2. Die Strafe
Pünktlich um drei Uhr stand Ginny mit gepacktem Rucksack vor Snapes Kerker und klopfte. Die Tür öffnete sich zügig. Der Professor kam heraus, ebenfalls mit einem Beutel in der Hand.
„Das hätte ich nicht gedacht, tatsächlich pünktlich. Na, dann mal los."
Ginny ergab sich in ihr Schicksal und trottete hinter ihm her. Draußen auf dem Schulgelände kam Albert hinter den Beiden her gerannt.
„Ich habe McGonagall gebeten, mitgehen zu dürfen, aber sie hat abgelehnt", sagte er niedergeschlagen und umarmte sie. „Lass´ dir bloß nichts gefallen von der alten Fledermaus", flüsterte er ihr ins Ohr.
Albert blieb traurig zurück und die Beiden betraten den verbotenen Wald.
„War das dein Freund?", fragte Snape schroff.
„Ich wüsste nicht, was sie das angeht", antwortete sie; Snape machte ein noch mürrischeres Gesicht und lief weiter.
„Hat dir der Trank heute Morgen geholfen?"
„War der von ihnen? Er hat gut geholfen. Aber warum …"
„Ich wollte nur nicht, dass du mir die ganze Zeit die Ohren voll jammerst ..." Er drehte sich abrupt um. „Du hast einen Trank eingenommen und wusstest nicht, von wem er war? Weißt du wie leichtsinnig das war? Man hätte dich vergiften können oder schlimmeres."
Ginny zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Hatte sie da einen Anflug von Sorge vernommen? Doch halt ... wurde Snape gerade rot, oder lag das am Schatten der Bäume? Sie konnte es nicht genau erkennen. Aber warum sollte er?
xXx
Sie verscheuchte ihre Gedanken und lief ein Stück hinter ihm. Warum nur musste er nur so rennen? Anfangs war es kein Problem, ihm zu folgen. Doch dann wurde der Untergrund immer unebener und Ranken wuchsen über den Weg.
In einer dieser Ranken blieb Ginny mit dem Fuß hängen und fiel der Länge nach auf den Boden.
Zögernd öffnete sie die Augen. Ihre Knie schmerzten ebenso wie ihre Schulter.
„Scheiße!", zischte sie.
„Wie damenhaft", spottete Snape. „Wenn ich gewusst hätte, dass du nicht laufen kannst, hätte ich dich nicht mitgenommen ..."
„Wenn Sie nicht durch den Wald rennen würden, als wären wir auf der Flucht ..."
„Wir haben keine Zeit zum Trödeln", bellte er.
‚Arrogantes Ekel. Danke fürs Nichtaufhelfen. Du könntest dir was brechen und ich würde dir auch nicht helfen.'
„In ihrem Alter hat man wahrscheinlich keine Zeit mehr, in meinem schon", sagte sie leise zu sich selbst. Doch leider nicht leise genug.
„WIE BITTE? Du undankbare, kleine Kröte! Was denkst du eigentlich, wer du bist? Warum glaubt ihr junges Pack immer, ihr wärt etwas Besseres?"
Seine Wut ließ das Blut in seinen Ohren pochen. Was bildete sie sich eigentlich ein? Und warum konnte er seine Gefühle nicht in den Griff bekommen?
Doch auch die junge Gryffindor hatte immer größere Probleme, sich zu beherrschen.
„Wenigstens bin ich eine junge Dumme und kein alter Miesepeter", keifte sie zurück.
Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden, ebenso sein Mund.
„Wenn du nicht deinen Mund hältst, weiß ich nicht, wie lange ich mich noch beherrschen kann."
„Das können sie doch nie!"
„WIE BITTE!" Seine Stimme schlug über.
Er packte Ginny am Kragen ihrer Robe. Diese wich erschreckt zurück und stolperte über eine Wurzel. Immer noch seine Hand an ihrem Kragen, glitt sie langsam auf den Rücken. Nun stand er über ihr, schwer atmend und um seinen Verstand ringend. Langsam kniete er sich neben sie. Er hielt seien Zauberstab an ihren Hals und zischte: „Du … du …."
Seine Augen flackerten, das sonst so fahle Gesicht hatte eine leichte Röte angenommen und sein Atem ging noch heftiger. Ein unterbewusster, lange unterdrückter Todesserdrang, sie zu verletzen, kam in ihm auf. Die Situation auszunutzen. Doch das konnte er nicht, nicht ihr. Niemals könnte er ihr wehtun.
‚Oh Mädchen, wie schaffst du es nur, mich so aufzuwühlen? Ich hasse es, wenn ich die Kontrolle verliere. Ich wollte dir doch keine Angst machen.'
Er stand auf und atmete tief ein.
„Es tut mir leid", sagte Ginny leise und vermied es, ihn anzusehen.
„Nein, mir tut es leid. Es war nicht in Ordnung, mich so gehen zu lassen.
Schweigend gingen sie weiter. Ginny fror aus Angst. Dass er austicken konnte wusste sie. Aber so? Sie wich seinen Blicken aus und hielt einen großen Abstand.
Seine Augen ruhten auf ihr. Das hatte er nicht gewollt. Ihre ängstlichen, kurzen Blicke brannten wie Flüche auf ihm.
„Sollen wir eine Pause machen?", fragte er versöhnlich.
„Das wäre schön."
Auf einen großen Stein gekauert, rieb sie sich ihre schmerzenden Knie.
„Lass mal sehen."
Ginny blickte ihn entsetzt an. Was wollte er sehen?
„Deine Knie. Ich habe eine Heilsalbe dabei", sagte er ungeduldig.
‚Was denkt sie? Glaubt sie, ich wolle ihr etwas antun? – Nach meinem Ausraster vorhin kann ich es ihr nicht verdenken.'
„Es tut mir leid", sagten seine Lippen, ohne dass es sein Kopf wollte.
„Hm."
„Wirklich!" Warum klang seine Stimme plötzlich so angenehm und beruhigend? Ihre Angst verflog - er meinte es ernst! Es tat ihm leid und er hatte sich bei ihr entschuldigt! Man bedenke: Snape - Snape hatte sich entschuldigt! - Sie schwieg.
„Du bist aber auch schwierig", sagte er mehr zu sich selbst - aber laut.
Doch dieser Satz brachte das Weasley - Gen erneut zum Überkochen.
„ICH? Ich bin schwierig? Pah! Das sagt ja wohl der Richtige!"
„Ginny, nicht! Nicht schon wieder!", sagte er leise.
„Dann hören sie aber auch auf, mich zu beleidigen!", blaffte sie.
„Was musst du mich auch immer so ärgern?", donnerte er.
„Dazu reicht doch wohl schon, dass ich auf der Welt bin!", fauchte sie. (B/N: gggg )
„Deine Eltern hätten besser nach dem sechsten aufgehört", er stockte. Das hatte er nicht sagen wollen. Wenn sie in der Nähe war, sagte er immer Dinge, die er nicht sagen wollte. Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ihre rechte Faust in seinem Gesicht landete. Die Wucht ließ ihn nach hinten umfallen? fallen. Mit geballten Fäusten stand sie vor ihm.
„Sag nie, nie wieder etwas gegen meine Familie!", schrie sie.
‚Oh je, ich habe ihn geschlagen! Er ist mein Lehrer und ich habe ihn geschlagen. Doch wieso explodiert er nicht?'
„Wow, guter Schlag, Ginny. Den habe ich wohl verdient. Ich wollte dich nicht beleidigen! Friede? Wenigstens für heute?", fragte er lächelnd.
Lächelnd ... noch nie in der ganzen Zeit hatte sie ihn aufrichtig lächeln gesehen. Sie nickte und lächelte zurück. Vielleicht hätte sie ihn früher schon mal schlagen sollen.
„Darf ich jetzt?"
Die Salbe in der Hand zeigte er auf ihre Knie. Langsam setzte sie sich und zog die Robe hoch. Vorsichtig verteilte er die Paste auf ihren Knien. Bei jeder Berührung zuckte sie etwas zusammen. Doch nur wegen des Schmerzes? Oder war es seine Berührung, die ihre Haut zum Kribbeln brachte?
‚Das kann nicht sein. Nein, das gefällt mir nicht. Es ist nur der Schmerz.'
Als er fertig war, griff sie nach dem Tiegel.
„Was?", fragte er erstaunt.
„Ihre Nase blutet, ebenso ihre Lippe", sagte sie kurz.
Snape griff sich ins Gesicht und betrachtete dann seine blutverschmierten Finger.
„Wirklich gut getroffen, aber das geht schon so."
„Papperlapapp, Hände weg." Ginny gebrauchte denselben Ton, den ihre Mutter gebraucht hatte, als sie klein war.
Seine Gegenwehr erstarb. Sachte tupfte sie das Blut ab und strich die Salbe auf die Lippen. Sie waren weich und warm. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, es könnte anders sein? Oder erschreckte sie der Gedanke, dass er nur ein Mensch war?
Vor Schmerz zog er die Luft durch die Zähne. Als ihre Finger erneut seine Lippen berührten, schloss er die Augen. Es war angenehm ... aber auch fremd. Außer Albus fasste ihn sonst niemand an. Die meisten versuchten sogar einen Händedruck von ihm zu vermeiden. Aber sie, sie strich durch sein Gesicht, sanft, freiwillig und beinahe zärtlich. Ein tiefer Seufzer entkam seinem Mund. Erschreckt riss er die Augen auf, doch sie lächelte.
Nachdem er die Salbe wieder eingesteckt hatte, reichte er ihr die Hand und half ihr auf die Beine.
‚Ha, er ist lernfähig. Richtig nett, wenn er will.'
xXx
Als es dämmerte, hielt Snape an. „Hier werden wir unser Zelt aufschlagen."
Schon hatte er den Rucksack geöffnet und den Inhalt auf den Boden geleert. Mit einem Schwung seines Zauberstabes stand das Zelt da. Nicht sehr groß, aber ausreichend für zwei Personen.
„Wissen sie eigentlich, wohin wir gehen? Oder laufen wir kreuz und quer in der Hoffnung, einen solchen Baum zu finden?"
„Natürlich weiß ich, wo dieser Baum steht. Oder denkst du, ich gehe gerne mit dir wandern?", schnauzte er.
‚Was ja gar nicht so falsch wäre. Als Minerva mir diesen Vorschlag machte, war ich hellauf begeistert. Habe mich gefreut wie ein Schuljunge. Ich glaube, ich verliere noch meinen Verstand.'
Beleidigt räumte Ginny ihr Gepäck ins Zelt. Warum musste er nur immer so unfreundlich sein? Nach einem hageren Abendbrot legten sich beide in das Zelt. Schon nach kurzer Zeit schnarchte Snape leise.
‚Wie süß er schnarcht. Ob er das weiß?'
Sie drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Ein Geräusch, als ob Krallen über den Zeltstoff fuhren, ließ sie zusammenschrecken. Da war es schon wieder! Ihr Herz pochte bis zum Hals. Was sollte sie nur tun?
„Professor Snape", sie schüttelte ihn sanft. Doch er schlief seelenruhig weiter.
„Professor Snape", sagte sie sehr laut. Aber auch das half nichts.
„Severus", brüllte sie und schüttelte ihn mit beiden Händen.
„Ja", schoss er in die Höhe.
„Da draußen ist irgendwas."
„Schlaf weiter, ich habe das Zelt magisch geschützt. Hier kommt nichts rein. Sei doch nicht so hysterisch." Mit diesen Worten legte er sich wieder hin und schloss seine Augen.
‚Oh Severus, du bist solch ein Dummkopf. Warum war ich nicht freundlicher zu ihr? Sie hatte doch nur Angst.'
Ginny schlief auch den Rest der Nacht nicht. Snape schnarchte schon längst wieder neben ihr. Aus irgendeinem Grund war es für sie ein beruhigendes Geräusch.
tbc
6
