Kapitel 1: So vertraut und doch so fremd
„Es ist fast Mitternacht, wir sollten nach Hause gehen."
Die Stimme drang nur langsam durch die Dunkelheit, die ihn umhüllte, seine Sinne benebelte. Irgendwo hörte er ein stetes Geräusch, konnte es jedoch nicht zuordnen. Genauso wenig wie er wusste, wo er sich befand, noch, was geschehen war. Es erschien ihm gar nicht so wichtig zu sein. Hier am Rande seines Bewusstseins.
„Es ist schon spät."
Leise klang die Stimme, beinahe sanft, füllte sein ganzes Sein, beruhigte ihn, obwohl er gar nicht verstand, warum er an erster Stelle hätte aufgeregt sein sollen. Es war doch alles in Ordnung, oder? Gut, er konnte seine Augen nicht öffnen, sie waren zu schwer, er selbst fühlte sich zu schwach. Aber er lag auf einem weichen Untergrund und ihn fror nicht. Nein, angenehme Wärme umhüllte ihn und er fühlte sich geborgen wie schon lange nicht mehr. Seitdem sie von ihm gegangen war, um wen es sich dabei auch immer handelte. Die sanfte Stimme erinnerte ihn ein wenig an den Menschen, der ihm einmal sehr viel bedeutet hatte. Nur konnte er sich im Moment nicht daran erinnern. Nun, das machte nichts. Ihm ging es hier gut. Er lag auf einer weichen Matratze, die viel angenehmer war als die, auf der er sonst schlief. Sonst... irgendwo... anders...
Das seltsame Gefühl vollkommener Sicherheit überkam ihn und so kämpfte er nicht länger gegen seine schweren Lider an, sondern blieb einfach nur ruhig liegen und lauschte der sanften Stimme.
„Du kannst nicht für den Rest der Nacht hier sitzen bleiben."
„Johnny und Alex sind auch hier. Ich werde nicht gehen." Eine zweite Stimme schob sich in seine Welt der Finsternis. Sie war tiefer und ein klein wenig lauter, aber nicht auf eine bedrohliche Art. Es erschien ihm, als sei dieser Sprecher in seiner Nähe, während die sanfte Stimme weiter weg im unsichtbaren Raum schwebte.
„Du weißt, was ich meine."
Nein, er wusste es nicht, aber solange so viel Sorge in dem hellen Klang lag, glaubte er, dass alles gut war.
Jemand seufzte neben ihm und er konnte das Rascheln von Kleidung sowie das Schieben eines Stuhles über gefliesten Boden hören.
„Hast du schon das Oberkommando benachrichtigt?" Die sanfte Stimme war ein wenig näher an ihn heran gerückt und für einen Augenblick herrschte Schweigen in der Dunkelheit, selbst das gleichmäßige Geräusch schien zu verstummen.
„Nein."
„Aber die Vorschriften..."
„Gelten hier nicht."
„Verstehe."
Erneute Stille entstand und er glaubte, in ihr ertrinken zu müssen. Hilflos schnappte er nach Luft, musste aber erkennen, dass diese Bewegung ihn zu sehr anstrengte. Seine Lunge brannte und der Schmerz übertrug sich sofort auf seinen Kopf. Blitze explodierten hinter seinen Lidern und er konnte ein gequältes Stöhnen nicht unterdrücken, das seltsam fremd und unnatürlich in seinen eigenen Ohren klang.
„Was hat der Doc gesagt? Ich war ja bei den Jungs in der Zeit, in der du mit ihm gesprochen hast."
„Dass er ganz schön eins über den Kopf gezogen bekommen hat. Und dass er verdammtes Glück hatte. Sie alle hatten verdammtes Glück."
Angenehme Kühle wurde gegen seine brennende Stirn gedrückt und der Schmerz ebbte auf ein erträgliches Maß ab.
„Eine Gehirnerschütterung hat er abbekommen und ein paar Schürfwunden. Im Laufe der Nacht sollte er wieder aufwachen." Die tiefere Stimme klang nun so müde, wie er sich fühlte, jedoch nicht nur körperlich erschöpft.
„Und du willst jetzt warten, bis er aufwacht? Ohne das Oberkommando benachrichtigt zu haben?"
„Ja. Ich übernehme auch die Verantwortung."
„Verantwortung! Davon trägst du weiß Gott schon genug!" Die sanfte Stimme wurde ein wenig lauter, verlor jedoch nie den sorgenden, den liebenden Ton, nach dem er sich so sehr sehnte. „Und was ist, wenn er sich auf dich stürzt und versucht, dich umzubringen? So wie er das bei euren unzähligen Begegnungen in der Vergangenheit getan hat?"
„Bitte, April."
Hörbar tiefes Einatmen folgte den flehenden Worten, die so überhaupt nicht zu dem Sprecher zu passen schienen.
„Hast du deine Waffe bei dir?"
„Immer."
„Wirst du sie auch benutzen?"
„Im Notfall."
„Gut."
Zögerliche Stille entstand und er glaubte, skeptische Blicke auf sich ruhen zu spüren. Er versuchte erneut, seine Augen zu öffnen, um zu sehen, wer da so besorgt auf ihn herabsah, aber abermals fehlte ihm die Kraft dafür. Jemand ergriff seine linke Hand und hielt sie für einen Moment fest. Es fühlte sich jedoch nicht freundlich oder gar tröstend an, wie er das so gern gespürt hätte, sondern vielmehr, als würde jemand seine Stärke abschätzen. Als würde kontrolliert werden, ob er bereit war, in das Land der Lebenden zurück zu kehren. Nun, er war bereit, aber sein Körper offensichtlich nicht, da die wohlbekannte Schwärze ihn wieder zu übermannen drohte. Die Stimmen um ihn herum wurden immer ferner, immer leiser, immer unwirklicher. Genauso wie seine Gedanken, seine ureigenste Existenz.
„Gut. Ich vertraue dir, Saber."
„Danke."
Dann verlor er erneut sein Bewusstsein.
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Ein großer Gegenstand schien durch die Dunkelheit auf ihn zuzurasen. Er wollte zur Seite springen, wollte sich in Sicherheit bringen, wollte dem Ungetüm nicht zum Opfer fallen. Aber er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht entkommen, war dem Tode geweiht.
NEIN!
Im nächsten Moment riss er seine Augen weit auf und starrte geradewegs auf eine hygienisch weiße Decke. Künstliches Licht hüllte ihn ein und er blinzelte geblendet. Einmal. Zweimal. Aber der Ausblick veränderte sich nicht. Ein Gedanke nagte an seinem Unterbewusstsein: dass er nicht zu Hause war, dass es dort niemals solche Helligkeit gegeben hätte. Aber er verdrängte ihn. Was nützten ihn jetzt Fragen über seine eigentliche Schlafstatt, wenn es ihm nicht einmal gelang, diese hier zu identifizieren?
Er drehte leicht seinen Kopf zur linken Seite und bemerkte, dass er in einem Bett lag. Eine helle Decke war bis zu seinem Hals gezogen und als er seinen Arm ein wenig bewegte, bemerkte er, dass eine Kanüle in seiner Armbeuge steckte. Seine Augen folgten dem Schlauch und weiteten sich, als er den Tropf sah, an den er angeschlossen war. Dieser stand direkt vor einem großen Glasfenster, das jedoch von der Außenseite durch ein Rollo versiegelt wurde. Niemand konnte hereinblicken, aber er konnte auch nicht sehen, was in der Welt außerhalb dieses Zimmers vorging. Offensichtlich eines Krankenzimmers.
War er krank geworden? Hatte man ihn ins Krankenhaus gebracht? Wer? Und warum?
Er drehte seinen Kopf in die andere Richtung und zuckte leicht zusammen, als die Schmerzen in seinem Schädel zu neuem Leben erwachten. Gerade wollte er die Decke über seinen Kopf ziehen und es später noch einmal mit dem Aufwachen versuchen, als er die Gestalt eines jungen Mannes sah, der zu seiner Rechten in einem sehr unbequem wirkenden Stuhl saß und ihn schweigend anstarrte. Er hatte seine Beine übereinander geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haltung verriet Wachsamkeit und eine Ablehnung, für die der Patient keine Erklärung fand. Dennoch verfiel er nicht in Panik, das hätte ihm auch nichts gebracht. Er lag hier in einem Krankenhausbett, war höchstwahrscheinlich verletzt und noch dazu an diverse nervtötend piepende Apparaturen angeschlossen, Weglaufen wäre sinnlos gewesen, selbst wenn er seine Beine dazu bekommen hätte, einen Schritt in Richtung Tür zu wagen.
„Guten Morgen, Jesse. Gut geschlafen?" Die tiefe Stimme klang gleichmäßig, beinahe gefühllos. Der Patient konnte nicht beurteilen, ob der junge Mann ernsthaft um seine Gesundheit besorgt war oder es einfach nur sarkastisch meinte, es war ihm in seinem momentanen Zustand auch vollkommen egal. Deshalb entschied er sich für die freundlichere Variante und schüttelte seinen Kopf. Sofort verstärkten sich die Kopfschmerzen und er griff sich mit der rechten Hand, die wenigstens tropffrei war, an die pochende Schläfe, nur, um zu erkennen, dass man seinen Kopf einbandagiert hatte.
„Grausame Nacht." Flüsterte er und seine Stimme kratzte, als hätte er sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Er versuchte, sich aufzurichten, versagte jedoch kläglich. Sein Körper schien nicht mehr ihm zu gehören und das nervte ihn nun doch ein wenig. „Hat sich jemand die Nummer des Trucks aufgeschrieben, der über mich drübergerollt ist?"
Es war ein Scherz, aber der andere schien es nicht so aufzufassen.
„Darüber reden wir später, Jesse." Der junge Mann erhob sich von dem unbequemen Stuhl und kam zu ihm hinüber. Obwohl er den Patienten noch immer ausdruckslos ansah und wahrscheinlich nicht gerne Krankenschwester spielte, waren seine Bewegungen vorsichtig, als er dem Kranken aufhalf, das Kopfkissen aufschüttelte und es ihm schließlich in den Rücken stopfte. Dann ergriff er das Glas Wasser, das auf dem Nachttisch stand und reichte es an dessen Mund.
„Keine Angst, dass es vergiftet sein könnte?"
Seine Kopfschmerzen ließen ein wenig nach, als er das kühle Nass gierig trank. Anschließend leckte er seine aufgesprungenen Lippen und fragte sich, was er in der letzten Nacht angestellt hatte, um mit einem solchen Kater aufzuwachen. Normalerweise hielt er doch gar nichts auf Alkohol. Oder? Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, jemals in einer Bar gewesen zu sein. Oder?
Ihm wurde schwindelig ob all der vielen Fragen und er verstand nicht den Sinn derjenigen, die ihm der junge Mann soeben gestellt hatte. War das eine Fangfrage? Oder handelte es sich hierbei einfach nur um einen ziemlich skurrilen Humor, den er erst noch durchschauen musste? War er vielleicht so schwer am Kopf verletzt, dass er den Witz dahinter nicht begreifen konnte? Wollte ihn der junge Mann einfach nur aufheitern, da er sah, dass er sich zum Sterben fühlte?
„Wieso? Ist mein Zustand so schrecklich, dass man mich besser einschläfern sollte?" erwiderte er deshalb irritiert und griff sich erneut an den dröhnenden Schädel.
„Lass die Witze, die passen nicht in diese Situation."
„Wieso, du hast doch damit angefangen." Er seufzte tief und lehnte sich gegen das Kissen. „Wenn's dir nicht passt, Krankenpfleger zu sein, dann such dir einen anderen Job aus."
Der junge Mann starrte ihn unverwandt an, was ihm noch mehr auf die Nerven ging. Warum, wusste er selbst nicht. Vermutlich, weil es ihm einfach nicht gut ging. Ohne diese vermaledeiten Kopfschmerzen hätte er über die griesgrämige Art des anderen vielleicht sogar gelacht, nun aber wollte er nur noch allein sein. Allein mit sich und seinem persönlichen Kater von einem Schnaps, an den er sich nicht mehr erinnern konnte.
„Ich bin kein Krankenpfleger." Es war ein monoton gesprochenes Statement und er fragte sich, ob er etwas Wichtiges übersah, denn der junge Mann wirkte noch angespannter, als er sich auf seinen unbequemen Stuhl zurück setzte.
„Na prima, zweitklassiges Personal. Womit hab ich das verdient?"
„Was wäre dir sonst lieber, Jesse? An meiner Stelle hätten hier ganz andere Leute sitzen können, die bestimmt nicht so zimperlich mit dir umgegangen wären."
„Wie bitte?" Langsam verstand er wirklich nur noch Bahnhof. Gab es in diesem Krankenhaus etwa noch kurzangebundeneres Personal? Noch unhöflicheres? War das eine neue Methode, die Patienten so rasch wie möglich aus ihrem Krankenbett zu vertreiben, indem man ihnen schlechtgelaunte, unterqualifizierte Krankenpfleger zur Seite stellte, wenn sie mit dem größten Kater ihres Lebens aufwachten?
„Treib's nicht zu weit, Jesse. Du hast gestern Johnnys Leben gerettet und dafür schulde ich dir was, aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen. Also spuck's aus, was hattest du gestern in der Einkaufspassage verloren gehabt? Was genau ist passiert?"
Die Augen des jungen Mannes musterten ihn eisig und schließlich wich er dem kalten Blick, der ihn ganz und gar nicht behagte, aus. Statt dessen sah er auf seine helle Decke und die weiße Welt verschwamm ein wenig, als er sich auf einen einzigen Fleck konzentrierte und versuchte, seine wirbelnden Gedanken in Einklang zu bringen. Es mochte ihm nicht gelingen. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was geschehen war, er konnte sich ja nicht einmal daran erinnern, dass er in einer Einkaufspassage gewesen war.
„Ich... ich weiß nicht, was gestern los war..." flüsterte er und hielt im nächsten Moment seinen Kopf in beiden Händen, als der Schmerz sich vergrößerte. Laut stöhnte er auf und beugte sich nach vorn, rollte sich auf dem Bett zusammen.
„Jesse?"
Die Stimme drang nur langsam durch die Pein zu ihm und es kostete ihn viel Überwindung, seine Augen zu öffnen. Der junge Mann saß nicht länger auf dem Folterinstrument von Stuhl, sondern schien vor seinem Bett zu knien. Die Gleichgültigkeit war aus seinem Gesicht verschwunden, einer Maske gleich, und offenbarte Besorgnis. Besorgnis um ihn.
„Jesse? Sag was! Alles in Ordnung?"
Im Hintergrund wurde eine Tür geöffnet und die eisblauen Augen des jungen Mannes verließen ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde.
„Rufen Sie den Arzt, Schwester. Er ist aufgewacht und scheint Schmerzen zu haben." Rief er jemandem am anderen Ende des Zimmers zu, den der Patient jedoch nicht sehen konnte. Die undurchdringbare Dunkelheit lauerte am Rande seines Bewusstseins und so konzentrierte er sich voll und ganz auf den jungen Mann vor sich.
„Wenn du kein Krankenpfleger bist..." brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und schloss gequält seine Augen, als sich die Welt um ihn herum zu drehen begann. „... wer bist du dann?"
Daher konnte er nicht Sabers verwirrten Gesichtsausdruck sehen.
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„Er hat Amnesie."
Saber saß im Büro des Chefarztes und blickte den Mann mittleren Alters mit schütteren Haar konfus an. Natürlich kannte er solche tragischen Sätze, die in jeder Episode der Krankenhausserie ausgesprochen wurden, die Johnny so gern sah. Aber dabei handelte es sich doch um Fiktion und den Drehbuchautoren fiel nach dem fünften Seitensprung, dem dritten Kind und der zweiten Gehirntransplantation eben einfach nichts Spannenderes ein, als dem Haupthelden seiner Erinnerungen zu berauben. Der Star Sheriff hätte es jedoch nie für möglich gehalten, dass ihm das im realen Leben auch geschehen könnte. Dass es medizinisch passieren konnte, dass ein Mensch sein Gedächtnis und damit seine Identität komplett verlor. Von heute auf morgen. Bumm! Man wachte auf und war plötzlich nicht mehr sich selbst. Man war mit einem Mal niemand mehr.
„Amnesie?" fragte April, die neben ihm auf einem bequemen Ledersessel saß. Sie klang ähnlich überrascht.
„Ja, Gedächtnisverlust. Höchstwahrscheinlich verursacht durch die Kollision mit einem Teil des Konvois." Der Arzt erhob sich und schritt an seinem Schreibtisch vorbei an die Wand, auf die mehrere Bilder projiziert wurden. Bilder vom Inneren von Jesses Kopf. Gleich nachdem dieser aufgewacht war, hatte der Arzt mehrere Tests angeordnet und dabei herausgefunden, dass sein Kopf eine starke Gehirnerschütterung erlitten hatte und sich sein Kopf dadurch schützte, indem er nur noch lebenswichtige Informationen an den Geist weitergab. Der Gehirnerschütterung konnte man medikamentös rasch beikommen, dem Gedächtnisverlust jedoch weniger.
„Er kann sich weder an das Geschehen von gestern erinnern, noch weiß er, wer er selbst ist. Im Moment scheint ihn das nicht weiter zu stören, vermutlich hat er den Ernst seiner Lage noch nicht begriffen." Der Arzt seufzte und fuhr sich über den Rücken seiner Nase.
„Wie lange kann dieser Zustand anhalten?" fragte April, nachdem der ältere Mann Saber eine Weile schweigend angesehen hatte, dieser jedoch nicht reagierte.
„Das kann ich leider nicht beurteilen. Es kann sich um Wochen, vielleicht sogar um Jahre handeln. Es besteht sogar ein hoher Prozentsatz, dass er sich nie wieder erinnern wird."
Schweigen kehrte in den Raum ein. Betroffenes Schweigen, das der Chefarzt in seinen vielen Dienstjahren schon sehr oft erlebt hatte. Seiner Erfahrung nach war es am besten, den Patienten beizustehen und sie erst einmal den Schock verdauen zu lassen. Dennoch konnte er gewissen Fragen nicht länger im Raum hängen lassen.
„Sie sagten, es handle sich bei dem jungen Mann um einen gewissen Jesse Blue."
April sah kurz zu Saber hinüber, der noch immer einen Punkt auf dem Schreibtisch des Doktors fixierte. Von ihm konnte sie im Moment wohl keine Hilfe erwarten. Also lächelte sie den Arzt tapfer an.
„Ja, das ist richtig."
Der Doktor nickte, rannte nicht sofort zum Kommunikator und rief das Oberkommando an. Natürlich nicht. Dass es sich bei Jesse Blue um einen Überläufer handelte, der der Menschheit den Rücken zugekehrt hatte und für die Outrider arbeitete, war kein Allgemeinwissen. Die Presse wurde damals aus dem Fall herausgehalten und nur die Star Sheriffs wussten darüber Bescheid. Jesse war rechtlich gesehen ein Verräter, würde von jedem Richter sofort ins Gefängnis gesteckt werden, aber offiziell wussten Außenstehende nichts von seinem Lebenslauf. Innerhalb Yuma Citys war er nur eine Akte. Jeden Kampf gegen das Team von Ramrod, jegliche Spionage, jede weitere hinterhältige Tat hatten sie nie katalogisiert, nie aufgezeichnet. Saber, der den Großteil der Berichte anfertigte, ließ diesen Faktor aus. Zu Beginn in der Hoffnung, einem jungen Kadetten eine zweite Chance zu geben, sollte er seine Fehler einsehen. Und danach... ja, danach hatte der junge Schotte andere Gründe gehabt, die Akte des Blauhaarigen nicht weiter anwachsen zu lassen.
„Können Sie mir weiterhelfen, wo ich seine Verwandten finde oder sonst irgend jemanden? Ich bräuchte da ein paar Auskünfte über seine Krankenakte und Versicherungen."
Jetzt endlich hob Saber seinen Kopf und April konnte deutlich den Gedanken auf seinem Gesicht sehen. Dass Jesse, sollten sie dem Doktor die Wahrheit sagen und das Oberkommando anrufen, sofort ins Gefängnis gesteckt werden würde - und nicht einmal wusste, warum. Für Verbrechen zu sühnen, an die man sich nicht einmal erinnern konnte, erschien selbst April grausam, obwohl sie wusste, dass Jesse Blue jede einzelne Strafe für seine Sünden verdient hatte.
„Also..." hob sie zum Sprechen an, aber sie wurde von einer jungen Frau unterbrochen, die kurz klopfte und dann das Zimmer betrat. Sie fuhr ihre rechte Hand durch ihre schulterlanges, braunes Haare und rückte ihre Brille zurecht. Ihre Miene erhellte sich, als sie die beiden Besucher sah.
„April. Saber. Ich hoffe, ihr seid nicht der Grund, warum ich hier bin." Lächelte sie und noch bevor sie hatten reagieren können, hatte sie ihnen die Hände geschüttelt, wobei sie Sabers rechte Hand für einige Augenblicke festhielt und skeptisch betrachtete.
„Nein, Claire. Wir nicht. Freut mich trotzdem, dich wiederzusehen." Lächelte April zurück und war dankbar, endlich einen Menschen zu sehen, der nicht so bedrückt drein schaute.
„Ganz meine Ehre." Sie drehte Sabers Hand leicht hin und her und beäugte sie fachmännisch. Der junge Schotte ließ sie gewähren, verdankte er es zum Großteil ihrem Fachwissen, dass er jetzt keine Prothese brauchte. „Gut verheilt. Ich sehe, du hast meine Ratschläge befolgt."
„Selbstverständlich." Sabers Lächeln war müde und erinnerte sie an den eigentlichen Grund ihres Kommens. Normalerweise arbeitete sie in der Unfallchirurgie, aber der Chefarzt hatte um eine zweite Meinung gebeten und da war sie sofort nach ihrem Dienstantritt in die ersten Etage des großen Krankenhauses geeilt.
„Du sagtest, es ginge um einen Amnesie-Fall, Sam?" Sie trat neben ihren Kollegen und betrachtete die Aufnahmen genauer, wobei sie ihre Brille mehrmals abnahm und wieder aufsetzte. Schließlich lehnte sie sich leicht zurück und nickte. „Ich stimme dir zu, sieht ziemlich schlimm aus. Ansonsten irgendwelche anderen Verletzungen?" Sie ergriff eine kleine Chipkarte, die ihr die spärlichen Daten des Kranken anzeigte.
„Nein, nur ein paar Schürfwunden."
„Ein Konvoi, sagtest du?"
„Ja."
„Muss ja ein ganzes Heer von Schutzengeln gehabt haben."
„Genauso wie die zwei Jungen."
„Jungen?"
„Ja, er hat sie zur Seite geschoben, sonst wären sie alle drei überrollt geworden."
„Und dafür erhält er eine Amnesie. Undankbare Welt." Sie seufzte und rauschte zur Tür hinüber, beachtete die beiden Star Sheriffs nicht weiter. Sie nahmen es ihr nicht übel, hatten sie mit ihr dieselbe Universität besucht und wussten, dass sie immer alles um sich herum vergaß, wenn sie in ihren Arzt-Modus rutschte, wie sie es selbst nannte. „Dann sehen wir uns den Patienten doch mal live und in Farbe an. Ein Konvoi..." Sie schüttelte ihren Kopf und lief bereits den Gang entlang, dicht gefolgt von dem Oberarzt und den beiden Star Sheriffs. „Das Wunder kann ich mir doch nicht entgehen lassen."
Zielsicher schritt sie den Gang entlang und bald befanden sie sich wieder auf bekanntem Territorium. Saber runzelte seine Stirn, als er schon von Weitem sehen konnte, dass Jesse nicht allein in seinem Zimmer war. Das Fenster war nicht länger verhangen, bot wieder vollen Einblick in den Raum. Für einen Moment dachte der junge Schotte entsetzt, dass vielleicht doch jemand das Oberkommando angerufen hätte und sie nun kämen, um Jesse fortzunehmen, noch bevor er überhaupt die Chance gehabt hatte, mit ihm auf einer vernünftigen Basis, ohne Waffen und ohne ein brennendes Outriderschiff im Hintergrund reden zu können. Dann aber erkannte er zwei ihm nur all zu bekannte Gestalten und sein Herzschlag beschleunigte sich, als er Alex und Johnny sah, die am Fuße des Krankenbettes saßen und fröhlich vor sich hingrinsten.
Automatisch tastete Saber nach seinem Blaster und bemerkte, dass April neben ihm das Gleiche tat. Was war, wenn Jesse sich nur verstellt hatte und nun die beiden Jungen als Geiseln nahm, um sicher aus dem Krankenhaus zu entkommen? Dann befanden sie sich in Lebensgefahr. Saber hatte Johnny nie wieder in einer Situation wie dieser sehen wollen. Nie wieder!
„So viele Patienten auf einmal." Claire hatte das Zimmer betreten, noch bevor die Star Sheriffs sie hatten warnen können, und lächelte die Personen in den weißen Schlafanzügen fröhlich an. „Hallo, Johnny. Hallo, Mister MacLeth."
Die Jungen grinsten noch mehr und Alex versuchte, etwas in seinem Schlafanzug zu verstecken. Alle in dem Raum sahen, dass es sich dabei um Kekse handelte, die er zum Frühstück vor zwei Stunden erhalten hatte, aber alle sahen darüber hinweg. Für diesen Jungen galten andere Regeln, überall in Yuma City. Außerdem war es nicht strafbar, sein Frühstück mit sich herumzutragen. Wohingegen es gegen die Krankenhausvorschriften verstieß, dieses auf die Intensivstation zu schleppen.
„Warum sind meine zwei liebsten Patienten nicht in ihren Betten?" Claire schritt um das Bett herum und scheuchte die Jungen freundlich, aber bestimmt von der Matratze.
„Liebste Patienten!" murrte Alex, der in seinem ganzen Leben noch nie eine Nacht im Krankenhaus hatte zubringen müssen, Johnny jedoch einmal begleitet hatte, als sich dieser beim Radfahren verletzt hatte. Claire hatte damals noch in der Notaufnahme gearbeitet und sich um die beiden Trauerklöße gekümmert.
„Wir wollten uns bei unserem Retter bedanken." Erklärte Johnny leise und errötete leicht, weil es ihm peinlich war, vor dem Oberarzt ihm Schlafanzug zu stehen.
„Gern geschehen." Antwortete der Patient gutmütig und lächelte, als die zwei Jungen aus dem Zimmer gescheucht wurden, dicht gefolgt von einer Krankenschwester, die alles andere als begeistert aussah, auf diesen Sack Flöhe aufpassen zu müssen. Seine eisblauen Augen schweiften von dem Fenster zurück in den Raum und blieben für einige Momente an dem jungen Mann hängen, der ihn wieder kühl musterte, so wie vor wenigen Stunden, als er aufgewacht war. Seitdem hatte er viele Tests erdulden müssen und man gab ihm einige Spritzen, die seine Kopfschmerzen vertrieben und frische Kraft in seinen Körper zu pumpen schienen. Obwohl er sich noch ein wenig schwindelig fühlte, glaubte er, dass er in der Lage war, ohne Hilfe vom Bett aufzustehen und umher zu laufen. Ja, er verspürte sogar wieder ein wenig Hunger, obwohl sein Magen zu Tagesanbruch noch nicht zu existiert haben schien.
„Sie sind also der Superman, der sich so wagemutig vor den Konvoi geworfen hat." Die junge Ärztin lächelte ihn freundlich an und hob ein kleines Gerät, das sie gegen seinen Kopf hielt. Ihr Lächeln bröckelte ein wenig, blieb aber standhaft.
„Ja." Gab er zu und zuckte seine Schultern. „Zumindest erzählen mir das alle."
„Und Ihr Name ist Jesse?" Sie warf einen kurzen Blick auf den Chip in ihrer anderen Hand. „Jesse Blue?"
„Sieht so aus." Er grinste schief und fragte sich, warum er nicht in Panik verfiel. Immerhin hatte er keinen blassen Schimmer, wo er sich befand, was er gestern, vorgestern oder gar letztes Jahr getan hatte. Und um all dies noch zu toppen, hatte er auch überhaupt keine Ahnung, wer er war. Wer seine Eltern waren. Ob er Familie hatte. Ob eine Freundin irgendwo auf ihn wartete und Angst um ihn hatte. Hatte er einen sportlichen Wagen? Oder einen Hund? Suchte seine Mutter nach ihm? Wie alt war er überhaupt? Zu alt für solche Gedanken? Oder noch zu jung?
„Sie sind laut ihren biologischen Daten zwanzig Jahre alt." Erklärte die Ärztin, als habe sie seine Gedanken gelesen.
„Ich werd's nicht abstreiten."
„Leider trugen Sie keinen Ausweis bei sich, wir haben daher keine Adresse von Ihnen. Können Sie mir sagen, wo sie wohnen? Kommen sie aus Yuma City?"
„Nein... ich weiß nicht..."
„Können Sie sich an irgendetwas erinnern?"
„Nein..." Jesse, so hieß er doch, oder, ließ seinen Kopf hängen und fühlte sich auf einmal sehr allein. Noch immer blieb die Panik aus, dafür drohte ihn eine große Leere zu überwältigen. Nein, er wusste nicht, wer er war. Demzufolge wusste er auch nicht, wo er hingehörte, wohin er gehen konnte, wenn das Krankenhaus ihn entließ. „An absolut nichts..."
„Er gehört zu uns."
Jesse blickte beim Klang der tiefen Stimme auf. Der junge Mann, der an seinem Bett gesessen hatte, als er aufwachte, war einen Schritt in die Mitte des Raumes getreten und blickte die beiden Ärzte entschlossen an. Die junge Frau hinter ihm schob sich einige Strähnen ihres weizenblonden Haares aus den Augen und musterte ihn. Ein trauriges Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Ein trauriges und zugleich verständnisvolles.
„Sie wissen also Näheres?" Der Chefarzt reichte Claire einen Chip, auf dem sie ihre Signatur hinterlassen musste und drehte sich erleichtert zu den beiden jungen Menschen um. Jesse musterte sie schweigend, war innerlich zugleich verwirrt als auch froh, dass er nicht für die nächste Zeit, oder sogar für den Rest seines Lebens, im Dunkeln tappen müsste, nicht wissend, wer er war und wo er herkam.
„Ja. Er ist ein Star Sheriff, der oft auf Patrouille ging und der oft in Kämpfe mit den Outridern verstrickt gewesen war."
April bewunderte ein weiteres Mal die diplomatische Art ihres besten Freundes. Zweideutiger hätte sie es nicht ausdrücken können, zumindest nicht mit einem so ernsten, einem so überzeugten Gesichtsausdruck. Saber hatte sich unmerklich versteift und seine Hand umklammerte noch immer den Griff seines Blasters. Keiner sah seine Nervosität außer ihr, zum Glück.
„Vermutlich warst du gerade auf Landurlaub, Jesse." Saber wandte sich dem Bett zu und Jesse nickte offensichtlich verwirrt, so als würde er jedes Wort, das sie ihm vorwarfen, für bare Münze nehmen. Entweder hatte der junge Mann wirklich sein Gedächtnis verloren und glaubte jede noch so große Lüge über seine Identität. Oder aber er war der größte Schauspieler, den April jemals gesehen hatte.
Dennoch vertraute die junge Frau in das Urteil von zwei fachkundigen Ärzten - und wollte ebenfalls darauf hoffen, dass Jesse ihnen nicht das Theater ihres Lebens lieferte, indem er den hilflosen Kranken mimte.
„Gut möglich... und wer bist du? Sorry, ist mir wohl gerade entfallen." Jesse schien sein Gedächtnis, nicht aber seinen Galgenhumor verloren zu haben.
„Ich bin Saber." Der junge Schotte zögerte nur einen Moment, bevor er näher an das Bett heran trat und seine beiden Hände auf den Rahmen legte. „Ein guter Freund."
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„Père hat angerufen." Sagte April und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken, als sie zu Saber heran trat, der bewegungslos vor dem Fenster stand und auf einen schlafenden Jesse herab blickte. Die letzten Stunden hatten sie in Claires Begleitung zugebracht, hatten sich von ihr Aufnahmen von Jesses Kopf erklären lassen und sogar gemeinsam Fachliteratur zu dem Thema Amnesie durchstöbert. Mit dem Ergebnis, dass die Prognosen nicht gut standen. Es gab eine reale Chance, dass der junge Mann nie wieder sein Gedächtnis zurückerhalten würde. April hatte das Blitzen in Sabers Augen gesehen und gewusst, was in ihm vor ging. So wie sie das ihr ganzes Leben lang gewusst hatte.
„Worum ging es?" Saber blickte auf seine Armbanduhr und stöhnte. „Es ist schon später Nachmittag und ich bin nicht auf Arbeit erschienen."
„Das hat er gar nicht erwähnt. Aber er meinte, dass er die Genehmigungen für unseren Umbau an Ramrod bekommen hat. Er würde sie dir gerne persönlich übergeben. Er hat noch ein paar Fragen zu den Triebwerken."
Saber nickte stumm. Kommandeur Eagle war einer der Wenigen, der sich wirklich für Ramrod als technisches Kunstwerk interessierte und in der Maschine nicht nur ein gewaltiges Streitschiff sah, das als einziges seiner Art den Outridern Stand halten konnte.
„Ich ruf ihn gleich an und sag, dass ich in einer halben Stunde bei ihm bin." Müde schloss er seine Augen und April fiel erst jetzt auf, wie erschöpft er wirkte. Die letzte Nacht hatte er nicht geschlafen, war seit über vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Aber er würde noch einmal in die Zentrale fahren, nicht nur, um mit ihrem Vater zu sprechen.
„Claire hat gesagt, dass er morgen entlassen werden kann, wenn sich sein Zustand weiterhin bessert. An der Amnesie können sie im Krankenhaus sowieso nichts ändern."
„Ja."
„Und du willst ihn morgen abholen."
„Ja." Saber öffnete seine Augen und schaute zu der schlafenden Gestalt hinüber. Die Schwestern hatten Jesse nach dem Mittagessen, das er sehr hungrig zu sich genommen hatte, weitere Medizin verabreicht und seitdem war der junge Mann in einen heilsamen Schlaf gesunken, aus dem er vor dem nächsten Morgen auch nicht mehr erwachen würde. Genügend Zeit für seinen Körper, um sich vollständig zu regenerieren. Jedoch nicht genug für sein Gedächtnis.
„Du bist dir der Gefahr bewusst." Es war keine Frage, vielmehr eine Feststellung. Saber nickte und seufzte tief, als April näher an ihn heran trat und sanft seinen rechten Arm berührte.
„Sag mir, was ich sonst tun soll. Er kann sich an absolut nichts erinnern. Er hat nirgendwo, wo er hingehen könnte."
„Du willst ihn in unserem Haus einquartieren."
„Soll ich stattdessen eine Wohnung anmieten, in der er dann ganz allein sitzt und sich und die Welt nicht mehr versteht?"
„Lass mich das noch einmal zusammen fassen, Saber. Du willst Jesse Blue, der dich verabscheut und schon unzählige Male versucht hat umzubringen, in dein Heim holen? Immer mit dem Wissen, dass er sich innerhalb der nächsten Minuten an seinen Hass erinnern könnte und dann wie ein Wilder um sich schießt? Du willst die Gefahr eingehen, die von einem Überläufer ausgeht, der bei dem Versuch, Johnny und Alex zu retten, sein Gedächtnis verloren hat? Einen gefährlichen Verbrecher, von dem wir noch nicht einmal wissen, was er überhaupt in der Nähe unserer Jungs verloren hatte?"
Saber musterte die schlafende Gestalt hinter der Glasscheibe, dann blickte er April schweigend an. Sie sah den Kampf, der in ihm tobte. Auf der einen Seite stand der immer loyale, immer pflichtbewusste Star Sheriff, der das Oberkommando rufen und Jesse Blue wegsperren lassen sollte. Auf der anderen Seite konnte sie den Saber erkennen, der so sehr seiner Mutter glich, die immer gütig gewesen war, so vieles vergeben konnte. Wie viel, das erfuhren sie erst lange nach ihrem Tod.
„Claire sprach von einer achtzigprozentigen Wahrscheinlichkeit, dass Jesse sein Gedächtnis nie wieder erlangt. Er hätte die Chance, noch einmal ganz von vorn zu beginnen, ohne die Vorurteile und den Neid. Er könnte ein ganz anderes Leben führen."
April verstärkte ihren Griff um seinen Arm sanft und lehnte ihren Kopf gegen seine starke Schulter, spürte, dass auch er sehr erschöpft war, einfach nur nach Hause wollte.
„Sind es die zwanzig Prozent wirklich wert, dieses hohe Risiko einzugehen?"
„April, ich..."
„Was auch immer deine Entscheidung ist, Saber, ich werde sie akzeptieren. Wir sind immer zusammen durchs Feuer gegangen, du und ich. Ich werd dich hier nicht im Stich lassen. Aber denk bitte auch an Fireball, Colt und Johnny. Du hast auch für sie die Verantwortung als Anführer und Freund. Sind es die zwanzig Prozent wirklich wert?"
„Ich..." Saber drehte sich zu ihr und nahm sie in den Arm, suchte Wärme und Verständnis in ihrer Nähe. Sie gab ihm beides ohne zu zögern. „Ich denke, dass Jesse es wert ist. Außerdem bin ich es ihm schuldig."
„Du und dein verquertes Ehrgefühl." Scherzte die jung Frau und seufzte leise. „Dabei ist er es, der die Fehler begangen hat. Er, nicht du."
Saber schwieg daraufhin, hielt sie sanft fest und schaute wieder zurück in das Krankenzimmer, zu der Gestalt unter der weißen Decke, die so friedlich aussah. So entspannt, wie der junge Schotte sie noch nie gesehen hatte. So frei von Hass.
„Wenn ich es eher gewusst hätte, hätte ich diese Fehler verhindern können."
„Vielleicht."
„Ich war die letzten zwanzig Jahre nicht für ihn da, April. Klingt es egoistisch, wenn ich es jetzt sein möchte, jetzt, da mir diese Chance vergönnt ist?"
„Nein, es klingt nur verdammt edelmütig." April lächelte traurig, bevor sie sich aus Sabers Umarmung löste. „Okay. Besuch du meinen Vater, ich fahre derweil unsere Jungs nach Hause und spendiere ihnen die versprochene Pizza."
„Danke."
Saber sah erleichtert aus, als er seinen Kommunikator aus seinem mittlerweile zerknitterten Anzug holte, der die letzten vierundzwanzig Stunden viel erlebt hatte, und sich zum Gehen umwandte.
„Saber?"
„Ja?"
„Versuch, nicht all zu spät nach Hause zu kommen, wir haben morgen viel vor."
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Saber legte behutsam seine Identifikationskarte auf die Garderobe des Vorbaus und streifte seine Schuhe ab, eine Angewohnheit, die Fireball sehr schnell in sie alle getrimmt hatte, da er es nicht einsah, warum sie im Winter das Haus unnötig verdreckten. Sie alle erkannten den Sinn hinter seiner Aufforderung und gehorchten. Alle, bis auf Colt, der es sich niemals angewöhnen würde, seine schlammigen Stiefel auszuziehen oder gar abzuwischen. Dies führte oftmals zu lauten Streitereien zwischen den zwei kampflustigen Teamkameraden, wenn es auch nur ein willkommener Grund war, um sich gegenseitig aufzuziehen. Wirklich böse waren die beiden nie aufeinander, dafür hatten sie auf dem Schlachtfeld schon zu viel erlebt, als dass eine Nichtigkeit wie das Aufeinanderprallen zweier Kulturen sich zwischen sie stellen konnte.
Der junge Schotte streckte seinen steifen Rücken und stöhnte leise, als er die verspannten Muskeln spürte. Nein, er wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn die zwei Streithähne von ihrer Mission zurückkehrten. April hatte immer bedingungslos hinter ihm gestanden, aber weder der Japaner noch der Amerikaner würden seine Entscheidung akzeptieren oder gar verstehen. Mit Sicherheit würden sie ihn für vollkommen verrückt erklären. Aber bis dahin waren noch einige Tage Zeit, das Treffen im Land der aufgehenden Sonne war für knapp eine Woche ausgelegt. Also noch genug Stunden, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Später. Viel später. Wenn er wieder klar denken konnte. Wenn er nicht mehr so verdammt müde war.
Leise öffnete Saber die Tür, die ihn direkt in das Innere des Hauses führte. Dicke Teppiche dämpften seine Schritte. Zwar hatte er auf ein großes Gebäude bestanden, April jedoch hatte sich bei der Inneineinrichtung durchgesetzt und ihrem Heim eine Gemütlichkeit gegeben, die er seit dem Tod seiner Mutter in dem väterlichen Schloss schmerzlich vermisst hatte. Hier hingen keine alten, verstaubten Ölgemälde an den Wänden, sondern digitale Photos tapezierten fast jede freie Stelle im Flur. Saber schlich an ihnen vorbei und nahm nur halbherzig wahr, dass wieder ein paar mehr aufgehangen worden waren. April investierte viel Zeit und Geld in dieses spezielle Hobby. Er würde sich die Bilder am Tag betrachten und ihr seine Anerkennung aussprechen. Falls er am nächsten Morgen überhaupt dazu kommen sollte.
„Saber?"
Die Tür zum Wohnzimmer wurde aufgeschoben und die junge Französin erschien im Rahmen. Sie trug bereits ihr dunkelrotes Nachthemd und hatte die Decke des Sofas um ihre Schultern geschlungen. Ihre müden Augen verrieten, dass sie auf ihn gewartet hatte - und darüber eingeschlafen war. Schuldbewusst schielte er zur Uhr und musste sich eingestehen, dass es wieder viel später geworden war, als er das beabsichtigt hatte. Um Stunden später. Zwei Stunden nach Mitternacht, um genau zu sein.
„Tut mir leid, April, aber ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen."
„Ich weiß." Sie gähnte und tapste zu ihm hinüber. „Pizzareste sind noch in der Küche, solltest du Hunger haben. Alex ist nach Hause gegangen, damit seine Familie daran erinnert wird, dass es ihn auch noch gibt. Sonst noch was?" Sie überlegte kurz, dann gähnte sie erneut und fuhr sich durch die zerwühlten Haare. „Ach ja, der Doc will morgen noch Jesses Versicherungsnummer haben, aber ich schätze mal, dafür hast du schon gesorgt, sonst wär's nicht so spät geworden." Ein weiteres Gähnen folgte ihren leisen Worten. „Wir können ihn morgen gegen zehn Uhr abholen, sollte Claire nichts an Jesses körperlichem Zustand auszusetzen haben. Deswegen geh ich jetzt ins Bett. Und du solltest das auch tun."
„Werd ich." Saber konnte sein eigenes Gähnen kaum zurückhalten. Sein Körper forderte allmählich seinen Tribut, erinnerte ihn verbittert, dass er nun seit etlichen Stunden ohne Schlaf auf den Beinen war. Jegliches Adrenalin war abgebaut und eine schwere Müdigkeit breitete sich in ihm aus.
„Bis morgen, Saber."
„Bis morgen. Schlaf gut, April."
Die junge Frau nickte nur und lief hinüber zu ihrem Raum. Kein Licht schimmerte durch die Ritze hindurch, vermutlich fiel April sofort in ihr Bett, schlief ein, noch bevor sie die Matratze unter sich spürte.
„Bis morgen.." wiederholte Saber flüsternd und kletterte so leise wie möglich die Treppe empor, die zu den restlichen Schlafzimmer und dem zweiten Bad des Hauses führte. Die Stufen waren ihm schon lange nicht mehr so hoch vorgekommen. Aber er schaffte es und betrat endlich sein Zimmer. Er scherte sich ebenfalls nicht um das Licht und griff zielsicher nach seinem Schlafanzug. So verführerisch eine warme Dusche jetzt auch klang, er verschob es auf den nächsten Morgen. Rasch, was in seiner Verfassung eher im Schneckentempo vonstatten ging, zog er sich um und seufzte genüsslich auf, als er in sein weiches Bett fiel. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie hart und unbequem der Stuhl in Jesses Krankenzimmer wirklich gewesen war. Vielleicht sollte er mal mit Claire sprechen und dem Krankenhaus ein paar bequeme Ohrensesseln schenken, Hygienevorschriften hin oder her.
Der junge Schotte schloss seine brennenden Augen und war beinahe in das Reich der Träume entglitten, als er das Summen einer Tür und im Anschluss daran das Geräusch all zu bekannter Schritte hörte, die rasch über den weichen Untergrund liefen. Noch bevor er richtig registrieren konnte, was geschah, wurde auch schon seine Decke gelüftet und ein Schatten kroch neben ihn in sein Bett. Saber korrigierte den Stoff und klopfte ihn um die zitternde Gestalt behutsam fest, so wie er das während der letzten Monate oft getan hatte. Seit jenem denkwürdigen Vorfall, der ihm lehrte, dass er trotz aller Macht, die das Oberkommando und der Reichtum seines Vaters ihm verliehen, nicht allmächtig war.
„Alptraum?" murmelte er und hätte sich für seine Müdigkeit am liebsten geohrfeigt. Der Junge brauchte jetzt seinen Beistand, nicht sein unterdrücktes Gähnen!
„Hm." Nickte Johnny und schluchzte leise. Es gab Nächte, in denen er seiner Ängste und Erinnerungen Herr wurde. Und dann gab es eben noch Nächte wie diese, in denen er einfach nicht allein sein wollte. Besonders schlimm wurden sie, wenn sein Bruder nicht da war. So wie damals, als er ihn am meisten brauchte.
„Alles in Ordnung." Saber fuhr sanft durch dunkelblonde Strähnen. „Hier kann dir nichts geschehen."
Aber so recht mochte er seinen eigenen Worten nicht Glauben schenken. Immer wieder dachte er an Jesse, den Verräter, den er morgen in dieses Haus bringen würde. Sollte der ehemalige Kadett seine Erinnerungen jemals wieder erhalten, dann würden diese Wände alles andere als sicher sein, sondern sich in kürzester Zeit in eine Todesfalle verwandeln. Obwohl Saber hundemüde war, fand er etliche Stunden später noch immer keinen Schlaf. Schweigend musterte er die schlafende Gestalt des Jungen neben sich und fragte sich, ob er die richtige Entscheidung traf oder ob April Recht hatte und ob es diese zwanzig Prozent überhaupt wert waren. Ob Jesse es wert war. Schließlich trug Saber die Verantwortung gegenüber Fireball, Colt und Johnny. Besonders Johnny, der eine intakte Familie, so chaotisch sie auch aussehen mochte, dringend benötigte. Einen sicheren Halt in der Welt. Jemand, der ihm zeigte, dass er bedingungslos geliebt wurde, dass er zu ihnen gehörte, egal, was Alex und er auch anstellten. Andererseits, hatte das Jesse nicht auch verdient? Trotz seiner Fehler und seines Hasses dem jungen Schotten gegenüber? Hatte nicht jeder von ihnen das Recht auf eine zweite Chance, besonders, wenn diese über achtzig Prozent betrug? Würde es ihm, Saber, gelingen, Jesse all das zu geben, was er die ganzen Jahre schmerzlich vermisst hatte? So schmerzlich, dass er verbittert zu den Outridern lief und damit seine Zukunft buchstäblich wegwarf? Konnte er Jesse davon überzeugen, dass er hier ein Zuhause hatte, wenn er das nur wollte, sollte er sein Gedächtnis doch wieder erlangen?
„Warten wir morgen ab..." flüsterte Saber mehr zu sich selbst als zu Johnny, der sich gerade um hundertachtzig Grad drehte und sein Kopfkissen umarmte, das er aus seinem Zimmer mitgebracht hatte.
Morgen wäre Jesses Feuerprobe. Wenn er auch nur den Hauch von Gefahr zeigte, dann würde Saber ihn zurück ins Krankenhaus oder eine Einrichtung für spezielle Patienten wie ihn bringen. Obwohl er natürlich hoffte, dass sich der ehemalige Kadett seines Gedächtnisverlustes entsprechend benahm. Dass alles wieder gut werden würde. So wie Saber das vor über einem Jahr Johnny versprochen hatte.
Mit diesem Gedanken schlief er endlich ein, als die Dämmerung bereits hereinbrach.
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„Er hat also sein Gedächtnis verloren und wird die nächste Zeit bei uns wohnen?" Johnny flüchtete aus dem Behandlungsraum, in dem ihm Claire noch einmal untersucht hatte, um sicher zu gehen, dass er sich bei dem Unfall auch wirklich nichts getan hatte. Der junge Amerikaner hasste Krankenhäuser, Ärzte, sprich alles, was mit spitzen Nadeln zu tun hatte. Draußen schienen die zwei Sonnen Yuma Citys voller Wärme und er wollte an die frische Luft, um seine Freiheit noch ein wenig zu genießen. Schließlich musste er morgen wieder in die Schule, eine Tatsache, die ihn nicht unbedingt begeisterte.
„Ja." Saber sah sich kurz um, aber leider waren sie nicht allein. April und der Chefarzt befanden sich bereits vor Jesses Zimmer. Der ehemalige Kadett trug braune Cowboyhosen und ein weißes Hemd. Colt hatte in etwa seine Größe und die Kleidung passte, wenn man einen Gürtel benutzte. April, die die Sachen herausgesucht hatte, da Jesses eigener Anzug während des Unfalls hoffnungslos ruiniert worden war, meinte scherzend, dass sie Colt wohl auf Diät setzen müsste, nicht, dass er eines Tages zu dick für sein Modul in Ramrod wäre.
„Und er ist ein Arbeitskollege, hab ich das richtig verstanden?" Johnnys Augen leuchteten fröhlich. Vermutlich mochte er den Gedanken, dass das Haus die nächsten Wochen nicht so leer sein würde, wenn er von der Schule zurück kam. Obwohl das in der nahen Zukunft sowieso nicht der Fall wäre. Saber würde in der nächsten Zeit zu Hause arbeiten, egal, was die Obersten davon auch hielten. Er wäre verdammt, wenn er Jesse in seinem Zustand mit Johnny auch nur eine Minute allein ließ.
Ja, er wollte dem ehemaligen Kadetten eine zweite Chance geben, aber nicht zu jedem Preis.
„Es ist etwas komplizierter als das." Saber wusste, dass er dem jungen Amerikaner die Wahrheit sagen sollte. Zumindest die offizielle. Er würde es ja sowieso von seinem Bruder erfahren, wenn dieser aus Japan zurück kehrte. In hoffentlich erst zwei oder drei Tagen. Damit er noch ein wenig Zeit fand, um sich eine ausgefeilte Ausrede einfallen zu lassen, die Fireball und Colt schlucken würden, warum er, ausgerechnet er, Jesse Blue half.
„Star Sheriff Business?"
"Ja."
"Erste Regel: Kein Wort über die Arbeit in der Öffentlichkeit. Kein Problem, dann sag's mir später." Johnny grinste und Saber beugte sich automatisch über ihn und korrigierte den Kragen seiner dunklen Weste, die er über einem hellen Hemd trug. Stiefel und eine alte Lederhose vervollständigen den Eindruck, dass Johnny nicht in Yuma City, sondern auf einer Ranch in Texas aufgewachsen war. Egal, wo er sich auch befand, er schien immer bereit zu sein, das Lasso zu schwingen und ein wildgewordenes Pferd einzufangen. In dieser Hinsicht ähnelten sich die beiden Brüder ungemein. Mit lediglich der Ausnahme, dass Johnny es schaffte, bei offiziellen Angelegenheiten auch mal einen Anzug zu tragen, was man von Colt leider nicht behaupten konnte.
Saber wollte etwas sagen, das ihn selbst beruhigte, dass er das Richtige tat, aber er fand nicht die magischen Worte. Also nickte er nur und ging hinüber zu April, die eine dunkelgrüne Scheibe in ihren Händen hielt und ein wenig verzweifelt darauf starrte. Der junge Schotte verstand sofort. Er nahm ihr das Formular ab, auf dem noch Jesses Versicherungsnummer und Adresse fehlten. Kurz überflog er die digitalen Angaben und erkannte, dass April alle anderen Fragen mit einer Zweideutigkeit ausgefüllt hatte, die er selbst nicht besser formuliert hätte. Er griff in die Westentasche seines Anzuges und holte einen kleinen Chip hervor, den er während des letzten Abends gefüllt hatte. Er saß direkt an der Quelle, verfügte über ausgezeichnete Computerkenntnisse und entsprechende Passwörter, es war ihm ein leichtes, für Jesse Blue eine neue Identität zu basteln. Es hatte eben nur etwas Zeit benötigt, die restlichen Daten zu vernichten, die von dem ehemaligen Kadetten noch existierten. Die einzige Akte, die seine Zerstörungswut überlebt hatte, lag nun sicher im Safe in ihrem Stadthaus. Er hoffte, dass er sie nie wieder gebrauchen musste, um sie in das System des Kavallerie Oberkommandos einzuspeisen.
Kurzerhand übertrug er die neue Versicherungsnummer in das Formular und schrieb seine eigene Adresse in die leeren Felder. Wenn Claire noch Fragen hatte, würde sie sich sowieso zuerst an ihn wenden. Dann reichte er die grüne Scheibe dem Doktor und gemeinsam betraten sie das Krankenzimmer. Jesse saß in Cowboykleidung auf dem Bett und sah sie erwartungsvoll an.
„Das ist nicht unbedingt dein Stil." Überlegte April laut, die ihre Kleidung zwar gerne mit Maschinenöl übergoss, aber dennoch einen guten Modegeschmack besaß und musterte den jungen Mann vor sich skeptisch. „Am besten, ich geh mal nächste Woche mit dir einkaufen."
„Genau, nutz seine Hilflosigkeit aus, stundenlang mit ihm Schoppen zu gehen." Neckte Johnny, der auch schon oft ihr Opfer gewesen war, wenn sie den halben Nachmittag in diversen Läden in der Innenstadt verbracht hatte. Zwar hatte sie damals auch etliche Taschen voll für ihn eingekauft, aber er fühlte sich in seinen alten Kleidungsstücken aus Texas einfach wohler.
„Du tust so, als wäre das eine Folter."
„Ist es das denn nicht? Frag mal Fireball."
„Ach du."
„Ja, ich."
Die beiden glitzerten sich kampflustig an, aber das Lächeln auf ihren Gesichtern verriet, dass sie es nicht wirklich böse meinten. Jesse blickte sie beide verwirrt an, schien sie nicht zu verstehen, so wie er vieles nicht mehr verstand, seitdem er gestern aufgewacht war und erkennen musste, dass er nicht mehr in diese Welt gehörte. Zumindest konnte er sich nicht mehr daran erinnern, dass er je dazu gehört hätte.
„Ich möchte Sie einmal pro Woche in meiner Sprechstunde sehen, Mister Blue, um sicher zu gehen, dass es keine Folgeschäden gibt." Der Arzt trat hinüber zu Jesse und schüttelte seine Hand. „Machen Sie sich keine all zu großen Gedanken, ich bin mir sicher, dass ihre Freunde ihnen helfen werden, und vergessen Sie nicht, dass die Chance, dass sie ihre Erinnerungen wiederfinden, nicht so verschwindend gering ist, wie das Ihnen vielleicht vorkommt. Haben Sie Geduld. Auf Wiedersehen."
Jesse erwiderte den kräftigen Händedruck automatisch und murmelte ebenfalls seine Abschiedsworte, war aber nicht wirklich bei der Sache. Sein Blick schweifte vielmehr zu den anderen Personen im Raum. Personen, die behaupteten, dass er zu ihnen gehörte, dass er ihr Freund war. Personen, die nicht den leisesten Hauch eines Erkennens in ihn weckten.
Aber das war schließlich normal bei Amnesie, nicht wahr? Niemand würde sich freiwillig einen Patienten wie ihn aufhalsen, der sich nicht einmal mehr an die einfachsten Dinge erinnern konnte und sich gestern an dem automatisch beheizten Teller verbrannt hatte, der sein Abendessen warm halten sollte, während die nette Doktorin weitere Untersuchungen an ihm vorgenommen hatte. Nein, niemand würde sich die Mühe machen, sich um ihn zu kümmern, wenn er den Menschen dort nicht etwas bedeuten würde. Und sicherlich würde niemand so dämlich grinsen wie der Junge, der aufgeregt auf seinen Ballen hin und her wippte und aussah, als würde er vor Energie gleich explodieren. Viel jünger als er selbst schien er nicht zu sein, höchstens ein paar Jahre, dennoch hatte Jesse das Gefühl, als befänden sich Welten zwischen seinem Leben und dem des Jungen.
„Falls etwas ist, Mister Lancelot, rufen Sie Claire oder mich an, egal welche Uhrzeit." Der Chefarzt schüttelte dem blonden jungen Mann ebenfalls die Hand und war im nächsten Moment verschwunden, um sich um seine anderen Patienten zu kümmern.
Ein Augenblick der peinlichen Stille entstand und Jesse rutschte von seiner Krankenstatt. Gepäck hatte er keines, war der Aufenthalt zu kurz gewesen, um sich etwas von zu Hause bringen zu lassen. Von einem Zuhause, das er nicht mehr kannte.
„Also, Leute, mir wurde gesagt, dass ich Jesse heiße. Und wie sind eure werten Namen?"
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Nichts. Absolut nichts.
Jesse lief durch die Stadt und blickte hinauf zu den riesigen Hochhäusern, die den Himmel zu berühren schienen. Er betrachtete die Läden zu seiner Rechten und Linken in der Fußgängerzone und musterte die Menschen, die ihnen entgegen kamen oder mit ihm in dem breiten Strom liefen. Seine Augen blieben an den riesigen Reklametafeln haften, die in 3D um lecker oder einfach nur teuer aussehende Produkte warben. Autos flogen weit über ihren Köpfen hinweg und er blinzelte, als ihn das Licht des Doppelgestirns blendete. Die Luft war warm und die Bäume, die ihren Weg zäumten, färbten ihre Blätter in einen schimmernden Goldton. Alle in derselben Farbe. Jesse brauchte einige Minuten, um zu begreifen, dass es sich dabei um künstliche Bäume handelte, deren Blätter nie ausfielen, die sich aber an den Jahreszeiten orientierten, um den Menschen, die auf der Erde geboren waren, jedoch weitab von ihr lebten, ein heimisches Gefühl zu vermitteln.
Ihm jedoch schien genau dieses Gefühl abhanden kommen zu sein. So sehr er sich auch anstrengte und sich die Eroberungen der Menschheit ansah, er fühlte absolut nichts. Keine Wiedererkennung, keine Erleuchtung. Nichts.
„Bin ich schon einmal hier gewesen?" fragte er und blieb vor einem großen Schaufenster stehen, das Essen pries. Einige der Tüten waren ihm vertraut, andere wiederum vollkommen fremd.
„Natürlich. Du hast hier deine Ausbildung zum Star Sheriff absolviert." Der blonde Mann, der sich als Saber vorgestellt hatte, verschränkte seine Arme vor seiner Brust und schien zu überlegen. „Deine Ausbildung war vor zwei Jahren, Jesse."
„Aha." Eine intelligentere Antwort fiel dem ehemaligen Kadetten nicht ein und er schob die Frage, was genau denn ein Star Sheriff sei, weit von sich. Im Moment stürzten schon genügend neue Eindrücke auf ihn herein, er brauchte jetzt nicht noch eine detaillierte Erklärung über seinen Beruf, von dem er sowieso nicht mehr die Geringste Ahnung hatte.
„Was isst du gerne?" April trat neben ihn und blickte in das Geschäft. Dann holte sie einen kleinen Computer aus ihrer Handtasche und es piepte, als sie ein paar Tasten drückte. „Also Butter ist aus und Brot sowieso..." murmelte sie mehr zu sich selbst. Entschieden klappte sie das Gerät wieder zu und wandte sich mit einem freundlichen Lächeln wieder dem jungen Mann neben sich zu. „Weiß dein Magen zumindest noch, was er mag?"
„Hühnchen."
Die Antwort kam prompt und er wusste selbst nicht, wo sie genau her kam. Er runzelte seine Stirn, als ihm eine weitere Information durch den Kopf schoss. Hühnchen gab es nicht auf den fernen Planeten, sondern nur auf der Erde. Die Tiere verkrafteten das fremde Klima nicht so gut wie der Mensch und deshalb gab es diese Köstlichkeit nur auf dem Heimatplaneten des Homo Sapiens zu essen, oder aber als extrem teuren Import im neuen Grenzland. Bedeutete das, dass er auf der Erde aufgewachsen war? Oder hatte er einfach nur ein wenig Zeit dort verbracht in seiner Stellung als... als... Star Sheriff?
Jesse wusste es nicht, aber er nahm sich vor, später danach zu fragen. Später, nachdem er diesen verrückten Tag irgendwie überstanden hatte.
„Wir werden schon etwas finden, das so ähnlich schmeckt." April ergriff den rechten Ärmel des Hemdes, das ihm um einige Größen zu weit war, und schon wurde er in das Geschäft geschoben. Aus reiner Verzweiflung ließ er es zu, er hätte sowieso nicht gewusst, was er sonst anderes hätte tun sollen.
„Es dauert keine fünf Minuten, ich besorge nur rasch das Abendbrot." Rief die junge Frau über ihre Schulter und schon waren sie im Inneren des Ladens verschwunden.
„Egal, was sie sagt, April hat ein neues Opfer gefunden." Johnny grinste und setzte sich auf den Rand des Kübels, der die künstlichen Bäume vor Beschädigungen der Fußgänger schützen sollte. Lässig lehnte er sich gegen den Stamm, der sich unter seiner Weste kühl anfühlte, und blinzelte in die Sonnen. Abermals vermisste er seinen Cowboyhut schmerzlich, den er immer auf der Ranch seiner Eltern getragen hatte, aber es reichte, wenn sich Colt damit zum Affen machte. Seine Schulkameraden würden ihn so lange aufziehen, bis er ihn dann doch ablegen würde, egal, wie sehr ihn Alex auch davon zu überzeugen versuchte, nicht auf diese blöden Gänse zu hören.
„Fünf Minuten." Auch Saber schaute skeptisch drein.
„Wetten, dass sie es in zehn Minuten nicht schafft?" Johnny verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf und sein Grinsen wurde noch breiter.
„Wetten?"
„Ja. Ich wette, dass sie mindestens zehn Minuten für ihren kleinen Einkauf braucht - und dann wäre sie noch schnell."
„Also soll ich auf meine beste Freundin vertrauen und wider jeden gesunden Menschenverstands dagegen wetten und sagen, dass sie es in fünf Minuten schafft?"
„Klar."
„Was kriegt der Sieger?"
„Den letzten Schokoladenpudding, den Colt die letzte Woche über eifersüchtig bewacht und dann doch in der Hektik der Abreise vergessen hat."
„Du begibst dich auf gefährliches Terrain, Kleiner."
„Ich weiß. Und ich bin nicht klein."
„Wie du sagst, Kleiner." Saber erwiderte Johnnys Grinsen. „Die Wette gilt." Er blickte kurz auf seine Uhr, dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst. Geschäftlich ernst. Der junge Schotte trat vor den Jungen, der nun nicht länger von den Sonnen Yuma Citys geblendet wurde, sondern vielmehr im Schatten des Star Sheriffs saß. Kurz blickte Saber zur Seite, als müsse er sich versichern, dass sie keiner belauschte, aber die anderen Leute liefen rasch an ihnen vorbei, interessierten sich nicht im Geringsten für sie.
„Ich will, dass du in Jesses Nähe immer vorsichtig bist, Johnny. Ich glaube nicht, dass er ein schlechter Mensch ist, aber er hat viele Fehler in seiner Vergangenheit gemacht und es könnte gefährlich werden, wenn er sich eines Tages daran erinnert." Erklärte Saber ehrlich. Es brachte nichts, den Jungen in falscher Sicherheit zu wiegen. Johnny blickte ihn eine Weile schweigend an und kaute auf seiner Unterlippe, ein Zeichen dafür, dass er angestrengt nachdachte.
„Fehler? Hat er jemanden ermordet oder versucht, das Oberkommando zu sprengen?" fragte er halb scherzhaft, halb besorgt.
„Nein, obwohl ich Letzteres manchmal selbst in Betracht ziehe." Saber beugte sich leicht vor, damit er nicht so laut reden musste. „Jesse ist zu den Outridern übergelaufen, weil er sich von den Star Sheriffs betrogen fühlte. Leider hatte ich bisher nicht die Gelegenheit davon, ihn vom Gegenteil zu überzeugen."
„Und jetzt hast du diese Gelegenheit." Stellte Johnny sachlich fest und Saber nickte kurz, lehnte sich wieder zurück. Der Junge blinzelte, als er für einige Momente dem hellen Sonnenschein wieder ausgesetzt war. Dann wurden seine Augen tellergroß.
„Sag nicht, dass er derjenige ist, der euch so viele Schwierigkeiten bereitet hat. Über den Colt immer so laut schimpft. Der..." Johnnys Blick huschte zu Sabers Schulter und beide erinnerten sich an die Zeit, die sie vor fast einem Jahr im Krankenhaus verbracht hatten. Saber verletzt im Bett und Johnny besorgt davor. „... der dich angeschossen hat?"
„Es war während eines Kampfes mit den Outridern, ihm blieb keine andere Wahl." Der junge Schotte legte unbewusst eine Hand über die alte Verletzung und war sich nicht einmal bewusst, dass er Jesse in Schutz nahm, erneut nicht zugab, dass dieser ihn feige abgeknallt hätte, obwohl sein Gegner ihm keine Waffe mehr entgegenstreckte.
„Er..."
„Er hat sein Gedächtnis verloren und es gibt sonst keinen Platz, wo er hin gehen kann."
Außer das Gefängnis.
Sie beide dachten es, aber keiner von ihnen sprach es aus. Johnny kannte den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn des Schotten und wusste, dass er Jesse sofort dem Kavallerie Oberkommando übergeben hätte, wäre er sich sicher gewesen, dass eine akute Gefahr von dem Kranken ausging. So wie Saber sich damals darum gekümmert hatte, dass jenen Menschen der Prozess gemacht wurde. Dass sie nie wieder in die Freiheit entlassen wurden und nie wieder Hand an den jungen Texaner legen konnten.
Obwohl es recht warm war, fuhr Johnny bei dem unwillkommenen Gedankengang fröstelnd zusammen und blickte an Saber zu dem Geschäft hinüber. Er konnte April durch die Regale laufen sehen, Jesse immer im Schlepptau, der einem schwebenden Einkaufskorb hin und wieder einen Schubs gab und in Gedanken versunken die Büchsen studierte, als handelte es sich dabei um den spannensten Krimi, den er jemals in seinen Händen gehalten hatte.
„Mein Bruderherz wird ausflippen."
„Das ist mir bewusst."
Johnny beobachtete, wie April eine Verpackung aus dem obersten Regal holen wollte, aber zu klein war, um sie zu erreichen. Jesse legte die Büchse beiseite und half ihr, das gewünschte Objekt in den Einkaufswagen zu steuern.
„Ich glaube nicht, dass er so schlecht sein kann." Überlegte der junge Texaner laut. „Als er Alex und mich zur Seite gezerrt hat, hatte er sein Gedächtnis noch. Wäre er wirklich der eiskalte Überläufer, als den ihn Colt immer darstellt, dann hätte er zugesehen, wie der Konvoi uns zerquetscht. Aber das hat er nicht getan. Statt dessen hat er sein Leben riskiert, um uns zu beschützen." Johnny blickte hinauf zu Saber, der nichts erwiderte, ihn jedoch dankbar anblickte. Dankbar, dass er ihn verstand - oder es zumindest versuchte.
„Er ist unser Retter und wir schulden ihm was." Der Junge seufzte leise und blickte auf seine Uhr, als April das Geschäft wieder verließ. Sie trug eine silbern glänzende Tüte in ihrer rechten Hand, die wesentlich kleiner war als die, die Jesse gutmütig schleppte. Er ließ sie sich von Saber auch nicht abnehmen, als dieser später danach fragte.
„Damit kann ich meinen Geburtstag wohl streichen. Colt feiert nie mit ihm zusammen."
„Johnny..."
„Zwölf Minuten. Der Pudding geht an mich." Der Junge verscheuchte seine Traurigkeit und lächelte tapfer. Natürlich hatte er sich auf seine Geburtstagsfeier gefreut, hätte heute Saber fragen wollen, ob sie diese nicht auch woanders abhalten konnten als in Yuma City, aber daraus wurde nun nichts mehr. Nicht, wenn sie einen Verräter beherbergten. Lieber verzichtete er vollkommen auf seinen Geburtstag, als dass sein Bruder mit mindestens zwei geladenen Revolvern am Kaffeetisch saß, bereit, jederzeit wie ein Pulverfass zu explodieren und um sich zu schießen.
Nicht, dass Colt überhaupt den Ehrentag seines Bruders feiern wollte, fiel dieser unglücklicherweise zusammen mit dem Todestag ihrer Eltern, der sich in sechs Tagen um ein weiteres Mal jähren würde.
Saber seufzte unterdrückt und wollte etwas sagen, aber er kam nicht dazu, da sich ein Schatten aus der Menschenmenge löste und den jungen Texaner von hinten besprang, ihn fast umwarf. Im Reflex wollte der Star Sheriff seinen Blaster ziehen, dann aber erkannte er den Jungen, der wie ein Affe an Johnny hing, mit einem nicht minder intelligenten Grinsen auf seinem Gesicht.
„Alex! Lass das, du erwürgst mich!" beschwerte sich der Teenager, aber seine Miene erhellte sich, als er seinen besten Freund sah, der schließlich von ihm abließ und ihm dafür ein kleines Päckchen in die Hände drückte. Seine Augen leuchteten aufgeregt und er hüpfte drei Mal um Johnny herum, während dieser zögernd auf die Ware in seinen Händen schielte. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass es sich bei diesem Energiebündel um den Erben der reichsten Familie Yuma Citys handelte. Saber hatte den jetzigen Vorstand auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen des Kavallerie Oberkommandos gesehen und dachte mit Schaudern an die kalte Fassade zurück, die Alex' Vater und Onkel zur Schau gestellt hatten. Entweder der Junge kam nach seiner italienischen Mutter oder aber er war auf der Geburtstation vertauscht worden. Oder, diese Möglichkeit konnte der junge Schotte ebenfalls nicht ausschließen, man hatte dem Erben etwas ins Frühstück gegeben. Jeden Morgen.
„Was ist das?" Johnny hob das Päckchen an sein rechtes Ohr und schüttelte es. Zu seiner Erleichterung schien es weder zu ticken noch explodierte es ohne Vorwarnung. Zwar wusste er, dass ihn sein bester Freund nie in die Luft sprengen würde, aber seine verrückten Ideen waren nicht minder gefährlicher und brachte sie öfters in Schwierigkeiten.
„Mach's auf!" Alex sprang von einem Bein auf das andere und seine Wangen röteten sich vor Aufregung. „Das hab ich heute auf dem Dachboden meines Großvaters gefunden!"
„Aha, Dachboden also." April wechselte die Tasche in ihre andere Hand und lief voraus in Richtung künstlichen Park. Sie hatte das Abendbrot eingekauft und für ihren Geschmack liefen zu viele Menschen durch die Passage. Zumindest zu viele für was auch immer Alex dieses Mal ausgeheckt hatte. Sie wollte niemandem zu Bruch gegangenes Eigentum ersetzen. Nicht schon wieder.
„Was ist's denn dieses Mal? Ein alter Filmprojektor aus den Gründerzeiten, der Feuer fängt, wenn man mal für zehn Sekunden den Raum verlässt? Oder der Prototyp eines Roboters, der drei Stunden lang Amok läuft und dann implodiert?" zählte Saber die größten Katastrophen auf, die er innerhalb der letzten Monate mit dem jungen MacLeth durchlitten hatte. Er blickte sich kurz um und sah, dass Jesse ihnen folgte, die schwere Tüte vor seinen Oberkörper halten, als wäre sie ein Schutzschild. Der ehemalige Kadett schien der Konversation nicht zu folgen, noch interessierte er sich für das Päckchen in Johnnys Händen. Statt dessen blickte der junge Mann wieder erstaunt um sich und betrachtete fasziniert eine Weile, die seinem Gedächtnis entschwunden war. Besonders die künstlichen Bäume, die immer dichter gepflanzt waren, je näher sie dem Park kamen, hatten sein Interesse geweckt. Mehrmals blieb Jesse stehen und balancierte das zukünftige Abendbrot auf einem Arm, um mit der freien Hand die Blätter und die Rinde ehrfürchtig zu berühren. Da Alex noch immer aufgeregte Kreise um Johnny lief, dieser langsam das Päckchen auswickelte und es April nicht all zu eilig hatte, bei dem schönen Wetter nach Hause zu kommen, konnte Jesse sie immer wieder einholen, wenn er aus seinen Tagträumen erwachte.
„Nein, das ist viel besser." Erklärte der junge Erbe begeistert und hüpfte wie ein Gummiband über den warmen Asphalt, als Johnny schließlich die Plastikschale entfernt hatte und zwei Schuhe in den Händen hielt. Schuhe, an denen eine Schiene mit vier Rollen befestigt waren. Zweifelnd blickte er zwischen den seltsamen Objekten und seinem besten Freund hin und her.
„Besser? Sag bloß, die verglühen unter mir." Meinte er und fuhr mit seinen Fingern über die Rollen. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Was ist das? Was macht man damit?"
„Das, mein Lieber, sind Inlineskaters. Damit sind unsere Vorfahren durch die Gegend gefahren."
„Was? Mit Rollen? Und so was hebt dein Großvater auf?"
„Was wohl ein Sonderangebot." Alex strahlte über das ganze Gesicht, als er in den Rucksack griff, den er über seine Schultern geschwungen hatte und ein zweites, identisches Paar zu Tage förderte. „Du kennst doch die Kauflust Großpapas."
„Und ob." Meinte Johnny und beobachtete, wie sich Alex auf den Boden kniete und sich die seltsamen Schuhe anstelle seiner Powerboots überstreifte. Dass Alex' Großvater ähnlich verrückt wie sein Lieblingsenkel war, verschwieg er besser. Das Ego seines besten Freundes war schon groß genug.
„Vermutlich funktioniert es so." Alex kam wackelnd auf seine Beine und tat einen Schritt nach vorn. Nur, um mit schreckgeweiteten Augen etwa zwei Meter auf dem leicht abschüssigen Weg nach hinten zu kullern und sich anschließend aus reiner Verzweiflung auf seinen Hintern fallen zu lassen.
„Interessant." Kicherte Johnny, der seine eigenen Inelineskaters noch immer an den Schnürsenkeln hielt und sie hin und her schaukelte. „Da haben unsere Ahnen also dieses komplizierte Machwerk erfunden, damit wir das Gleichgewicht verlieren und hinfallen."
„Klappe." Alex versuchte mehrfach verzweifelt, zurück auf seine Beine zu finden, aber es mochte ihm nicht gelingen. Statt dessen machte sein Hintern eine weitere unwillkommene Bekanntschaft mit dem Untergrund.
„Oh, du hast Recht, das ist definitiv besser als der Filmprojektor oder der Roboter." Lachte der junge Texaner nun offen und schritt hinüber zu seinem besten Freund, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien.
„Das kann noch Stunden dauern." April schien dies überhaupt nichts auszumachen. Sie drückte Saber ihre Tasche in die Hand und machte sich auf den Weg, um für sie alle ein großes Eis zu holen. Dafür müsste sie nur noch den schwebenden Laden finden, der sich jedes Mal an einer anderen Ecke des Parks befand.
„Kein Schoko." Rief ihr Saber hinterher und setzte sich auf eine nahe Parkbank, um die zwei Jungs und ihre neue Errungenschaft zu begutachten. Alex hatte seine Füße wieder aus den Inlineskaters befreit und hielt sie gegen die zwei Sonnen, als würden sie nur im Licht der Gestirne ihr Geheimnis preis geben.
Der junge Schotte lächelte, bevor er sich zurück lehnte und seine Augen schloss. Es war wirklich sehr schönes Wetter, das ihn an einen Tag im Frühherbst erinnerte. In seiner Heimat, den schottischen Highlands. Dort färbten sich echte Bäume bunt und das Laub fiel auch ab. So ganz anders als hier in Yuma City, wo die Jahreszeiten von dem Menschen künstlich erzeugt wurden, da sie ohne sie nicht leben wollten.
Saber wurde bewusst, dass er schon seit vielen Monaten nicht mehr in seiner Heimat gewesen war und obwohl er geglaubt hatte, dass dort nichts mehr auf ihn wartete, so musste er sich doch eingestehen, dass er die hohen Berge und tiefen Seen vermisste.
„Darf ich?"
Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und müde öffnete er seine Augen, um sich merklich zu versteifen, als er Jesse neben den Jungs stehen sah. Er hatte die silberne Tasche an den Wegesrand gestellt und hielt seine Hand nach Johnny ausgestreckt. Aber er griff nicht nach dem Jungen, sondern ließ sich die seltsamen Schuhe geben. Saber stieß stockend den Atem aus, den er angehalten hatte und zwang seinen Körper, sich zu entspannen.
Er wollte Jesse helfen, wollte endlich für ihn da sein. Aber dieser Vorsatz erhielt eine ganz andere Bedeutung, wenn der ehemalige Kadett, der sie verraten, so kaltblütig auf ihn geschossen und ihnen allen mehr als einmal den Tod gewünscht hatte, neben den beiden Jungen stand. In gefährlicher Reichweite. Eine Bewegung würde reichen und er hätte Johnny in seiner Gewalt.
War es wirklich die richtige Entscheidung? Waren es die zwanzig Prozent wert?
„Ich glaub, ich hatte so was mal als Kind..." Jesse trat einen Schritt zurück und Sabers bebende Hand löste sich vom Griff seines Blasters. Der Kranke drehte den Schuh hin und her, bevor er sich neben Alex auf den Asphalt niederließ und sich die Inlineskaters über die Füße zog. Sie gaben ein leises Surren von sich und passten sich automatisch seiner Anatomie an. Die Schnallen schnappten zu und ein kleine Lampe begann auf der Sohle zu leuchten. Jesse erhob sich geschmeidig und amte Alex' vorherigen Versuch nach, sich auf den seltsamen Schuhen fortzubewegen. Ihm war das Glück jedoch holder, denn er landete nicht auf seinem Hintern, sondern fuhr drei große Kreise um die erstaunten Jungen. Dann rappelte sich der junge Erbe auf und ergriff Jesses rechten Arm. Der ehemalige Kadett verlor beinahe sein Gleichgewicht, konnte sich jedoch gerade noch halten. Er drehte sich um, fuhr weiterhin rückwärts über den Parkweg. Aber er schimpfte nicht mit Alex über das versuchte Attentat, sondern zog ihn mit sich. Nach weiteren drei Runden surrte auch das andere paar Schuhe und ein ähnliches Leuchten umgab sie, so als hätte die Bewegung den alten Mechanismus erst wieder in Gang gebracht.
„Wow! Du kannst das ja richtig gut!" Alex hielt sich an den ihm entgegengestreckten Händen fest und bewegte vorsichtig seine Beine. Er wollte aus eigener Kraft heraus fahren und nicht nur umhergezogen werden.
„Sieht wohl so aus." Jesse zuckte mit seinen Schultern. „Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, es jemals gelernt zu haben, aber es kommt mir bekannt vor. Es gibt wohl einige Dinge, die man im Leben nie verlernt."
„Ja, genauso wie Speedfahren." Nickte Alex begeistert und ließ los, um ein paar Schritte weiter zu rollen. Er versuchte einen Ausfallschritt und verlor prompt sein Gleichgewicht. Er fiel jedoch nicht, weil jemand nach ihm packte und ihn fest hielt.
„Was auch immer Speedfahren ist." Jesse, der seinen Fall gebremst hatte, zog ihn zurück auf die Beine und wandte sich zu Johnny um, der sie beide schweigend betrachtet hatte. „Auch einen Versuch? Es sieht schwerer aus, als es ist."
„Du meinst, es ist schwerer, als es aussieht." Spöttelte Alex und befreite sich von seiner neuesten Errungenschaft, um sie Johnny zu geben, der sie sich nur zögernd anzog. Dann machte er seine ersten wackeligen Schritte, aber zum Glück stellte er sich nicht so ungeschickt wie sein bester Freund an. Sein halbes Leben hatte er auf den Rücken von Pferden verbracht, er wusste, wie man seine Balance zu halten hatte, auch wenn der Untergrund gefährlich schwankte. Jesse war trotzdem an seiner Seite und hielt einen Zipfel seiner Weste fest, um ihn zu halten, sollte er trotzdem fallen. Alex lief hinter ihnen her und gab ihnen kluge Anweisungen, obwohl er selbst keinen blassen Schimmern vom Inlineskating hatte.
Alle drei Gesichter waren vor Aufregung gerötet. Alle drei lachten sie glücklich, wenn sie einer Passantin ausweichen mussten oder den ach so steilen Weg zurück rollten. Wie drei kleine Kinder, die in ihrem jungen Leben nicht oft hatten Kinder sein dürfen.
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„Bin ich schon einmal hier gewesen?"
Jesse folgte Saber die Treppe hinauf. Das Haus war groß und geräumig, wirkte aber gleichzeitig sehr gemütlich. Es war mit viel Liebe eingerichtet worden und keines der Möbelstücke schien zufällig da zu stehen. Digitale Bilderrahmen bedeckten die Wände im Flur und Jesse kribbelte es in den Fingern, den Schalter zu bedienen, um sie sich in aller Ruhe anzuschauen. Aber er wusste, dass er dafür später noch genügend Zeit haben würde. Im Moment konnte er nur die schwarzen Bildschirme betrachten und sich wundern, ob es auch Photos gab, die ihn zeigten. Zusammen mit diesen Menschen, die sich seit seinem Erwachen im Krankenhaus um ihn gekümmert hatten.
„Nein." Saber zögerte, bevor die Führung fortsetzte. Unten hatte er dem ehemaligen Kadetten bereits das große Wohnzimmer, die Küche, das untere Bad sowie Aprils Zimmer gezeigt. Nun folgten die Unterkünfte der anderen. Der junge Schotte hatte ihm bereits von den zwei anderen Mitbewohnern erzählt, Fireball und Colt, die aber im Moment auf Reisen waren. Jesse fragte sich, ob sie genauso freundlich waren und konnte es kaum erwarten, sie kennen zu lernen, oder besser, sie wiederzusehen, auch wenn er sich nicht an sie erinnerte.
„Wo wohne ich dann sonst?" Jesse ging an den einzelnen Türen vorbei und spähte schließlich in das Zimmer, vor dem Saber stehen blieb. Es beinhaltete nicht viel, nur ein bequem aussehendes Bett, einen Schreibtisch an einem großen Fenster sowie einen Schrank in der Ecke. Der Fußboden war wie überall auch im Haus mit weichem Teppich ausstaffiert und altmodische Vorhänge säumten das Fenster und keine modernen Rollos. Jesse machte das nichts aus. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er in seinem Leben schon zu viel kahle, kalte Räume gesehen hatte. Hier fühlte er sich sofort wohl.
„Ziemlich weit weg. Wäre kein Ort in deinem Zustand." Antwortete der junge Schotte unbestimmt und schritt zu dem Schrank hinüber. Schwerelos glitten die Türen zur Seite und offenbarten einen Bademantel und einen dunklen Schlafanzug. „Sorry, dass wir dir im Moment nicht mehr anbieten können, aber wir sind für deine Größe wohl nicht eingestellt. April wird nächste Woche für dich ordentliche Kleidung besorgen."
„Kein Problem." Jesse drehte seinen Kopf und nahm das Zimmer in sich auf. Langsam lief er über den unglaublich flauschigen Untergrund und setzte sich auf den Rand des Bettes. Es gab unter ihm nach und er widerstand dem Verlangen nur knapp, sich wie ein kleiner Junge darauf zu werfen und es zum Trampolinspringen zu missbrauchen.
„Abendbrot wird in etwa einer Stunde fertig sein. Das andere Badezimmer ist gleich gegenüber, falls du dich frisch machen willst."
„Hm..." Jesse hatte den Wecker ergriffen und drehte das Gerät fasziniert ins einen Händen. Er hatte keine Ahnung, wie er ihn bedienen sollte.
„Wenn du etwas brauchst, wir sind unten."
Jesse hob seinen Kopf und runzelte seine Stirn.
„Was sind wir? Arbeitskollegen? Freunde?"
Saber stoppte in der Tür. Er hatte ihm den Rücken zugewandt und eine Hand an den massiven Rahmen gestützt. Für einen Augenblick wusste er nicht, was er antworten sollte. Jesse schien ihm aber keine Zeit zum Überlegen zu lassen, vielleicht hatte er auch keine Antwort erwartet, denn er ließ sich im nächsten Moment auf die weiche Matratze sinken und starrte zur Decke hinauf.
„Schon komisch, wenn man sich an gar nichts erinnert. Wenn ihr mir jetzt erklären würdet, ich wäre ein Meister im Tiefseetauchen, müsste ich es auch glauben, obwohl ich vermutlich nicht einmal mehr wüsste, wie das geht." Jesse zuckte seine Schultern und lachte leise. Es klang erschöpft. „Ich hab so viele Fragen, Saber. Fragen, die ihr mir vielleicht beantworten könnt, vielleicht aber auch nicht. Aber irgendwie bin ich zu müde, sie jetzt zu stellen."
„Dann ruh dich aus, Jesse. Ich rufe dich, wenn das Essen fertig ist."
„Hm." Der ehemalige Kadett tastete nach dem Kissen und stopfte es sich unter seinen Kopf. Sein Schädel brummte ein wenig und er spürte, dass seine Lider immer schwerer wurden. Im nächsten Moment war er auch schon eingeschlafen, vollkommen unbewusst von der Tatsache, dass Saber noch weitere fünf Minuten im Türrahmen stand und ihn schweigend betrachtete.
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Jesse legte seine Gabel auf seinen Teller und griff nach seinen Glas Wasser. Sein Blick wanderte über den runden Tisch, an dem mehrere hungrige Personen saßen und im gefräßigen Schweigen ihr Abendbrot verspeisten. Die Küche war ebenfalls groß, so wie alle Räume in diesem Haus, und er ahnte, dass sie noch mehr Personen Platz bot als im Augenblick tatsächlich anwesend waren. Er kannte die modernen Gerätschaften nicht, die die Wände bedeckten, hätte sie wohl selbst mit intaktem Gedächtnis nicht zu identifizieren vermocht. Die junge Französisch schien sich jedoch die Mühe gemacht zu haben, auf altherkömmliche Weise zu kochen. Heutzutage konnte man eine Mahlzeit in wenigen Minuten zubereiten, sie hatte sich jedoch eine volle Stunde Zeit dafür gelassen. Eine Stunde, in der er wie ein Stein geschlafen hatte. Saber hatte ihn nur schwer munter bekommen und es war wohl eher Johnnys wehleidige Stimme gewesen, dass April nicht eher mit dem Abendbrot anfangen würde, bis er nicht aufgestanden wäre und sie alle Hunger hätten, die ihn schließlich aus dem weichen Bett kriechen ließ.
„Ist es nicht gut?" April blickte von dem Fleisch auf, das zwar kein Hühnchen war, aber verblüffend wie welches schmeckte.
„Och, doch. Kann mich nicht erinnern, jemals so gutes Essen gegessen zu haben." Erwiderte Jesse und nahm seine Gabel auf. Er hatte beinahe die nächste Portion Kartoffelbrei in sich hereingeschaufelt, als ihm der Sinn seiner Worte bewusst wurde. „Ich meinte damit, dass ich irgendwie das Gefühl habe, sonst nicht so gutes Essen zu bekommen." Er lächelte entschuldigend und war merkwürdig erleichtert, dass sie es ihm nicht übel genommen hatte.
„Das ist schließlich auch selbst gemacht. Nicht diese ewige Instandprodukte. Davon hat man ja sonst genug um sich herum. Schnell zubereitet aber ekelig." April nahm sich einen weiteren Löffel Mais aus der Schüssel und reichte Alex den Brotkorb. Sie hatte nicht nachgefragt und einfach den Tisch für eine Person mehr gedeckt. Eine Limousine würde den Jungen später am Abend abholen und das vermutlich auch nur, weil ein Bodyguard bemerkte, dass der junge Erbe im Anwesen seiner Familie nicht aufzufinden war.
„Outrider hatten einmal die Lebensmittelfabrik in Yuma City besetzt und ich kann dir sagen, ich weiß nicht, was mich an dem Tag mehr angewidert hat: die Lebensmittel da drin oder die Outrider." April schüttelte sich bei der Erinnerung und Johnny verzog angewidert seinen Mund, kaute aber munter weiter.
„Wir sind beim Essen, können solche Anekdoten nicht bis später warten?"
„Das sagt derjenige, der jeden Tag in der Schulspeisung ist. Dein Magen muss doch abgehärtet sein." Alex hatte einen kleinen Turm aus Brot und Kartoffelbrei gebaut und war sehr stolz auf sich.
„Du isst dort auch immer mit."
„Aber nur aus Mitgefühl."
„Aus Mitgefühl oder wegen Linda?"
„Na wegen des Tüteneintopfs bestimmt nicht."
Beide Jungen grinsten sich an und griffen zur gleichen Zeit nach dem letzten Stück Fleisch, um das sofort ein heftiger Streit entflammte. Sie mochten beide fast siebzehn sein, aber es gab Zeiten, da sie sich wie Kleinkinder benahmen. Genauso wie zwei andere, größere Jungs, die im Moment jedoch nicht anwesend waren.
„Schule?" Sabers strenger Blick ließ die erhitzten Gemüter etwas abkühlen. Er langte über die Gemüseschale und nahm sich selbst das letzte Stück Fleisch. Zwei Gesichter fielen trauervoll in sich zusammen, nur, um wieder zu strahlen, als zwei gleichgroße Stücke auf ihre Teller geschoben wurden. Sabers Gesichtsausdruck verriet, dass er es gar nicht schätzte, wenn sie das Lineal hervorholten und nachprüften, ob er auch wirklich gerecht geteilt hatte. Also beließen es die Jungen dabei und setzten ihr Abendbrot fort.
„Habt ihr zwei eure Hausaufgaben gemacht?" fragte der junge Schotte streng und wunderte sich selbst, wie es ihm gelang, ein normal chaotisches Essen im Kreis seiner Familie zu führen, während Jesse direkt neben ihm saß und amüsiert die Szene betrachtete. Der ehemalige Kadett hielt ein Messer in seinen Händen, um sein eigenes Fleisch zu zerteilen. Saber fragte sich, ob er nicht bereits die Grenze zum Wahnsinn überschritten hatte, dass er es zuließ, dass derjenige, der ihn wohl am meisten in diesem Universum hasste, ausgenommen Nemesis vielleicht, in seinem Haus am Abendbrottisch saß mit einer Waffe in der Hand. Und sich dabei offensichtlich wohl fühlte.
„Wir hatten keine auf."
„Ja."
Saber seufzte, als sich die zwei Jungs anblitzten. Es war deutlich, dass Johnny am liebsten laut Verräter und Alex Faulpelz gesagt hätten.
Nun, vielleicht hatte er die Grenze zum Wahnsinn unbemerkt überschritten, aber wenigstens befand er sich nicht allein im Land des Unmöglichen.
„Morgen ist Französisch, war da nicht ein Aufsatz auf?" überlegte April mit der Gabel am Mund und schlug sich somit auf die Pro-Schule-Seite. Johnny errötete leicht und stocherte in seinem Essen herum.
„ichbinzublöddafür..." murmelte er und boxte Alex in die Seite, als dieser zu kichern begann.
„Das hab ich jetzt nicht verstanden." April schenkte sich nach und hob ihre Augenbrauen, als ob sie die Wahrheit aus Johnny mit einem gekonnten Blick herauslocken könnte.
„Ich bin zu blöd dafür." Knurrte der Angesprochene und legte sein Besteck auf den Teller, um zu signalisieren, dass er fertig war. Schule war ein Reizthema für ihn, obwohl es schon besser geworden war, seit er nach Yuma City gezogen war. Hier kannten die Leute seine Vorgeschichte nicht, niemand tratschte hinter vorgehaltener Hand über ihn. Die Fächer wurden trotzdem nicht leichter, besonders Sprachen, was sich als fatal herausstellte, wohnte er doch in einem Multikultihaushalt.
„Ach Quatsch, Johnny. Versuch's einfach und komm dann zu mir. Ich helf dir bei den Fehlern, okay?"
„Okay." Murmelte der Teenager immer noch sichtlich niedergeschlagen und erhob sich, um in das Wohnzimmer zu traben und dort seinen Rucksack hervorzukramen, den er am Freitag mit einem triumphalen Kick in die Ecke befördert hatte. Alex schnappte sich ein weiteres Brotstück und folgte ihm. Er hatte seine Hausaufgaben schon längst erledigt, aber er konnte seinem besten Freund ja zur Seite stehen - oder ihn wenigstens ordentlich aufziehen, wenn er wieder das halbe Wörterbuch nach den einfachsten Vokabeln durchforstete.
Jesse hatte dem Wortwechsel schweigend zugesehen und fragte sich, warum ihm dies so fremd vorkam. Lag es daran, dass er sich nicht mehr an eine solche Szene von früher erinnern konnte? Oder hatte er ein solches Abendbrot nie erlebt? Im Beisein von Menschen, die sich um einen sorgten, auch wenn man das als Teenager natürlich nie einsah?
„Habe ich eine Familie?" fragte er so plötzlich, dass es ihn selbst erschreckte. „Ich mein, bin ich verheiratet? Habe ich Kinder?" Man hatte ihm zwar gesagt, dass er erst zwanzig war, aber das bedeutete nicht, dass er zu jung dafür war.
„Nein." Aprils Stimme zitterte leicht und sie spielte mit einer Erbse auf ihrem Teller. „Du hattest mal eine Freundin, letztes Jahr, aber es hat nicht geklappt."
Jesse blinzelte. Ja, das klang logisch. Das passierte überall, nicht wahr? Aus irgendeinem Grunde wollte er jedoch keine Details hören, warum die Beziehung nicht gehalten hatte.
„Und meine Eltern?"
„Deine Mutter ist während eines Raumfluges tödlich verunglückt, vor fünf Jahren." Saber antwortete sofort, ohne zu zögern, als habe er die Geschichte von dem ehemaligen Kadetten selbst gehört und nicht in alten Akten nachgelesen. „Von deinem Vater hast du nie etwas erzählt." Jedenfalls nicht öffentlich, wollte Saber hinzufügen, wusste aber, dass es klüger war zu schweigen.
„Also keine Familie weiter." Jesse wunderte sich, warum es nicht weh tat. Warum ihm nicht eng in der Brust wurde bei der Erkenntnis, dass seine Mutter tot war. Sicherlich war damals vor fünf Jahren seine Welt zusammen gebrochen, aber jetzt, ohne Erinnerungen klang es, als würde ihm aus dem Leben eines anderen Menschen erzählt. Selbstverständlich konnte er sich betroffen fühlen, konnte Mitleid empfinden, aber die persönliche Trauer blieb aus. Wie sollte er auch eine Frau beweinen, von der er nicht einmal wusste, wie sie ausgesehen hatte.
„Das nicht, aber Freunde." Beide Star Sheriffs tauschten Blicke aus, bevor sie den Kranken aufmunternd anlächelten.
„Was habe ich so getan? Als... was war ich gleich noch einmal?" Jesse kramte in seinem Kopf, konnte aber den Begriff nicht finden. Ob sein Kurzzeitgedächtnis auch gelitten hatte? Nicht, dass er morgen erneut aufwachte und nicht wusste, wo er sich befand, noch, wer die Menschen waren, die mit ihm sprachen.
„Du bist ein ausgebildeter Star Sheriff." Sabers Ton war monoton, als würde er einen Vortrag halten und nicht, sich am Abendbrotstisch mit seinen Freunden unterhalten. „Das bedeutet, dass du eine vollständige Ausbildung in Waffentechnik, Kampfkunst..."
„Kampfkunst? Dieses Haiya -Getue?" unterbrach ihn Jesse erstaunt und Saber blinzelte, als er aus seinem Belehrmodus herausgeworfen wurde.
„ Haiya -Getue?"
„Du meinst sicherlich fernöstliche Kampfsportarten, oder, Jesse?" April vollführte einen Schlag gegen einen unsichtbaren Gegner mit ihren Händen und der ehemalige Kadett nickte erleichtert. Daraufhin musste sie kichern. „Und ich dachte, niemand könnte Colts Ausdrücke übertreffen. Einen Rat, Jesse, sag so was niemals zu Fireball. Er kommt aus Japan und nimmt das alles sehr ernst. Er würde bei einem Begriff wie Hajya -Getue wohl in Ohnmacht fallen."
Wenn er dich nicht vorher erschießt.
April und Saber dachten es, aber beide schwiegen sie.
„Erstaunlich." Jesse blickte auf seine eigenen Hände, aber er probierte lieber keinen Schlag aus, er wollte sein Glas Wasser nicht umschütten und sich damit in eine unglaublich peinliche Situation bringen.
„Ja, erstaunlich, aber versuch's erst gar nicht. Ich bin stärker als du."
„Stärker?"
„Ich hab dich zwei Mal bereits besiegt."
„War ich da ein guter Verlierer?"
„Wohl eher weniger."
„Hatte ich irgendwie erwartet." Jesse grinste entschuldigend und schob nun auch seinen Teller von sich. Er war satt und zufrieden. Nun ja, fast zufrieden. Wohler wäre es ihm natürlich gewesen, wenn er sich an jene Zweikämpfe erinnern könnte, aber April schien ihm nicht böse zu sein, egal, wie er sich danach auch benommen hatte. Mehr durfte er im Moment eben nicht verlangen.
„Seid ihr fertig?" Alex steckte seinen Kopf ins Zimmer und grinste verschmitzt, als er sah, dass April aufgestanden war und die ersten Teller beiseite räumte. „Phantastisch! Johnny ist gerade im Franzosenland und ich hab niemanden, der mit mir Raumpatrouille New Frontier spielt." Er schlich an Jesse heran und blickte ihn bettelnd an. Jesse musste unwillkürlich an einen Welpen denken, obwohl er sich selbstverständlich nicht daran erinnern konnte, jemals einen Hund besessen zu haben. „Das ist ein wirklich spannendes Game, es wird dir gefallen."
„Du bist dir aber bewusst, dass Jesse unser Gast und nicht dein persönliches Spielopfer ist, Alexander MacLeth?" April stützte ihre Hände in ihre Hüften und blickte ihn warnend an, sich innerlich fragend, wann sie so etwas wie eine große Schwester, oder, noch schlimmer, eine Ersatzmutter für den reichsten Erben des neuen Grenzlandes geworden war.
„Wieso? Er ist doch auch dein persönliches Shoppingopfer, April Marian Eagle!" Alex schnappte sich den jungen Mann am Ärmel und zog ihn mit sich in das Wohnzimmer.
„Ich glaube, der Junge wächst dir langsam über den Kopf." Gab Saber amüsiert zu bedenken und half, den Tisch abzuräumen, bevor er ebenfalls in Richtung Wohnzimmer aufbrach, in dem Johnny über seinen Hausaufgaben brütete und Alex hoffte, einen großen Sieg gegen einen blutigen Anfänger zu erhaschen, der ihm vielleicht auf der Leinwand unterlegen war, ihn auf dem wahren Schlachtfeld jedoch ohne mit der Wimper zu zucken eliminiert hätte.
Oder?
„Du bist einfach zu gut zu ihm."
April kramte in der Spülmaschine und lachte leise, als sie Sabers Worte hörte.
„Das sagt der Richtige." Erwiderte sie, aber ihr bester Freund hatte die Küche bereits verlassen, um im Wohnzimmer Wache zu halten. Immer in der Hoffnung, dass dies niemand bemerkte. Und dass er den Blaster, den er in den nächsten Wochen wohl nicht würde ablegen werden, nie gebrauchen musste.
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„Warum soll ich diese Sprache lernen, wenn ich doch sowieso schon die Allgemeinsprache beherrsche?" jammerte Johnny etwa eine Stunde später und kam in die Küche geschlichen. April blickte von ihren Dokumenten auf und lächelte unwillkürlich, als sie den zerknirschten Ausdruck auf dem Gesicht des Teenagers sah.
„Du solltest nicht alles glauben, was dein Bruder dir sagt, nur weil er ein Sprachenmuffel ist." Sie schob ihre Sachen beiseite und klopfte auf den Stuhl neben sich, um ihn zu ermuntern, sich neben sie zu setzen. Schwerfällig kam er ihrer Aufforderung nach und klappte das kleine Notebook, das er unter seinem Arm getragen hatte, auf, um ihr seinen Aufsatz über Pferde zu zeigen. Seine Lehrerin hatte ihnen aufgetragen, sich Gedanken über das perfekte Haustier zu machen und er hatte sich für die Tiere entschieden, mit denen er auf einer Ranch im Süden Amerikas aufgewachsen war. Einst hatten seine Eltern über ein großes Land verfügt, auf dem sie Mais angebaut hatten und sein Vater züchtete außerdem noch Pferde. Ihre Herde hatte früher einmal stattliche fünfzig Tiere gezählt, von denen er nur zwei hatte retten können, den Rest mussten sie nach und nach verkaufen, um nach dem Tod ihrer Eltern die Hypotheken zu bezahlen. Die zwei Hengste standen nun in Schottland auf der Koppel zusammen mit Sabers Pferden.
„Aber Französisch ist so verdammt schwer." Klagte er und seufzte tief, während April den Text überflog. So schlimm sah die ganze Aktion doch gar nicht aus. Natürlich hatten sich Grammatikfehler eingeschlichen, aber diese hatte sie rasch erklärt.
„Ist es doch gar nicht." Meinte sie, nachdem sie ihm seine Fehler aufgezeigt und gemeinsam mit ihm korrigiert hatte.
„Na ja, ist ja auch deine Muttersprache."
„Bien sûr." Sie lachte, aber er stimmte nicht mit ein, sondern brütete weiterhin über seinem Text, auf den er sicherlich eine gute Note bekommen würde. April betrachtete ihn schweigend, hörte gedämpft Alex' Siegesschrei, als er das zweite Spiel in Folge gewann. Johnny sprang nicht auf, um seinem besten Freund Gesellschaft zu leisten, jetzt, da er endlich fertig mit seinen verhassten Hausaufgaben war. Statt dessen blieb er neben ihr sitzen und seufzte mehrfach tief und leidend.
„Was ist los, Kleiner?" fragte sie und strich ihm seinen Pony aus dem Gesicht, um besser in seine grünen Augen schauen zu können, die ihrem Blick jedoch bewusst auswichen.
„Nichts." Murmelte er, starrte weiterhin auf sein Notebook, als könnte ihm dieses die Antworten auf die Fragen geben, die ihn sicherlich beschäftigten.
Er seufzte erneut.
„Ist aber ein ganz schön großes Nichts, was dich bedrückt." Aprils linke Hand ruhte auf seiner Schulter und in dem Moment verstand sie. „Es ist wegen deines Geburtstages, nicht wahr?" Sein Zusammenzucken verriet ihr, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
„Du hast Angst, dass wir ihn nicht feiern können, da wir mit einem Amnesiekranken schon genug zu tun haben."
Johnny druckste herum und spielte mit der Tastatur seines Notebooks. Noch immer sah er nicht auf. Nach einigen Minuten beharrlichen Schweigens, in dem April erfahrungsgemäß geduldig abgewartet hatte, flüsterte er schließlich.
„Colt will meinen Geburtstag eh nicht feiern. Ich schätze mal, er will sich lieber rutendicht saufen und diese verflixten vierundzwanzig Stunden einfach vergessen. Außerdem ist es für Jesse und seinen Gesundheitszustand sowieso zu viel Aufregung."
Aufregung ist gar kein Ausdruck, wenn Colt erst einmal zurück ist.
April schob diesen Gedanken ganz weit fort, darüber würde sie sich morgen den Kopf zerbrechen, immerhin wollten ihre Teamkollegen erst in zwei Tagen aus Japan wieder zurück kommen.
„Außerdem ist es eh alles zu aufwändig und zu weit weg..." Johnny seufzte erneut bitterlich und wollte sich erheben, aber sie hielt ihn zurück.
„Dass mit deinem manchmal ganz schön idiotischen Bruder hab ich noch begriffen, auch das mit Jesse, aber was meinst mit zu weit weg?"
Johnny wand sich unter ihrer Berührung, blieb jedoch sitzen, seinen Blick noch immer stur auf seine Hausaufgaben geheftet.
„Ihr habt ja eh keine Zeit, im Oberkommando ist immer was los und..."
„Jonathan Wilcox, du wirst jetzt bitte aufhören in Rätseln zu sprechen und mir sagen, was dir auf dem Herzen liegt."
„Ich brauch keine großen Geschenke oder sonst welchen Schnickschnack, April." Schließlich sah der Teenager auf und Tränen glitzerten in seinen ungewöhnlich grünen Augen. „Irgendwie bin ich auf die bekloppte Idee gekommen, dass es schön wäre, mal Urlaub zu machen. Einfach mal rauskommen für ein Wochenende. Ich..." Er senkte wieder seinen Blick, als würde er sich für seine Gedanken schämen. „Ich hätte mir einfach ein Campwochenende in den Highlands gewünscht, mit euch allen..."
April saß für die nächsten Augenblicke sprachlos neben dem Teenager, bevor sie ihn schließlich in ihre Arme zog und ihn ganz fest an sich drückte. Johnny hatte ihr ein weiteres Mal mehr bewiesen, dass ihm die Leute in diesem Haus mehr bedeuteten als einfach nur Mitbewohner, Köchin oder Nachhilfslehrer.
Er wünschte sich kein neues Speedrad, keine teuren Klamotten oder Geld, nein, er wollte zu seinem siebzehnten Geburtstag einfach nur ein wenig Zeit mit den Menschen verbringen, die ihm das Meiste bedeuteten.
„Das ist keine bekloppte Idee." Erwiderte sie schließlich und wuschelte durch seinen dunkelblonden Schopf. „Das ist eine wunderschöne Idee. Ich war schon lange nicht mehr Zelten und Saber würde sicherlich gern die Highlands mal wieder besuchen, besonders jetzt im Frühherbst. Da sehen die Berge einfach nur mystisch aus." Sie lächelte ihn mit all der Wärme an, die sie für den jungen Texaner empfand, der über das letzte Jahr so etwas wie ein kleiner Bruder für sie geworden war, für den sie durchs Feuer gehen würde.
Oh ja, und das würde sie auch, wenn Colt herausfand, dass sie ihn nicht nur an seinem persönlichen Nationaltrauertag in die Berge schleifen würde, sondern, dass er dass er diese privaten Höllenqualen mit niemanden geringeren als Jesse Blue verbringen würde.
„Aber Jesse und die Zeit..."
„Das wird sich schon irgendwie regeln lassen." April sah absichtlich weg, als sich Johnny mit den Ärmel seines Hemdes beschämt über die feuchten Augen wischte. Ein weiterer Siegesschrei durchriss die Stille des Hauses und beide mussten sie kichern. „Geh zurück und zeig Alex, dass er nicht nur gewinnen kann."
Johnny nickte dankbar, schnappte sich sein Notebook und lief hinüber zu der Wohnzimmercouch, auf der Alex vor Freude bereits auf und ab sprang.
Er ließ eine sehr nachdenklich dreinschauende April zurück.
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Hohe Geschwindigkeit. Ein Gegenstand, der auf ihn zuraste. Unausweichlich. Unerbitterlich. Tödlich.
Jesse erwachte sofort, als er unsanft aus dem Bett fiel. Zum Glück hatte er sich so verzweifelt in seine Decke gewickelt, dass sein Sturz weich und leise war. Denn er wollte niemanden im Haus aufwecken. Schließlich war es schon... Jesse drehte seinen Kopf und schielte zu dem Wecker hinüber, den er noch immer nicht stellen konnte... drei Uhr morgens.
„Was war das?" flüsterte er, als er sich an den seltsamen Traum zurück erinnerte. Aber niemand antwortete ihm. Der junge Mann griff sich an den leicht schmerzenden Kopf, fühlte das Pflaster, das man über eine kleine Wunde geklebt hatte. Das einzige Zeichen, dass er wirklich einen Unfall überlebt hatte und nun ohne jegliche Erinnerungen an sein früheres Leben durch diese Welt schritt. Oder zumindest durch dieses Zimmer. Oder es zumindest versuchte. Wenn diese verdammte Decke nur nicht so verdammt engstirnig wäre.
Jesse schaffte es schließlich, sich zu befreien. Er rappelte sich auf und betrachtete das Bett schweigend, auf das er den Stoff unzeremoniell warf. Das Licht der drei Monde Yuma Citys fiel durch das geöffnete Fenster und tief sog er die frische Luft ein. Sie klärte ein wenig seine vernebelten Sinne. Eigentlich sollte er sich ja wieder zurück in das Bett legen und schlafen, müde genug fühlte er sich ja. Auf der anderen Seite hatte er aber auch Durst und verspürte nach dem seltsamen Traum einen unnachgiebigen Drang, sich ein wenig die Füße zu vertreten. Selbst wenn er nur kurz zur Küche schlich, ein wenig Wasser trank und wieder zurück lief. Es sollte dennoch genügen, seinen aufgekratzten Körper wieder zu beruhigen und sich dann weitere vier oder fünf Stunden erholsamen Schlafes gönnen.
Gesagt, getan.
Seine nackten Füße tasteten sich in der Dunkelheit durch das unbekannte Haus. Ihn durchfuhr die seltsame Vorstellung, dass der Untergrund eigentlich eiskalt und glatt hätte sein sollen. Scharfkantig. Das Gefühl verschwand aber sofort wieder, ließ ihn verwirrt zurück. Er runzelte seine Stirn. Hatte er in seinem eigentlichen Zuhause so weit weg keine Teppiche? Oder keine Fußbodenheizung? Wo war dieses Zuhause? Nachdem es Saber und April offensichtlich unangenehm gewesen war, ihn darüber aufklären zu müssen, dass seine Mutter vor fünf Jahren gestorben war, hatte er nicht weiter nachgehakt. Eigentlich hatten ihm diese Informationen auch genügt. Er wusste nun, dass er irgendwo wohl ein Appartement, aber kein wirkliches Zuhause hatte. Nicht so eines wie dieses hier.
Jesse strich sich einige blaue Strähnen aus den Augen und tapste vorsichtig über den Gang. Er wollte nirgendwo anstoßen und hatte außerdem keine Ahnung, wie er dem elektrischen Licht erkenntlich machen sollte, dass es sich auch ihm zu zeigen hatte, nicht nur den anderen Bewohnern des Hauses. Vermutlich war dies ein computertechnisches Problem. Jesse beschlich das dumpfe Gefühl, dass seine Ungeschicklichkeit gegenüber Maschinen nicht nur aus seiner Amnesie herrührte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er daran gedacht, eine Kerze zu holen. Eine wirklich seltsame Assoziation mit der Dunkelheit, Kerzen wurden lediglich zu Weihnachten benutzt, und selbst da waren sie meist unecht.
Jesse hob seinen Kopf und konnte am anderen Ende des Flurs einen schwachen Schein ausmachen, der es ihm ermöglichte, nach wenigen Metern wenigstens die Umrisse des Fußbodens zu erkennen. Gerade noch rechtzeitig konnte er einen achtlos liegen gelassenen Schuh und drei verlassene Socken unterschiedlicher Farbe umschiffen, ohne darüber zu stolpern und all zu viel Lärm zu veranstalten. Es musste ja nicht das halbe Haus Zeuge davon werden, dass er, Jesse Blue, sich mitten in der Nacht ein Glas Wasser holte.
Er war doch Jesse Blue, oder?
Der junge Mann konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Dann aber straffte er seine Schultern und setzte seinen Hindernislauf fort. Zu der Unterwäsche hatte sich auch ein kleines Stofftier gesellt sowie eine ausgetrunkene Flasche. Jesse fragte sich unbewusst, ob die obere Etage das Reich der männlichen Gattung war und wie oft im Monat sich April hier hoch wagte. Ob sie jedes Mal einen Herzschlag bekam?
Mittlerweile hatte er die Tür erreicht, die einen Spalt offen stand. Der Lichtstrahl erhellte die Hälfte seines Gesichtes, die andere lag im Schatten, als er neugierig näher trat und hinein schielte. Er wusste, dass dies unhöflich war, aber er hatte weder die privaten Räume Sabers noch Johnnys gesehen. Es brennte ihn zu erfahren, wie der Teenager sein Zimmer eingerichtet hatte. Schließlich war er nur drei Jahre jünger und somit näher an Jesses Realität als der junge Mann selbst. Vielleicht würde er sich ja seiner Vergangenheit erinnern können, wenn er einen Raum sah, der womöglich dem seinigen ähnelte. Von früher. Oder seinem Appartement von heute. Womöglich...
Jesse erkannte jedoch, dass er hier kein Glück haben würde. Das Zimmer war zu aufgeräumt, zu akkurat für einen fast Siebzehnjährigen. Die kleine Nachttischlampe neben dem Bett brannte und in ihrem Schein konnte Jesse Saber sehen, der unter der Decke lag. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf seiner Brust und er hatte seine rechte Hand noch zwischen den Seiten. Er schien über dem Lesen eingeschlafen zu sein. Ein zweiter Körper lag zu seiner Linken und bewegte sich ein wenig, um eine angenehmere Schlafposition zu finden. Zwei Kopfkissen flogen in hohem Bogen aus dem Bett, während ein drittes so lange bearbeitet wurde, bis es perfekt unter den Kopf des Jungen passte. Johnny seufzte zufrieden in seinen Träumen und rollte sich wieder zusammen. Unbewusst legte sich Sabers linke Hand auf die Schulter des Jungen, blieb dort liegen.
Es war eine beschützende Geste. Als wollte sie zeigen, dass keine Gefahr drohte, dass es hier Sicherheit und Geborgenheit gab.
Dass alles gut war.
Jesse schluckte und berührte die Tür, die wie von selbst das letzte Stück zur Seite glitt und somit vollständig schloss. Unbekannte Trauer stieg in ihm empor, sowie ein Gefühl, das er selbst nicht recht erklären konnte: Eifersucht. Eifersucht auf etwas, das er nicht definieren konnte. Nach etwas, das nicht benennbar war.
Jesse schob es auf seine körperliche Verfassung. Auf die Amnesie, die ihn verwirrte. Was würde als nächstes geschehen? Würde er Geister sehen? Oder laut schreiend auf die Straße rennen, weil er glaubte, dass das Ende der Welt hereinbräche?
„Schwachsinn..." flüsterte er entnervt und hangelte sich in erneuter Finsternis die Treppe hinunter. Das Glas war rasch gefunden, nachdem er ungefähr drei Schränke und sogar die inzwischen geleerte Spülmaschine durchsucht hatte. Wenigstens der Kühlschrank sträubte sich nicht all zu sehr und gab das angenehm kühle Wasser her. Gierig trank er das ganze Glas in einem Zug und entschloss sich, ein weiteres mit auf sein Zimmer zu nehmen. Er wollte die abenteuerliche Reise durch fremdes Territorium nicht noch einmal riskieren, nur weil sich seine Kehle trocken anfühlte.
Er ertastete bereits die erste Stufe unter seinen nackten Füßen, als seine Augen automatisch zu der Wand neben ihm flogen. In der Dunkelheit konnte er die vielen Bildschirme nicht sehen, aber er konnte sie förmlich spüren. Eine unsichtbare Macht schien ihn magisch anzuziehen. Er tastete durch die Finsternis und seine Finger fanden, wonach er unbewusst gesucht hatte. Entschlossen drückte er auf den Schalter und betete insgeheim, dass er damit keinen Feueralarm oder sonstigen Lärm auslöste. Jesse spannte seinen Körper an, aber zu seiner Erleichterung geschah nichts. Nichts außer dem Surren von vielen kleinen Monitoren, die zum Leben erweckt wurden. Zuerst blieben sie schwarz und alles, was Jesse in dem Licht der kleinen Sensoren sehen konnte, war seine eigene Reflektion in dem Glas oder aus was sie auch immer bestanden. Vielleicht hatte er selbst einmal einen solchen Bilderrahmen besessen, er konnte sich zumindest nicht mehr daran erinnern.
Schweigend musterte er seine eigene Erscheinung, aber wie schon im Krankenhaus oder vor wenigen Stunden im Badezimmer, die Gestalt, die ihn aus dem Spiegel entgegen starrte, berührte ihn nicht im Geringsten. Es war, als würde er einen Fremden anschauen, auf der anderen Straßenseite oder am anderen Tisch im Café. Weder die blauen Haare, eine doch recht auffällige Haarfarbe, noch das Gesicht sagte ihm irgendetwas. Nicht einmal die blasse Narbe, die seine Brust zierte, brachte irgendwelche Erinnerungen oder wenigstens Assoziationen mit sich.
Nichts.
Absolut gar nichts.
Das erste Photo erschien und lenkte ihn dankbar von seinen trüben Gedanken ab. Es zeigte April und Saber in festlicher Kleidung. Wohingegen er sich im Anzug sehr wohl zu fühlen schien, blickte die junge Frau eher geziert nach unten, so als könnte sie das Rüschenkleid damit verschwinden lassen. Sie beide wirkten sehr viel jünger, etwa Johnnys Alter, vielleicht sogar noch jünger. Der Hintergrund war verschwommen, leuchtete golden und Jesse glaubte plötzlich, dass sie sich in einem prunkvollen Festsaal befanden und überall um sie herum künstliche Kerzen brannten.
Sechzehnter Geburtstag war auf dem kleinen Rahmen eingraviert, nur leider verriet das Bild nicht, welcher von ihnen seinen Ehrentag feierte. Oder war es die Feier eines anderen Menschen? Zwar ahnte Jesse, dass die beiden keine finanziellen Nöte plagte, zu großzügig war dieses Haus ausgestattet, aber einen ganzen Ballsaal? Das erschien selbst Jesse ohne Gedächtnis an irgendwelche Geburtstagsfeiern in seinem Leben ein wenig übertrieben.
Die nächsten zwei Photos zeigten einen jungen Mann, der lässig gegen einen roten Rennwagen lehnte und siegessicher in die Kamera blinzelte. Er trug eine Sonnenbrille und fuhr sich mit der rechten Hand durch pechschwarze Haare, während er mit der linken in die Kamera winkte, ohne dabei zu bemerken, dass er irgendein Werkzeug in der Hand hielt. Jesse wäre verdammt, wenn er in seinem jetzigen Zustand einen Schraubenschlüssel von einem Drehmoment unterscheiden konnte.
Das nächste Bild zeigte denselben jungen Mann. Dieses Mal posierte er nicht vor einem Auto, sondern vor einer hellen Wand. Er trug einen sonderbar geschnittenen Mantel, der ein wenig wie ein Kleid wirkte, obwohl das Jesse nicht recht beurteilen konnte, weil der junge Mann hinter einem viel zu niedrig aussehenden Tisch kniete. Dampfende Schüsseln standen vor ihm und er beäugte sie hungrig. Eine junge Frau stand hinter ihm. Ihre ebenfalls pechschwarzen Haare waren zu einem straffen Zopf geflochten und sie hatte mehrere kleine Stöcke in seine ungeordnete Haarpracht gesteckt. Sie schien amüsiert zu kichern.
Während Jesse die Rennwagenbilder noch verstanden hatte, weil unter diesen Grand Prix Suzuka und Grand Prix Yuma City standen, so konnte er mit dem Untertitel Onee-chan überhaupt nichts anfangen.
Ein waschechter Cowboy grinste ihm auf dem nächsten Photo entgegen. Sein wahrscheinlich ehemals weißes Hemd war verdreckt und seine Stiefel strotzten geradezu vor Schmutz. Er saß auf dem Rücken eines Pferdes und schwenkte seinen Hut, so als gäbe es für ihn nichts Natürlicheres, als dort zu sitzen. Es sah so aus, als befände er sich am Ziel all seiner Träume. Auch wenn es um ihn herum nur Wüste zu geben schien.
Kuhhirte
Jesse stellte das Glas auf einen kleinen Tisch ab, den er im Schein der vielen Monitore erkennen konnte und bewegte sich langsam die Flurwand entlang. Der Cowboy auf dem nächsten Bild schien sich gewaschen zu haben. Sein krauses Haar wirkte, als ob er wenigstens versucht hatte, es zu kämmen, und er trug saubere Kleidung. Der Hintergrund war weiß, so als würde er vor einer Wand oder etwas Ähnlichem stehen. Er hatte einen Arm lässig um die Schultern eines jüngeren Johnnys geschlungen und warf gerade einen Chip hinter sich. Beide lachten sie und Tränen schimmerten in grünen Augen. Das Bild hatte einen schlichten Titel, Brüder , aber Jesse ahnte, dass die Geschichte, die hinter dieser Aufnahme stand, mehr Worte benötigte, als je auf den Rahmen gepasst hätten.
Viele der Bilder, die mittlerweile alle zum Vorschein gekommen waren, zeigten April, Saber, den Rennfahrer sowie den Cowboy gemeinsam. Mal trugen sie eine seltsame Uniform, mit der Jesse nichts anzufangen wusste, mal offizielle Kleidung, in der sich nur der junge Schotte wirklich wohl zu fühlen schien, und sehr oft waren sie leger gekleidet. Auf vielen Aufnahmen gesellte sich Johnny zu ihnen und auf einigen sogar auch Alex.
Was Jesse jedoch verwunderte, war, dass er an der Wand kein einziges Photo von sich entdecken konnte. Hatte Saber ihn nicht einen Freund genannt, gestern im Krankenhaus und heute am Abendbrottisch? Wieso konnte er sich dann nicht selbst auf den Bildern finden, lachend und scherzend, so wie die anderen auch? Ein feiner Schmerz fuhr durch seinen Körper, der jedoch nicht von seiner Kopfverletzung herleitete. Oder war er wirklich nur ein Kollege, den sie aufgenommen hatten, weil er nirgendwo anders hingehen konnte? Oder noch schlimmer, weil sie es für ihre verdammte Pflicht empfanden?
Natürlich! Wer hatte schon Bilder von seinen Arbeitskollegen an der Wand hängen!
Jesse wollte sich gerade abwenden, als ihm ein Photo in der äußersten Ecke auffiel. Blaue Haare waren eben doch nicht zu übersehen. Er trat einen Schritt näher und beugte sich vor. Tatsächlich, da war er. Ein bisschen jünger sah er aus und weniger verwirrt als er sich momentan fühlte. Vermutlich war zu diesem Zeitpunkt seine Welt noch in Ordnung gewesen, hatte er noch gewusst, wer er war und wo er herkam. Vermutlich war ihm sogar noch klar gewesen, wo er hin ging. Er beneidete sein Ich, das zwischen dem Rennfahrer und dem Cowboy stand und stolz einen silbernen Stern in die Höhe hielt.
Jesse musste leise auflachen, als er den Titel las.
Ewige Zuspätkommer. Trantüten!
„Ich lass dich nie wieder dieses verdammte Raumschiff fliegen!" Die verärgerte Stimme ließ Jesse aufspringen. Er fuhr herum und kniff geblendet seine Augen zusammen, als plötzlich helles Licht das Haus durchflutete.
„Sei gefälligst leise! Es ist Mitten in der Nacht!" flüsterte eine andere Stimme gereizt und das Licht wurde auf ein erträgliches Zwielicht herunterregelt.
„Mir ist jetzt noch schlecht!"
„Ich wollte nach Hause, jetzt hab dich nicht so."
„Nachdem ich eine halbe Woche nur Fisch und Reis hatte, hast du meinen Magen endgültig verdorben."
„Benimm dich nicht wie ein Waschweib, Kuhtreiber, sondern sein dankbar, dass wir endlich zu Hause sind!"
„Bin ich auch, das kannst du mir glauben!" Jemand stöhnte gequält auf und Jesse hörte das Geräusch von Taschen, die abgestellt wurden. Er wusste, dass er sich umdrehen und so schnell wie möglich in sein Zimmer verschwinden sollte, aber er konnte nicht. Erstarrt stand er vor der Bilderwand, hörte das Summen der Monitore hinter sich und fragte sich unbewusst, ob dies die Folgen des Unfalls waren. Gesellte sich zu der Amnesie nun eine Lähmung hinzu?
„Dich nehm ich noch mal mit nach Japan, du Nörgeltasche."
„Dann frag das nächste Mal Saber. Mit diesem Kulturfreak wirst du sehr viel Spaß haben, das kann ich dir versichern, Matchbox."
Schuhe wurden ausgezogen und nach einem langen, leidvollen Seufzer fielen zwei Stiefel polternd auf den Boden.
„Das nächste Mal werde ich April mitnehmen. Sie versteht sich blendend mit meiner Mutter und schafft es, zwei Sätze zu sagen, ohne dabei den obersten Chef von Suzuki zu beleidigen. Den obersten Chef!"
Die Stimmen schwollen rasch an und Jesse fragte sich, wann es die beiden, wer immer sie auch waren, schafften und April weckten.
„Was kann ich dafür, dass deine bekloppte Sprache auf mindestens tausend Ebenen der Höflichkeit basiert."
„Wie hätte ich annehmen können, dass dir das Konzept der Höflichkeit überhaupt geläufig ist!"
Zwei junge Männer traten aus dem Vorbau in das Haupthaus und Jesse entschied sich, einfach vor der Wand stehen zu bleiben und so zu tun, als sei er unsichtbar. Vielleicht klappte es ja. Weglaufen wäre sowieso sinnlos gewesen. Nicht, dass er sich vor den anderen Mitbewohnern des Hauses in irgendeiner Weise fürchtete, er kannte sie ja nicht einmal. Und genau das war der springende Punkt. Er wollte jemanden dabei haben, der ihm in dieser fremden Welt wenigstens etwas vertraut war, wenn er sich schon wieder mit zwei Menschen konfrontiert sah, die ihn sehr gut kannten, die ihm jedoch nichts sagten.
Außerdem wollte er nicht ellenlang erklären, warum er mitten in der Nacht nicht in seinem Bett lag und schlief, sondern heimlich die Familienphotos dieser seltsamen Gemeinschaft inspizierte.
„Dann frag April wirklich das nächste Mal, ob sie mitkommt. Und frag sie gleich noch, ob sie dich heiraten will, dann hätte dieses bescheuerte Katz-und-Maus-Spiel endlich ein Ende und ich könnte meine Hoffnungen auf sie begraben."
„Du hättest nie eine Chance."
„Sagst du!"
Die beiden Männer starrten einander wütend, aber nicht feindselig an. Der kleinere von beiden trug trotz der Dunkelheit eine Sonnenbrille und versuchte gerade, sich aus seiner Jacke zu befreien, während der andere seinen Cowboyhut durch die Luft schwenkte, als wollte er einen wildgewordenen Stier einfangen.
„Eigentlich sollte ich..." hob der Cowboy an zu sprechen und verstummte, als sein Blick an der Gestalt hängen blieb, der es nicht gelungen war, das älteste Rätsel der Welt innerhalb von Sekunden zu knacken und unsichtbar zu werden. Grüne Augen weiteten sich und im nächsten Moment hatte der Amerikaner - sein Akzent war so breit, Jesse hatte das trotz Amnesie sofort erraten - seinen Blaster in der Hand. Jesse hatte ihn gar nicht danach greifen gesehen, es ging so schnell, dass er es nicht mitbekam.
„Was solltest..." fragte der andere Mann, dessen Akzent nicht identifizierbar war und wirbelte herum, als er den Stahl in den Händen des anderen blitzen sah. Aus dem Nichts wurde ein Schwert gezogen, das gar nicht aussah, als würde man viel damit kämpfen. Die Klinge war glatt und poliert, reflektierte das Licht der digitalen Photos.
„Rennfahrer? Kuhhirte?" flüsterte Jesse, als er die beiden Personen erkannte, die er auf den meisten der Bilder gesehen hatte. Nur hatten sie auf den Aufnahmen gelacht, fröhlich ausgesehen. Die zwei Gestalten vor ihm wirkten jedoch angespannt und angriffsbereit. Warum auch immer.
„Jesse Blue?" Der junge Mann mit dem scharf blitzenden Schwert, das er elegant über seine rechte Schulter hielt, spuckte seinen Namen förmlich aus, so als würde er faul schmecken. „Was treibst du in diesem Haus?"
Jesses Augen weiteten sich, als der Amerikaner vortrat und ihn die Mündung des Blasters an die Schläfe drückte, genau an die Stelle, wo das lose Teil des Konvois ihn getroffen hatte. Jesse zuckte zurück, aber eine grobe Hand schloss sich um seinen rechten Arm, presste ihn unsanft gegen die Wand. Einige Bildschirme summten laut auf und er konnte das Knirschen von brechendem Glas hören.
Der Cowboy musterte ihn eiskalt von oben nach unten, bevor seine hassgefüllten Augen sich wieder auf sein Gesicht konzentrierten. Dann stellte er die Frage, die ihn am meisten zu beschäftigen schien.
„Was treibst du in diesem Haus in MEINEM PYJAMA?"
dbdbdb
