2. Kapitel – Schön, dass es Freunde gibt

Draco verschlief den gesamten folgenden Morgen. Die nächtliche Zubettbring-Aktion war doch anstrengender gewesen, als er anfangs gedacht hatte. Denn Malfoy Manor besaß keinen Aufzug wie das Zaubereiministerium, stattdessen musste Draco seine Mutter die breiten, dunkelbraunen Treppen hinauf in den vierten Stock tragen.

Letztendlich gewannen die Sonnenstrahlen, die Draco schon eine ganze Weile an der Nase gekitzelt hatten. Er schlug die Decke zurück und stand auf. Bevor er sich jedoch wusch und anzog, wollte er einen Blick nach seiner Mutter werfen.

Er ging aus seinem Zimmer und dann den Flur mit den porträtbehangenen Wänden entlang und stieß dann, ohne anzuklopfen, die Tür des Schlafzimmers auf. Seine Mutter saß aufrecht im Bett und massierte sich mit geschlossenen Augen die Schläfen.

„Guten Morgen Mum", machte sich Draco bemerkbar. Seine Mutter blickte auf, ihre Augen waren dunkel unterlaufen und ihre Frisur sah erbärmlicher denn je aus. „Wie geht es dir?", erkundigte sich der Blonde nach dem Befinden seiner Mutter.

„Wie soll es mir schon gehen?", zischte Narzissa Malfoy aufgebracht und wollte aufstehen. Doch der Schmerz in ihrem Kopf hielt sie zurück und mit einem gequälten Wimmern ließ sie sich zurück in die dunkelgrünen Satinkissen ihres Bettes fallen. „Und was heißt hier ‚Guten Morgen, Mum'", äffte Narzissa ihren Sohn nach, „Bin ich dein Mamilein, das du nach Belieben betiteln kannst?"

„Oh là là, Madame ist zickig." Draco zog eine Augenbraue in die Höhe. „Madame hat einen Kniesel." Doch eigentlich hätte Draco es wissen müssen: in besoffener Verfassung werden solche proletarischen Bezeichnungen wie „Mum" vielleicht erduldet bzw. gar nicht mehr wahrgenommen, ist Narzissa Malfoy jedoch im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte muss ihr ein gewisser Respekt entgegengebracht werden.

„Entschuldigung wenn ich mich nach deinem Gemütszustand erkundige, liebste Mutter", gab er gereizt zurück. Alle guten Vorsätze vernachlässigend ging Draco auf die Meckereien seiner Mutter ein, was er besser hätte nicht tun sollen, denn das brachte ihre ohnehin schon angeschlagene Laune noch mehr gen Tiefpunkt.

„Zügle deine Zunge, mein Sohn", wies Narzissa ihren Sprössling zurecht. „Du meinst wohl, wenn dein Vater nicht hier ist hast du das Sagen! Du denkst wohl du bist dann der Mann im Haus!" Sie lachte einmal kurz und kalt. „Da hast du dich aber gewaltig am Kessel verbrannt, Draco."

Der Angesprochene blieb schweigend im Türrahmen stehen und ließ die Beschimpfungen einfach über sich ergehen. In dieser Art glich sich Narzissa ungemein ihrer Schwester Bellatrix: wenn sie Recht haben wollte, hatte sie Recht.

„Es ist nicht meine Schuld, wenn du deinen Tag gestern in Gegenwart einer hochprozentigen Flasche Feuerwhisky verbracht hast!", erwiderte Draco schließlich, da er sich Narzissas Gekeife nicht länger wortlos gefallen lassen wollte.

„Oh ja, Draco, ganz fein", höhnte Narzissa, „Jetzt bin ich es wieder! So ist es ja immer gewesen! Immer bist du Papis Goldjunge gewesen, aber hast du mal was verbockt, dann bist du wieder mein Sohn! Vergiss nicht, dass ich es war, die Snape dazu überredet hat, dir zu helfen! Wenn ich das nicht getan hätte … wenn ich das nicht getan hätte, du würdest es noch nicht einmal wagen, daran zu denken, wie verloren du gewesen wärst, wie dich der Dunkle Lord bestraft hätte! Dein aalglatter Vater, dieser Nichtsnutz, hat es ganz fein hingekriegt und sich nach Azkaban schicken lassen, nur weil er so unfähig war und mit ein paar Kindern nicht klargekommen ist … überhaupt dieser undankbare Bastard, wäre er nicht von Dementoren bewacht, würde er auch noch in Gefangenschaft die Bediensteten vögeln … dieser elende, wertlose …"

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren kehrte Draco seiner Mutter, die mit äußerster Kreativität ihren Ehemann verfluchte, den Rücken zu, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

„Wenigstens ist sie wieder die Alte", war der einzige Gedanke, den er noch an die morgendliche Begegnung mit seiner Mutter verschwendete. Normalerweise gab sich Narzissa immer kühl und reserviert, und wenn sie mal ihr Temperament unter Beweis stellte, dann nur im engsten und vertrautesten Kreise der Familie. Auch diese Gefühlsausbrüche waren nicht sehr häufig und traten nur an ihren besonders schlechten Tagen auf, oder eben wenn sie einen Kniesel hatte.

Draco ging zurück in seine Gemächer.

„Ein Malfoy zeigt keine Gefühle. Ein Malfoy lässt nicht in sich lesen wie in einem offenen Buch." Nützliche Regeln aufstellen, das konnte sein Vater gut, aber es war natürlich auch möglich, dass dieses Reglement schon von Dracos Großvater Abraxas eingeführt worden war.

„Die Malfoy'sche Familie unterliegt einer straffen Ordnung. An der Spitze der Familien-Hierarchie … stehe ich, Draco Malfoy", korrigierte Draco diese eine Vorschrift in Gedanken.

Prüfend blickte Draco in den Spiegel, während er sich seiner Kleider entledigte. „Exzellent sehen Sie aus, Master Draco", wurde er von seinem Spiegel komplimentiert. Doch erst als Draco selbst das was er sah für gut befunden hatte, stieg er in die heiße Dusche im anliegenden Privatbadezimmer.

„Ein Malfoy hat seine persönlichen Bereiche zur Entfaltung seiner Intimsphäre. Ein Malfoy hat sein persönliches Bad – und das ist auch gut so!" Unter dem angenehmen Wasserstrahl dachte Draco über seine weitere Tagesplanung nach. Er wollte draußen, auf dem Quidditchfeld, das an den Park seines Heimes grenzte, etwas üben. Aber ohne Theodore oder Blaise war dies wohl nicht so amüsant und unterhaltend.

Ob er Pansy anschreiben sollte, fragte sich Draco. Er erinnerte sich noch genau an den Call-me-Blick, den Pansy draufhatte, als sie Draco ein übertrieben verführerisches „Meld dich in den Ferien einfach bei mir", ins Ohr gehaucht hatte. Aber Pansy und seine knieselige Mutter – das würde nicht gut gehen. Seine Mutter lehnte sowieso dieses „Möchtegern-Persönchen mit unerträglich schriller Stimme" ab.

Draco jedoch seufzte und sah an sich herab. Er hatte Pansy nötig – und wie er Pansy nötig hatte. Seit einer Woche war er zu Hause, allein mit seiner Mutter. Die Woche zuvor hatte er Snapes Belehrungen und die Unzufriedenheit des Dunklen Lordes über sich ergehen lassen müssen. Und das Techtelmechtel mit der attraktiven Ravenclaw Lisa Turpin lag seit „Dracos persönlichem Schulende" schon einige Wochen, wenn nicht sogar Monate zurück.

Entschieden drehte Draco das Wasser von warm auf kalt. Mehr als ein Monat! So erniedrigend es auch war, Draco konnte die Richtigkeit dieser Tatsache nicht ändern.

Seine Männlichkeit störte sich rein gar nicht an dieser erbärmlichen Statistik, die der Slytherinprinz und Frauenheld schon in seinem dritten Jahr hatte überbieten können. Ganz im Gegenteil, sein bestes Stück wies einen Tatendrang auf – geradezu mit Vorfreude bäumte es sich den folgenden, einsamen fünf Wochen entgegen.

Das kalte Wasser rieselte auf Draco herab.

„Es gibt immer noch Pansy", erinnerte sich Draco, „Gute, alte Pansy …"

Er wurde durch das hartnäckige, laute Klopfen am Fenster in seinem Schlafzimmer gestört. Verärgert stellte Draco das Wasser ab und nahm sich ein vorgewärmtes Handtuch aus dem Regal, um es sich um die Hüfte zu schlingen.

Das Wasser tropfte von seinem noch unfrisierten, wirren Haar auf seinen nassen Oberkörper. Doch er hatte keine Zeit, sich abzutrocknen, denn das Klopfen gegen die Fensterscheibe wurde immer penetranter. Draco befürchtete, das Glas würde zerbersten und genervt fluchte er: „Wenn das jetzt wieder dieser dämliche Tagesprophetvogel ist, der das offene Fenster in der Küche nicht findet … ich dreh ihm dem Hals um … idiotisches Federvieh …"

Draco hatte den Raum bis zum Fenster durchquert. Draußen auf der Fensterbank saß tatsächlich eine Eule, jedoch keine jener, die die Zeitung ausflogen. Er öffnete das Fenster und herein hüpfte eine Eule stattlicher Größe, mit großen Schwingen und einem breiten Schnabel.

Er wusste zwar nicht, was es für ein Vogel war, doch er wusste, dass diese Tiere für die Übersee-Einsendungen verwendet wurden. Ein Umschlag war an ein Bein des Vogels gebunden. Draco nahm ihn ab und öffnete ihn. Darin befand sich eine bunte Postkarte.

Die Rückseite war spärlich beschrieben, auf der Vorderseite bewegte sich etwas. Drei halbnackte Frauen räkelten sich an einem Strand, ihre prallen Brüste glänzten in der Sonne.

Draco drehte sie Karte rum, um sich zu vergewissern, dass sie von Theodore und Blaise war. Wer sonst könnte so stillos Urlaubsgrüße versenden. Es war einfach … erbärmlich!

Und doch konnte Draco es nicht verhindern, die nackten Mädchen auf der Vorderseite der Postkarte anzustarren. Er musste sich zusammenreißen um die Darstellung erneut zu wenden und das Geschriebene seiner Freunde zu lesen.

„Hi Malfoy", schrieb Nott. Die krakelige und unordentliche Schrift war Draco gar nicht gewöhnt von dem Slytherin, der in der Schule die besseren Noten hatte als er.

„Hier ist es geil", las Draco weiter. Er rümpfte die Nase. „Wie primitiv ist das bitte?", schnaufte er verächtlich. Er verdrängte einfach die Gedanken daran, dass er selber gerne in Lloret de Mar wäre und am eigenen Leibe erfahren würde, was denn so ‚geil' ist.

„Strand, Mädchen, Alkohol!" Da hatte er die Antwort.

Draco ballte die Hand zu einer Faust und zerknüllte dadurch die Pappe. Er war die Ansichtskarte in eine Ecke seines Zimmers. „Diese Arschlöcher! Machen sich ein schönes Leben und finden sich dann witzig, wenn sie mir schreiben. Die kleinen Würmer … und ich sitze hier mit meiner Alten und komm nicht weg, kann die bemuttern …" Wütend bellte Draco seinen Zorn der Eule, die noch immer auf der Fensterbank saß, entgegen.

Diese zuckte nicht zusammen sondern blickte ihn starr an. „Was ist?", bluffte Draco den Vogel an, „Du kannst den Abgang machen!" Doch das Tier rührte sich nicht sondern scharrte ungeduldig mit dem Fuß, genau dreimal.

„Argh, diese Missgeburten! Jetzt kann ich auch noch ihre Eulengebühren blechen, nur weil die ihr Geld ins Saufen investieren müssen!", motzte Draco weiter, ging zu seinem Schreibtisch um dort drei Sickel zu suchen.

Er steckte sie der Eule in den Lederbeutel, welchen sie am anderen Bein trug. Augenblicklich verschwand sie durch das offene Fenster. Mit einem knurrenden Laut und einem Knall schloss Draco das Fenster hinter ihr. Dann sah er sich in seinem Zimmer nach der zerknüllten Karte um, die er noch nicht fertig gelesen hatte. Er fand sie neben seinem Bett, hob sie auf und las sich die letzten Worte durch.

Dort stand nichts weiter als „Gruß, Fiesta-Blaise und El Gran Theo"

Erneut schnaufte Draco und vernichtete nun die Karte endgültig. Er zerriss sie in viele kleine Schnipsel die dann zu Boden segelten.

„Und wegen denen bin ich jetzt aus der Dusche gestiegen", murrte Draco und verzog sich zurück ins Bad. Er kämmte seine blonde Mähne und brachte sie mit einem Sprüher „Magischer Haarfestiger" aus seinem Zauberstab in Form. Jetzt standen seine Haar nicht mehr so ungeordnet ab.

Draco trocknete sich ab und zog dann die Kleider an, die er mit einem simplen „Accio" aus dem anliegenden begehbaren Kleiderschrank hatte einfliegen lassen. Schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt, darüber einen dünnen dunkelgrünen Umhang.

Er prüfte erneut sein Aussehen im Spiegel – welcher einen anerkennenden Pfiff ausstieß – und verließ dann sein Badezimmer. Etwas unschlüssig stand er danach in seinem Gemach. Sein Blick schweifte durch den Raum und verweilte kurz auf den Papierschnipsel, die neben seinem Bett auf dem Boden lagen.

Nur für einen Moment bereute er es, die Karte zerrissen zu haben. Die hübschen nackten Frauen lagen nun zerrissen auf dem Boden. „Ein Malfoy hat keinen Grund notgeil zu sein!", zischte Draco zwischen zusammengebissenen Zähnen und hob seinen Zauberstab. „Desaparesco!", und das, was von der Ansichtskarte seiner Freunde noch übrig geblieben war, war verschwunden.

Sofort fühlte sich der blonde Slytherin viel befreiter. Erleichtert seufzend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Hey, ich bin Draco Malfoy – ich habe es nicht nötig, spanischen Ansichtskarten-Models auf die Titten zu starren! Ich kann jede haben, jede - "

„Draciiiiiiiiii!"

Abrupt hielt Draco in der Lobeshymne, die er gerade auf sich selbst gesprochen hatte, inne. „Draciiiii", ertönte erneut der Ruf einer Frau. Draco lief ein kalter Schauer den Rücken runter, wie er es hasste, wenn man ihn Draci nannte.

„Draciiiii!", seine Mutter wollte scheinbar nicht aufgeben.

„Das kann doch nicht sein!", sagte Draco entnervt zu sich selbst, während er hinaus auf den Flur trat um den Standort seiner Mutter zu bestimmten. „Das kann doch echt nicht angehen, dass diese Frau" – er warf einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr – „um halb 1 Uhr schon wieder sturzbesoffen ist!"

„Draciiiiiii!", Draco folgte dem Ruf, den Gang hinunter zur Treppe, die hinunter in die Wohnbereiche führte. „Und es kann doch echt nicht angehen, dass die mich schon wieder Draci nennt!", fügte er noch knurrend hinzu.

Er ging die Treppe hinunter, jedoch vermutete er, dass sie sich nicht im dritten Stockwerk – wo sich die Gästezimmer und Unterhaltungsräume befanden – aufhielt. Auch der zweite Stock – Bibliotheken, Kaminzimmer und Arbeitsräume – verwarf Draco als Aufenthaltsort seiner Mutter.

Er ging leichtfüßig die Treppe zum ersten Stock (großer Esssaal, Salons, Raucherzimmer) hinunter, da hörte er wieder die Stimme seiner Mutter. „Draciiii, wo steckst du nur?"

Mittlerweile schien Narzissa den Feuerwhisky immer besser zu vertragen: sie war zwar angeheitert, dennoch lallte sie noch nicht.

„Eine Säuferin macht Fotschritte", murmelte Draco.

Er war in der Mitte der Treppe angelangt, als seine Mutter auf ihn zustürmte … Moment!

„PANSY!", fassungslos starrte er seine Schulkameradin an.

„Du bist … hier?", das letzte Wort wies einen leicht verängstigten Unterton auf.

„Das waren doch nur die kleinen, unbedeutsamen Gedanken eines kleinen notgeilen Malfoys gewesen! Kein Grund, das alles zur Wirklichkeit werden lassen!", dachte Draco im Stillen. Scheiße, er hatte doch nicht ernsthaft gewollt dass diese Klette hier auftaucht!