A/N: So, hier kommt es, wenn auch mit einer Woche Verspätung: Das lang ersehnte Kapitel, das wieder einmalim Norden spielt. Allerdings bin ich nicht so ganz zufrieden damit... Es ist auch sehr kurz... Dafür werden noch ein paar Kapitel mit den Kargai folgen. Viel Spass!
Silindistani: Ich weiss, ich weiss, es sind schon ziemlich viele Seiten, die ich hier hochgeladen habe... Toll, dass du dich trotzdem durchgeackert hast! Das muss mit einem kurzen Kapitel über die Kargai belohnt werden -grins-
Der grosse Schwarze
Das Rudel war unruhig. Es war etwas Neues in den Bergen, und noch konnte man nicht wissen, ob es sich dabei um Jagdbeute oder um eine unbekannte Gefahr handelte. Die Witterung, die die Wölfe aufnahmen war teils bekannt, teils aber auch fremd und ungewöhnlich. Der Wind trug den Geruch von Blut und Eisen mit sich, aber auch von Bäumen und Kräutern – Dingen die nur den ältesten Wölfen noch vertraut waren, da sie in einem besonders harten Winter in den Wäldern am Fuss der Berge gejagt hatten. Viele von ihnen waren damals von den stinkenden Zweibeinern mit ihren eisernen Waffen erschlagen worden, und so lebte das Rudel weiterhin hoch oben in den Bergen. Manchmal brachte der Westwind Gerüche mit sich, die von fruchtbaren Ebenen und dichten Wäldern voller Wild erzählten, doch immer war auch der Geruch der Zweibeiner darin enthalten, und hielt die Wölfe davon ab, sich ins Tal zu wagen.
Und nun streifte also etwas durch die Berge, das diesen Duft nach Wald mit sich trug. Die Leitwölfin überblickte ihr Rudel und forderte zwei der älteren Wölfe mit Blicken auf, ihr zu folgen. Der grosse Schwarze wollte sich auch erheben, aber ein leises Knurren aus ihrer Kehle warnte ihn, und demütig kauerte er sich nieder und bot ihr mit einem leisen Winseln seine Kehle dar.
Die Wölfin stupste ihn zustimmend an. Er hatte rasch gelernt, der Schwarze. Anfangs, als sie gerade erst die Führung über das Rudel übernommen hatte, hatte sie ihn oftmals zurechtweisen müssen. Er war in dieser Zeit schon der männliche Leitwolf gewesen und sie glaubte damals, er dulde keinen anderen Wolf an seiner Seite. Doch sie hatte sich getäuscht. Der grosse Schwarze kannte seinen Platz im Rudel. Er war der Leitwolf, aber er ordnete sich ihren Befehlen unter, wenn sie das Wohl des Rudels betrafen. Der Schwarze war anders, doch er war ihnen auf der Jagd eine grosse Hilfe, er konnte kämpfen und er verstand es auch, Kranken und Verletzten zu helfen. Doch heute wollte sie ihn nicht dabei haben. Er war einfach zu gross, und ausserdem war sein Geruchssinn nicht so ausgeprägt wie der der anderen Wölfe.
Ohne sich weiter um den Rest des Rudels zu kümmern verliess die Wölfin die Höhle und trabte leichtfüssig in Richtung des neuen Geruchs. Hinter ihr folgten die beiden, die sie als ihre Begleitung ausgewählt hatte. Der Grasfresser vor der Höhle machte einen erschrockenen Satz zur Seite und die Wölfin schnaufte verächtlich. Hatte er immer noch nicht verstanden, dass sie ihm nichts tun würden? Sie wusste nicht weshalb, aber der Grasfresser gehörte zum Rudel solange sie sich erinnern konnte. Er musste in Ruhe gelassen werden, auch wenn sie noch so grossen Hunger litten. Er schien es auch zu wissen, dass sie ihn verschonen würden, denn er hielt sich immer in ihrer Nähe auf. Aber wenn ein Wolf zu nahe an ihn herankam, überwogen seine Instinkte, und er ergriff trotz allem die Flucht, um nach einer Weile wiederzukommen. Nur der grosse Schwarze konnte ihn berühren, und wenn er bei dem Grasfresser war, duldete dieser die anderen Wölfe viel näher bei sich als sonst. Einmal hatte er sogar eine Wölfin auf seinem Rücken zur Höhle getragen, als sie auf der Jagd verletzt worden war.
Die drei Wölfe fanden den Ursprung der unbekannten Witterung schliesslich in einem kleinen Kessel, er von hohen Felswänden umgeben war. Offenbar hatten die Zweibeiner hier Schutz vor dem Wetter gesucht. Ja, es waren Zweibeiner, aber nicht die stinkenden mit den haarigen Körpern oder die schwachen, die sich in Felle hüllten und sich nie weit von ihren hölzernen Höhlen entfernten. Es waren auch nicht die Weissen, die ihre Augen blendeten und ihnen Furcht einflössten, gegen die man sich nicht wehren konnte. Nein, dies hier waren andere Zweibeiner, Fremde.
Die Wölfin nahm der Duft der Unbekannten tief in sich auf. Ja, sie rochen eindeutig nach Zweibeinern und doch anders. Die Weissen verströmten einen ähnlichen Geruch, jedoch weder nach Blut noch nach Bäumen, wie sie es hier wittern konnte. Die Haarigen dagegen rochen nach Blut, aber auch nach Schweiss und Schmutz, was bei diesen hier fehlte. Einer der anderen Wölfe nieste, und die Leitwölfin blickte ihn strafend an, obschon die Fremden ihn nicht gehört haben konnten. Oder doch? Einige der Zweibeiner hoben den Kopf und blickten in Richtung der Wölfe. Die drei Tiere pressten sich flach auf den Boden, aber man schien sie trotzdem gesehen zu haben. Die Leitwölfin sah, wie einer der Zweibeiner nach dem langen Holz griff und ein kurzes Holz daran legte. Sie kannte die Bewegung und bellte einen scharfen Befehl. Haken schlagend huschten die Wölfe davon, jeden Schatten und jeden Schneehaufen als Deckung nutzend.
Unbeschadet kamen sie zur Höhle zurück, wo sich der Rest des Rudels sofort um die Leitwölfin scharte. Sie hatte ein schlechtes Gefühl, was die Fremden betraf. Eines der spitzen Holzstücke hatte sie nur ganz knapp verfehlt, und sie wusste, dass sie ein sehr schwer zu treffendes Ziel abgegeben hatte. Die Zweibeiner waren gefährlich, und sie musste ihr Rudel schützen.
Der grosse Schwarze schien ihre Unruhe zu spüren, denn er kam zu ihr herüber und blickte sie fragend an. Seufzend legte sie sich nieder und erwiderte blinzelnd seinen Blick. Sie hasste es, wenn er das tat, aber er hatte sie oft schon gut beraten, und im Augenblick wusste sie selber nicht recht, was sie tun sollte.
Als der Schwarze ihren Kopf berührte, nahm sie seine Witterung auf, und plötzlich wusste sie, woran sie die Fremden erinnert hatten. Der Schwarze roch auch nicht nach Bäumen, aber ohne den Wolfsgeruch, der ihn umgab, hätte er einer dieser Unbekannten sein können. Sogar der Geruch nach Blut haftete ihm an, was den Grasfresser manchmal selbst vor ihm zurückschrecken liess.
Die Wölfin spürte das vertraute Ziehen in ihrem Kopf, und sie wusste, dass der Schwarze sah, was sie gesehen hatte. Anfangs hatte siesich gefürchtet, wenn er in ihren Kopf eingedrungen war, doch sie hatten sich beide verändert. Einst waren seine Gedanken ihr so fremd gewesen wie ihm die ihren. Doch inzwischen gab es auch in seinem Kopf nur noch die Gedanken an jagen, essen und schlafen. Die Wölfin dagegen, hatte Dinge erkannt, die dem Rudel vorher fremd gewesen waren. Im Kopf des Schwarzen hatte sie die Zeit kennengelernt, und sie hatte erfasst, dass es manchmal gut war, sich Gedanken zu machen, was der nächste Tag oder gar die nächste kalte Zeit bringen würde. Sie war nicht mehr die Wölfin, die sie einst gewesen war, und manchmal fragte sie sich, ob der Schwarze inzwischen nicht wölfischer war als sie selber.
Das Bild, das der Schwarze in ihren Kopf setzte, war das erwartete. Er riet ihr zur Flucht. Der Schwarze riet immer zur Flucht, wenn es um Zweibeiner ging. Am ersten Tag, als sie zur Leitwölfin geworden war, war er in ihren Kopf eingedrungen und hatte ihr Bilder gezeigt. Bilder von den Waffen der Zweibeiner, von den gebogenen Hölzern und den eisernen Stöcken. Er hatte ihr tote Wölfe und blutige Felle gezeigt, lachende Zweibeiner, die in Wolfsfelle gehüllt waren.
Er selber trug auch ein Wolfsfell, aber die Leitwölfin wusste, dass es von einer ihrer Vorgängerinnen stammte, und dass diese von einem der Geflügelten gerissen worden war. Die Federn dieses Geflügelten trug der Schwarze noch immer auf seinen Schultern. Damals war er noch tapfer gewesen, aber nun war er vorsichtig und zurückhaltend. Vielleicht war es sein Alter. Er war schon beim Rudel gewesen, als sie noch ein Welpe war, und selbst die ältesten Wölfe konnten sich nicht erinnern, dass er jemals nicht bei ihnen gewesen wäre.
Wie alt wohl diese Zweibeiner wurden? Schon oft hatte die Wölfin darüber nachgedacht, was der grosse Schwarze wohl sein mochte, und weshalb er sich den Wölfen angeschlossen hatte. Für sich dachte die Leitwölfin, dass er einer der Weissen sei – sein Geruch war dem ihren am ähnlichsten – aber sie wusste nicht, weshalb er dann nicht bei ihnen war. Vielleicht wegen der Farbe seines Fells? Die schwarze Wölfin, nahmen sie auch nicht immer mit zur Jagd, weil sie sie auf offenen Schneeflächen verriet. Ja, vielleicht war der grosse Schwarze deshalb von den Weissen verstossen worden.
Die Leitwölfin unterbrach den Blickkontakt mit dem Schwarzen und erhob sich. Er blieb wo er war, denn er wusste, dass sie alleine entscheiden würde, was mit dem Rudel geschah. Es war der Wölfin nicht leicht gefallen, dass der Leitwolf ihr alle Entscheidungen überliess, aber bereits bei ihrer Vorgängerin war es so gewesen. Diese war damals gestorben, als sich das Rudel aus den Bergen hinab gewagt hatte. Damals hatten nur der grosse Schwarze und ein paar Jungwölfe überlebt, und sie war die kräftigste von ihnen gewesen und so zum Leittier des Rudels geworden. Die Wölfin entfernte sich ein paar Schritte vom Rudel und dachte nach. Früher hätte sie einfach nach ihren Instinkten gehandelt, aber durch den Schwarzen hatte sie gelernt zu planen und alle Möglichkeiten zu untersuchen, die ihr in den Sinn kamen.
Plötzlich hörte sie den Grasfresser vor der Höhle schreien. Es war ein Laut voller Angst, und die Wölfin blickte sich unwillkürlich um, um zu sehen, ob alle Wölfe des Rudels noch in der Höhle waren. Ja, da waren sie, und blickten unruhig zum Höhleneingang. Das scharfe Gehör der Wölfin verriet ihr, dass der Grasfresser in panischer Angst talaufwärts rannte. Der grosse Schwarze stiess einen seiner fremdartigen Laute aus, sprang auf und rannte dem Tier hinterher.
Die Wölfin versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Sie wusste, dass der grosse Schwarze auf den Grasfresser angewiesen war, da er weder so schnell noch so ausdauernd laufen konnte wie das Rudel. Wenn sie auf die Jagd gingen oder in ein anderes Gebiet zogen, sass er jeweils auf dem Rücken des Grasfressers und dieser trug ihn schnell genug, dass die Wölfe nie auf ihn warten mussten. Ausserdem brauchte der Schwarze nur selten die Laute, die er wohl als Welpe bei seinem eigenen Rudel gelernt hatte, und die Wölfin wusste, dass er in diesen Augenblicken nicht so eng mit dem Rudel verbunden war wie sonst. Sie hätte ihn wohl auch nicht aufhalten können, wenn sie es gewollt hätte.
Die Leitwölfin sah, dass fast alle Wölfe des Rudels nun zum Höhleneingang blickten, und mit einem Seufzer ging sie zu ihnen hinüber, um zu herauszufinden, was die Tiere aufgeschreckt hatte.
