
„Es gibt verschiedene Wege. Ich würde vorschlagen, dass wir dem Lauf des Flusses folgen, von dem die Feste ihr Wasser bezieht. Es ist eine schmale Schlucht, die sich dann nach und nach zu einem Talkessel erweitert. Der Fluss stürzt an dieser Stelle in einem mächtigen Wasserfall von der Hochebene herab, auf der die Ostwinde wachen. Es gibt dort einen schmalen Pfad, der bis auf die Ebene führt. Er wird nur dann benutzt, wenn es Schwierigkeiten mit der Quelle gibt, was nach heftigen Stürmen hin und wieder vorkommt."
Tárion kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
„Ihr habt nicht gesagt, wie nahe wir an der Feste vorbeimüssten."
Der Südwind wand sich förmlich vor Verlegenheit.
„Sehr, sehr nahe. Es gibt einen Teich hinter der Sandfeste. Die Schlucht beginnt direkt dahinter. Man müsste die Feste umrunden, was allerdings nicht schwierig ist, da die Felsen genügend Deckung bieten, vor allem während der Sturm tobt."
Tárion grinste wölfisch.
„Aber. . . ?"
Araym war hochrot angelaufen, aber seine Stimme klang fest, als er die Schwierigkeit erläuterte.
„Es gibt nur einen einzigen Weg, der zur Feste führt. Diesen Weg müssen wir auf jeden Fall nehmen, selbst wenn wir dann den Bau in einem grossen Bogen umrunden. Dieser Weg führt über einen schmalen Grat, und er wird stets bewacht. Befindet man sich erst einmal auf dem Grat, so ist es unmöglich, umzukehren, wenn man nicht zu Fuss unterwegs ist. Der Weg ist meist zu schmal, als dass ein Kamel wenden könnte."
„Was heisst, der Weg ist bewacht?"
„Es gibt vier Wachtürme, von denen zwei nur von der Sandfeste aus zu erreichen sind. Auf jedem dieser Türme hat es drei Wachen. Wenn sie jemanden entdecken, wird das zum einen mit einem Hornstoss gemeldet, zum anderen reitet eine der drei Wachen sofort zur Feste um eine genaue Beschreibung der Eindringlinge durchzugeben."
Tárion schien angestrengt nachzudenken. Dann nickte er langsam.
„Während des Sturmes wird das Hornsignal wohl nicht zu hören sein. Könnten wir die Wachen auf den Türmen ausser Gefecht setzen, sollte es möglich sein, unbemerkt an der Feste vorbeizukommen, sofern wir wirklich genügend Deckung haben. Ich muss jedoch sagen, dass ich meine Zweifel habe, Gardist."
Tárions Tonfall zeigte deutlich genug, welcher Art seine Zweifel waren, und Araym sah dem Sohn des Fürsten ernst in die Augen.
„Ihr fragt Euch, ob ich Euch verrate, wenn wir der Feste so nahe kommen. Die Zweifel sind berechtigt – schliesslich wäre es nicht das erste Mal, dass ich die Seiten wechsle. Ausserdem ist die Loyalität des Sohns einer Hure natürlich nicht so sicher wie jene eines Fürstensohns."
Seine Stimme troff vor Sarkasmus, und er blinzelte nicht, als er Tárions Blick erwiderte. Es war Tárion, der als erster die Augen niederschlug.
„Nun gut, führt uns zur Feste, Gardist. Aber seid Euch im Klaren darüber, dass ich Euch ständig im Auge behalten werde. Eine falsche Bewegung, und Ihr werdet das andere Ende dieses Grates nie erreichen."
Anarya glaubte ein Lächeln über das Gesicht Arayms huschen zu sehen, aber als der ehemalige Südwind die Gruppe aufforderte, ihm zu folgen, klang seine Stimme ernst. Sie beschloss, den Gardisten ihrerseits im Auge zu behalten. Als sie sich zurückfallen liess, sah sie, dass auch Tiruial seine Haltung auf dem Pferd ein wenig verändert hatte, und dass seine rechte Hand nun unauffällig über seinem Dolchgriff ruhte. Er bemerkte ihren Blick und nickte ihr zu.
„Sigil nîn . . . reviatha . . . alagos . . . "
Anarya hatte nicht erwartet, dass er in der Sprache der Elben sprechen würde, und so hatte sie die Hälfte der Worte nicht verstanden. Allerdings konnte sie den Sinn seiner Worte auch so erraten: „Mein Dolch fliegt auch im Sturm sicher ins Ziel", hatte der Elb gesagt, und sie glaubte es ihm aufs Wort.
Die Gruppe ritt nun direkt nach Westen und näherte sich schnell dem Gebirge. Noch schneller näherte sich jedoch der Sturm, der eine unwahrscheinlich hohe Wand aus Sand auf sie zu trieb. Auch wenn es noch einige Zeit dauern würde, bis sie sie eingeholt hätte, schien sie sich mit jedem Augenblick höher aufzutürmen. Kamele wie Pferde spürten die herannahende Gefahr und liefen so schnell sie konnten. Plötzlich riss Tiruial sein Pferd herum und hob die Hand zum Zeichen, dass man anhalten solle. Araym sah ihn ärgerlich an.
„Was ist los? Wir haben keine Zeit mehr, hier noch lange herumzustehen."
Der Elb schnitt ihm mit einer heftigen Handbewegung das Wort ab.
„Dort vorne sind Reiter. Sie halten auf die Felsen dort drüben zu. Gegen den Sturm werden sie uns wohl kaum ausmachen können, aber wir sollten trotzdem warten, bis sie hinter der Felsnase verschwunden sind."
Araym kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt in die von Tiruial angedeutete Richtung. Dann schüttelte er den Kopf.
„Ich kann nichts erkennen. Wenn es allerdings tatsächlich Reiter sind, werden sie uns sehen, sobald sie an Höhe gewonnen haben. Es gibt dort einen Weg zur Feste, der einen guten Blick über die Wüste ermöglicht."
Tiruial nickte.
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass ihr die Reiter nicht wahrnehmt – es sind meine Elbenaugen, die es mir ermöglichen sie auszumachen."
In diesem Augenblick deutete Anarya jedoch zu den Felsen.
„Ich sehe sie auch! Sie reiten dort in die Schlucht!"
Araym blinzelte, aber er sah immer noch nichts.
„Nun, es macht keinen Unterschied. Wir müssen ihnen folgen. Reiten wir ein wenig nordwärts, dann dauert es länger, bis wir in ihr Blickfeld kommen."
Er schlug Salicha mit der flachen Hand aufs Hinterteil, und die Kamelstute setzte sich in Galopp. Die anderen folgten möglichst schnell nach.
Anarya blickte immer wieder dorthin, wo laut Araym die Reiter wieder auftauchen würden. Sie konnte dort in den Felsen keinen Weg ausmachen, aber sie glaubte dem Gardisten, dass es ihn gab. Sie wusste nicht, weshalb die anderen die Reiter nicht gesehen hatten. Zugegeben, es war weit weg, aber sie hatte keine Elbenaugen, und trotzdem hatte sie die kleine Gruppe von Männern und Kamelen deutlich wahrgenommen.
Nach einem langen Galopp erreichten sie die Felsnase, hinter die Reiter verschwunden waren. Araym gab das Zeichen zum Halten, und die Gruppe sammelte sich hinter den Felsen. Tiruial liess seinen Blick aufmerksam über die Landschaft schweifen, aber er entdeckte niemanden. Schliesslich nickte er den anderen zu.
„Im Moment kommt niemand durch die Wüste auf uns zu, und die Reiter vor uns kann ich auch nicht sehen."
Araym tätschelte seinem Kamel aufmunternd den Hals und lenkte es dann zwischen den Felsen hindurch auf die hohen Felswände zu. Die anderen folgten ihm langsam und vorsichtig. Eine Zeitlang ritten sie an den beinahe lotrechten Felswänden entlang, aber dann wandte sich Araym plötzlich abrupt nach links, wo eine schmale Schlucht direkt in den Berg hinein zu führen schien. Einst musste ein Fluss sich diesen Weg gegraben haben, doch nun war der Boden der Schlucht trocken und von Steinen übersät. Die Felswände zu beiden Seiten waren steil und so glatt, dass nur ein äusserst geübter Kletterer es hätte wagen können, daran hochzusteigen. Ohne zu zögern ritt der Gardist in die Schlucht hinein, und Tiruials geübter Blick entdeckte Spuren von Kamelen, die bereits vor ihnen hier gewesen waren. Die Steine am Boden hatten scharfe Kanten, und nur für einen erfahrenen Fährtenleser war der Pfad zu erkennen, dem Araym folgte. Nach einer Weile hielt der Südwind erneut an und zwang Salicha, sich niederzulegen. Dann glitt er von ihrem Rücken und kam zu Tiruial und Anarya mit ihren Pferden.
„Es wird Zeit, dass wir ihnen die Hufe umwickeln. Wir kommen jetzt auf die Pfade der Südwinde. Wenn wir uns nicht verraten wollen, müssen wir ihre Spuren verfälschen."
Anarya und Tiruial sprangen von ihren Pferden und nahmen die Tücher aus den Satteltaschen, die sie am Abend vorbereitet hatten. Rasch schlangen sie sie um die Beine der Pferde und banden sie fest. Die Stoffstücke waren so geknotet, dass sie nun auf beiden Seiten der Hufe einen länglichen Wulst bildeten. Der Abdruck erinnerte von der Form her an den einer Kamelsohle, aber die Täuschung war nicht sehr gut, da man in der Mitte immer noch den ovalen Abdruck des Pferdehufs ausmachen konnte. Trotzdem nickte Araym befriedigt, als er die Spuren der Pferde untersuchte.
„Wenn sie nicht zuhinterst laufen, werden die nachfolgenden Kamele die Spuren vollends verwischen. Dann sieht man auch nicht mehr, dass sie nicht im Passgang gehen."
Er ging zurück zu seinem Kamel und stieg wieder auf.
Langsam führte er sie durch das Labyrinth von lotrechten Felswänden und scharfkantigen Steinbrocken. Immer wieder zweigten Zwischenarme von der Hauptschlucht ab und schmale Felsbänder führten hin und wieder den Wänden entlang bergauf. Schon nach kurzer Zeit hatten alle ausser Araym völlig die Orientierung verloren. Wie von weit her hörte man das Heulen des Sturmes, aber nur ein schwacher Wind drang bis in diese verwinkelten Schluchten vor. Die Felswände wurden immer höher, und zeitweise sah man kaum noch den Himmel, so nahe rückten die Felsen zusammen. Die Pferde sträubten sich weiterzugehen, aber Araym duldete keine Verzögerungen. Unerbittlich ritt er voran, ohne sich um die nachfolgenden Reiter zu kümmern. Es war unmöglich zu sagen, wie lange sie durch das Felslabyrinth geritten waren, als er endlich am Ende einer schmalen Schlucht anhielt und sich an die anderen wandte.
„Dies ist der Grund, weshalb die Sandfeste nur schlecht bewacht ist. Wer sich hier verirrt, wird nie mehr den Weg in die Wüste finden. Einst muss ein Fluss sich hier seinen Weg in den Berg gefressen haben, aber er existiert nicht mehr. Es gibt in diesem ganzen Gewirr von Schluchten und Spalten keinen einzigen Tropfen Wasser. Viele Wege führen nach oben, aber die meisten enden irgendwo mitten in der Felswand, ohne eine Möglichkeit umzukehren und zurückzugehen. Ab und zu schicken die Südwinde Reiter aus, um hier falsche Spuren zu legen, so dass niemand den richtigen Weg zum Grat findet."
Er deutete auf die rötliche Felswand hinter ihm.
„Hier ist der Einstieg in die Wand. Der Weg ist schmal, aber gut instand gehalten. Oben führt er auf einen ersten Grat, der so breit ist, dass vier Kamele nebeneinander her gehen können. Dort oben steht auch der erste Wachturm, so dass man jeden sieht, der den Grat erreicht hat. Dies ist der einzige Wachturm, den man vom Weg aus direkt erreichen kann."
Tiruial drängte seinen Hengst voran, so dass er mit Araym sprechen konnte. Es fiel ihm schwer, den tosenden Sturm zu übertönen, auch wenn dessen Wüten in der Schlucht nur sehr gedämpft zu hören war.
„Ich reite voran. Ich werde sie vom Turm herunterschiessen."
Um sicher zu sein, dass Araym ihn verstanden hatte, deutete er auf seinen Bogen. Der Gardist schüttelte den Kopf.
„Hier unten könntet ihr vielleicht treffen, da der Wind nicht so stark weht. Oben sind wir dem Sturm dagegen völlig ausgeliefert. Es wird nicht so viel Sand in der Luft sein, dass er uns in Gefahr bringen könnte, aber er wird uns die Sicht nehmen. Ausserdem ist der Wind viel zu stark, um einen gezielten Schuss anbringen zu können."
Marek kam nun auch näher heran.
„Was schlagt Ihr also vor?"
„Wir müssen verhindern, dass sie die Sandfeste alarmieren können. Da der einzige Zugang zu diesem Wachturm über den Weg führt, den wir sowieso nehmen müssen, sollte es nicht allzu schwer sein, den Mann abzufangen, der vom Turm zur Feste reitet, um die Südwinde zu warnen."
Er deutete auf Tárion.
„Reitet Ihr direkt hinter mir und seid gefasst, dass man auf uns schiessen könnte. Die Pfeile sind nicht vergiftet, und bei dem Sturm wird es fast unmöglich, uns zu treffen, aber es ist trotzdem besser, auf der Hut zu sein. Die anderen folgen hinter uns her, Anarya und der Elb zuhinterst. Ihr beide habt die schärfsten Augen und müsst den Grund der Schlucht im Auge behalten. Ausserdem sind dann schon die meisten von uns auf dem Grat angelangt, wenn die Wachen die Pferde sehen. Mit den Schleiern können wir sie vielleicht solange täuschen, bis die Pferde uns verraten. Es wird nun nicht mehr nötig sein, ihre Spur zu verschleiern, denn der Untergrund ist ab hier felsig. Es wird ihr Anblick sein, der uns verrät, und nicht ihre Hufabdrücke."
Marek nickte und gab die entsprechenden Befehle. Seine Soldaten ritten an Anarya und Tiruial vorbei, die ihren Reittieren die Tücher von den Hufen abwickelten. Plötzlich schüttelte der Elb jedoch energisch den Kopf, stieg auf und drängte Tilion wieder nach vorne zu Marek und Araym. Dort sprang er vom Pferd und fasste Mareks Kamel am Zügel.
„Bleibt hinten bei Anarya und passt auf sie auf. Ihr könnt meine scharfen Augen vorne besser brauchen als hinten. Ausserdem bin ich ein elbischer Bogenschütze – der Sturm wird meinen Schuss erschweren, aber er macht ihn nicht unmöglich."
Marek sah den Elben verwirrt an. Tiruial wirkte entschlossen, und jede Schwäche war aus seiner Haltung gewichen. Zum ersten Mal sah Marek in ihm den Krieger, der er vor seiner Verletzung gewesen sein musste. Langsam nickte er und zwang sein Kamel auf die Knie.
„Ihr müsst mein Kamel nehmen; das Pferd würde Euch verraten. Wir werden wohl so langsam vorankommen, dass ich gut zu Fuss folgen kann."
Tiruial lächelte und legte Marek die Hand auf die Schulter.
„Das wird nicht nötig sein. Tilion wird Euch tragen."
„Ich kann aber nicht auf Pferden reiten!"
„Kein Elbenpferd lässt seinen Reiter fallen. Tilion hat mich bis zu Kirgus Hütte getragen, als ich vergiftet wurde, obschon ich ohnmächtig war. Ihr habt Arme und Beine um Euch festzuhalten und Tilion wird auf Euch aufpassen."
Tiruial winkte seinen Hengst heran und schob Marek auf ihn zu. Dieser zögerte, und strich dann dem Pferd sanft über die Stirn, was dieses mit einem freundlichen Schnauben geschehen liess. Vorsichtig griff Marek dem Tier in die Mähne, und ehe er es sich versah, hatte Tiruial ihn mit Schwung auf den Pferderücken gehoben. Die Kraft des Elben war erstaunlich, wie Marek feststellte.
Tiruial lächelte aufmunternd, als er die verkrampfte Haltung des Soldaten bemerkte.
„Haltet Euch am Halsriemen fest, wenn es nötig sein sollte. Auch der Gurt für die Packtaschen sollte Euch Halt geben."
Dann beugte er sich vor und flüsterte Tilion etwas ins Ohr. Der Hengst schnaubte und wandte den Kopf nach hinten, als wolle er seinen Reiter betrachten. Marek streichelte ihm zögernd den Hals und entspannte sich ein wenig. Tiruial ging nun zu Mareks Kamel und kletterte zögernd in den Sattel.
„Wie bringe ich es zum Aufstehen?"
Nun war es an Marek zu lachen. Kurz erklärte er Tiruial das Nötigste, bis dieser das Kamel auf den Beinen hatte. Er hatte schnell das Gefühl für das ungewohnte Reittier entwickelt und reihte sich nun hinter Tárion ein. Dieser nickte ihm zu.
„Ich hoffe, Euer Bogen ist wirklich so gut, wie Ihr sagt. Wir können dort oben einen treffsicheren Bogenschützen wirklich brauchen."
Bevor sie sich nun endlich auf den Weg machen konnten, stieg Araym auch noch von seinem Kamel und ging die Reihe der Reiter ab. Mit sicheren Handgriffen kontrollierte er bei jedem von ihnen den Schleier. Anarya staunte einmal mehr, wie gut er mit seinen Händen zurechtkam, als er bei ihr das Mundtuch besser verknotete.
„Bei mir muss der Schleier nicht so perfekt sitzen – das Pferd verrät mich sowieso."
Araym liess sich nicht bei der Arbeit stören.
„Wenn wir in den Sturm kommen, werdet Ihr froh sein, wenn der Schleier sitzt. Er verhindert, dass Ihr zuviel Sand einatmet. Ausserdem schützt er Euer Gesicht vor dem Sand. Es schmerzt, wenn die Sandkörner auf die Haut treffen, und je nach Sturmstärke, könnte es Euch sogar verletzen."
Nun verstand Anarya seinen besorgten Gesichtsausdruck und lächelte ihn dankbar an.
„Wenn wir einmal mehr Zeit haben, müsst Ihr mir erklären, wie man mit dem Schleier richtig umgeht. Als ich früher noch Ziegen gehütet habe, wäre mir ein solcher Schutz oft zugute gekommen, wenn der Wind den Sand aus der Wüste noch mit sich trug."
Araym nickte ihr zu und ging dann wieder nach vorne zu seinem Kamel.
