Kapitel 1: Ein seltener Fund

Splinter saß ihn seinem Sessel, hielt eine Tasse grünen Tee in den Pfoten und roch an dem duftendem Aroma. Seine Schüler übten Falltechniken; er konnte sie dabei allein lassen und ein paar Momente der Ruhe genießen, bevor wieder das alltägliche Chaos in Form von lauter Musik, Michelangelos Streichen, Donatellos explodierenden Erfindungen und Leonardos und Raphaels Streitigkeiten ausbrach. Er schob den Gedanken von sich. Hier und jetzt war Frieden.

Seine übersensiblen Ohren fingen neben den für ihn ständig hörbaren Motorenlärm, den er gelernt hatte zu ignorieren, ein weiteres Geräusch auf. Leichte, schnelle Schritte. Mit leisem Bedauern stellte er die Tasse auf den Tisch und stand auf, um April ONeill zu begrüßen. „Master Splinter!" Sie verneigte sich leicht vor ihm. „So still? Wo sind die Jungs?" „Im Dojo," antwortete er ihr, bot ihr mit einer Handbewegung Platz an und setzte sich selbst wieder.

„Gibt es Ärger?" April verneinte. „Eigentlich wollte ich mit Euch sprechen. Ein entfernter Verwandter ist neulich gestorben und hat mich als Alleinerbin eingesetzt." „Das tut mir sehr leid, April." „Das muss es nicht. Ich habe ihn kaum gekannt, außerdem glaube ich, dass er mich nur zur Erbin eingesetzt hat, da er mit dem Rest der Familie nicht klarkam. Er war im zweiten Weltkrieg als Soldat in Japan stationiert", sie schaute verlegen zur Seite, doch Splinter bedachte sie lediglich mit einem höflichen Nicken, der Aufforderung fortzufahren, „und hat ziemlich viele Andenken von dort mitgebracht, Schriftrollen, kleine Figuren und ähnliches. Ich habe bereits mit einem Experten für ostasiatische Kunst alles durchgesehen, hätte aber trotzdem gerne eine zweite Meinung." Sie holte eine Schriftrolle aus ihrer Umhängetasche. „Könnt Ihr damit etwas anfangen?"

Splinter nahm die Rolle entgegen. Etwas daran kam ihm vage bekannt vor. Er entrollte sie, und seine Augen weiteten sich vor Schreck. Plötzlich erinnerte er sich an andere, an viele Rollen dieser Art, doch sie waren alle vernichtet worden, vernichtet von der amerikanischen Besatzungsmacht…

Eine Hand berührte ihn vorsichtig an der Schulter. April hatte sich vorgebeugt. „Splinter? Geht es dir nicht gut?" Ihre Stimme klang besorgt. „Ja…Nein!" antwortete Splinter irritiert, nicht wirklich ihre Stimme hörend. „Nein… es ist alles in Ordnung", meinte er leise. April war nicht überzeugt. „Was ist daran so besonders?" „April", meinte Splinter und musste sich räuspern, da seine Stimme krächzte, „hast du noch mehr davon?" April musterte ihn besorgt. „Einige. Wollt Ihr sie sehen?" „JA!" Splinter schrie fast, „am besten sofort!"

„Alles OK?" Michelangelo betrat den Raum. „Es ist alles in Ordnung. Tut mir Leid, April. Ich hatte diese Rollen für längst zerstört gehalten. Kann ich sie bitte sehen?" „Ich habe sie nicht hier, sie sind im Haus meines Großonkels." „April", Splinters Stimme wurde härter , „hat der Kunstexperte ein besonderes Interesse für diese Rollen gezeigt?" April sah ich irritiert an. „Er meinte nur, dass seien ziemlich schlecht geschriebene Gedichte". „Nur für denjenigen, der sie nicht lesen kann", flüsterte Splinter, „für alle anderen…"

Damit hatte er die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden. „Wie meint Ihr das, Sensei?" fragte Michelangelo. Seine Brüder kamen durch die Tür. Doch Splinter wollte sich nicht weiter dazu äußern. „Ihr könnt heute nachmittag machen, was ihr wollt, aber bitte, BITTE seid leise. Ich muss dringend meditieren." Ohne von der Rolle aufzusehen verließ er das Wohnzimmer. Leonardo schaute ratlos zu April. „Was ist an der Schriftrolle den so besonderes?" April zuckte mit den Schultern. „So schlecht wird das Gedicht ja wohl hoffentlich nicht sein…"

Splinter saß im Lotussitz auf einer tatami- Matte in seinem Zimmer. Die Füße überkreuzt, die Handoberseiten locker darüber gelegt, versuchte er sich zu entspannen und seinen Geist treiben zu lassen. Es gelang ihm nicht. Immer wieder öffnete er die Augen und sah auf die Rolle, die vor seinen Füßen lag. Ihre Existenz, besonders hier, in Amerika, war unmöglich, und doch lag sie da. Ein Teil seines Erbes als rechtmäßiger Führer der Foot…

Er verdrängte diesen Gedanken. Dieser Teil seines Lebens lag schon viel zu lange hinter ihm, genauso wie der Name Hamato Yoshi und was- und wen- er einst bedeutete. Er hatte nicht gewusst, dass ihm noch immer soviel an seinen Erinnerungen lag, obwohl sie so sehr schmerzten. Seufzend stand er auf und ging zu einer Truhe. Er holte einen anderen Kimono hervor, einen Gi für seine ehemalige menschliche Größe und ein paar Decken. Vorsichtig entfaltete er die unterste. In ihrer Mitte lagen vier Schriftrollen, ähnlich der, die vor der tatami- Matte lag. Er entrollte eine, nur um ganz sicher zu sein. Es konnte jedoch kein Zweifel bestehen. Ein Teil der alten Aufzeichnungen der Foot hatten den Zweiten Weltkrieg überstanden, und in den falschen Händen mochte das darin enthaltene Wissen tödlich sein: Rezepte für nicht nachweisbare Gifte, seit langem verbotene Techniken, die Kunst der tödlichen Berührung… Die Liste ließe sich endlos fortführen.

Er erinnerte sich noch gut daran, wie sein Großonkel Gyogi ihm die Rollen gezeigt hatte. Damals war er noch ein Junge gewesen, der kaum begriff, was für ein Schatz da vor ihm lag. Er selbst hatte eine Fackel an die staubtrockenen Rollen gehalten, dami sie nicht den Amerikanern in die Hände fielen. Doch er spürte damals schon die Kostbarkeit dieser Rollen und schon heimlich vier unter seinen Kimono. Gyogit war blind, er konnte nichts gemerkt haben, und doch brannten die Rollen auf seiner Haut heißer als das Feuer, was sie in dem geheimen Raum entfacht hatte.

Splinter schüttelte betrübt den Kopf. Soviel kostbares Wissen, jahrtausende alt, in wenigen Minuten in Rauch aufgegangen…An Meditation war für heute nicht mehr zu denken, aber vielleicht konnte er etwas Schlaf finden.

In der Nacht wälzte er sich unruhig hin und her. Erinnerungen, Träume und Visionen vermischten sich. Er versuchte einen Pfad zu finden…

„Wozu", fragte Yoshi. „Einfach so. Du musst mehr aus der Schulter werfen". Toki grinste. „Sieh es als Übung für das Shuriken- Werfen". Yoshi lächelte nicht. Er starrte weiterhin grimmig auf das Wasser. Toki beobachtete ihn und meinte schließlich: „Es tut mir Leid. Das mit deiner Mutter, meine ich. Weißt du, ich lebte auch in Hiroshima. Meine Eltern und mein kleiner Bruder sind dort gestorben. Unser Haus stürzte durch die Druckwelle ein. Ich war zufällig draußen." Seine Stimme wurde leiser. „Wenigstens waren sie sofort tot", Er räusperte sich. „Der alte Mann, der mit euch kam… ist das auch ein Verwandter von dir?" Yoshi nickte steif. „Mein Großonkel und Sensei Gyogi." „Er ist blind." Yoshi fuhr herum. „Er sah die Bombe fallen! Es war das letzte was er sah! Und danach…" er schluckte hart „war Hiroshima fort." Seine Stimme sackte ab. „Ich hatte einen kleinen Bruder und zwei Schwestern." Toki berührte ihn vorsichtig an der Schulter. „Und dein Vater?" Yoshi schüttelte seine Hand ab. „Die Regierung hatte doch Ninja angeworben. Er war in Korea und ist jetzt vermisst." „So leicht stirbt ein Ninja nicht", meinte Toki, „und dein Vater ist berühmt für seine Fähigkeiten." „Der Krieg ist seit fast einem Jahr zuende", flüsterte Yoshi. „Wenn er tatsächlich noch leben würde, hätte er sich doch schon längst gemeldet, oder?" Toki versuchte in abzulenken. „Warum seit ihr erst jetzt gekommen?" „Meine Mutter war zu schwer verletzt. Wir sind bei Verwandten von ihr untergekommen, aber die Hungersnot war zu schlimm. Irgendwie haben wir uns dann hierher durchgeschlagen. „Viel haben wir hier auch nicht gerade zu essen", sagte Toki, „ es langt so gerade eben. Den Kami sei gedankt, dass die Meister bei Kriegsanbruch vorausgedacht haben, auch für den Fall einer Niederlage. Im Gegensatz zum Kaiser!" „Das ist Hochverrat", meinte Yoshi tonlos. „Der Tenno ist kein Gott mehr. Ich habe es selbst im Radio gehört. Er hat es selbst verkündet!" „Auf Befehl der itaki und nur unter Zwang!" „Amida Buddha, Yoshi, bist du wirklich so naiv? Ein Gott hätte eine solche Niederlage niemals zugelassen!" „Vielleicht hatten die itaki die Stärkeren Götter." Toki grinste. „Und du erzählst mir was von wegen Hochverrat?" Yoshi schien ihn nicht zu hören. Wieder rannen Tränen über sein Gesicht, obwohl man sah, dass er sich bemühte sie zu unterdrücken. „Meine Familie… meine Mutter." Toki nickte mitfühlend. „Die Atomkrankheit. Weißt du was?" Er legte dem jüngeren Yoshi einen Arm um die Schulter. „Das Schicksal hat mir einen Bruder genommen, aber mir vielleicht auch einen neuen gebracht. Karma!" Yoshi sah ihn an und lächelte zaghaft. „Karma!"