bDer Neujahrsmorgen/b

Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich über dem zugefrorenen See und tauchten Hogwarts in ein goldenes Licht. Tausende Schneekristalle reflektierten die Sonnenstrahlen und ließen die Ländereien von Hogwarts aussehen, als seien sie mit funkelnden Diamanten überdeckt.

Minerva McGonagall trat gut gelaunt in ihr Büro. Die meisten der ehemaligen Schulleiter Hogwarts schliefen noch tief und fest. Sie hatte den gestrigen Abend bei Freunden verbracht und hatte sich im Eifer der guten Vorsätze vorgenommen, so bald wie möglich mit den Arbeiten für das Zaubereiministerium zu beginnen.

Ein Räuspern ließ sie erschrocken hoch fahren. Verwirrt blickte Professor McGonagall sich um. Dann sah sie Phineas Nigellus, der sie mit blasierter Mienen aus seinem Bilderrahmen herab ansah.

„Ja?", fragte die Schulleiterin.

„Direktorin", begann Nigellus, „ich war letzte Nacht im Haus meiner Familie."

„Im Haus von Harry Potter", verbesserte McGonagall ihn. Phineas Nigellus verdrehte die Augen.

„Wie auch immer", fuhr er fort. „Ich habe dort eine eigenartige Entdeckung gemacht."

„Fahren Sie fort." Langsam wurde Minerva McGonagall ungeduldig.

„In dem Raum, in dem mein leeres Portrait hängt, schlief ein Junge."
„So weit ich weiß, war Potter bei den Weasleys", wunderte sich McGonagall.

„Mit blonden Haaren. Mit sehr blonden Haaren", sagte Phineas.

McGonagall blickte erschrocken auf.

„Haben Sie", ihre Stimme stockte, „haben Sie sonst noch jemanden oder etwas gesehen?"

Phineas schüttelte den Kopf.

„Die anderen Portraits schienen nicht sehr erfreut zu sein, mich zu sehen und haben kaum mit mir gesprochen. Ich habe nichts weiter sehen können."

„Ich danke Ihnen", sagte McGonagall. „Wissen Sie was das bedeuten könnte?"

Sie ging um ihren Schreibtisch herum, bis sie vor dem Portrait eines älteren Zauberers stand.

„Everard wachen Sie auf!", sagte McGonagall energisch.

„Ich habe es schon gehört", gähnte Everard.

„Gehen Sie sofort ins Ministerium und verständigen Sie den Minister."

„Nein! Minerva!", ertönte eine andere Stimme und McGonagall drehte sich ein weiteres Mal erstaunt um.

„Albus? Guten Morgen und -", begann sie, wurde jedoch von dem Portrait ihres Vorgängers unterbrochen.

„Minerva, Sie verstehen das alles falsch", versuchte Albus Dumbledore zu erklären.

„Was soll ich daran falsch verstehen?", fuhr McGonagall auf. „Er hat Sie umgebracht. Er hat Sie kaltblütig ermordet, Albus!"

Severus und Lucius waren gerade auf dem Weg in die Küche, als die Vorhänge vor dem Portrait von Mrs. Black zur Seite flogen. Erschrocken zogen beide ihre Zauberstäbe, doch Mrs. Black betrachtete die beiden missbilligend. Zögernd senkten sie die Zauberstäbe wieder.

„Vielen Dank", knurrte Mrs. Black.

„Ich wollte Sie beide nicht erschrecken", fügte sie etwas versöhnlicher hinzu.

„Was ist los?", wollte Lucius wissen.

Mrs. Black schien etwas verlegen nach einer Antwort zu suchen.

„Ich fürchte, Sie können hier nicht bleiben", begann sie.

„Aber der Orden nutzt dieses Haus schon lange nicht mehr. Und wie Sie selbst gestern Abend erzählten, war hier schon seit Ewigkeiten keiner mehr", sagte Severus.

Mrs. Black hob unwirsch eine Hand.

„Nein. Das war gestern Abend. Phineas Nigelus war letzte Nacht hier."

„Aber er hat uns nicht gesehen, oder?", fragte Lucius.

„Er ist verpflichtet, dem aktuellen Schulleiter von Hogwarts nach bestem Wissen zu helfen", sagte Severus mit tonloser Stimme.

„Wo ist sein Portrait hier im Haus?", fragte er weiter.

„Im ersten Stock, zweites Zimmer", erwiderte Mrs. Black mit scheinbar aufrichtig mitleidiger Stimme.

„Das Zimmer, in dem Draco schläft!", entfuhr es Lucius entsetzt.

Mrs. Black nickte.

„Wie schnell können sie an einem Neujahrsmorgen ihre verdammten Auroren zusammen haben?", fragte Lucius, als sie zurück eilten.

„Das werden wir bald heraus finden, schätze ich", antwortete Severus.

„Was'n los?", fragte eine verschlafene Stimme. Draco stand mit zerzaustem Haar auf dem Treppenabsatz.

Severus antwortete nicht und öffnete die Tür zum Salon. Er konnte Lucius hören, der seinen Sohn anwies, ihre Sachen zu packen.

„Das kannst du dir sparen", meinte Severus säuerlich. Lucius und Draco sahen erstaunt auf.

Severus konnte im morgendlichen Licht sehen, wie zwei Gestalten in einer Seitengasse wie aus dem Nichts auftauchten.

„Sie kommen."

Die Minuten verstrichen und Severus blickte weiter durch eines der verdreckten Fenster. Etwa zehn oder fünfzehn Auroren konnte er unten aus den Seitengassen kommen sehen.

„Sie kommen."

„Könnten wir nicht hier weg apparieren?", fragte Draco panisch.

Lucius und Severus sahen sich um.

„Nein", erwiderte Severus knapp und beobachtete wieder die Auroren, die sich auf dem Rasenstück vor dem Haus zu sammeln begannen.

„Apparierschutz", erklärte Lucius kurz und ging aus dem Raum.

„Du solltest deinem Vater folgen", sagte Severus ohne den Blick abzuwenden.

Draco ging seinem Vater nach, der bereits begann, magische Barrieren zu beschwören. Niemand konnte in dieses Haus hinein apparieren, aber diesmal konnten sie auch nicht heraus. Severus dachte angestrengt nach, konnte sich aber nicht an eine Hintertür erinnern. Nun gut, die Auroren mussten die Haustür benutzen, um herein zu kommen. Severus begann grimmig zu lächeln. Sie würden mit vielen Leben dafür bezahlen müssen. Wenn es heute und hier zu Ende gehen sollte, dann war er bereit, diesen nächsten Schritt zu gehen. Für einen winzigen Moment erlaubte er sich einen wehmütigen Gedanken an Albus Dumbledore, der stets gesagt hatte, dass sterben und das danach kommende nicht schlimm seien.

„Wir werden uns wieder sehen", hatte der alte Mann damals auf dem Astronomieturm in Severus' Kopf gesagt.

Severus zog seinen Umhang fester um sich. Die Auroren begannen sich wieder auf das Haus zu zu bewegen.

„Ich komme Albus", dachte Severus und ging aus dem Salon.

Sein dunkles Mal erlaubte es ihm, Lucius' magische Barriere zu durchschreiten.

„Sie kommen", sagte Severus und einen Herzschlag später zerbarst die alte zweiflügelige Haustür in einer gewaltigen Explosion.

Severus, Lucius und Draco hasteten die Treppe hoch bis zum nächsten Absatz. Dann sah Severus, wie aus einer kleinen Flasche, die mitten im Flur lag, ein gelbes Gas austrat. Ehe er noch einen Kopfblasenzauber oder einen ähnlichen Schutzzauber aussprechen konnte, gelang es ihm nicht mehr, Luft zu holen und seine Lungen verweigerten ihm ihren Dienst.